Canon EOS R1
24.20 Mpx, Vollformat
Die neue Sportkamera von Canon soll erkennen, wer den Ball hat. Ich habe ausprobiert, wie gut das funktioniert – und was das teure Flaggschiff sonst noch zu bieten hat.
Die 1 ist da: Über fünf Jahre nach der ersten RF-Kamera bringt Canon endlich sein spiegelloses Flaggschiff auf den Markt. Es ist auf Sport- und Pressefotografie ausgerichtet. Verfügbar ist die neue Kamera voraussichtlich ab November 2024.
Die EOS R1 hat wie die Sony Alpha 9 III eine Auflösung von 24 Megapixeln – aber im Gegensatz zu dieser keinen Global Shutter. Canons herkömmlicher Stacked Sensor erreicht weniger hohe Serienbildraten. Er könnte dafür Vorteile bei der Bildqualität haben. Zudem steckt in der R1 ein neuer zusätzlicher Chip namens «DIGIC Accelerator». Dieser erweitert unter anderem den Autofokus um drei neue Funktionen:
Die wichtigsten Eckdaten im Überblick:
Wie schlägt sich die Canon EOS R1 in der Praxis? Ich habe die Kamera am Presse-Event in München einen Tag lang ausprobiert. Es handelte sich um ein Vorserienmodell mit Beta-Firmware. Die endgültige Bildqualität und Performance können abweichen.
Die R1 kommt im klassischen Flaggschiff-Design mit fixem vertikalen Griff daher. Doch sie fühlt sich moderner an als ihre Vorgängerin, die 1DX Mark III. Das liegt einerseits an der Oberflächenstruktur, die von der R3 bekannt ist. Die R1 liegt mit ihren runden Konturen hervorragend in der Hand. Durch ihre Grösse bietet sie auch Halt für schwere Objektive.
Andererseits ist die R1 überraschend leicht. Mit 1115 Gramm (inklusive Batterie und Speicherkarte) wiegt sie 325 Gramm weniger als die alte Spiegelreflex (1440 Gramm). Auch die Nikon Z 9 (1340 Gramm) ist fetter. Nur die Canon EOS R3 liegt mit 1015 Gramm darunter.
Noch leichter sind Kameras ohne fixen vertikalen Griff. Pressefotografen, die oft Bilder im Hochformat schiessen, dürften einen solchen aber sehr schätzen. Angeschraubte Batteriegriffe fügen sich niemals so nahtlos in den Body ein. Und das Bajonett sitzt dann nicht mittig.
Die Verarbeitung der Canon EOS R1 scheint über jeden Zweifel erhaben. Das Ding fühlt sich an, als könnte man damit Nägel einschlagen. Gemäss Herstellerangaben ist die R1 nach genau dem gleichen Standard abgedichtet wie die Vorgängerin. Sie sollte damit auch widrigste Bedingungen überstehen – egal, ob im Schlamm, Schnee oder Sand.
Die Bedienung lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Alle Knöpfe und Regler sind genau dort, wo ich sie erwarte. Sie lassen sich beleuchten und haben befriedigende Druckpunkte. Es gibt diverse Custom-Buttons, die ich individuell konfigurieren kann. Auf die M-Fn-Taste neben dem Auslöser lege ich zum Beispiel die neue Action Priority.
Das Display der R1 ist ein normaler «Flippy-Screen» – lässt sich also ausklappen und dann drehen. Es ist hell und scharf, aber mit 2,1 Millionen Bildpunkten nicht besser als das von anderen Kameras. Verglichen mit der EOS R3 ist der Bildschirm sogar schlechter. Deren LCD bietet 4,2 Millionen Bildpunkte. Keine Ahnung, warum Canon beim Flaggschiff einen Schritt zurück macht.
Anders der elektronische Sucher. Diesen bringt Canon bei der R1 endlich auf den aktuellen Stand der Technik: 9,44 Millionen Bildpunkte bei 120 Bildern pro Sekunde und einer 0,9-fachen Vergrösserung. Kein Blackout während dem Fotografieren. Das sind die gleichen Eckdaten wie bei Sonys Top-Kameras. Der Sucher der R1 scheint noch etwas heller zu sein.
Angenehm für mich als Brillenträger: Ich kann das Sucherbild verkleinern, wenn mein Auge zu weit weg ist. Wobei das natürlich die Auflösung reduziert. Als Mittelweg verbanne ich die Aufnahmeparameter nach aussen. So wird die Bildvorschau ebenfalls etwas kleiner und die Komposition wird nicht von Zahlen gestört.
Die grössten Fortschritte macht Canon für mich beim Autofokus. Er fühlt sich nun genauso schnell und klebrig an wie jener der Sony Alpha 9 III, meinem bisherigen Referenzwert. Hat die Canon EOS R1 einmal eine Person im Griff, lässt sie nicht mehr los. Selbst, wenn das Subjekt zwischendurch verdeckt wird. Das geht, weil der Autofokus nicht bloss Gesichter und Augen erkennt, sondern auch Gliedmassen und Bewegungen. Er versucht damit, die Zukunft vorauszusagen.
Ist nur eine Person im Bild, beträgt die Trefferquote in meinem kurzen Test nahezu 100 Prozent. Selbst bei wenig Licht leistet sich die EOS R1 so gut wie keine Fehltritte. Auch wenn ich in einer Szene mit mehreren Personen manuell eine davon avisiere und den Auslöser halb gedrückt halte, hält der Fokus sie zuverlässig fest.
Das können heutzutage auch andere Kameras. Canons Spezialfunktionen sollen mir jedoch dabei helfen, automatisch die richtige Person zu treffen. Als Testszenario fotografiere ich ein Basketball-Training. Das Ziel: Ich will möglichst viele Bilder von ballführenden Spielern. Da diese permanent wechseln, ist das eine Herausforderung.
Als erstes probiere ich den «Eye Control AF». Er trackt mit Sensoren am Sucher meine Pupille. Wo ich hinschaue, setzt die Kamera den Fokus. Für Brillenträger wie mich bleibt «Eye Control AF» leider eher unpräzise. Habe ich gleichzeitig die Gesichtserkennung aktiviert, muss der Blickpunkt zum Glück nur ungefähr auf einer Person liegen, damit diese erfasst wird. Das funktioniert gut. Zumindest, solange sich nicht mehrere Personen auf engem Raum befinden.
Als zweites aktiviere ich die «Action Priority». Sie soll die Spielszene analysieren und den ballführenden Spieler fokussieren. Manchmal klappt das und fühlt sich magisch an.
Leider funktioniert die Action Priority in meinem Test nur in etwa der Hälfte der Fälle. Der Ausschnitt darf nicht zu weit und nicht zu eng sein. Optimal scheint eine Halbtotale mit drei bis vier Spielern auf dem Bild. Selbst dann greift die Funktion manchmal daneben. So häufig, dass sie mir im aktuellen Zustand zu unzuverlässig erscheint – zumindest für Basketball. Gut möglich, dass sie bei Fussball mit dem höheren Kontrast eines weissen Balls auf grüner Wiese besser funktioniert.
Als drittes registriere ich in der Kamera das Gesicht eines bestimmten Spielers. Dann schalte ich die «Registered People Priority» ein. Sie funktioniert hervorragend: Sobald der Spieler in der Szene auftaucht, stellt die Kamera zuverlässig auf sein Gesicht scharf. Das macht bei einer Sportszene in wenigen Fällen Sinn. Doch in anderen Situationen könnte die Funktion sehr hilfreich sein. Zum Beispiel, wenn eine wichtige Politikerin an einer Konferenz spricht und noch andere Personen im Bild sind.
Insgesamt kann ich den Mehrwert der Spezialfunktionen im momentanen Zustand noch nicht abschätzen. Die Ideen sind gut, aber die Action Priority scheint mir nicht zuverlässig genug. Profis können es sich nicht leisten, einen wichtigen Moment zu verpassen, weil die Künstliche Intelligenz einen Aussetzer hat. Im Alltag dürften sie deshalb weiterhin manuell per Fokus-Zone die gewünschte Person auswählen.
Canon setzt bei der EOS R1 auf einen neuen Stacked Sensor. Die genaue Auslesegeschwindigkeit ist nicht bekannt. Der Rolling-Shutter-Effekt mit elektronischem Verschluss soll aber kleiner sein als mit mechanischem Verschluss. Das heisst: Ein Golfschläger in vollem Schwung wird ein wenig krumm. Hier hat die Sony Alpha 9 III mit ihrem Global Shutter einen Vorteil. Doch solche Extremsituationen kommen selten vor.
Während die Sony-Konkurrenz bis zu 120 Bilder pro Sekunde (FPS) schafft, kommt die Canon EOS R1 «nur» auf 40 FPS. Auch das spielt in der Praxis so gut wie keine Rolle. Schon 40 FPS füllen die Speicherkarten rasend schnell. Mit einer schnellen Speicherkarte hält die Kamera die maximale Geschwindigkeit 230 RAW-Bilder lang. Neu lassen sich die drei Serienbild-Stufen individuell anpassen – zum Beispiel auf 5, 15 und 40 FPS.
Die neue Vorauslöse-Funktion zeichnet Bilder schon bei halb gedrücktem Auslöser auf – und zwar immer die letzten 20 Stück. Je nach Serienbildrate reichen diese länger oder kürzer zurück. Bei 40 FPS ist es eine halbe Sekunde. Dieser Wert lässt sich nicht einstellen, was ich schade finde. Ich hätte zum Beispiel gerne nur 5 oder 10 voraufgezeichnete Bilder, wenn ich mit 20 FPS fotografiere. Mehr führt nur zu unnötigem Datenmüll.
Der Vorteil des herkömmlichen Stacked Sensors: Er müsste theoretisch eine bessere Bildqualität liefern als ein Sensor mit Global Shutter. Bei der Sony Alpha 9 III haben Tests gezeigt, dass die neue Konstruktion das Bildrauschen und den Dynamikumfang je um rund eine Blendenstufe verschlechtert.
Ich kann die Bildqualität der EOS R1 noch nicht abschliessend beurteilen. Mangels Zeit und weil sich die RAW-Dateien noch nicht öffnen lassen. Die JPGs mit Standard-Rauschreduzierung machen einen guten ersten Eindruck. Bei einer ISO von 12 800 sehen die Bilder für mich etwas weniger matschig aus als bei der Sony Alpha 9 III mit der gleichen Empfindlichkeit. Ich habe aber keinen Direktvergleich mit der gleichen Szene.
Die Auflösung der EOS R1 ist mit 24 Megapixeln für heutige Verhältnisse tief. Canon findet, sie sei für Pressefotografen der Sweet Spot zwischen Bildqualität und Dateigrösse. Ich wage zu behaupten, dass sich viele etwas mehr wünschen. Ein Workaround ist Canons neues Upscaling direkt in der Kamera. Es vervierfacht die Auflösung – bei der R1 auf 96 Megapixel. Angeblich macht der Algorithmus dabei den besseren Job als eine externe Software. Das kann ich bislang nicht überprüfen.
Eine ähnliche Funktion gibt es für die Rauschreduzierung. Dort setzt Canon einen ähnlichen «intelligenten» Algorithmus ein wie Lightroom. So lassen sich direkt in der Kamera weniger körnige Bilder berechnen. Während in Lightroom das Resultat ein neues RAW-Bild ist, macht die EOS R1 immer ein JPG daraus. Das schränkt die weitere Bearbeitung ein.
Mit ihrem grossen Body ist die Canon EOS R1 hauptsächlich als Fotokamera gedacht. Doch ihre Videofunktionen brauchen sich nicht vor anderen Hybrid-Modellen zu verstecken. Die leistungsfähigen Chips rechnen 4K-Videos auch mit 60 FPS im Oversampling-Verfahren aus 6K. Erst bei 120 FPS wechselt die Kamera zu Line Skipping. Alles ohne Crop. Der Rolling Shutter ist selbst bei 4K Oversampling mit 30 FPS extrem gut unter Kontrolle.
Der Autofokus macht auch bei Videos einen hervorragenden Job. Mein erster Eindruck: Hier scheint Canon Sony endgültig aufgeholt zu haben. Ob das auch bei der Low Light Performance und dem Dynamikumfang gilt, werden ausführliche Tests zeigen müssen.
Canon setzt die richtigen Prioritäten. Der grosse, aber leichte Body der EOS R1 liegt hervorragend in der Hand, die Bedienung wirkt bis ins letzte Detail durchdacht, der Sucher gehört zu den besten.
Beim Autofokus schliesst Canon zu Sony auf: Die R1 scheint sich Gesichter genauso gut zu krallen und festzuhalten wie die Sony Alpha 9 III. Zusätzlich hat Canon mit der Action Priority und dem verbesserten Eye Control AF innovative Ideen. Im momentanen Zustand wären mir die beiden Funktionen aber zu wenig zuverlässig. Die prioritäre Fokussierung von registrierten Gesichtern funktionierte im kurzen Test hingegen gut.
Canons Stacked Sensor ist im Alltag vielleicht der aktuell beste Kompromiss für Pressefotografen. Er eliminiert Verzerrungen zwar nicht komplett wie Sonys Sensor mit Global Shutter. Doch der Rolling Shutter ist so gut unter Kontrolle, dass er nur noch in Extremsituationen sichtbar wird. Auch die RAW-Serienbildrate von 40 FPS (die Alpha 9 III schafft 120 FPS) reicht völlig. Dafür sollte die EOS R1 theoretisch eine bessere Bildqualität liefern, was sich aber noch nicht beurteilen lässt.
Das einzige Haar in der Suppe: Die Auflösung von 24 Megapixeln lässt keine extremen Crops zu. Canons Upscaling-Funktion scheint zwar nicht schlecht zu sein. Sie ersetzt aber nicht eine höhere native Auflösung. Ansonsten hinterlässt die Canon EOS R1 einen durchweg hervorragenden ersten Eindruck.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.