Hintergrund

Offiziell: Amazon kauft sich James Bond

Luca Fontana
27-5-2021

Vergangene Woche haben Brancheninsider berichtet, dass Amazon vor der Übernahme des «James Bond»-Filmstudios MGM stehen soll. Jetzt ist es offiziell. Was bedeutet das für die Film- und Kinobranche?

Es ist die bisher grösste Übernahme in Hollywood, die durch einen Internetkonzern vollzogen wurde: Amazon hat sich «James Bond»-Filmstudio Metro-Goldwyn-Mayer gekauft. Das geht aus der gemeinsamen Pressemitteilung Amazons und MGMs hervor. Wie bereits vergangene Woche berichtet, beträgt der Kaufpreis 8,45 Milliarden Dollar.

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    Kauft sich Amazon jetzt James Bond?

    von Luca Fontana

Damit hat Amazon seine grösste Firmenakquise seit der umstrittenen Übernahme der Supermarktkette Whole Foods für 13,7 Milliarden Dollar im Jahr 2017 getätigt. Auch Apple und Universal-Studios-Mutter Comcast hatten Interesse an MGM geäussert. Letztendlich hat Amazon aber offenbar am meisten geboten.

Ordnen wir das ein.

MGMs Verkauf ist keine Überraschung

Dass MGM Studios überhaupt zum Verkauf stand, ist nicht neu. Tatsächlich hat das Wall Street Journal bereits vergangenen Dezember berichtet, dass sich MGM mit den Investmentbanken Morgan Stanley und LionTree LLC zusammengetan habe. Eine eindeutige Message: «Wir stehen zum Verkauf». Auf rund 5,5 Milliarden Dollar wurde MGMs Firmenwert damals geschätzt.

Dann kam Amazon mit seinen 8,45 Milliarden Dollar.

Ein Angebot, das MGM nicht hat ablehnen können. Tatsächlich aber hatte das Fachmagazin The Information bereits mitte Mai geschätzt, dass MGM auf einen Kaufpreis von etwa 7 bis 10 Milliarden US-Dollar poche. Schliesslich böte das Unternehmen dem potenziellen Käufer einen umfangreichen Katalog an. Von etwa 4000 Filmen und 17 000 TV-Stunden sei laut The Guardian die Rede.

Finanziell dürfte es für Amazon nicht allzu schwer gewesen sein, die benötigte Summe aufzubringen. Schliesslich hocke der amerikanische Internetriese auf rund 71 Milliarden Dollar Bargeldreserven, so die NZZ. Und während die Whole-Foods-Akquise ein riskanter Vorstoss in völlig unbekanntes Terrain gewesen ist, wird der Kauf von MGM Amazons bereits bestehendes Filmgeschäft bloss stärken.

Amazon ist nämlich nicht nur der weltweit grösste Internethändler, sondern auch der grösste Anbieter von Cloud-Diensten. Siehe Amazon Web Services, AWS. Dazu ist Amazon einer der wichtigsten Logistiker Amerikas, der inzwischen mehr Pakete zustellt als die staatliche Post. Aber das eigentliche Marketing-Zugpferd bleibt Prime Video, Amazons Streamingdienst.

Der Kauf MGMs als Signal an die Konkurrenz?

Amazons Zugpferd: Prime Video

Sicher ist, dass Amazon mit der Übernahme MGMs auch im Streaminggeschäft langfristig ganz vorne mitspielen will. Tut das Unternehmen ja jetzt schon. Der US-Riese hat derzeit 200 Millionen Prime-Kunden und -Abonnenten weltweit. Zwar mehr als die 100 Millionen Abonnenten, die Disney+ innerhalb eines einzigen Jahres um sich geschart hat, aber immer noch weniger als die 208 Millionen Abonennten des Marktführers Netflix.

Auf dem amerikanischen Heimatmarkt sind die Kräfteverhältnisse etwas anders. Zwar führt auch dort Netflix (66 Millionen Abonnenten) vor Prime (48 Millionen Abonnenten) und Disney+ (37 Millionen Abonnenten), aber zählen wir die 35 Millionen Abonnenten von Disney-Tochter Hulu zum Mauskonzern dazu, dann liegt Amazon nur noch auf Platz drei – hinter Disney und Netflix.

Das will Amazon ändern.

Kein Wunder: Prime Video ist für Amazon nicht bloss Streaming, sondern Zugpferd. Wer in den USA eine Jahresmitgliedschaft für 119 Dollar abschliesst – in der Schweiz und in Deutschland sind’s 69 Euro – bekommt seine in Amazons Online-Shop bestellte Ware schneller zugestellt. Dazu gibt’s in den USA Rabatte in der Supermarktkette Whole Foods. Und natürlich Amazons Streaming-Universum.

Damit verdient sich Amazon eine goldene Nase. Im vergangenen Quartal nahm das Unternehmen 7,6 Milliarden Dollar alleine über die Mitgliedschaftsgebühren ein. Zudem sind Prime-Kunden äusserst lukrativ und loyal: Mit jährlich 3000 Dollar geben sie mehr als doppelt so viel aus wie Nicht-Prime-Kunden.

Dass Amazon entsprechend bemüht ist, die weltweit über 200 Millionen Prime-Kunden bei Stange zu halten, liegt auf der Hand. Auch deswegen sicherte sich der US-Gigant bis 2033 die Übertragungsrechte für die Donnerstagsspiele der National Football League für 1,2 Milliarden Dollar pro Saison.

Aber die Konkurrenz – sie schläft nicht.

Es geht was in der Kino- und Streaminglandschaft

Geschuldet ist das auch der Corona-Pandemie. Sie hat die Kino- und Filmlandschaft wohl nachhaltig verändert. Dies, nachdem sich Filmstudios vermehrt gezwungen sahen, Filme über Streamingdienste statt im Kino zu veröffentlichen. Das hat Streamingdiensten ein explosives Wachstum eingebracht.

In Zahlen: Erst kürzlich erklärte der Noch-Amazon-CEO Jeff Bezos, dass die Anzahl gestreamter Stunden im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent zugenommen hätten.

Auch das gehört zur neuen Realität, die neue Geschäftsmodelle hervorgebracht hat. Disney etwa macht aus dem Experiment «Mulan» die Regel. Zumindest 2021: Filme wie «Cruella», «Raya» und «Black Widow» bekommen oder haben bereits ein Date-and-Day-Release. Sie werden also gleichzeitig im Kino und auf ihrem Streamingdienst veröffentlicht – dort aber für eine zusätzliche VIP-Gebühr.

Entsprechend hat Disney-CEO Bob Chapek erst kürzlich nicht ausgeschlossen, dass das VIP-Geschäftsmodell auch in Zukunft, nach überstandener Pandemie, unter dem Deckmantel der «Flexibilität» bleiben könnte.

Nun, wir haben uns noch nicht definitiv festgelegt, wie wir in Zukunft vorgehen wollen, weil wir flexibel bleiben und nicht eine Entscheidung treffen wollen, die wir später bereuen, weil sie zu konservativ oder zu aggressiv war.
Bob Chapek, whatsondisneyplus.com, 26. Mai

Laut Bob Chapek hätte auch Mark Zoradi, CEO der amerikanischen Kinokette Cinemark, geschätzt, dass es noch Jahre dauern könnte, bis Zuschauerinnen und Zuschauer in den gewohnten Massen zurück in die Kinosäle strömen. Dementsprechend stellen viele Filmstudios aufs Streaming-Modell um. Zulasten der Kinobetreiber.

Allen voran: Warner Bros. Filmstudios.

So hat das Filmstudio mit dem berühmtesten Wasserturm Hollywoods bereits vergangenen Dezember angekündigt, dieses Jahr sämtliche Kinofilme sowohl im Kino als auch zeitgleich, gratis, aber nur für ein paar Wochen via HBO Max zu zeigen, dem hauseigenen Streamingdienst.

Zudem steht die bereits beschlossene Fusion des Medianhauses WarnerMedia und Discovery an. Zusammengerechnet würde das neu geformte Unternehmen, zu dem dann das Filmstudio Warner Bros. und der renommierte Discovery-Channel-Konzern gehören würden, mehr als 40 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzen. Zwar nicht ganz so viel wie Disney – 65 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr –, aber mehr als Netflix mit 25 Milliarden Dollar in derselben Zeitperiode.

Den Verantwortlichen bei WarnerMedia und Discovery geht es offenbar darum, zu den Grossen aufzuschliessen. Gerade im Streamingbereich. Dass das mit HBO Max und Discovery+ alleine nicht geht, lässt aufhorchen. Dass durch die geplante Fusion ein neuer Big Player auf dem Markt entsteht, ebenfalls.

Genau das könnte Amazon und seinem Streamingdienst Prime Video ein Dorn im Auge sein. MGM zu schlucken, hilft Amazon, sich der drohenden Streaming-Konkurrenz zu stellen.

Was hat MGM zu bieten?

Inwiefern die Ergänzung des Prime-Katalogs durch MGM-Franchises für ein Abonnenten-Wachstum sorgen könnte, ist reine Spekulation. Fest steht aber, dass MGM eines der traditionsreichsten und renommiertesten Filmstudios überhaupt ist. Zu den spannendsten MGM-Franchises gehören die «Hobbit»-, «Rocky»-, «Creed»-, «RoboCop»- und «Pink Panther»-Filme. Dazu kommen Filmklassiker wie «The Silence of the Lambs», «The Magnificent Seven» oder «Four Weddings and a Funeral».

Wer weiss, ob es da nicht zu passenden Überschneidungen mit der bereits geplanten «Lord of the Rings»-Serie kommt.

Auch im Serien-Bereich ist MGM nicht untervertreten: «Stargate SG-1», «Stargate Atlantis», «Vikings», «Fargo», «The Handmaid’s Tale», «Condor» und «Fame» gehören allesamt zum Unternehmen.

MGMs grösste Perle ist und bleibt aber «James Bond».

Ironie des Schicksals: Vergangenen Oktober wurde noch darüber spekuliert, ob Netflix oder Amazon Prime Video an den exklusiven Vertriebsrechten vom noch nicht erschienenen James-Bond-Film «No Time to Die» interessiert sein könnten.

Könnte nach vollzogener Übernahme ein James-Bond-Date-and-Day-Release à la Disney oder Warner Bros. möglich sein?

Unwahrscheinlich. Das Franchise lebt von seinen Product-Placement-Deals, darunter etwa Land Rover, Omega, Nokia und Heineken. Unternehmen, die ihre Deals darauf ausgelegt haben, dass ihre Produkte im Kino, auf der grossen Leinwand, zu sehen sind und nicht nur im heimischen Wohnzimmer. Das steht nicht für den Luxus und Glamour, das das Bond-Franchise versprüht.

Besteht Amazon also auf einen exklusiven oder partiellen Streaming-Release, müssten diese Deals neu ausgehandelt werden. Vor allem dürften sie dann deutlich weniger lukrativ sein. Und überhaupt: Selbst Disney-CEO Bob Chapel gab zu, dass sich nicht alle Franchises für ein Date-and-Day-Release eignen.

Das Kino ist für uns nach wie vor sehr wichtig, da es beim Aufbau einer Marke, eines Franchises, hilft. Das Kino eröffnet uns viel mehr Möglichkeiten, gewisse Dinge in unseren Parks oder mit Merchandise-Produkten auszuschöpfen.
Bob Chapek, whatsondisneyplus.com, 26. Mai

Hinzu kommt, dass MGM, und damit Amazon, nur die Hälfte der Bond-Filmrechte besitzt. Die andere Hälfte gehört nach wie vor der Traditionalistin Barbara Broccoli. Sie ist die Tochter des legendären Bond-Produzenten Albert «Cubby» Broccoli, der die Filmreihe in den 1960er ins Leben gerufen und bis zu seinem Tod geprägt hatte. Sie gilt als Verfechterin des Kinos.

Dennoch: Spätestens, wenn Amazon «James Bond»-Spin-Off-Serien für Prime Video produziert, dürfte sich das beinahe 8-Milliarden-Investment in steigenden Abonnenten-Zahlen spiegeln und gelohnt haben. Damit dürfte die MGM-Übernahme wohl nur das erste, aber künftig nicht einzige Beispiel dafür sein, wie sich die Filmindustrie in einer Post-Pandemie-Welt zu erhalten versucht und dafür mit der Technologiebranche anbandelt. Potenzielle Interessenten gäbe es genug.

Apple zum Beispiel.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 

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