Bademantel-Challenge, Open Piano, Trust Fall: Wagst du diese Mutproben?
Was du kannst, weißt du erst, wenn du es versuchst. Du willst mutiger sein? Na, dann los!
Mutig sein: Was ist das eigentlich? Sicher kennst du dieses Zitat: «Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass etwas anderes wichtiger ist als Angst.» So manch zeitgenössischer Person legte man diese Worte bereits in den Mund (oder sie taten es selbst), und auch in der modernen Aschenputtel-Filmvariante «Plötzlich Prinzessin» tauchte die Weisheit auf.
Mutig sein: Mit Angst oder doch ohne?
In der Wissenschaft hat sich fast 20 Jahre später Christopher Rate von der Yale University mit bestehenden Theorien aus Psychologie und Philosophie befasst, nachzulesen im «Journal of Positive Psychology».
2010, in einem späteren Beitrag für das Fachbuch «The Psychology of Courage», definiert er Mut als Tat, die aus drei Komponenten besteht: Die Handlung muss absichtlich sein. Außerdem muss eine mutige Tat mit Risiken, Schwierigkeiten oder Gefahren für den oder die Handelnden verbunden sein – und dieses Risikos sei man sich bewusst. Drittens müsse das Ziel «edel» sein oder einem sonstigen «moralisch würdigen Zweck» dienen. Ein subjektives Gefühl von Angst kann mit im Spiel sein, so Rate, zwingend ist es aber nicht.
Es lässt sich eines mit Gewissheit sagen: Mut ist höchst individuell. Ob mit oder ohne Abwesenheit von Angst. Der eine findet sich mutig, wenn er es endlich schafft, vor großen Gruppen zu reden. Die andere ist mutig, wenn sie vom 10-Meter-Brett ins Schwimmbecken zu springen wagt. Der dritte fühlt sich Mut, wenn er nicht mehr vor Spinnentieren schreiend wegläuft. Und so weiter und so fort.
Mutiger werden: Sich verändern, ist möglich
Fest steht auch: Mutig(er) sein lässt sich lernen. Denn die Persönlichkeit jedes Menschen ist nicht – wie die Wissenschaft lange vermutete – ein für alle Mal gesetzt und unveränderbar. Im Gegenteil, wir können unsere Persönlichkeit ein wenig kneten. Mit fortschreitendem Erwachsenenalter, das haben mehrere Untersuchungen wie etwa diese Längsschnittstudie belegt, werden du und ich und alle anderen sowieso emotional stabiler, selbstbewusster, verträglicher und gewissenhafter. Ganz ohne bewusstes Zutun.
Aber geht es auch bewusst und mit Absicht? Ein Zürcher Forschungsteam um Mathias Allemand untersuchte in einer großen Studie mit mehr als 1500 Personen die Frage: Kann man die sogenannten Big Five seiner Persönlichkeit beeinflussen? Zu den Big Five gehören die Persönlichkeitsmerkmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und emotionale Stabilität. Die teilnehmenden Personen versuchten gewünschte Charakterzüge über drei Monate lang zu verstärken oder abzuschwächen. Das Ergebnis: «Persönlichkeitsmerkmale sind im Laufe des Lebens formbar», so Studienleiter Allemand.
Gut, du wirst auch in Zukunft auf Partys nicht auf den Tischen tanzen, wenn du eher zu den Introvertierten gehörst und lieber Small-Talk one-to-one führst. Aber ein wenig geselliger, ein wenig aufgeschlossener kannst du werden. Laut den Forschenden funktioniert es unter anderem mit Vorsätzen, die du dir als konkrete «Wenn-dann»-Sätze formulierst. Etwa so: Wenn ich das nächste Mal auf eine Party gehe, dann spreche ich als erstes jemanden am Buffet an, den ich noch nie gesehen habe.
Willst du mutiger werden, gehört Vertrauen dazu – in dich selbst und deine eigenen Fähigkeiten, aber auch in dein Umfeld. Bau in kleinen Schritten dieses Vertrauen auf. Wenn du etwas Neues, Mutiges wagen willst, musst du nicht gleich den Bungee-Jump von der 100 Meter hohen Brücke versuchen oder zum Eisbaden in den See springen.
Beginne vielmehr mit kleinen Mut-Challenges, für die ich dir jetzt ein paar Ideen liefere. Und nicht vergessen: «Niemand weiß, was er kann, bevor er es versucht.» Davon war einst Publilius Syrus überzeugt, ein römischer Dichter im 1. Jahrhundert vor Christus.
15 gar nicht so verrückte Ideen zum Nachmachen
Auf YouTube, Instagram und TikTok gelten Mutproben als harte Währung unter Kindern und Jugendlichen. Nicht alle Social-Media-Challenges sind sinnvoll, manche sogar lebensgefährlich. Andere wiederum demonstrieren damit für einen guten Zweck, wie die Bademantel-Challenge der Deutschen Demenzhilfe, anlässlich des Welt-Alzheimer-Tags am 21. September. Sich eine kleine Scheibe von solchen Trends abzuschneiden, bringt dir vielleicht sogar Spaß. Nein, du brauchst das Selfie nicht auf Social Media zu posten. Druck es ganz altmodisch aus und hänge es an deinen Badezimmerspiegel. Dort erinnert es dich daran, wie mutig du sein kannst.
Jeder hat Träume. Vielleicht scrollst du Woche für Woche durch Immobilien-Annoncen, um seufzend Bilder von edlen Wohngelegenheiten anzusehen? Die du dir nie wirst leisten können? Schluss damit: Mach einen Termin mit Makler oder Maklerin aus, wirf dich in schicke Kleidung – und schau dir ein paar megateure Wohnungen/Häuser/Lofts an.
Je älter wir werden, desto beständiger ist unser Freundeskreis. Normalerweise. Dehne doch deinen Mut-Muskel und lade zum nächsten BFF-Dinner jemand Unbekannten ein. Du brauchst dafür keinen Fremden auf der Straße ansprechen. Oder deine Snapchat-Buddies fragen, mit denen du nur wegen des Algorithmus befreundet bist. Frag bei Friends & Family nach, wen er oder sie mitbringen könnte, den du persönlich noch nicht kennst.
Es kann auch mutig sein, Nein zu sagen, wenn alle anderen aus deiner Peer Group fordern «Mach doch!» – Mach nicht.
Mit Fremden, die man auf der Straße sieht, lassen sich lauter Mut-Challenges anstellen: Lächele jeden an, der dir auf der Straße/im Tram/an der Kasse begegnet. Bereite ihm oder ihr ein Kompliment. Oder komm an der Bushaltestelle mit Fremden ins Gespräch – auch Small Talk halten ist mutig. Glücklich macht ein kleiner Plausch mit Fremden sowieso, weiß die Wissenschaft.
Du fürchtest dich im Dunklen? Hasst seltsame Geräusche, die nicht einzuordnen sind? Wie mutig, trotzdem eine Nacht unterm Sternenhimmel zu verbringen. Im Wald oder am See beispielsweise, sofern das in deinem Kanton (rsp. Bundesland) erlaubt ist. Kollegin Olivia hat daraus ein Mikroabenteuer gemacht – sie hat allerdings «nur» mit Fuchs und ohne Handy auf ihrer Terrasse übernachtet.
Style haben gefühlt immer nur die anderen? Trotzdem schlummert womöglich in dir der Wunsch, einmal jemand anderes, stylischeres, zu sein? Dann such den nächsten Second-Hand-Shop auf und dort ein gewagtes Kleidungsstück aus. Ab damit ins Büro. Oder einfach nur vor die Tür. Mauerblümchen war einmal.
Hobbies gehören zu jenen Angelegenheiten, die man hat oder hasst. Lass uns «mutiger» im Sinne der Big Five als «offener sein» definieren – und überlege selbst, was du so gar nicht leiden kannst. An der Playstation die Nacht durchzocken mit deiner Nerd-Nichte? Angeln gehen mit dem geschwätzigen Onkel? Einen Tag auf der Rennbahn verbringen mit deiner pferdenärrischen Nachbarin? Ich wette, es gibt jemanden in deinem Umfeld, dank dem du deine Persönlichkeit ein wenig stretchen kannst.
Dieser Tipp ist nichts für Menschen, die vegan oder vegetarisch leben: Innereien gehören zu jenen Fleischspezialitäten, die mir in meiner Heimat Österreich in jedem Wirtshaus begegnen. Freiwillig würde ich sie nie über meine Lippen bringen. Aber du vielleicht?
Alternativ kannst du einmal bittere Lebensmittel probieren. Urgesund. Allein der Gedanke löst bei dir Würgereiz aus? Komm, spring über deinen Schatten und mach dir ein Date mit Chicorée, Estragon oder Rosenkohl aus. Dieses Kochbuch hilft dabei.
Die Komfortzone zu verlassen, kann auch in emotionalen Belangen ungemein hilfreich sein. Welches Thema brennt dir unter den Nägeln: Hat dich zuletzt Freund oder Freundin mit einer Bemerkung verletzt oder vor anderen bloßgestellt? Nervt dich das Verhalten eines Familienmitglieds – vielleicht mischt sich Oma immer in die Erziehung deines Kindes ein? Oder willst du dich endlich deinem Schwarm outen? Tu es!
Free hugs kennst du, oder? Manchmal sieht man sie noch, seitdem Corona unter Kontrolle ist: Menschen, die in der Fußgängerzone Tafeln hochhalten und zu Gratis-Umarmungen aufrufen. Ja, Kuscheln macht glücklich, doch falls dir das mit Fremden zu viel ist, probiere stattdessen den trust-fall. Stelle dich auf der Straße mit dem Rücken vor jemanden hin, lass dich nach hinten fallen und er oder sie fängt dich auf. Wie gesagt, Mut erfordert Vertrauen – auch in andere.
Vielleicht hast du gerade mit Sport begonnen oder bist vollkommen unsportlich. Ganz egal: Buche eine Stunde im nächstgelegenen Gym und setz dich an das furchteinflößendste Sportgerät, das dir dort begegnet. Frage vor Benutzung nach, wie man es benutzt. Deine Knochen und Bänder sollen schließlich heilbleiben.
Falls du zu jenen gehörst, die als Kind ein Instrument gelernt haben: Hand aufs Herz, wann hast du es zuletzt gespielt? Ist bestimmt ewig lange her. Stell dich deiner Angst: Hol dein Chello/deine Querflöte/deine Tuba wieder hervor und mache vor anderen Menschen Musik. Schön ist auch die Aktion Open Piano: In Deutschland, Österreich und der Schweiz stellt die Organisation Open Piano for Refugees frei zugängliche Flügel auf, an denen jeder spielen darf, der will. Termine werden online laufend aktualisiert.
Wer jetzt noch zaudert und zögert, stelle sich nur eine Frage: Wird dir eine dieser Situationen in einem Jahr noch unangenehm sein? Nein? Dann trau dich und nach dir die Sintflut.
Nur dranbleiben musst du, um anders zu werden – ob mutiger oder aufgeschlossener, ob extrovertierter oder geselliger. Denn es dauert im Schnitt 66 Tage, bis dir ein neues Verhalten zum Ritual geworden ist, sagt die Wissenschaft. Leg also hin und wieder deinen inneren Schweinehund an die Leine.
Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.