Sony Alpha 9 III
24.60 Mpx, Vollformat
Sony ist ein technischer Durchbruch gelungen: eine Kamera mit Global Shutter. Ich beantworte dir die sechs drängendsten Fragen zur Technologie.
Die Sony Alpha 9 III sorgt in der Fotowelt für Furore. Sie hat als erste Vollformat-CMOS-Kamera einen Global Shutter. Doch was bedeutet das überhaupt? Was bringt es und was bedeutet es für die Zukunft? Hier die Antworten auf die sechs drängendsten Fragen.
Global Shutter heisst übersetzt «globaler Verschluss». Es ist ein Verfahren, das alle Pixel des Kamerasensors gleichzeitig ausliest. Der Begriff «Verschluss» ist eigentlich ein Anachronismus, der aber wichtig fürs Verständnis ist:
Klassische Kameras haben einen mechanischen Schlitzverschluss. Er öffnet sich, dann fällt Licht auf einen analogen Film oder einen digitalen Sensor. Nach der festgelegten Zeit schliesst er sich wieder. Das tut er mit zwei Verschlussvorhängen, der zweite jagt den ersten. Bei schnellen Verschlusszeiten exponiert ein Schlitzerschluss nie den ganzen Sensor. Der zweite Verschlussvorhang fängt schon vorher an, den Sensor wieder abzudecken.
Eine moderne Alternative zum mechanischen Verschluss ist der elektronische. Hier ist der Sensor physisch permanent exponiert. Drückst du den Auslöser, liest die Kamera einfach in diesem Moment das Bild aus und speichert es ab. Bisherige CMOS-Sensoren tun das zeilenweise. Zuerst wird die oberste Pixelreihe ausgelesen, zuletzt die unterste. Das dauert eine gewisse Zeit – die je nach Sensor unterschiedlich ist. Die Sony Alpha 7R V mit rückseitig beleuchtetem Sensor und 61 Megapixel braucht zum Beispiel rund 1/30 Sekunde. Die Nikon Z 8 mit Stacked-Sensor und 45 Megapixel braucht nur 1/270 Sekunde.
Die neue Sony Alpha 9 III macht es als erste komplett anders. Sie aktiviert den Sensor sofort vollständig und liest alle Pixel gleichzeitig aus. Das ist ein technologischer Durchbruch.
Der Global Shutter eliminiert mehrere Probleme, mit denen andere Verschluss-Systeme kämpfen und eröffnet neue Möglichkeiten:
Die Vorteile des Global Shutters sind in der Praxis vor allem in drei Anwendungen spürbar:
Davon abgesehen macht der Global Shutter in Zukunft einen mechanischen Verschluss überflüssig. Damit fällt ein komplexes Bauteil weg. Kameras könnten kompakter konstruiert werden – und günstiger. Der zweite Effekt dürfte aber erst langfristig eintreten. Wie jede neue Technologie wird der Global Shutter noch einige Jahre lang teuer bleiben.
Die hohe Serienbildgeschwindigkeit öffnet zudem Tür und Tor dafür, mehrere Aufnahmen zu einem einzelnen Bild zu kombinieren. Sony bietet in der neuen Kamera bereits einen solches «Composite RAW» an. Damit kannst du 4 bis 32 Bilder zu einem kombinieren, was für weniger Bildrauschen sorgen soll. Es funktioniert gemäss Sony auch mit Aufnahmen aus der Hand. Allerdings wird das Bild nicht in der Kamera kombiniert, sondern erst in einer Software am Computer. Anscheinend hat der Kamera-Chip nicht die nötige Rechenpower. In Zukunft sind noch andere digitale Bildverbesserungen denkbar. Etwa ein höherer Dynamikumfang durch die Kombination mehrerer Belichtungen.
In der Gegenwart ist die Sony Alpha 9 III trotz der Vorteile des Global Shutters nur für eine sehr kleine Zielgruppe interessant. Fotografierst du keine schnellen Sportarten, hattest du wahrscheinlich noch nie ein Problem mit verzerrten Bildern. Selbst Tierfotografie profitiert kaum vom Global Shutter. Beim Filmen treten bei normalen Sensoren zwar regelmässig Rolling-Shutter-Effekte auf, doch diese sind mit neuen Kameras ohnehin gut unter Kontrolle. Und wenn du nicht draussen, sondern im Studio blitzt, brauchst du kaum je schnelle Verschlusszeiten.
Ja, aber bei weniger als 1/1000 Sekunde hast du nicht viel davon. Sony wirbt bei der Alpha 9 III mit Synchronisationszeiten bis zu 1/80 000 Sekunde. Das ist zwar möglich, aber unsinnig. Bei sehr schnellen Verschlusszeiten wird das Blitzgerät zum Flaschenhals. Eine Blitzröhre braucht nämlich ebenfalls eine gewisse Zeit, um ihr Licht abzugeben. Das nennt sich Abbrennzeit. Belichtet der Global Shutter den Sensor kürzer als diese Abbrennzeit, nimmt er einen Teil des Blitzlichts gar nicht mehr auf. Wie bei Dauerlicht.
Hier ein kleiner Deep Dive, wenn du genau wissen willst, wie lange typische Abbrennzeiten sind und was die Angaben bedeuten. Falls dir das egal ist, kannst du zum nächsten Punkt scrollen.
Die Lichtintensität einer Blitzröhre ist nicht linear, sondern eine Kurve, die schnell ansteigt und langsam abfällt. Je stärker du den Blitz einstellst, desto länger dauert die Abbrennzeit. Sie wird in «T.5» oder «T.1» angegeben. T.5 bezeichnet die Zeit, die der Blitz mit über 50 Prozent Intensität leuchtet. T.1 die Zeit, die er mit über 10 Prozent Intensität leuchtet.
Damit du abschätzen kannst, ab welcher Verschlusszeit ein Global Shutter nicht mehr das komplette Licht einfängt, wäre T.1 die relevante Angabe. T.5 ist irreführend, denn in dieser hat der Blitz meist erst 60 Prozent seines Lichts abgegeben. Leider geben viele Hersteller nur T.5 an, weil das besser aussieht. Jetzt, wo du mit diesem Wissen gerüstet bist, ein paar Beispiele:
Wie du siehst, liegt die T.1-Abbrennzeit der meisten Blitze auf voller Leistung bei gut 1/300 Sekunde. Selbst wenn du etwa 40 Prozent Lichtverlust hinnimmst, liegt kaum mehr als 1/1000 Sekunde drin. Kürzere Verschlusszeiten machen nur Sinn, wenn du das Blitzgerät nicht auf volle Pulle stellst – dann hast du im Kampf gegen die Sonne aber keinen zusätzlichen Vorteil.
Ein Sensor mit Global Shutter braucht extrem viele Schaltkreise auf engstem Raum. Schliesslich müssen von allen Pixeln gleichzeitig die Signale übertragen werden. Das geht nur in einem Stacked-Sensor. Hier sind die Photodioden und die Schaltkreise nicht auf der gleichen Ebene, sondern hintereinander angeordnet. Bei einem herkömmlichen Sensor wäre der Platz wohl zu knapp.
Diese Konstruktion ist erstens teuer. Das war bereits bei normalen Stacked-Sensoren so. Mit zusätzlichem Global-Shutter-System sind sie noch schwerer herzustellen. Nicht umsonst hat Sony so lange für die Entwicklung gebraucht. Zweitens könnte die Komplexität die Bildqualität negativ beeinflussen:
Sony behauptet, der Global Shutter führe in der Alpha 9 III nicht zu einer schlechteren Bildqualität. Das lässt sich erst mit finalen Kameras und RAW-Bildern verifizieren. Im ersten Praxistest mit einem Vorserienmodell ist mir zumindest nichts Negatives in Sachen Bildrauschen oder Dynamikumfang aufgefallen.
Die Auflösung der Sony Alpha 9 III beträgt solide 24 Megapixel – was wahrscheinlich das Limit der momentanen Fertigungstechnik ist. Noch mehr Pixel würden noch mehr Schaltkreise bedeuten.
Die nächste Kamera, die dafür in Frage kommen würde, ist die Canon EOS R1 – ebenfalls ein Sportfotografie-Flaggschiff. Sie erscheint Gerüchten zufolge Anfang 2024. Canon ist neben Sony und Fujifilm der einzige Hersteller, der eigene Sensoren baut.
Wie schnell Sony die Technologie an andere Marken weitergibt, lässt sich nicht abschätzen. Der Konzern beliefert fast die ganze Branche mit Sensoren: Nikon, Fujifilm (GFX), Hasselblad, Olympus, Apple. Früher oder später dürfte der Global Shutter deshalb auch Einzug in andere hochpreisige Kameras halten. Bis er es in Mittelklasse-Kameras schafft, dauert es wahrscheinlich länger. Selbst normale Stacked-Sensoren sind noch immer den Flaggschiffen vorbehalten. Einzige Ausnahmen bisher sind die OM System OM-1 und die Fujifilm X-H2S. Beide in kleineren Formaten.
Würde ein Global Shutter in Smartphones ebenfalls Sinn ergeben? Theoretisch ja. Auch Sie lesen ihre Sensoren bisher Zeile für Zeile aus. Die Sensoren sind aber sehr klein. 1 Zoll (was in der Realität nur eine 0,63-Zoll-Diagonale bedeutet) ist das Höchste der Gefühle. Die Auslese-Geschwindigkeit ist deshalb sehr hoch. Das iPhone 15 Pro schafft zum Beispiel 1/200 Sekunde.
Damit ist der Rolling-Shutter-Effekt in der Praxis nur in Extremsituationen ein Problem. Ähnlich wie mit den Stacked-Sensoren der Sony Alpha 1 (1/240 s) oder der Nikon Z 8 (1/270 s). Anders als die grossen Kameras wird ein Smartphone so gut wie nie in Situationen kommen, in denen eine Verzerrung sichtbar wird. Auch mit Blitzen synchronisieren muss es sich in der Regel nicht.
Titelbild: Samuel BuchmannMein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.