Guter Zucker? Schlechter Zucker? Wie gut kennst du dich mit dem süßen Stoff aus?
10-3-2023
Zucker gilt als Feind auf dem Teller. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, den Konsum radikal einzuschränken, um Volkskrankheiten wie Diabetes und Adipositas vorzubeugen. Damit die Herausforderung gelingt, solltest du einige Fakten rund um das Süßungsmittel kennen. Denn: Zucker ist nicht gleich Zucker.
Zucker hat kein gutes Image. Dabei ist er nicht per se «böse». Im Gegenteil: Wir brauchen ihn sogar. «Der Mensch benötigt große Mengen Energie, um zu überleben. Als Treibstoff dient in erster Linie Glukose (Traubenzucker). Im Kohlenhydratstoffwechsel ist dieser Einfachzucker von zentraler Bedeutung für Gehirn und Muskeln», sagt Gesundheitswissenschaftlerin und Ernährungsexpertin Hannah Frey.
Deshalb sind im Blut von gesunden Menschen auch 60 bis 140 mg Glukose pro 100 ml enthalten. Ohne sie könnten wir nicht atmen, laufen, sprechen oder denken. «Allein das Gehirn benötigt 130 bis 140 g Glukose pro Tag, das sind 75 Prozent des Gesamtverbrauchs aller Körperzellen», sagt Frey. In stressigen Situationen kann der Zuckerbedarf des Hirns sogar auf 95 Prozent hochschnellen.
Weil unser Denkorgan keine Energie speichern kann, zieht es die nötige Glukose aktiv aus den Speichern in Blut, Leber und Muskeln ab. Diesen Pull-Mechanismus hat Medizinprofessor Achim Peters 1998 entdeckt. Bekommt das Gehirn nicht, was es braucht, kommt es nach zehn Sekunden zur Ohnmacht, nach wenigen Minuten zu irreversiblen Hirnschäden.
Wieso empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dann aber, dass wir unseren Zuckerkonsum drastisch einschränken sollen?
Die einfache Antwort: Wir essen in der westlichen Gesellschaft tendenziell viel mehr Zucker, als wir benötigen. Die ausführliche, nicht ganz so einfache folgt hier in neun Punkten:
Fakt 1: Zucker ist nicht gleich Zucker
Ohne Chemiestudium ist es gar nicht so einfach beim Thema «Zucker» durchzublicken. Der Laie versteht unter Zucker meist das, was weiß rieselnd aus dem Streuer kommt. Chemisch handelt es sich dabei um Saccharose, die aus Zuckerrüben und Zuckerrohr gewonnen wird. Zucker gehört zur Stoffklasse der Kohlenhydrate, den Sacchariden. Und die existieren in den verschiedenen Formen:
Für deinen Hausgebrauch ist laut der Gesellschaft Deutscher Chemiker folgendes wichtig zu wissen: Einfachzucker sind die einfachsten Zucker. Sie bestehen aus nur einem Zuckermolekül. Die häufigsten Einfachzucker sind Glukose (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker) und Ribose. Solche Monosaccharide stecken von Natur aus etwa in Obst, Gemüse oder Milchprodukten. Sie werden aber als raffinierter (also verarbeiteter, isolierter) Zucker, der billig herzustellen ist, auch vielen Getränken, Süßwaren und Fertigprodukten zur Süßung und Texturverbesserung zugesetzt.
Verknüpfen sich zwei Monosaccharide, entstehen Disaccharide (Zweifachzucker). Dazu zählen der Haushaltszucker (Saccharose), der aus Fructose und Glucose besteht, sowie Lactose (Milchzucker) und Maltose (Malzzucker). Zu finden sind Zweifachzucker also in allen Mahlzeiten und Produkten, denen Haushaltszucker zugesetzt wird, oder in Lebensmitteln wie Joghurt, Käse und Eiscreme.
Mehrfachzucker (Oligosaccharide) sind aus mehreren Einfach- und/oder Zweifachzuckermolekülen aufgebaut. Beispiele sind Raffinose und Stachyose, die in Hülsenfrüchten und einigen Gemüsesorten vorkommen.
Und Vielfachzucker (Polysaccharide) bestehen schließlich aus vielen miteinander verbundenen Einfach-, Zweifach- und/oder Mehrfachzuckermolekülen. Zu ihnen zählen etwa Stärke und Glykogen, die in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen, etwa in Kartoffeln.
Fakt 2: Jeder Zucker wird unterschiedlich verarbeitet
Dein Körper reagiert nicht auf jede dieser vier Zuckerarten gleich. Je komplexer ein Zucker aufgebaut wird, desto geringer ist der Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Denn alle Zuckerarten müssen erst zu Einfachzuckern abgebaut werden, um ins Blut aufgenommen werden zu können und Energie zu liefern.
Während der Insulinspiegel nach dem Konsum von Lebensmitteln mit Einfach- und Zweifachzucker rasch in die Höhe schießt und ebenso schnell auch wieder abfällt, sodass wir bald wieder hungrig werden, steigt er nach dem Verzehr von komplexen Kohlenhydraten nur langsam an. Nahrungsmittel mit Vielfachzuckern sättigen daher besser und länger.
«Generell ist die Kohlenhydratversorgung durch Vielfachzucker – vor allem Stärke – zu bevorzugen. Durch eine dauerhaft überhöhte Aufnahme von Einfach- und Zweifachzuckern, die eine rasche Insulinreaktion im Körper auslöst, kommt es, wenn dieser Prozess chronisch wird und der Blutzuckerspiegel dauerhaft erhöht ist, zu Krankheitsbildern wie Diabetes mellitus», so die Experten des Fachportals für die Chemiebranche.
Fakt 3: Nicht jeder Zucker ist gleich «schlecht»
Die WHO rät daher in ihren Guidelines, maximal fünf bis zehn Prozent der Energiezufuhr durch freien Zucker zu decken. Als «böser», freier Zucker gelten all jene Einfach- und Zweifachzucker, die der Nahrung künstlich zugefügt werden. Das sind vor allem Glukose, Fructose oder Saccharose. Der natürliche Zuckergehalt von Honig, Sirup, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten wird ebenso als freier Zucker gerechnet.
Lebensmittel werden durch freien Zucker nicht nur hochkalorisch, womit der Anstieg von Übergewicht in den Industrieländern in Verbindung gebracht wird. Freier Zucker, der vor allem als raffinierter, verarbeiteter Zucker vorkommt, enthält auch kaum Mineralstoffe, sodass gesundheitlich keine Vorteile entstehen. Im Gegenteil. Die WHO warnt: Ein übermäßiger Verzehr kann neben Typ-2-Diabetes auch zu Herzerkrankungen, Karies und Entzündungen führen.
Als besonders schlecht gilt zugesetzte Fructose. Denn sie wird in der Leber in Fett umgewandelt. Fruchtzucker steht daher im Verdacht, zur Fettleber beizutragen und in größeren Mengen Übergewicht und Diabetes zu fördern. Deshalb rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) von stark fruchtzuckerhaltigen Produkten wie z.B. gekauften Fruchtsäften ab – zumal in diesen Ballaststoffe, Vitamine und andere Stoffe fehlen, die in frischem Obst noch vorhanden sind.
Apropos Obst: In frischen Früchten und Gemüse sowie Milch ist Zucker auf natürliche Weise enthalten. Ihre Fructose oder Laktose zählt nicht mit, wenn es um den täglichen Zuckerkonsum geht. Denn für ihren Verzehr haben Forscher bisher keine negativen Folgen nachweisen können, da der Zucker auch zusammen mit anderen Nährstoffen und Ballaststoffen in den Lebensmitteln aufgenommen wird.
Fakt 4: Du isst (wahrscheinlich) zu viel Zucker
Nach Schätzungen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) essen Schweizerinnen und Schweizer ungefähr 110 g freien Zucker pro Tag.
Das ist 20-mal mehr als vor 150 Jahren, als Zucker noch ein Luxus war, und bis zu viermal mehr, als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Um innerhalb des empfohlenen Rahmens zu bleiben, müsstest du deinen täglichen Konsum auf ca. 25 bis 50 g reduzieren, das sind maximal 5 bis 10 Teelöffel freier Zucker pro Tag.
Gar nicht einfach, denn laut WHO stecken bereits in einem einzigen Teelöffel Ketchup rund 4 Gramm freier Zucker, in einer Dose Limonade sogar 40 Gramm oder 10 Teelöffel, womit dein tägliches Zuckerlimit bereits erreicht wäre.
Fakt 5: Zucker hat viele Namen
Es ist also durchaus eine Challenge, den Zuckerverzehr herunterzufahren. Am einfachsten geht das noch beim Haushaltszucker: Beim Kochen, Backen oder Kaffeesüßen hast du schließlich die Kontrolle über den Zuckerstreuer. Den größten Anteil am täglichen Zucker-Konsum haben aber verarbeitete Lebensmittel. Und hier machen es uns die Hersteller oft richtig schwer, uns einzuschränken. Denn oft ist uns auch nach dem Studium der Zutatenliste gar nicht bewusst, dass ein Lebensmittel (viel) Zucker enthält. Das liegt daran, dass für Zucker mehr als 50 Bezeichnungen existieren, um den tatsächlichen Zuckergehalt zu verschleiern.
Die geläufigsten Aliase sind wie erwähnt Glukose (Traubenzucker), Fructose (Fruchtzucker) und Galaktose, Saccharose (Haushaltszucker), Laktose (Milchzucker) und Maltose, Raffinose und Stachyose sowie Stärke und Glykogen. Häufig kommen aber auch Bezeichnungen wie Dextrose, Karamellsirup, (Gersten-)Malzextrakt, Fructose-Glukose- und Stärkesirup, (Mager-)Milchpulver oder Maltodextrine vor.
Zusätzlich kann Zucker auch über eine süßende Zutat in Lebensmittel gelangen, etwa in Form von Honig, Dattelpulver, Agavendicksaft oder Fruchtpürees.
Fakt 6: Die Zutatenliste ist oft irreführend
Selbst wenn du alle Alternativ-Bezeichnungen für Zucker draufhast, kannst du damit den Zuckergehalt eines Lebensmittels oft nur schwer abschätzen. Denn in der Zutatenliste werden alle Zuckerarten einzeln aufgeführt. So rücken das Wort Zucker und seine anderen Bezeichnungen gerne nach hinten, obwohl du es mit einer süßen Bombe zu tun hast. Der Gesamtzuckergehalt lässt sich meist nur über die Nährwerttabelle entschlüsseln, sagt die deutsche Verbraucherzentrale.
Verwirrend kann dabei jedoch die unterschiedliche Definition von Zucker in Zutatenliste und Nährwertkennzeichnung sein. Denn in der Nährwerttabelle werden alle im Produkt enthaltenen Mono- und Disaccharide als Zucker zusammengefasst. Dadurch wird auch natürlich enthaltener Zucker aus Milch oder Obst mitgezählt. Glukosesirup dagegen muss in den Nährwertangaben nicht als Zucker gelistet werden, wenn er mehr Tri- und Polysaccharide (Drei- oder Mehrfachzucker) als Di- oder Monosaccharide (Zwei- oder Einfachzucker) enthält. Letztlich handelt es sich aber trotzdem um Zucker.
Ein Hinweis, dass sich (zu) viel Zucker in einem Produkt versteckt, ist die Differenz zwischen den Grammangaben von Zucker und Kohlenhydraten. Unterscheiden sich diese Angaben deutlich, solltest du bei süßen Produkten misstrauisch werden.
Fakt 7: Komplett auf Zucker zu verzichten, ist schwer realisierbar
Eine Ernährung ganz ohne jede Form von Zucker wird also richtig schwierig. Die Vorgabe «Zuckerfrei» lässt deinen Warenkorb deutlich schrumpfen. Eine kanadische Studie fand heraus: Zwei Drittel der abgepackten Lebensmittel in US-amerikanischen und kanadischen Supermärkten enthalten zumindest eine Form von zugesetztem Zucker. Für unsere Breiten fehlen Studien, doch das Ergebnis würde wohl ähnlich ausfallen. Denn selbst Lebensmittel, die die Hersteller als zuckerfrei bezeichnen, dürfen laut dem Deutschen Lebensmittelverband noch bis zu 0,5 g Zucker pro 100 g oder 100 ml enthalten.
Trotz all dieser Hürden ist es aber natürlich möglich, den Zuckerkonsum einzuschränken. Hannah Frey hat mehrere Ratgeber dazu geschrieben, Buchhandlungen und Internet sind voll mit weiteren Tipps, die darauf abzielen, dass der Körper seinen Treibstoff zum Großteil selbst herstellt, statt ihn aus Einfach- und Zweifachzuckern zu beziehen.
«Dafür spaltet der Körper im Darm Glukose aus Polysacchariden (z.B. Stärke) auf, die beispielsweise in Gemüse, Getreide oder auch Pseudogetreide wie Amaranth enthalten ist. Sogar Fette und Eiweiße kann der Organismus in Energie umwandeln – wenn auch über Umwege», sagt Expertin Frey. Man isst also dennoch Zucker, aber eben in Form komplexer Kohlenhydrate.
Fakt 8: Eine gänzlich zuckerfreie Ernährung kann dir schaden
Während es gesundheitlich sinnvoll ist, freien Zucker zu reduzieren, wie die WHO empfiehlt, ist ein Radikalverzicht auf jeglichen Zucker aber auch gar nicht ratsam. Denn von Haus aus wirklich ganz ohne Zucker kommen nach einer Liste der Gesundheitskasse AOK nur ganz wenige Lebensmittel daher: Fleisch und Fisch zum Beispiel, Olivenöl, Schwarztee und Kaffee.
«Für eine komplett zuckerfreie Ernährung müsste man also viele gesunde Sachen wie Obst oder Gemüse streichen», sagt Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. Abgesehen davon, dass dir dadurch Vitamine, Ballast- und Mikronährstoffe abgehen, wäre deine Ernährung recht einseitig, wahrscheinlich sogar schädlich.
Vorsicht ist auch geboten, wenn du Zuckerhaltiges durch Produkte mit Ersatzstoffen wie etwa Aspartam ersetzt. Für das «Canadian Medical Association Journal» fassten Forschende vorliegende Studien zu künstlichen Süßungsmitteln zusammen. Ihr Ergebnis: Auf lange Sicht kommt es genau dazu, was man durch den Zuckerverzicht eigentlich vermeiden wollte. Das Risiko für Adipositas, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck oder Herzerkrankungen steigt.
Grund: Die kalorienarmen oder -freien Sweetener stehen im Verdacht, den Stoffwechsel, die Darmbakterien und den Appetit negativ zu beeinflussen. Denn dem Körper wird über den süßen Geschmack eine hohe Energiezufuhr suggeriert, die nicht erfolgt.
Fakt 9: Mit intuitivem Essen kriegst du deinen Zuckerkonsum in den Griff
Viele Fachleute folgen der WHO-Empfehlung, den Konsum von freiem Zucker um ein Drittel, besser noch um die Hälfte zu reduzieren. Welche Menge Zucker (noch) okay sei, hängt jedoch – wie bei allen Lebensmitteln – auch vom Einzelnen ab, seiner Genetik und Chronobiologie, Lebensstil, Stoffwechsel und Energieverbrauch, sagt Uwe Knop. Wer insgesamt einen gesunden Lebensstil pflege und sich regelmäßig bewege, verbrenne Zucker aus einem Schokoriegel schnell. Wenn man dagegen nach einem zuckerlastigen Essen auf dem Sofa kleben bleibe, dann lagere sich der Zucker als Fett in Organen und Muskeln ein.
Und weil es aber recht herausfordernd sein kann, den Zuckergehalt verarbeiteter Lebensmittel zu bestimmen und auf Gramm und Teelöffel herunterzurechnen, plädiert der Ernährungsexperte dafür, dem eigenen Körper zu vertrauen, zu essen, wenn man wirklich hungrig ist und zu dem zu greifen, was schmeckt und vertragen wird – ob es sich dabei nun um Schoki oder Salat handelt. Dieses Prinzip nennt sich Intuitives Essen und hat in vielen Studien positive Effekte auf die körperliche und psychische Gesundheit gezeigt. Das Verlangen nach zucker- oder auch fettreichen Lebensmitteln soll dadurch ganz von allein nachlassen.
Parallel lernst du die Signale deines Körper nach gesunden Lebensmitteln wahrzunehmen und zu verstehen. «Durch Intuitives Essen wird also auch eine extrem einseitige oder gar ausschließlich zuckerbasierte Ernährung vermieden, die natürlich gesundheitlich bedenklich wäre.»
Titelbild: Oliver FischerDaniela Schuster
Autorin von customize mediahouse
Gäbe es meinen Job nicht, würde ich ihn erfinden wollen. Schreiben ist die Möglichkeit, ein paar Leben parallel zu führen. Heute stehe ich mit einer Wissenschaftlerin im Labor, morgen gehe ich mit einem Forscher auf Südpolexpedition. Täglich entdecke ich die Welt, erfahre Neues und treffe spannende Menschen. Aber nur kein Neid: Das Gleiche gilt fürs Lesen!
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