Die Gesetze der Freundschaft: Gesellt sich gleich und gleich wirklich leicht?
Hintergrund

Die Gesetze der Freundschaft: Gesellt sich gleich und gleich wirklich leicht?

In Teil 1 unserer BFF-Serie frage ich mich: Nach welchen Regeln werden Freundschaften geknüpft? Tatsächliche Ähnlichkeiten sind nicht so wichtig wie gefühlte, sagt die Freundschaftsforschung. Und noch etwas spielt eine zentrale Rolle.

Freunde sind die Familie, die man sich aussuchen kann, so lautet ein schönes Zitat – mit hohem Wahrheitsgehalt. Aber warum und wie sucht man sie sich aus, die ganz und gar freiwillige Zweitfamilie? Sprich: Nach welchen Kriterien? Wenn ich mich in meinem Umfeld so umschaue, kann ich keinen roten Faden erkennen. Vielleicht einen gemeinsamen Wertekonsens, aber das war es schon. Denn große Gemeinsamkeiten oder gar ähnliche Lebensentwürfe gibt es weder bei jenen, die ich bereits ewig kenne noch bei denen, die im Laufe der Jahre dazu kamen. Und trotzdem – oder deswegen – bereichern wir einander sehr.

Freundschaft ist plötzlich da – selbst wenn die Annäherung dauern kann. Es ist das angenehme Gefühl, mit jemandem zu sein, der zu dir passt und dich versteht. Diese Anziehung bleibt im besten Fall ein Leben lang bestehen. Umso interessanter finde ich die immer wieder neuen Erkenntnisse der Freundschaftsforschung. Gerade lese ich ein Buch von Steve Stiehler, Professor im Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen. Er nimmt sich darin eines blinden Flecks seiner Disziplin an: der Bromance. Sein Fazit: «Insgesamt wird deutlich, dass Freunde für Männer als wichtige Unterstützer und einzigartige Ressource wirken, um psychosozial bedrohliche Situationen abzuwehren. Durch bestehende Männerfreundschaften erhöht sich die Handlungsfähigkeit, indem freundschaftliche Unterstützungsleistungen den Selbstwert erhöhen und Anerkennung vermitteln». So oberflächlich und oft kumpelhaft wie in TV-Serien oder Hollywood-Filmen dargestellt, ist die Bromance nicht.

Soziale Homophilie: Gleich und gleich gesellt sich leicht?

Heute möchte ich mich dem «Warum» widmen, den Beweggründen und Motivationen hinter langjährigen Freundschaften. «Gleich und gleich gesellt sich leicht», sagt man da schnell, einfach weil es sich nachvollziehbar anhört. Oft sind gute Freunde in einem ähnlichen Alter, teilen gemeinsame Interessen oder haben einen vergleichbaren sozialen Hintergrund. «Soziale Homophilie» nennt das die Wissenschaft. Die «Soziogenetik» geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, Freunde seien nicht nur in sozialer Hinsicht affin. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stanford University fand in einer Langzeitstudie heraus: Freunde ähnelneinander offenbar auch genetisch – auf jeden Fall deutlich mehr als zufällig ausgewählte Paare von mehr oder minder Gleichaltrigen.

Freundschaft: Gefühlte Ähnlichkeiten und andere Annehmlichkeiten

Der französische Psychoanalytiker Saverio Tomasella, Autor des Buches «Ces amitiés qui nous transforment» («Freundschaften, die uns verändern»), hält da svehement dagegen. Und zweifelt auch eine alte US-Studie unter Studierenden an, die zum Ergebnis kam, das sich gleich und gleich tatsächlich gerne gesellt. Während der Ausbildung tendieren wir zwar dazu, uns Menschen anzunähern, die uns ähnlich sind, weil sie uns helfen, unsere Ziele zu erreichen. «Ich habe aber festgestellt, dass unsere besten Freunde ganz anders sind als wir selbst. Sie können eine andere Religion praktizieren, andere politische Vorstellungen haben und gar aus einem anderen sozialen Milieu stammen», so der Autor. Spielen ähnliche Interessen, Charakterzüge und sogar die Gene doch nur eine Nebenrolle?

Die Freundschaftsforschung weiß mittlerweile: Enge Freunde sind sich oft gar nicht so ähnlich, wie man glaubt. Sie nehmen sich nur als ähnlich wahr. Psychologieprofessor Jaap Denissen von der Humboldt-Universität Berlin hat die Freundschaftsanbahnung in einer Studie beobachtet. Diese Ergebnisse zeigen: Wer andere Menschen – verglichen mit sich selbst – für ähnlich genau, offen, verträglich oder ängstlich einschätzt, freundet sich eher mit ihnen an. «Mit der Wirklichkeit deckt sich diese Wahrnehmung aber oft nicht», so Denissen, «Doch das schadet der Qualität der weiteren Freundschaft nicht.»

Ein gewisses Kalkül fiel ihm allerdings auf: Die Wärme und Extrovertiertheit, die jemand ausstrahlt, machen ebenfalls als Freund attraktiv – denn solchen Personen traut man es zu, in dunklen Stunden Trost zu spenden.

Doch zurück zur (angeblich) selben Wellenlänge: Auch der amerikanische Psychologe Paul Eastwick von der University of Texas meint: «Wenn wir das Gefühl haben, dass uns jemand ähnlich ist, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn auch mögen. Aber wenn wir zwei Menschen zusammensetzen, die sich tatsächlich ähnlich sind, mögen die sich dann auch? Da sind die Effekte, die wir beobachten können, extrem schwach.» Seine Untersuchung zum Thema belegt das: Die (gefühlte) Ähnlichkeit ist eher ein Beweis der Anziehung als ihre Voraussetzung.

Zeit und Nähe: So werden wir Freunde

Welche Kriterien gibt es noch? Der «Mere-Exposure»-Effekt dürfte eine große Rolle spielen. Dieses psychologische Phänomen besagt: Durch die wiederholte Wahrnehmung wird eine Sache im Laufe der Zeit positiv bewertet – und das gilt auch für Freundschaften. Unser Gehirn kann das, was man gut kennt, leichter verarbeiten und belohnt einendafür. Sprich: Je häufiger du Menschen begegnest oder mit ihnen interagierst, umso wahrscheinlicher werden sie deine Freunde. Dieser Aspekt ist deshalb ausschlaggebend, weil du nur Menschen, von denen du glaubst, dass sie dich besonders gut kennen, als wahre Freunde empfindest.

Räumliche Nähe ermöglicht es, einander oft zu treffen und so wesentlich schneller kennen zu lernen. Wie viel Zeit braucht es für echte Intimität? Das hat der amerikanische Forscher und Nobelpreisträger Jeffrey Hall herausgefunden, der sich in mehreren Studien der Frage gewidmet hat, wie viele Stunden man miteinander verbringen muss, um sich wirklich nahe zu kommen. Die Ergebnisse, verknappt: Es braucht mindestens 50 gemeinsame Stunden, um vom Bekannten zum Freund zu werden, weitere 90 Stunden sind nötig, um in die Sparte «guter Freund» zu wechseln und ganze 200 Stunden Beisammensein braucht es, damit «beste Freunde» daraus werden.

Wer also neue BFFs (Best friends forever) sucht, sollte viel mit ihnen unternehmen und sich dabei ausreichend offenbaren. Und wer bereits welche hat, sollte diese Beziehung pflegen – selbst wenn Job oder Familie viel Zeit in Anspruch nehmen. Denn wie heißt es so schön: «Das Leben ist wie eine Zugfahrt. Viele Menschen steigen ein, viele steigen aus. Aber nur wenige fahren mit dir bis ans Ziel.»

Im Teil 2 unserer Freundschafts-Serie wirst du erfahren, wieso dich dein bester Freund, deine beste Freundin gesünder macht – und sogar dein Leben verlängern kann.

Titelfoto: shutterstock

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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