Risiko Büroarbeit: Was langes Sitzen mit deinem Körper macht
Hintergrund

Risiko Büroarbeit: Was langes Sitzen mit deinem Körper macht

Der menschliche Körper ist nicht für langes Sitzen gemacht. Heute weiß man: Wer viel und lange sitzt, stirbt früher. Doch es gibt Auswege. Du ahnst es: Bewegung gehört dazu.

«Sitzen ist das neue Rauchen» hat mein Physiotherapeut einmal zu mir gesagt. In dem Moment machte ich in seiner Praxis gerade einbeinige Kniebeugen von der Stuhlkante, um von einer Sportverletzung zu regenerieren. Mit bunten Tapes auf dem Knie erklärte der Therapeut mir, dass ich in meinem Bürojob vorsichtig sein müsse: Langes Sitzen führe im besten Fall zu Rückenschmerzen und im schlimmsten Fall zum frühzeitigen Tod. Autsch.

Sitzen: Ein Gesundheitsrisiko

Nicht nur ich, auch die Hälfte der Schweizer Erwerbstätigen arbeitet im Sitzen – täglich sechs Stunden oder mehr. Ein Drittel der Weltbevölkerung über 15 Jahre bewegt sich überhaupt zu wenig. In der Schule, im Job, in der Freizeit – im Grunde bewegst du dich nur von einer Ruheposition zur nächsten. Gesundheitliche Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten. Das Korean Journal of Family Medicine hat eine Überblicksstudie zu den gesundheitlichen Auswirkungen des global um sich greifenden sitzenden Lebensstils gemacht. Damit du nicht vor Schreck vom Stuhl fällst, hier nur ein Auszug:

Sitzen beeinträchtigt Fett- und Kohlehydratstoffwechsel, verringert die Herzleistung, beeinflusst das Nervensystem, verringert die Gefäßfunktion, reduziert die Zirkulation der Sexualhormone, was die Wahrscheinlichkeit hormonbedingter Krebserkrankungen erhöht. Es begünstigt Fettleibigkeit, chronische Entzündungen, Diabetes, Bluthochdruck, Osteoporose, Depression und erhöht die allgemeine Sterblichkeit.

Und: Langes Sitzen reduziert die Gehirnleistung. Das berichtet ein US-Forschungsteam im Fachmagazin «Plos One». Konkret untersuchten die Forschenden Bereiche der weißen Hirnsubstanz – ein Teil des zentralen Nervensystems, der überwiegend aus Nervenbahnen besteht.

Dort sitzen Gedächtnisinhalte und mentale Verarbeitungsprozesse, sie ist also eine wichtige Region für das Erinnerungs- und Lernvermögen. Das Ergebnis: Die weiße Hirnsubstanz war bei jenen Probandinnen besonders degeneriert, die häufig und lange saßen. Die Forschenden schließen: Langes Sitzen hat schädliche Effekte auf das Gehirn – selbst wenn man am Ende des Tages noch eine halbe Stunde trainiert.

Lässt sich langes Sitzen kompensieren? Die Rolle von Bewegung

Kein Grund zur Verzweiflung – denn wie meistens in der Wissenschaft, ist auch hier nichts nur Schwarz oder Weiß. Auch die Theorie, dass langes Sitzen – wie oben suggeriert – kaum noch durch Bewegung in der Freizeit ausgeglichen werden kann, steht auf wackeligen Beinen.

Forschende der University of Exeter untersuchten über 16 Jahre die Lebensgewohnheiten von 5100 Londoner Verwaltungsangestellten und präsentierten ihre Ergebnisse im «International Journal of Epidemiology». Sie wollten herausfinden, ob langes Sitzen wirklich die allgemeine Sterblichkeit erhöht – und zwar unabhängig von der Bewegung, die man in der Freizeit betreibt.

Entgegen vorangegangener Studien fand das Forschungsteam keinen direkten Zusammenhang zwischen der allgemeinen Sterblichkeit und dem sitzenden Lebensstil. Sie schreiben: Der Zusammenhang zwischen langem Sitzen und der erhöhten Sterblichkeit wird durch andere Faktoren mitbeeinflusst wie Stress am Arbeitsplatz oder ungesunder Ernährung vor dem Fernseher. Ihren Ergebnissen zufolge kann Bewegung – ob leicht oder intensiv – durchaus vor den negativen Effekten des langen Sitzens schützen.

Noch deutlicher formuliert es ein Forschungsteam der Norwegian School of Sport Sciences. Zwar bestätigen sie, wovor mein Physiotherapeut eindringlich gewarnt hat: Langes Sitzen birgt ein ähnliches Gesundheitsrisiko wie das Rauchen.

Aber: Dieses Risiko sinkt mit den Minuten, die du dich Tag für Tag bewegst. Wer sich viel bewegt – täglich zwischen 60 und 75 Minuten – habe ein um 59 Prozent geringeres Sterberisiko als die «Nur-Vielsitzer». Und: Die Forschenden fanden keine Unterschiede innerhalb der sportlichen Gruppe. Das Risiko sank unabhängig davon, ob sie davor vier oder acht Stunden sitzend verbracht haben.

Eine Stunde Sport oder moderate Bewegung könne demnach einen Acht-Stunden-Tag vor dem Bildschirm kompensieren.

So reduzierst du das Risiko in deinem Alltag

Ob es nun die Sterblichkeit erhöht oder nicht – langes Sitzen im Berufsalltag ist leider oft alternativlos. Den gesundheitlichen Implikationen bist du trotzdem nicht wahllos ausgeliefert. Ich gebe dir fünf Tipps, wie du Schwung in deinen steifen Büroalltag bringst und jeden Tag etwas für dein Wohlbefinden tun kannst.

1. Richtig sitzen

Wenn schon den ganzen Tag sitzen, dann richtig. Denn wer den Körper beim Sitzen aufrichtet, anstatt in eine krumme Körperhaltung zu sacken, aktiviert die Rückenmuskulatur, beugt Verspannungen vor und entlastet die Bandscheiben.

Ein ergonomischer Stuhl ermöglicht «dynamisches Sitzen», also das regelmäßige, gesunde Wechseln der Sitzposition während des Arbeitsalltags. Dein Bildschirm sollte dazu in einem 50-70 Zentimeter-Abstand von dir entfernt stehen und der Stuhl so eingestellt sein, dass beide Füße auf dem Boden stehen und deine Unterarme in einem 90-Grad-Winkel auf dem Schreibtisch aufliegen können.

Aktuelle Studien zeigen zudem: Höhenverstellbare Tische und Arbeiten im Stehen erhöhen Produktivität und Gesundheit am Arbeitsplatz.

2. Die aktive Pause

Um dem langen Sitzen entgegenzuwirken, helfen bereits kleine Schritte – wortwörtlich. Anstatt dich in der Arbeitspause vom Aufzug in die Cafeteria bringen zu lassen, kannst du die Treppe nehmen oder nach dem Essen ein paar Minuten lang spazieren gehen.

Steh außerdem mindestens ein Mal pro Stunde von deinem Arbeitsplatz auf, dehne dich, mach, wenn möglich, ein paar Kniebeugen oder gehe während langer Telefonate in der Arbeitszeit im Raum umher.

3. Hilfsmittel am Arbeitsplatz

Das dynamische Sitzen und die aktive Pause kannst du durch ein paar simple Hilfsmittel am Arbeitsplatz forcieren: Zum Beispiel hilft ein Faszienball zwischen dir und deiner Rückenlehne bei einer aufrechten Sitzhaltung, bei der noch dazu die Rückenmuskulatur massiert wird. Den Ball kannst du auch auf den Boden legen und damit deine Fußsohlen massieren – das ist angenehm und erhöht außerdem die Körperspannung. Auch ein Balancekissen auf deinem Schreibtisch-Stuhl hilft dabei, deine Körperspannung zu aktivieren und eine gesunde Haltung einzunehmen. Gymnastikbänder bringen Abwechslung in die aktive Pause und ermöglichen eine ganze Bandbreite an schnellen Dehn- und Kraftübungen.

4. Nutze den Arbeitsweg

Sobald du im Büro angekommen bist, beginnt der Sitzmarathon. Dein Arbeitsweg bietet dir aber täglich ein Fenster, den Körper vor und nach der Monitorarbeit zu bewegen. Ihn mit dem Fahrrad zurückzulegen, ist die offensichtlichste Möglichkeit: Dabei tankst du nicht nur ausreichend Bewegung, sondern frische Luft und ein paar wertvolle Sonnenstunden, bevor du den restlichen Tag in Innenräumen verbringst.

Wer das Radfahren nicht genießt oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, kann den Bus oder die Bahn eine Station früher verlassen und den restlichen Arbeitsweg zu Fuß gehen. Und für Autofahrer gibt es die «Fitness-Parkplätze», also jene Parkplätze die am weitesten vom Büroeingang entfernt sind.

5. Sport in der Freizeit

Es muss kein Leistungssport sein, doch um langes Sitzen am Arbeitsplatz auszuhalten, solltest du deinen Körper regelmäßig bewegen, stärken und dehnen. Besonders deine Bauch- und Rückenmuskulatur ist wichtig: Sie stabilisiert deine Wirbelsäule, erhält eine gesunde Körperhaltung und reduziert Beschwerden wie Rückenschmerzen.

Versuche dich nach oder vor der Arbeit für Sport zu motivieren – sei es eine Runde laufen zu gehen, zum Yoga, Pilates oder in den CrossFit-Kurs – dein Körper wird es dir auf jeden Fall danken.

Titelfoto: shutterstock

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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