Laufexperte: Superschuhe bringen Speed, doch darauf solltest du achten
Hintergrund

Laufexperte: Superschuhe bringen Speed, doch darauf solltest du achten

Siri Schubert
25-9-2024

Superzeiten mit Superschuhen – stimmt das? Tatsächlich haben sich die Spitzen-Marathonresultate im Profibereich seit der Einführung der gedämpften, carbonverstärkten Schuhe verbessert. Ob und wie du die Laufschuhe der Extraklasse in Training und Wettkampf integrieren kannst, erklärt Biomechanik-Professor Dr. Steffen Willwacher.

Um die Superschuhe mit Carbonplatten und dicker Dämpfung ist ein Hype entstanden. Waren sie vor einigen Jahren noch fast ausschliesslich der internationalen Elite vorbehalten, sieht man sie jetzt vermehrt an den Füssen von Amateursportlerinnen und -sportlern. Sie sollen schneller machen und die Laufökonomie verbessern. Und wer hätte nicht gern ein bisschen extra Speed? Ich auf jeden Fall.

Doch was ist Fakt und was ist Mythos? Um das zu klären, treffe ich den Biomechanik-Professor und ehemaligen Zehnkämpfer Dr. Steffen Willwacher am «Zurich Forum for Applied Sport Sciences», ausgerichtet von Swissbiomechanics.

Seit ihrem Debüt vor rund acht Jahren verbreiten sich Superschuhe, also Schuhe mit speziell gedämpften Zwischensohlen und Carbonplatten, rapide im Profi-Laufsport. Neuerdings sind sie auch im Freizeitsport zu sehen. Ist das eine gute Idee?

Steffen Willwacher: Letztlich macht eine neue Technologie ja nicht nur schnell, sondern auch Spass und wenn ich meine Bestzeit steigern kann, ist es motivierend. Somit habe ich ein schönes Ziel, auf das ich zulaufe. Daher ist es unter Umständen schon gut, Laufschuhe zu tragen, die einen schneller laufen lassen.

Aber ganz so einfach ist es sicher nicht. Worauf sollten Läuferinnen und Läufer beim Umsteigen auf Superschuhe vor allem achten?

Superschuhe sind deutlich anders gebaut als konventionelle Laufschuhe. Und verändern so die Krafteinwirkungen auf den Körper. Zum Beispiel werden manche Knochen im Fuss anders belastet. Zudem werden Sehnen wie die Achillessehne und manche Muskeln unter Umständen viel stärker beansprucht. Das heisst konkret, wenn ich von heute auf morgen mein komplettes Training in Superschuhen absolviere, habe ich ein grosses Risiko, mir eine Überlastungsverletzung zuzuziehen.

Laufexperte Dr. Steffen Willwacher beschäftigt sich seit Jahren mit Superschuhen und präsentiert seine Erkenntnisse beim ZFASS in Zürich.
Laufexperte Dr. Steffen Willwacher beschäftigt sich seit Jahren mit Superschuhen und präsentiert seine Erkenntnisse beim ZFASS in Zürich.
Quelle: Siri Schubert

Was sind denn die häufigsten Verletzungen?

Bisher gibt es dazu noch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern hauptsächlich Erfahrungsberichte. Die Probleme scheinen hauptsächlich im Bereich der Fussknochen, insbesondere am Kahnbein, einem Fusswurzelknochen auf der Grosszehenseite, aufzutreten. Auch über vermehrte Beschwerden an der Achillessehne gibt es Berichte. Andere klagen über Probleme an der Hüftmuskulatur und an der Oberschenkelrückseite. Es hängt immer auch ein Stück weit davon ab, was für ein Lauftyp ich bin und welche Strukturen ich bei meinem Laufstil besonders belaste. Deshalb kann man nicht generalisieren.

Wie kann ich solche Beschwerden verhindern?

Wer langfristig in Superschuhen laufen möchte, sollte langsam anfangen und das Training in diesen Schuhen behutsam steigern und dabei immer auf den Körper hören. Das heisst, zunächst vielleicht erst einmal in den Schuhen spazieren gehen, um sich an die andersartige Belastung zu gewöhnen. Dann kannst du eine kurze Trainingseinheit in diesen Schuhen laufen. Den Rest deines Trainings machst du weiter in den gewohnten Schuhen, idealerweise mehreren Paaren, die du in einer Rotation auswechselst. Später kannst du den Umfang und die Intensität in Superschuhen Stück für Stück steigern. Die Gewöhnungszeit kann durchaus mehrere Wochen und Monate – sicher bis zu einem halben Jahr – dauern. Wenn du das Training komplett umstellen möchtest, solltest du dir die Zeit wirklich nehmen.

Das heisst, die Schuhe nur am Wettkampftag zu schnüren, ist keine gute Idee.

Unter Umständen ist das gar nicht so schlecht. Wenn du den Schuh als reinen Wettkampfschuh siehst und ihn auch nur dann einsetzt, kann das funktionieren. Natürlich macht es Sinn, sich vorher ab und zu mal an die Schuhe zu gewöhnen. Du bräuchtest aber keine vollständige Umgewöhnung und Anpassungsphase. Es gibt auch erste Studien, die zeigen, dass es möglich ist, das Potential der Schuhe im Wettkampf relativ gut auszunutzen, ohne sich vorher lange an sie gewöhnt zu haben.

Wie sieht so eine kurze Eingewöhnung konkret aus?

Das kommt immer ganz auf den Einzelfall an. Jeder Mensch reagiert anders. Deshalb könntest du einen Testlauf machen und schauen, wie du das verkraftest. Vielleicht gibt es Bereiche in den Füssen, Waden oder Knien, die etwas mehr wehtun als gewohnt. Da solltest du auf deinen Körper hören und vielleicht doch nicht gleich den Halbmarathon in den Schuhen laufen. Wenn du aber keine Probleme hast, könntest du die Schuhe tatsächlich ganz spezifisch einsetzen.

Die Schuhe wären dann so etwas wie eine Wunderwaffe für den Wettkampf.

Ja, das kann man so sagen, denn der Effekt, dass Superschuhe einen Zeitvorteil von bis zu vier Prozent bringen können, ist klar belegt. Und sie halten auch länger. Ein Nachteil der Superschuhe ist, dass sie ihre positiven Dämpfungseigenschaften schon nach relativ kurzer Zeit verlieren. Im Elitebereich ist es so, dass Läuferinnen und Läufer einen Marathon in einem spezifischen Paar Schuhe finishen und die Schuhe dann ins Regal kommen. Bei einem Preis von mehreren hundert Franken oder Euro ist das für die meisten Hobbyläuferinnen und -läufer nicht realistisch.

Umsteigen oder nicht? Nicht für alle bringen Superschuhe positive Resultate.
Umsteigen oder nicht? Nicht für alle bringen Superschuhe positive Resultate.
Quelle: Shutterstock

Der Vorteil der Superschuhe im Elitebereich ist klar: Speed. Können denn alle Läuferinnen und Läufer gleichermassen profitieren?

Bei den Profiläuferinnen und -läufern haben wir einen deutlichen Effekt gesehen. Die Marathon- und Halbmarathonzeiten sind der Einführung der Superschuhe durch Nike 2016, immer schneller geworden. Der Nutzen ist bei schnelleren Laufgeschwindigkeiten grösser und Frauen scheinen der Datenlage gemäss stärker zu profitieren. Bei der Nicht-Elite sehen wir eine höhere Variabilität. Das heisst, im Freizeitbereich verbessern einige ihre Zeiten dank der Superschuhe, während sich bei anderen wenig tut oder sich die Zeiten sogar verschlechtern.

Wie kommen die Verbesserungen zustande?

Die Dämpfung und die Versteifung durch Carbon bringen Vorteile in der Laufökonomie. Es gibt, umgangssprachlich gesagt, einen grösseren Federungseffekt. Das senkt die metabolischen Kosten, sprich, die Energie, die du aufwenden musst, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Ich sage manchmal spasseshalber, dass die Superschuhe nichts sind für Leute, die durchs Laufen abnehmen möchten, denn sie verbrennen auf der gleichen Strecke weniger Kalorien.

Da unterscheiden sich die Motivationen. Wer Fitness und Gesundheit anstrebt, wird zu anderen Schuhen greifen als die ambitionierte Athletin, die ihre persönliche Bestzeit verbessern möchte oder sogar eine Profi-Karriere anstrebt.

Ja, wenn du schneller werden möchtest, können Superschuhe motivierend sein und dadurch, dass du mehr läufst und ein Ziel anstrebst, verbessert sich auch deine Fitness. Wenn du aber zweimal die Woche locker joggen gehst, kann dein Ziel sein, verletzungsfrei zu bleiben und Schuhe zu tragen, die sich komfortabel anfühlen. Dann sind Superschuhe, oder Advanced Footwear Technology, wie es in der Fachsprache heisst, nicht das Richtige.

Vielen Dank für das interessante Gespräch und die Einblicke in die neue Technologie der Laufschuhe.

Titelbild: Shutterstock

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Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.


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