Was mir der Musik-Generator Suno als Hobbymusiker nützt
18-4-2024
Von durchgedrehten Schlümpfen, geklauten Songtiteln und generischen Beatles-Songs: ein Experiment, ob und wie ich mit dem Musikgenerator Suno kreativ werden kann.
Generative Künstliche Intelligenz gibt es seit kurzem auch für Musik in akzeptabler Qualität. Die Musikstücke, die Suno in Version 3 auf Knopfdruck generiert, sind teilweise erstaunlich gut.
Das bringt natürlich viel Unsicherheit für die Zukunft. Viele Diskussionen drehen sich um die Frage, ob kreative Arbeit überflüssig und nicht mehr bezahlt wird. Doch für mich als Hobbymusiker stellt sich eine viel banalere Frage: Was bringt mir ein solches Tool? Kann ich das irgendwie für mein Hobby sinnvoll einsetzen?
Suno macht nicht, was ich sage, sondern … irgendwas
Die Anweisungen, was Suno zu tun hat, gibst du als freien Text ein – ein sogenannter Prompt. Mein Wissen über Musiktheorie oder Instrumente bringt mir dabei nichts. Gebe ich in der Beschreibung entsprechende Details wie die Tonart an, ignoriert Suno das. Zum Beispiel wollte ich von Suno ein Stück in B-Dur. Bekommen habe ich zwei in E-Dur. Anstelle einer Rockballade in D-Moll bekam ich ein Stück in E-Moll und eines in A-Moll.
Weiteres Beispiel: Ich fordere einen langsamen Blues mit 60 Schlägen pro Minute. Suno kreiert zwei Stücke, die nicht wirklich Blues-Stücke sind, eines davon mit 54, eines mit 78 Schlägen pro Minute.
Es ist ganz ähnlich wie bei den Tools, die aus Text ein Bild generieren. Die KI macht etwas eher Zufälliges, nicht das, was dir vorschwebt. Präzise Anweisungen wie Tonart oder Tempo ändern daran nichts.
Metatags ändern auch nichts
Bei Suno kannst du Metatags in eckigen Klammern angeben. Damit gibst du eine bestimmte Songstruktur vor, beispielsweise ein Intro, drei Strophen und jedes Mal der Refrain. Für die einzelnen Teile sind auch spezifischere Angaben möglich wie etwa, dass die Strophe gerappt sein soll. Letztlich ändert das aber nichts daran, dass am Ende nicht das herauskommt, was ich mir vorgestellt habe. Auf der Website heisst es denn auch zum Thema Metatags: «Even when they work, they don’t always work. When they do work, it can still feel like a casino.» Auf Deutsch: Selbst wenn sie funktionieren, funktionieren sie nicht immer. Wenn sie funktionieren, kann es sich immer noch wie ein Casino anfühlen.
Das kann ich mit einem Beispiel bestätigen. Ich gebe folgende Struktur vor:
Funk
[intro drums only]
[melodic chorus]
[rapped verse]
[chorus]
[verse]
[outro similar to chorus]
Und erhalte dann das:
Einen Chorus (Refrain) gibt es schlicht nicht, und auch mein Drum-Intro wird unterschlagen. Das Outro sowieso. Die Strophen sind nicht gerappt, sondern gesungen. Eigentlich kümmert sich Suno einen Dreck um meine Vorgaben, ich hätte mir die Metatags sparen können.
Neue Ideen auf Knopfdruck
Kurz gesagt: Generative KI-Tools wie Suno funktionieren nicht so, wie ich es mir wünsche. Ich wünsche mir, dass sie mich in meinem kreativen Prozess unterstützen, nicht diesen komplett übernehmen. Doch Suno nimmt mir die gesamte Arbeit ab, für mich bleibt nichts übrig.
Wenn Maschinen uns lästige, beschwerliche Arbeit abnehmen, finde ich das grundsätzlich gut. Aber das hier ist das Gegenteil. Warum sollte die Software für mich genau das übernehmen, was mir am meisten Spass macht? Ich sage ja auch nicht einem KI-Tool, es solle für mich im Whirlpool baden und meine Lieblingsfilme schauen.
Aber vielleicht eignet sich Suno als Ideengeber, als Inspiration. Möglicherweise spuckt er etwas aus, was mich auf neue Ideen bringt.
Meine erste Idee ist, etwas mit hohem Nerd-Faktor zu kreieren. Ich weise Suno an, einen Chiptune zu erstellen. Die ersten zwei Versuche sind nichts, aber mit dem dritten und dem fünften bin ich ganz zufrieden.
Ich beschliesse, einen der beiden Songs genauer zu analysieren und «etwas daraus zu machen» – was das genau bedeutet, weiss ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Es handelt sich um den Song im Video unten. Der ist vom Stil her bestimmt nicht jedermanns Sache – Suno hat hier wohl Chiptune mit Chipmunk verwechselt. Kommentar von Kollege Martin Jud: «Ein guter Song zum Foltern.» Aber die Komposition überzeugt mich. Der Song hat eine interessante Struktur.
Das Stück im Detail
Zunächst will ich den Song verstehen und schreibe mir dazu die Struktur und die Akkorde heraus.
Der Song hat insgesamt acht Akkorde. Das ist ziemlich viel. Der Grossteil der Chart-Songs kommt mit der Hälfte aus. Oft sogar in der genau gleichen Reihenfolge.
Zudem verfügt das Stück über eine solide Struktur: Drei Songteile, einer davon wiederholt sich. Dieser Teil ist quasi die Strophe, allerdings mit leichten Variationen. In einem Instrumental würde jede Strophe gleich klingen, darum sind die Variationen ein gutes Mittel. Alle Songteile haben 8 oder 16 Takte, das wirkt harmonisch.
Als Besonderheit kommt im dritten Teil bei 1:37 ein D-Dur statt eines D-Moll-Akkords, was die eh schon überdrehte Fröhlichkeit noch steigert. Auch interessant: Die Unterbrechung des Rhythmus durch Vierteltriolen bei etwa 40 Sekunden.
Das kurze, wirre Intro hab ich in der Analyse weggelassen. Ich könnte das auch nicht spielen.
Ich covere den Song
Zunächst nehme ich die Akkorde auf – deutlich langsamer als im Stück von Suno – und versuche etwas Eigenes damit zu machen. Da ich aber keinen Plan habe, was es werden soll, klingt es mir zu beliebig und ich breche die Übung ab.
Vor allem scheint mir, dass es die Melodie ist, die den Song ausmacht. Eine gute Melodie zu finden, die man nicht schon tausend Mal gehört hat, ist nicht einfach. Suno ist das hier offenbar gelungen.
Ich beschliesse, den Song schlicht zu covern. Natürlich ohne das wirre Intro und ein bisschen langsamer. Und die Stimme soll auch nicht mehr klingen, als ob die Schlümpfe durch den Mixer gedreht wurden. Mir schwebt etwas Ska-ähnliches vor.
Dafür, dass ich mich in diesem Musikstil überhaupt nicht auskenne, finde ich das gar nicht so übel. Zufrieden bin ich mit dem Ergebnis aber nicht. Das Original gefällt mir besser. Ich habe die putzige Fröhlichkeit aus dem Stück genommen und jetzt ist es nur noch ein gut abgehangener Bierzelt-Schunkler.
Ich probier's nochmal
Aus diesem einen Versuch lassen sich keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen. Ich starte darum einen zweiten. Auch dieses Mal möchte ich, dass Suno etwas produziert, was nicht nach Mainstream-Sound klingt. Denn das, was heutzutage in die Charts kommt, ist zwar extrem gut produziert, aber von der Songidee her meist nicht das Gelbe vom Ei.
Suno soll eine Rock'n'Roll-Nummer im Stil der Fünfzigerjahre generieren. Und tut das nicht. Stattdessen erhalte ich einen Song, der stark nach den Beatles in ihrer Phase um 1963/64 klingt. Die Beatles haben zwar auch viel klassischen Rock'n'Roll gespielt, aber das hier gehört nicht in diese Sparte. Als Songtitel wählt Suno «Shake, Rattle and Roll». Das klingt sehr nach Rock'n'Roll. So sehr, dass es bereits einen bekannten Song mit diesem Titel gibt.
Der zweite Song im Detail
Der Song besteht aus fünf Teilen: Intro, Strophe, Pre-Chorus, Chorus und Schluss. Der Schluss bricht mittendrin ab. Die von Suno generierten Stücke sind in der Regel zwei Minuten lang, aber nicht immer schafft es das Tool, das Stück exakt so lange zu machen. Die Strophe, die sich nur einmal wiederholt, variiert beim zweiten Mal etwas. Damit hat der Song eine interessante und sinnvolle Struktur.
Das Nachspielen macht mir mehr Spass als beim ersten Stück. Stilistisch ist mir das vertrauter und ich nehme hier hauptsächlich Instrumente auf, die ich tatsächlich beherrsche. Dadurch kann ich den Song auch etwas freier interpretieren. Beim Ska-Chiptune musste ich ein Akkordeon auf einem Keyboard simulieren, dabei kann ich nicht mal Keyboard richtig.
Den abgewürgten Schluss ersetze ich durch einen eigenen, viel einfacheren. Damit es nicht so roboterhaft klingt, verlangsame ich dabei das Tempo.
Da der Songtitel «Shake, Rattle and Roll» geklaut ist und ausserdem nicht zum Stil passt, ändere ich ihn zu «Can't Steal Me Love». Das ist der feine Unterschied zwischen Klauen und Parodieren.
Dieses Mal bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Besonders kreativ war der Prozess aber nicht.
Fazit: Höchstens zur Inspiration nützlich
Um konkrete kreative Ideen umzusetzen, sind Tools wie Suno nutzlos. Habe ich dagegen keinen Plan und brauche zuerst einmal etwas Inspiration, kann Suno hilfreich sein. Ich kann Stücke generieren und sie als Ausgangspunkt für eigene, selbst gespielte Stücke nehmen.
Das ist als Experiment interessant, aber auf die Dauer öde. Und auch etwas fragwürdig.
Zum einen klingen Stücke von realen Künstlern schlicht besser. Die Soundqualität ist viel besser, die Stücke brechen nicht mittendrin ab und sind auch mal länger als zwei Minuten. Einige sind auch richtig originell – auch wenn es zugegebenermassen tonnenweise langweilige Songs gibt, die ebenso gut von einer KI hätten stammen können.
Zum anderen mag ich es, meinen Vorbildern nachzueifern. Wenn ich als Hobbymusiker etwas (von einem Menschen) klaue, dann tue ich das, um mein musikalisches Repertoire und meine Fähigkeiten zu erweitern. Suno ist kein Vorbild, sondern selbst bloss ein Nachahmer. Wenn ich schon klaue, dann lieber vom Original.
Tools wie Suno werden die Welt mit massenhaft «mehr vom Gleichen» überschwemmen. Das ist nicht kreativ. Möglicherweise entwertet es die ursprüngliche kreative Arbeit, ohne die diese Tools gar nicht möglich wären. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr regt es mich nicht an, sondern auf. Ich habe zumindest für den Moment genug von Suno.
David Lee
Senior Editor
David.Lee@digitecgalaxus.chDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.