«Frostpunk 2» im Test: Aufbaustrategie mit Endzeitstimmung
Im Aufbaustrategiespiel «Frostpunk 2» wirst du unweigerlich zum unterkühlten Despoten. Das ist nicht einfach, auch weil das Game teilweise ein Spiegel des aktuellen Weltgeschehens ist. Verpackt ist das Ganze in Steampunk-Ästhetik und schönen Illustrationen.
Die Welt ist zugefroren, schon seit einem halben Jahrhundert. Wir schreiben das Jahr 1916 auf diesem parallelen Zeitstrahl. Die Menschheit kämpft laufend gegen die fortwährende Kälte an, hat sich allerdings zu einem grossen Teil damit arrangiert. Habe ich bei «Frostpunk» noch mit einer Handvoll Menschen eine Stadt aufgebaut, bin ich jetzt einen Schritt weiter. Als frisch gewähltes Oberhaupt von «Neu London» liegt es an mir, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Stadt so in die Zukunft zu führen, dass die Menschheit überlebt und im äussersten Glücksfall sogar floriert. Zähe Schneestürme, Seuchen, Luftverschmutzung und andere Katastrophen verlangen alles von mir respektive meinem Volk ab.
Mehr Makro, weniger Mikro
Im Vergleich zum Vorgänger gewinnt «Frostpunk 2» etwas an Flughöhe. Sowohl wortwörtlich als auch im übertragenen Sinn. Die Kamera ist nicht mehr so nahe am Geschehen, ich sehe keine einzelnen Bürgerinnen und Bürger zwischen Häusern umher wuseln, sondern ganze Quartiere. Statt einzelne Wege einzuzeichnen, plane ich ganze Blöcke auf sechseckigen Feldern, die ich zuvor von Eis und Schnee befreie. Das Mikromanagement weicht den grösseren Plänen, was ich schätze. Die Quartiere dienen dabei verschiedenen Zwecken. Die Bürgerinnen und Bürger wohnen im Wohnquartier, arbeiten aber im Förderquartier oder im Nahrungsmittelquartier. Wo ich was bauen sollte, zeigen mir kleine Symbole auf der Karte. Über Upgrades kann ich die Bauten aufwerten und schneller Rohstoffe wie Kohle, Öl, Holz oder Nahrungsmittel fördern, mein Umland effizienter erforschen oder die Stimmung in der Stadt lockern.
Es gilt das Volk bei Laune zu halten, sonst bin ich so schnell abgewählt wie Christoph Blocher. Immer noch am allerwichtigsten ist der Generator in der Mitte der Stadt, der für Wärme sorgt. Zunächst verbrennt er fossile Brennstoffe wie Kohle und verpestet so die Luft, später kommen andere Möglichkeiten hinzu. Läuft der Generator nicht, sinkt die Stimmung sofort und mein Stuhl wackelt. Neu entscheidet nämlich ein Parlament über erlassene Gesetze und damit die Richtung, die ich einschlage. Mehrere Fraktionen und Gemeinschaften können den Aufstand üben und sich gegen mich stellen. Während die Ordnungswahrer etwa voll auf «Law and Order» bedacht sind, sind die Pilger esoterische Anarcho-Traditionalisten, welche die Gleichheit der Menschen als oberstes Gut sehen. Jede Gruppierung kann ich nicht zufriedenstellen, da sie teils entgegengesetzte Ansichten vertreten. Wenigstens sehe ich, wie die Fraktionen auf verabschiedete Gesetze oder Technologien reagieren werden und und reagiere entsprechend.
Bevor der Rat ein Gesetz verabschiedet, kann ich mit Versprechungen Einfluss nehmen. So überzeuge ich die Fraktion der Neu-Londoner davon, die Aufnahme von Fremden gutzuheissen, indem ich den Bau einer Recyclingfabrik verspreche. Baue ich die Fabrik, ist die Fraktion glücklich. Halte ich mein Versprechen nicht, stellt sich die Fraktion immer mehr gegen mich, was zu Aufständen in Quartieren führen kann. Das ist eine Gratwanderung. Oft führt sie dazu, dass Gesetze verabschiedet oder Technologien erforscht werden, die ich eigentlich nicht unbedingt möchte. Das holt mich aus der Komfortzone, im positiven Sinne. Ich muss bei der Lösungsfindung kreativ werden, weil es oft anders kommt, als gedacht.
Tod im ewigen Eis
Der Storymodus führt mich in mehreren Akten zuerst an die Mechaniken und lässt mich dann ums Überleben kämpfen. No Spoiler, aber «Neu London» sollte bald zu klein sein und die Ressourcen neigen sich dem Ende zu, weshalb ich immer wieder Spähtrupps losschicke. Aussenposten liefern dringend benötigte Rohstoffe und erzählen die teils sehr düstere Story weiter. Überlebende finden sich in der Eiswüste selten, oft sind es nur verlassene Ruinen, die mit Leichen gepflastert sind. Tod und Krankheit sind bei «Frostpunk 2» allgegenwärtig.
Die Frage ist nicht, ob, sondern wie viele Menschen sterben. Auf Expeditionen, beim Abbau von Rohstoffen, an Krankheiten. Ein kurzes Pop-up-Fenster rechts unten informiert in regelmässigen Abständen, wie viele Menschen gerade gestorben sind. Das ist zunächst nicht leicht zu verdauen. Irgendwann werde ich gleichgültig und sehe die Menschen nur noch als eine weitere Ressource. Ob ich jetzt ein Lager mit 3000 Einheiten Nahrung oder ein Camp mit 3000 Überlebenden finde: mir egal, Verbrauchsmaterial.
In der Hinsicht braucht es für «Frostpunk 2» die entsprechende nervliche Verfassung. Die Welt ist kalt und erbarmungslos, Tod und Elend allgegenwärtig. Auch wenn ich alles richtig mache, bin ich immer irgendwo im Hintertreffen. Mal fehlt das nötige Holz zur Instandhaltung meiner Bauten, dann habe ich keine Betten oder die Kohle für den Generator geht aus. Das ist typisch für Aufbaustrategiespiele und stört mich bei «Anno» oder «Tropico» weniger. In der Dystopie von «Frostpunk 2» lässt mich die konstante Mangellage besonders mitleiden. Dazu tragen die kleinen Geschichten am Rande bei, die mit düsteren Illustrationen versehen sind und vom Zefrall, aber auch vom Glück der Bevölkerung erzählen.
Actio, Reactio
Was besonders gefällt ist, dass ich während der Kampagne diverse Entscheidungen treffe, welche einen merklichen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Spiels haben. Ich kann mich dabei nicht richtig oder falsch entscheiden und oft ist es die Wahl zwischen Pest und Cholera. Soll ich ein Massengrab in Ruhe lassen, dafür riskiere ich den Tod dutzender Forscher, weil ich nicht an die Ressourcen unter dem Grab komme? Meine Entscheidung, das Massengrab beiseite zu räumen, sollte sich im späteren Spielverlauf rächen.
Hinter kleinen Entscheidungen stecken häufig grosse Auswirkungen. Immer wenn ich denke, ich hätte langsam alles im Griff, fällt alles in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Das kann dem Spielspass einen Abbruch tun. Ich musste mich mehrfach aufraffen, um meine Bevölkerung aus einer aussichtslos erscheinenden Lage zu manövrieren. Apropos aufraffen: Neben der Kampagne, die etwa 15 Stunden in Anspruch nimmt, gibt es lediglich einen «Utopia» genannten Sandbox-Modus auf sieben möglichen Karten. Das ist inhaltlich eher mager. Die Entwickler veröffentlichen mit Release auch gleich Modding-Tools. Inhalte aus der Community dürften also nicht lange auf sich warten lassen.
Whiteout statt Dark Mode
Technisch kommt das Spiel schick und unaufgeregt daher. Weiss dominiert logischerweise, für Fans von Dark Modes ist das Spiel also nix. Umgebung und Gebäude stechen aus der weissen Suppe raus und sind detailliert gestaltet. Zeit, sie zu studieren, habe ich aber sowieso nicht. Das Interface wirkt aufgeräumt und ist meistens selbsterklärend. Einzig die Auswahl einzelner Gebäude ist teilweise verwirrend, da mögliche Gebäudetypen in einer Leiste am unteren Bildschirmrand immer in einer anderen Reihenfolge erscheinen. Dazu gibt es Bugs, welche möglicherweise noch ausgebügelt werden. Teilweise hatte ich ein paar Framedrops, was bei einem Aufbaustrategiespiel nicht passieren dürfte. Die Übersetzung war in der Review Version noch nicht ganz perfekt, Entwickler 11-Bit hat aber versichert, dass sich das zum Launch verbessern wird.
«Frostpunk 2» erscheint am 20. September auf PC, Mac, PS5 und Xbox Series X/S. Die Testversion wurde uns vom Entwickler zur Verfügung gestellt.
Fazit
Düstere Aufbaustrategie mit politischem Unterbau
Pro
- Entscheidungen, die wirklichen Einfluss auf das Spiel haben
- weniger Mikromanagement als im ersten Teil
- tolle Story
- simples Politsystem, das trotzdem fordernd ist
- tolle Gestaltung und liebevolles Storytelling
Contra
- relative kurze Kampagne mit 10 bis 15 Stunden
- teilweise technische Schwierigkeiten mit Framedrops
- neben der Kampagne gibt es «nur» den Sandbox-Modus
- wenns mal läuft, zerstören äussere Einflüsse den Fortschritt und setzen einen ein paar Felder zurück
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.