Und dann kommt die Entspannung: «Europa» ist wie ein Traum
Kritik

Und dann kommt die Entspannung: «Europa» ist wie ein Traum

Debora Pape
11-10-2024

Ohne Erwartungen startete ich in das Spiel «Europa». Dabei entdeckte ich ein liebevolles Kleinod, das zum Abschalten einlädt.

Wie ist es wohl, durch ein Aquarellgemälde zu fliegen, oder durch einen Traum? In «Europa» habe ich es herausgefunden: Es ist beruhigend und irgendwie befreiend. Das Indie-Spiel stellt sich als angenehme Flucht aus dem Alltag dar und ist leider viel zu schnell schon vorbei. Drei bis vier Stunden reichen für einen Durchgang – etwas mehr, wenn ich alle Sammelgegenstände suche. In meinem Test will ich den Flow nicht unterbrechen und nehme nur das mit, was mir unter die Augen kommt.

Optisch erinnert «Europa» an das bahnbrechende «The Legend of Zelda: Breath of the Wild». Aus diesem Grund erregt «Europa» auch mein Interesse. Inhaltlich hat es aber nichts mit dem «Zelda»-Game zu tun. Statt einer riesigen, offenen Welt bietet «Europa» einen Parcours aus aneinander gereihten Mini-Umgebungen.

Um was geht es in «Europa»?

Ich spiele den kleinen Androiden-Jungen Zee und befinde mich auf dem paradiesischen Jupitermond Europa. Als ich erstmals in einer abgelegenen Schlucht die Augen aufschlage, höre ich in meinem Kopf die Stimme eines alten Mannes, der mich als seinen Sohn bezeichnet. Er ist ein Mensch, der auf der Erde geboren wurde, und dient mir als Führer durch die Welt von «Europa».

Ich trete aus der Schlucht ins Freie. Vor mir breitet sich ein Idyll aus, das sogar «Breath of the Wild» in den Schatten stellt. Der Grafikstil ist ähnlich, aber in «Europa» ist die Farbenpracht und die Lebendigkeit der Umgebung noch bezaubernder. Gräser und Blumen wiegen sich im Wind, Wolkenschatten eilen über die sanften Hügel, im himmelblauen Wasser spiegeln sich die schlanken, teilweise verfallenen Bauwerke, die auf eine frühere Zivilisation hinweisen.

Nach den ersten Schritten im Spiel sehe ich dieses Idyll vor mir.
Nach den ersten Schritten im Spiel sehe ich dieses Idyll vor mir.
Quelle: Developer Helder Pinto

Überall bewegt sich etwas, das Summen von mechanischen Libellen erfüllt die Luft, Blüten fliegen herum, Hirsche trinken an Tümpeln. Die Screenshots des Spiels sehen im Vergleich dazu langweilig und statisch aus. Sie geben nicht das sprühende Leben wieder, das im Spiel zu spüren ist.

Die Stimme sagt mir, ich möge zu der schwebenden Insel im Hintergrund laufen, um dort «an ihn zu denken». Ein anderes Ziel habe ich nicht, also hüpfe ich los und folge dem Weg über den nächsten Hügel. Vor einem hübschen, verlassenen Haus finde ich eine Tagebuchseite meines «Vaters». Durch solche in der Welt verteilten Seiten decke ich langsam die Hintergrundgeschichte des Spiels auf, die ich nicht spoilern möchte.

Mit Tagebuchseiten puzzle ich die Story zusammen.
Mit Tagebuchseiten puzzle ich die Story zusammen.
Quelle: Debora Pape

Der Weg ist das Ziel

Zunächst weiß ich nicht, was mich in «Europa» erwartet. Werde ich kämpfen müssen? Equipment sammeln? Mit NPCs sprechen? Ich gewöhne mich an die Steuerung – laufen, springen, höher springen und durch die Luft segeln – und halte Ausschau nach dem eigentlichen Spielinhalt. Aber der kommt nicht. Ich erklimme Gebäude und sammle grüne Kristalle ein. Auch mein Jetpack auf dem Rücken kann ich verbessern, sodass ich länger fliegen kann.

Nach kurzer Zeit klappt es mit dem Fliegen ganz gut und ich betrachte die Welt für kurze Zeit von oben.
Nach kurzer Zeit klappt es mit dem Fliegen ganz gut und ich betrachte die Welt für kurze Zeit von oben.
Quelle: Debora Pape

Ich werde ungeduldig. Ist das hier nur eine Tech-Demo? Was soll das bringen, stundenlang durch die malerische Landschaft zu hüpfen? Mit der Zeit merke ich, wie ich ruhiger werde und anfange, die Reise zu genießen. Es gibt keine Mini-Map, keinen Kompass und auch sonst kein Interface. Es gibt auch kein Quest-Journal und keine Survival-Elemente. Niemand lenkt mich ab, ich muss nicht schießen und nicht zaubern. Das Spiel verlangt keine Entscheidungen von mir.

Tagebuchseiten und Durchgänge zum nächsten Gebiet sind durch Lichtsäulen gut zu erkennen.
Tagebuchseiten und Durchgänge zum nächsten Gebiet sind durch Lichtsäulen gut zu erkennen.
Quelle: Debora Pape

Dafür kann ich in Ruhe überlegen, wie ich an die grünen Kristalle komme, die ich einsammle. Wofür die gut sind, erklärt das Spiel erst viel später und auch nur sporadisch. Die für die Story relevanten Tagebuchseiten sind schon von weitem durch einen goldenen Strahl gut sichtbar, sodass ich sie nicht übersehen kann. Ich fühle, wie schön es ist, einfach nur mit der Landschaft zu spielen. Der Soundtrack im Hintergrund trägt ebenfalls zu der bezaubernden Atmosphäre bei.

Atemberaubend schön: Sonnenuntergang hinter den schneebedeckten Bergen.
Atemberaubend schön: Sonnenuntergang hinter den schneebedeckten Bergen.
Quelle: Debora Pape

Ein paar Aktivitäten gibt es doch

Die relativ kleinen Kartenbereiche sind durch Portale oder große Tore miteinander verbunden. Um sie zu öffnen, muss ich einfache Rätsel lösen. Zum Beispiel Laternen aktivieren oder «Geister» in der Landschaft finden. Manchmal gilt es, über sich auflösende Blöcke zu springen oder fliegende Blöcke über einen Abgrund zu navigieren. Schwierig ist das nie: Gelingt etwas nicht auf Anhieb, versuche ich es erneut. Eine Strafe gibt es nicht. Und auch Such-Frust kommt nicht auf: Die zu suchenden Gegenstände finde ich meistens schnell.

Das Aktivieren von solchen Laternen öffnet mir Tür und Tor.
Das Aktivieren von solchen Laternen öffnet mir Tür und Tor.
Quelle: Debora Pape

Unterwegs bemerke ich neben Wildtieren und mechanischen Libellen weitere Roboterwesen. Interagieren kann ich zunächst nicht mit ihnen. Die vielen Wesen halte ich als eine weitere Art von Sammelgegenständen in meinem Skizzenbuch fest.

Zeichnen kann der kleine Zee auch ganz gut.
Zeichnen kann der kleine Zee auch ganz gut.
Quelle: Debora Pape

Nachdem ich einige friedliche Umgebungen hinter mir habe, wird die Welt um mich herum feindseliger. Ich werde zum Beispiel mit Laserstrahlen ins Visier genommen – eine sehr offensichtliche Anleihe aus «Breath of the Wild». Mit einem durch ein Kabel markierten Knopf schalte ich die Lasertürme einfach aus.

Ein Laserturm hat mich ins Ziel genommen.
Ein Laserturm hat mich ins Ziel genommen.
Quelle: Debora Pape

Etwas nerviger sind mechanische Bombenwerfer, die mich angreifen. Doch ich finde einen effizienten Weg, mit ihnen umzugehen. Selbst, wenn mich ein Laser oder eine Bombe mal erwischt: Mein kleiner Zee sieht kurz Sternchen und rappelt sich dann wieder auf. Sterben kann ich offenbar nicht.

Ginge es noch etwas besser?

Ich habe an «Europa» wenig zu kritisieren. Die Welt ist so wunderschön, dass ich mehr Zeit darin verbringen möchte. Das Spiel ist (zu) kurz. Auch, dass viele der Roboter keine Funktion haben, finde ich schade. Ich kann sie zwar in meinem Skizzenbuch verewigen, aber auch dort haben sie keinen Namen und keine Beschreibung, wofür sie da sind oder waren. Aber klar – mein kleiner Zee zeichnet nur das, was er sieht, deswegen ergibt das Sinn.

Die hervorragenden Wasserspiegelungen begeistern mich genauso wie die Polarlichter.
Die hervorragenden Wasserspiegelungen begeistern mich genauso wie die Polarlichter.
Quelle: Debora Pape

Manchmal habe ich Probleme mit der Kameraeinstellung. Die Kamera steuere ich wie üblich mit der Maus, aber an manchen Stellen übernimmt das Spiel die Kamera für mich und zoomt weit heraus, um ein Panorama zu zeigen. Das erschwert die Steuerung meines Charakters. Manche Tagebuchseiten enthalten nur verschwommene Krakel statt lesbarer Schrift. Vielleicht wird das noch nachgeliefert. Doch das alles ist Jammern auf hohem Niveau.

«Europa» erscheint am 11. Oktober 2024 auf Steam und Nintendo Switch. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Future Friends Games zur Verfügung gestellt.

Fazit

Ein kleines Meisterwerk, das vom Alltag ablenkt

Nachdem ich mich an das Gameplay gewöhnt habe, habe ich mich darin verliebt. Es ist friedlich, nahezu frustfrei und lenkt mich komplett vom Alltag ab. Ich brauche mir nicht viele Gedanken zu machen und es gibt keinen Zeitdruck. Stattdessen versinke ich in dieser wunderbar malerischen Landschaft und lasse mich von deren Optik und dem Soundtrack betören.

Die Hintergrundgeschichte rollt sich sehr gemächlich auf, läuft aber auf einen berührenden Höhepunkt hinaus. Ganz verstanden habe ich ihn nicht. Meiner Meinung von diesem Spiel tut das keinen Abbruch.

Der größte Kritikpunkt an «Europa» ist für mich, dass es nicht mehr davon gibt. Nach etwas über drei Stunden sah ich schon den Abspann und es erscheint mir wie ein Frevel, nicht mehr aus dieser Welt zu machen.

Pro

  • unaufdringliche Story
  • friedliches Gameplay
  • zauberhafte Musik
  • Spielwelt, Spielwelt, Spielwelt!

Contra

  • automatische Kameraeinstellung nervt manchmal
  • nur drei bis vier Stunden Spielzeit
Titelbild: Debora Pape

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Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.


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