Weniger Stress und mehr Zufriedenheit: Warum wir alle öfter kuscheln sollten
Du umarmst einen geliebten Menschen, dein Kopf wird leicht und deine Brust warm. Hormone fluten dein Gehirn, du wirst ruhig und zufrieden. Was das Kuscheln und Berühren mit uns macht, weiß Neurowissenschaftlerin Rebecca Böhme.
3,17 Sekunden: So lange dauert eine Umarmung im Schnitt. Ein kleiner Moment, aber mit großer Wirkung, denn wir Mensch brauchen Berührungen. Sie steigern das Wohlbefinden und die allgemeine Zufriedenheit. Verantwortlich für diese positiven Effekte ist das «Kuschelhormon» Oxytocin: Wenn du kuschelst, wird dein Gehirn damit überflutet.
Oxytocin spielt eine essenzielle Rolle bei der Paarbildung, der Mutter-Kind-Bindung und steigert das Wohlbefinden. Forschende berichten im Fachmagazin Frontiers in Behavioral Neuroscience zudem, Oxytocin steigere prosoziales Verhalten und die Ausschüttung nehme sogar mit dem Alter zu.
Die Bedeutung von Berührungen im Alltag bestätigt auch Dr. Rebecca Böhme, Neurowissenschaftlerin, Berührungsforscherin und Autorin. In ihrem Buch «Human Touch» schreibt sie: «Die Möglichkeit, sich gegenseitig anzufassen, sich zu berühren, ist für das Gefühl von emotionaler Nähe von unsagbarer Bedeutung.»
Im Interview erzählt sie, was beim Kuscheln in und mit unseren Körpern passiert.
Frau Dr. Böhme, wie reagieren wir Menschen auf Berührungen?
Berührt uns jemand, der uns nahesteht, dann hat eine liebevolle Berührung meist den Effekt, dass wir uns entspannen. Die Menge an Stresshormonen im Blut sinkt und wir bekommen ein wohliges, warmes Gefühl.
Die Haut ist unser Berührungspunkt zur Außenwelt: Was passiert überhaupt in der Haut, wenn wir angefasst werden?
Wir haben Unmengen an Berührungsrezeptoren in der Haut und bei einer Berührung werden gleich mehrere von ihnen aktiv. Streichelt uns jemand mit den Fingerspitzen, reagieren immer die sogenannten C-taktilen Fasern, die darauf ausgerichtet sind, auf diese Art der Berührung zu reagieren. Aber auch andere Rezeptoren senden Signale, zum Beispiel zum Erkunden und Erforschen von Oberflächen. Manche Reize werden durch Vibration, andere durch Druck ausgelöst. Kurz gesagt: Welche Berührungsrezeptoren aktiviert werden, hängt von der Art der Berührung ab.
Wie geht es danach weiter? Welche Gehirnareale werden bei Berührungen aktiv?
Die Nerven leiten die Information von der Haut weiter über das Rückenmark ins Gehirn. Dort wird jener Bereich aktiviert, der primär für die Verarbeitung von Berührungen zuständig ist: der somatosensorische Cortex. Bei sanften Berührungen wird außerdem die Insula, ein Großhirnlappen, aktiviert – zum Beispiel beim langsamen Streicheln und bei Fingerspitzenberührungen. Die Insula wird auch aktiv, wenn wir unseren eigenen Körper spüren und in uns selbst gehen.
Apropos: Wieso spüren wir weniger, wenn wir uns selbst berühren?
Sich selbst zu berühren ist sehr anders. Dabei werden die Berührungsbereiche im Gehirn deaktiviert. Denn für die Insula und den somatosensorischen Cortex haben die eigenen Berührungen keine Bedeutung – schließlich berühren wir uns ständig selbst. Etwa, wenn wir uns an der Nase kratzen oder durch die Haare fahren. Deshalb ist das unwichtig für unser Gehirn, auch weil es die Berührungen immer genau vorhersehen kann. Wir wissen, wie sich das anfühlen wird und das Gehirn denkt sich: Da brauch ich nicht reagieren. Deshalb verringern Insula und somatosensorischer Bereich sogar ihre Aktivität im Vergleich zum Grundzustand ohne Berührung.
Eine Berührung fühlt sich besonders gut an: Die des Partners oder der Partnerin. Warum ist das so? Wieso nehmen wir Berührungen überhaupt unterschiedlich wahr?
Die positiven Effekte der Berührung treten eben nicht einfach aufgrund eines Reizes oder einer Stimulation der Haut auf. Sie ergeben sich aus einem Gesamtzusammenhang von Art der Berührung, Person, die einen berührt, emotionalem Zustand und der Situation, in der man sich befindet. Das Gehirn scheint sogar in der Lage zu sein, die Empfindlichkeit auf Berührungen zu verändern, also etwa zu verstärken, wenn wir uns in einer intimen Situation mit unserem Partner befinden.
Manche Menschen brauchen mehr Zärtlichkeiten als andere: Woran liegt das?
Da gibt es wirklich große, individuelle Unterschiede. Wovon es abhängt, ob man ein richtiger Kuschel-Liebhaber ist oder nicht so gern berührt wird, hat die Forschung noch nicht hinreichend verstanden. Allerdings wird es wie in so vielen Fällen eine Mischung von genetischen Einflüssen und Erfahrungen in unserem bisherigen Leben sein. Auch kulturelle Aspekte spielen hier mit hinein: In manchen Kulturen ist es üblicher, sich wesentlich häufiger zu berühren als bei uns. Da ist man dann einfach eher daran gewöhnt.
Lässt sich an dieser kulturellen und individuellen Prägung etwas ändern? Anders gefragt: Lassen sich Nicht-Kuschler in Beziehungen für mehr Berührungen erwärmen?
Zu versuchen den Partner zu ändern ist natürlich immer schwierig. Aber man kann das Thema natürlich einmal ansprechen und Wünsche äußern – vielleicht hat der andere noch gar nicht darüber nachgedacht. Denn Berührungen geschehen ja meist eher nebenbei, so dass viele sich gar nicht bewusst sind, ob und wieviel sie andere Menschen berühren.
Sind wir in Beziehungen mit viel Berührung glücklicher?
Es ist schwierig, die Frage pauschal zu beantworten. Auch hier gibt es individuelle Unterschiede. Aber zumindest wissen wir: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit positiver Berührungen, unseren Stresshormonen, aber auch unserer Zufriedenheit in einer Liebesbeziehung. Berührungen können sicherlich keine Beziehungskrise lösen, doch in einer gutlaufenden Beziehung können Umarmungen, Küsse und Streicheleinheiten die Zufriedenheit noch weiter vergrößern.
Was ist mit Beziehungen ganz ohne Berührungen: Geht das?
Es gibt sicher auch solche Beziehungen, gerade jetzt im Internetzeitalter. Aber diese sind wohl eher die Ausnahme. Den allermeisten von uns tun Berührungen wirklich gut und gerade in der Liebesbeziehung spielen sie eine wichtige Rolle, um immer wieder das Empfinden von Nähe und Gemeinsamkeit hervorzurufen. Auch ohne Worte.
Den allermeisten von uns? Wem und wann tun Berührungen denn nicht gut?
Berührungen können auch unangenehm sein. Die Gründe dafür sind vielfältig: die Person, die uns berührt, die Situation, in der wir uns befinden, oder auch einfach die eigene Stimmung. Wenn man gerade viel zu erledigen hat und gestresst ist, würde eine Umarmung vielleicht sogar beruhigend wirken, wenn wir uns darauf einlassen. Doch oft stört uns so etwas dann.
In langen Beziehungen werden Berührungen meist weniger. Entfernen wir uns automatisch auf einer emotionalen Ebene vom Partner, wenn wir aufhören uns zu berühren?
Am Anfang einer Beziehung stehen Berührungen klar im Mittelpunkt des romantischen Miteinanders und werden viel intensiver erlebt. Später ist eine Berührung durch den Partner meist nicht mehr so aufregend. Hat man diese anfängliche, intensive Zeit hinter sich gelassen, bricht der Alltag herein und da ist häufig weniger Raum für kleine Zärtlichkeiten. Das muss nicht heißen, dass man sich emotional voneinander entfernt. Doch bewusst wieder mehr Berührungen in den Beziehungsalltag einfließen zu lassen, kann auf jeden Fall neue Nähe entstehen lassen.
Was raten Sie Menschen ohne Partner oder Partnerin? Können Haustiere, Freundinnen und Freunde oder Familienmitglieder den Kuschelbedarf decken?
Natürlich können wir Nähe und Zärtlichkeit auch in anderen Beziehungen erfahren. Das muss nicht nur für den Fall reserviert bleiben, wenn wir keinen Partner haben oder wenn unser Partner nicht gerne kuschelt. Körperliche Nähe verstärkt die Eltern-Kind-Bindung und auch Freundschaften. Und mit unseren Haustieren kommunizieren wir ja sowieso meist über Berührung.
Wie schaffen wir es, wieder mehr Berührung und Nähe in unseren Beziehungsalltag zu bringen?
Wir können damit beginnen, uns selbst zu beobachten. Wann und wieviel berühren wir den anderen? In welchen Situationen werden wir selbst gerne oder weniger gerne berührt? Dann kann es helfen, das Thema offen anzusprechen, die eigenen Wünsche zu äußern und zu hören, was unser Partner sich wünscht. Seltsamerweise sprechen wir ja eigentlich sehr wenig über Berührung, auch wenn es ein so wichtiger Bestandteil unseres Lebens ist.
Titelfoto:ShutterstockMich buchstabiert man so: Aufgeschlossen, Nachdenklich, Neugierig, Agnostisch, Liebt das Alleinsein, Ironisch und Natürlich Atemberaubend.
Schreiben ist meine Berufung: Mit 8 habe ich Märchen geschrieben, mit 15 «supercoole» Songtexte (die nie jemand zu lesen bekam), mit Mitte 20 einen Reiseblog, jetzt Gedichte und die besten Beiträge aller Zeiten!