Projekt Halbmarathon: Ziel erreicht – Was kommt als Nächstes?
Hintergrund

Projekt Halbmarathon: Ziel erreicht – Was kommt als Nächstes?

Einen Halbmarathon laufen. Mit Anfang 40, zum ersten Mal im Leben und praktisch ohne Lauferfahrung – das war vor sechs Monaten unser Ziel. Dafür hatten wir mit dem Training begonnen. Jetzt ist das Ziel erreicht und wir sind am Ende? Oder doch wieder an einem Anfang?

Mission erfüllt! So lautet das kürzest mögliche Fazit für Claudios und meine Herausforderung, die wir uns vor etwas mehr als einem halben Jahr selbst und freiwillig auferlegt hatten: den Halbmarathon beim Greifenseelauf zu absolvieren. Am Samstag, 21. September, um zirka 13:30 Uhr konnten wir uns im Zielraum, erschöpft, abgekämpft, aber verdammt nochmal erfolgreich und glücklich in die Arme fallen.

Vorher: motiviert, nervös, einigermassen fit …
Vorher: motiviert, nervös, einigermassen fit …
Quelle: Christian Walker
Nacher: erfolgreich, glücklich, komplett abgekämpft!
Nacher: erfolgreich, glücklich, komplett abgekämpft!
Quelle: Christian Walker

Wenn du dich an den Anfang unseres Projekts erinnerst, müssen wir genau genommen sagen: eine Mission erfüllt. Denn der Halbmarathon sollte ja nur ein Teil, quasi der erste Meilenstein, der grösseren Mission sein. Nämlich unseren Lebensstil nachhaltig zu verändern. Von Couch-Potatoes zu – nicht gerade Sportskanonen, aber doch – Teilzeit-Bewegungsfreunden (oder so ähnlich). Und von «Zu-oft-zu-viel-und-das-Falsche»-Vielfrassen zu «Zur-richtigen-Zeit-genug-und-das-Richtige»-Essern.

Das haben wir erreicht:

Oliver Fischer

  • Alter: 42
  • Sport: Joggen, 2-3 Mal pro Woche; Unihockey, hinter der Bande
  • Essen: genug, gesund, genussvoll

Mein neues Ich:

Die Testresultate, die die Leistungs- und Stoffwechselanalyse bei den Profis von Medathletik Ende März geliefert hatten, waren gelinde gesagt ernüchternd: Mein Körper bezog seine Energie, von der er gar nicht mal so viel brauchte, zu 66 Prozent aus Kohlenhydraten und gerade mal zu 19 Prozent aus Fetten und 15% aus Protein. Gesund wäre, wenn die Werte für Kohlenhydrate und Fette getauscht wären. Mein Kaloriengrundumsatz lag bei 1722 Kilokalorien pro Tag und meine metabolische Flexibilität (die Reaktionsfähigkeit meines Stoffwechsels auf äussere Einflüsse wie Bewegung und Ernährungsweise) war gering, ich ein sogenannter «Slow Burner». Lausige Voraussetzungen für ein langes, gesundes Leben.

Sechs Monate mit konsequent drei bis vier Lauftrainings pro Woche und einer gründlichen Analyse und gezielten Umstellung meiner Ernährung später, scheint mein Körper den Turnaround geschafft zu haben. Die Vergleichsanalyse wenige Tag vor dem Greifenseelauf liest sich sehr viel positiver: 60 Prozent des Energiebedarfs wird durch Fettverbrennung gedeckt, nur noch 25 Prozent durch Kohlenhydrate, der Grundenergieumsatz ist auf 1817 Kilokalorien pro Tag gestiegen. Aus dem «Slow Burner» ist ein «High Voltage Performer» mit optimaler metabolischer Flexibilität geworden.

Vor einem halben Jahr hatte ich mir für den Halbmarathon eine durchschnittliche Kilometerzeit von sieben Minuten und damit eine Laufzeit von 2:27 Stunden zugetraut. Als ich am 21. September auf den Startschuss wartete, hatte ich dieses Ziel auf Grund der bis dahin erzielten Trainingserfolge schon deutlich ambitionierter definiert. Auf ungefähr einen Sechs-Minuten-Kilometer und eine Schlusszeit von 2:06 bis 2:10 Stunden. Effektive Laufzeit war schliesslich 2:00 Stunden (und 10 Sekunden …). Ziel also mehr als erreicht – aber weisst du was? Die zehn Sekunden nerven trotzdem wie sau.

Fix und fertig im Ziel aber in einer Zeit, die ich mir vor einem halben Jahr niemals zugetraut hätte.
Fix und fertig im Ziel aber in einer Zeit, die ich mir vor einem halben Jahr niemals zugetraut hätte.
Quelle: alphafoto

Claudio Candinas

  • Alter: 40
  • Sport: Joggen 1 bis 2 Mal pro Woche; Krafttraining unregelmässig zu Hause
  • Essen: zu einseitig, zu unregelmässig, zu impulsiv

Mein neues Ich:

… ist leider körperlich gesehen nicht viel weiter als mein altes Ich. Die Testresultate bei Medathletik wenige Tage vor dem Greifenseelauf sind ernüchternd ausgefallen. Schon vor einem halben Jahr war die Hauptquelle, aus der mein Körper Energie bezog, mit 47 Prozent Fett, gefolgt von 38 Prozent Kohlenhydraten und 15 Prozent aus Proteinen. Meine metabolische Flexibilität wurde immerhin als hoch eingestuft, was per se eine sehr gute Voraussetzung sowohl für Ernährungsumstellung als auch Training ist. Aber …

… ein halbes Jahr und viele Trainingseinheiten (zu Fuss, auf dem Velo sowie am Fitnessgerät) später, kam bei der erneuten Leistungs- und Stoffwechselanalyse der Frust. Ich ziehe aktuell mehr Energie aus Kohlenhydraten (+6%) und weniger aus Fetten (-6%). Sprich von Fettabbau und Gewichtsverlust konnte ich im letzten halben Jahr nur träumen. Dass sich auf der Waage nicht viel getan hat, davon konnte/musste ich mich ja regelmässig selbst überzeugen. Aber als die Testergebnisse dann schwarz auf weiss vor mir lagen, war das für mich wirklich ein ziemlicher Downer. Im Gespräch mit Dimitri von Medathletik wurde dann relativ schnell klar: All die Trainings und die Ernährungsumstellung (die ich, wie du weisst, erst spät in Angriff genommen habe) helfen quasi nichts, wenn ich nicht genügend Zeit zur Regeneration einplane. Will heissen, ich muss mir mehr Schlaf gönnen. Und das war (nicht nur) im letzten halben Jahr leider nicht ganz so einfach. Zu oft musste ich nachts wegen der Kinder raus und konnte auch an den Wochenenden eher schlecht als recht abschalten. Der Vorwurf gilt aber mir allein, dafür mache ich weder meine Familie, noch mein Umfeld verantwortlich. Ich bin ein erwachsener Mensch, der für sich und sein Wohlbefinden Verantwortung trägt. Und das habe ich in der letzten Zeit zu wenig getan. Die Quittung kam nun via Leistungs- und Ernährungsdiagnostik.

Auf die Teilnahme am Greifenseelauf hatten die sad news aber keinen Einfluss. Ich wollte mir beweisen, dass ich den Lauf durchziehen kann, auch wenn die Testresultate alles andere als Bestzeiten prophezeiten. Natürlich habe ich rasch bei Dimitri nachgefragt, ob er mir aufgrund der schlechteren Werte vom Lauf abraten würde. Auf keinen Fall, sagte er nur und motivierte mich, am Event teilzunehmen und das auch zu geniessen. Und das habe ich dann auch getan. Klar, eine Zeit von über 2 Stunden und 40 Minuten für 21 Kilometer ist wahrlich kein grosser Wurf. Aber ich habe den Lauf durchgezogen und konnte mir beweisen, dass ich das körperlich hinkriege, wenn ich nur meine eigenen Grenzen respektiere und versuche, beim Tempo nicht zu überbeissen. Natürlich ist mir das am Anfang nicht gelungen, weil ich mich zu sehr von der Masse habe mitziehen lassen. Das hat sich dann spätestens nach der Hälfte der Strecke gerächt. Ins Ziel gekommen bin ich aber – und das kann mir niemand nehmen.

Nun gilt es, mich auf meine Ruhezeiten zu konzentrieren, die Agenda etwas auszudünnen und mir selbst der Nächste zu sein. Denn ich habe mich bereits für den nächsten Greifenseelauf angemeldet und möchte auf dem Weg dorthin noch am einen oder anderen kleineren Event teilnehmen. Das kann ich nur, indem ich weiter trainiere und auf meine Ernährung achte – und eben genügend Schlaf und Ruhe habe, damit mein Körper regenerieren und all die Inputs auch umsetzen kann. Ich freue mich auf jeden Fall drauf.

Ziel erreicht, im doppelten Sinn: Claudio nach 21.1 Kilometern mit dem letzten, entscheidenden Schritt.
Ziel erreicht, im doppelten Sinn: Claudio nach 21.1 Kilometern mit dem letzten, entscheidenden Schritt.
Quelle: alphafoto

Nach dem Lauf ist vor dem Rest unseres Lebens

Natürlich haben Claudio und ich uns während der letzten sechs Monate regelmässig gesehen und über die Fortschritte und Schwierigkeiten, die wir mit unserem Vorhaben bekundeten, ausgetauscht. Wir haben auch den einen oder anderen gemeinsamen Trainingslauf absolviert und die Leistungstests zusammen gemacht. Zum Abschluss haben wir uns aber nochmal richtig Zeit genommen, um zurückzuschauen, Bilanz zu ziehen und die Pläne für die Zukunft zu diskutieren:

Oliver: Wenn du zurückdenkst an den Anfang unserer Challenge vor sechs Monaten, was hattest du für dich persönlich als grösste Hürden gesehen?

Claudio: Der erste Gedanke war: «Werde ich genügend Zeit für alles haben, was da kommt?» Ganz schnell wurde mir aber klar, das ist mein innerer, riesengrosser, Schweinehund, der sich da meldet. Ich würde mich selbst belügen, wenn ich’s auf die Zeit schiebe, weil die kann ich mir schaffen. Die Angst, dass ich mich nicht dazu durchringen könnte, rauszugehen und zu laufen, dass ich immer Ausreden suchen – und finden – würde, jetzt gerade nicht trainieren zu können, war definitiv da.

Wie war das bei dir?

Oliver: Ich hatte ehrlich gesagt am meisten Respekt beim Ernährungsthema. Und die Befürchtung, dass ich es nicht auf die Reihe bekommen würde, das ernsthaft anzugehen und mein Essverhalten umzustellen. Weil mir klar war, dass ich das nicht für mich alleine machen konnte. Essen betrifft meine Familie mit. Ich hätte nicht für mich plötzlich vieles radikal verändern können, ohne dass sich auch für sie etwas ändert. Das Thema ernsthaft anzugehen, habe ich deswegen immer wieder rausgeschoben. Dabei hatte ich das Glück, dass meine Frau sofort mit eingestiegen ist und mich sogar explizit aufgefordert hat, sie da von Anfang an mitzunehmen und das Thema gesündere Ernährung gemeinsam anzugehen. Und ich wollte ja ohnehin keine Diät machen oder auf irgendeinen Trend wie Low Carb, Low Fat, oder Paleo aufspringen, sondern Dinge verändern, die langfristig sinnvoll sind.

Das zweite Thema, bei dem ich Bedenken hatte, war, wie mein lädiertes und operiertes Knie (Kreuzband- und Aussenbandrisse) mit der verstärkten Belastung zurecht kommen würde.

Claudio: Das überrascht mich total, dass die Ernährungsumstellung für dich so ein grosser Unsicherheitsfaktor war. Für mich waren die kleinen Kinder da sogar ein Vorteil. Da kannst du auf den Tisch stellen, was du willst, entweder haben sie Bock zu essen oder nicht, egal was auf dem Teller liegt. Da musste ich überhaupt keine Rücksicht nehmen.

Oliver: Dafür musste ich mir nie Sorgen machen, wegen meiner Tochter zu wenig Zeit für die Trainings zu haben. Mit neuneinhalb Jahren ist sie alt genug, dass ich sie nach der Schule mal allein zu Hause lassen und eine Runde joggen gehen konnte. Ausserdem ist sie schon oft bei Freundinnen, da konnte ich mir immer meine Slots nehmen.

Claudio: Das Ernährungsthema hast du dann trotzdem gut angehen können. Einfach erst relativ spät innerhalb dieses halben Jahres, oder?

Oliver: Ja, genau. Irgendwann haben wir gemeinsam angefangen uns einzulesen und Schritt für Schritt kleine Anpassungen vorgenommen. Da sind wir jetzt auf einem guten Weg und das ohne, dass wir plötzlich auf ganz vieles verzichten müssten. Wir haben sowieso schon immer viel selbst gekocht und wenig Fertiglebensmittel konsumiert. Jetzt achten wir schon mehr auf das Was, aber vor allem auch auf das Wann, Wie und Wie viel. Ich hatte aus heutiger Sicht zu viel Respekt vor dem Thema, aber so haben wir sicher nichts überstürzt.

Claudio: Hey, das ist bei uns ähnlich. Wir schauen auch schon immer darauf viel Frisches zu kaufen, auch wegen der Kinder. Vor allem wegen des Zuckers in verarbeiteten Lebensmitteln.

Oliver: Gab es Dinge, die du überhaupt nicht erwartet hast am Anfang? Schwierigkeiten oder auch Motivierendes?

Claudio: Das Gefühl direkt nach dem Laufen. Ich hatte etwas Angst vor der körperlichen Erschöpfung und wie sich diese auf meinen Alltag auswirken würde, wenn ich nicht genug Schlaf bekomme. Aber dieses Körpergefühl und die Glückshormone, die da ausgeschüttet werden, sind echt geil. Der eher negative Aspekt war die Regenerationszeit, die länger und unberechenbarer war, als ich erwartet hatte. Das machte die Planung schwierig. Da habe ich aber mit der Zeit grosse, positive Veränderungen gespürt. Gerade jetzt nach dem Greifenseelauf hatte ich zuerst starken Muskelkater, aber am Montagabend war der wieder weg. Wie ging es dir in der Hinsicht?

Oliver: Wir haben ja vor dem Start es Projekts unsere Pulszonen gemessen. Für die Grundlagenausdauer und optimale Fettverbrennung musste ich sooooooooooo krass langsam unterwegs sein, das war echt schwierig. Das habe ich knapp einen Monat durchgezogen und dann das Tempo gesteigert. Ich hatte das Gefühl und das Bedürfnis danach und mein Körper hat das sehr gut mitgemacht.

Aus diesem guten Gefühl heraus, bin ich dann aber etwas ins andere Extrem gefallen und habe es eher übertrieben mit Menge und jeweiliger Belastung. In meinem Halbmarathon-Vorbereitungstraining bei Garmin habe ich jeweils immer das Maximum an Dauer und Intensität gemacht, was vorgeschlagen wurde. Das wurde mir mit der Zeit zu viele Einheiten. Irgendwann habe ich dann schon angefangen, mal das eine oder andere Training ersatzlos sausen zu lassen. Sonst wäre die Familie auf Dauer zu kurz gekommen.

Aber hey, die grosse Geschichte liegt hinter uns: Ziel erreicht. Hast du schon wieder mit allem aufgehört und jeden guten Vorsatz über Bord geworfen?

Claudio: Haha, im Gegenteil! Ich habe mich schon für den Lauf nächstes Jahr angemeldet. Wahrscheinlich starte ich dann bei der Elite. Mein Ziel war ja dieses Mal einfach durchzukommen und damit bin ich auch voll zufrieden. Aber ich will mir jetzt auch die Zeit nehmen und mich länger und besser vorbereiten, auch dazwischen mal den einen oder anderen Lauf machen, eher auch mal einen kürzeren. Den Fixpunkt Greifenseelauf habe ich schon gesetzt.

Ich will natürlich meine Zeit deutlich unterbieten. Auch jetzt bin ich gegen mich selbst gelaufen und gegen die Frage, ob ich überhaupt einen Halbmarathon schaffe. Abgesehen davon, dass es mir wirklich Spass gemacht hat, finde ich den Event selbst auch sehr cool. Und du? Hast du dich schon irgendwo angemeldet?

Oliver: Nein, angemeldet habe ich mich noch nirgends. Aber natürlich habe ich schon recherchiert, was es übers Jahr verteilt an Laufveranstaltungen gibt. Und da du dich schon am Greifenseelauf angemeldet hast, mach ich’s wohl auch. Auch wenn ich die Menschenmasse auf der Strecke eher nicht so geil gefunden habe. Ich habe darum schon nach kleineren regionalen Läufen gesucht, wo – hoffentlich – etwas weniger Teilnehmende unterwegs sein werden. Meine Idee ist im Moment, zwei Halbmarathons und drei, vier kleinere, kürzere Läufe pro Jahr zu machen. Ich möchte dabei vor allem Wert legen aufs Wo. Wie schön ist die Strecke, die Landschaft; ich will bei den Läufen auch das Drumherum geniessen.

Die wichtigste Erkenntnis für mich aus diesem halben Jahr ist die: Ich habe viel mehr Spass und ziehe eine viel grössere Befriedigung aus meiner Laufrunde am Sonntagmorgen bei Nieselregen, ganz allein auf irgendeinem Waldweg, mit einem Podcast in den Ohren, als beim Zieleinlauf nach dem offiziellen Halbmarathon in meiner Zielzeit. Das ist auch nett, klar; aber ich gehe lieber raus und laufe, um draussen zu sein und zu laufen.

Claudio: Da bin ich zu einhundert Prozent bei Dir! Das beste an diesem halben Jahr waren die eigenen Trainings, das Gefühl, die Belastung zu steuern, mal etwas mehr, mal etwas weniger, aber einfach draussen und unterwegs zu sein.

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Weltenbummler, Wandersportler, Wok-Weltmeister (nicht im Eiskanal), Wortjongleur und Foto-Enthusiast.


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