Fünf Tipps, um sich im Konflikt näherzukommen – Fair streiten
19-2-2024
Gehässige Bemerkungen oder demonstratives Schweigen: Zum Streit kommt es in Alltag, Beruf und in der Partnerschaft. Fair streiten lernen kannst du auch noch als Erwachsener.
Wer streitet, kommt sich näher. In der Hitze des Gefechts lässt sich der eine oder andere verbale Tiefschlag schwer vermeiden. Und darum stimmt auch: Wer streitet, ist verletzlich und manchmal unfair. Längst Vergangenes wird wieder auf den Tisch gelegt, die Vorwürfe fliegen nur so um die Ohren, vielleicht kochen alle negativen Gefühle auch explosionsartig hoch, weil man den Konflikt so lange vermieden hat. Im Streit fair zu bleiben, ist wohl die Königsdisziplin gelingender Beziehungen – in der Partnerschaft wie im Beruf.
«Ein Streit sollte helfen, etwas zu lernen.» Das sagt Konfliktmediatorin und -trainerin Irena Zweifel. Vor 24 Jahren hat sie das Projekt «Chili» ins Leben gerufen – ein Programm des Schweizer Roten Kreuzes zur Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung. Sie erklärt: «Nicht die Lösung sollte beim Streiten im Vordergrund stehen, sondern die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit dem Gegenüber.» Die Expertin erklärt, wie du im Streit fair bleiben kannst, warum die Pause so wichtig ist und wann man sich auch einmal anschreien darf.
Fairness im Streit: Braucht es immer die Ich-Botschaft?
Im Streit werden oft Dinge gesagt, die du später bereust. Das ist ganz normal: Du bist ein Mensch mit Ecken und Kanten und keine Maschine mit einprogrammierten Ich-Botschaften (dazu gleich mehr). Und gerade darum geht es beim Streiten ja auch: sich dem anderen zumuten und schonungslos für die eigenen Bedürfnisse laut werden. Gute Beziehungen halten das aus.
Gerade dort wird besonders viel gestritten, wie eine repräsentative Umfrage der Dating-App Parship und des Marktforschungsinstituts Innofact zeigt: Bei 63 Prozent der deutschen Paare fliegen mindestens einmal im Monat die Fetzen, bei 14 Prozent der Befragten sogar wöchentlich. Auch in der Schweiz geht es rund: Dort streiten Paare mit Kindern besonders häufig, wie aus dem Familienbericht 2021 des Bundesamts für Statistik hervorgeht.
Kein Wunder: Mit jedem geteilten Lebensbereich wächst die gemeinsame Reibungsfläche. Haushalt, Kindererziehung, gemeinsam angelegtes Geld – das sind laut Statista übrigens die top Streitthemen bei Schweizer Paaren.
Womit ich zur Ich-Botschaft komme: Formuliere dein Anliegen in Ich-Sätzen, statt dein Gegenüber mit Du-Vorwürfen zu überschütten. Das ist der Nummer-1-Tipp für den fairen Streit. Die Expertin allerdings grenzt den Einsatz wie folgt ein: «Die Ich-Botschaft macht Sinn – bei ganz wichtigen Themen, wo es um meine eigenen Bedürfnisse geht», sagt Zweifel. «Je wichtiger das Thema, desto besser muss ich es vorbereiten – mitunter auch mit Ich-Botschaften. Aber im Alltag, bei jeder kleinen Ungereimtheit, wirken sie schnell starr, steif und unauthentisch.» Wenn der Geschirrspüler wieder nicht ausgeräumt ist, kannst du die Dinge also benennen wie sie sind: saunervig – und nicht nur dein Bedürfnis, sondern Aufgabe, die es partnerschaftlich zu teilen gilt.
Warum du im Streit auch mal laut werden darfst
Und es gibt noch einen guten Grund, warum im Streit die Ich-Botschaft nicht bei jedem Konflikt zum Einsatz kommen muss – ebenso wenig wie all die anderen vernunftbasierten Anregungen: Sachlich bleiben, keine direkte Kritik, sanfte Stimmlage – damit soll das Gegenüber nicht vor den Kopf gestoßen werden. Fachfrau Zweifel zufolge geht es aber im Konflikt oft genau darum – um das Anstoßen:
«Das Sachliche kann hilfreich sein, wenn ich ein Problem lösen will. Wenn ich Punkte benennen und in Ruhe besprechen will. Möchte ich aber einen Konflikt in Schwung bringen, der im Hintergrund köchelt, hilft es, laut und direkt zu werden.» Das eigene Unbehagen klar und laut zu äußern, hat zudem eine starke Wirkung: «Es zeigt dem Gegenüber: Du überschreitest gerade meine Grenze. Damit ist noch kein Konflikt gelöst, aber es sorgt für Aufhorchen.»
Hinzu kommt: Es ist weder für dich noch für die Beziehung gesund, Frust andauernd zu unterdrücken. Ein Hochdruck-Kochtopf mit verschlossenem Deckel wird irgendwann explodieren. So wie der Topf an die Grenzen der Physik gerät, wirst du irgendwann die Grenzen deiner Belastbarkeit erreichen. Eine Studie der Universität Frankfurt am Main mit Call-Center-Mitarbeitenden zeigte: Der Blutdruck stieg erheblicher bei jenen Teilnehmenden, die am Telefon freundlich bleiben mussten, als bei jenen, die zurückpöbeln durften.
[Eine amerikanische Studie](https://www.cmu.edu/news/stories/archives/2014/may/may28_cohensneed.html zeigte wenige Jahre später, dass anstrengende zwischenmenschliche Beziehungen das Risiko für Herzinfarkte erhöhen. Und auch am Arbeitsplatz sind unterdrückte Gefühle gesundheitsschädlich. Das ergab eine Langzeitstudie der Universität Stockholm: Mitarbeitende, die sich unfair behandelt fühlten, ihren Missmut aber nicht äußern durften, erlitten häufiger Herzerkrankungen.
Auch wenn es sich nicht danach anfühlt: Manchmal ist das Konstruktivste, was du für dich und deine Beziehung tun kannst, alles rauszulassen und den anderen anzubrüllen.
Streiten am Arbeitsplatz und mit Kindern: Wie laut darf ich werden?
Zu Konfliktsituationen kann es in allen Lebensbereichen kommen. Am Familientisch wie am Arbeitsplatz. Leider eignet sich das Büro nicht gut für Wutausbrüche und Herumgebrülle. «Man muss zwischen privatem und beruflichem Rahmen unterscheiden», sagt Zweifel. «Auch am Arbeitsplatz darf ich Grenzen setzen, sollte aber insgesamt sachlicher bleiben.» Der Grund: Arbeitsbeziehungen sind meist weniger stabil. «Wenn es in einer Arbeitssituation kracht, kann das bleibende Schäden an der Arbeitsbeziehung anrichten. Private Beziehungen verkraften das besser.»
Freunde, Partnerinnen, Eltern oder Geschwister: All diese Beziehungen vertragen ehrliche Worte und aktiv ausgetragene Konflikte. Und wie sieht es im Streit mit Kindern aus? Ähnlich wie am Arbeitsplatz solltest du auch hier deinen Emotionen nicht komplett freien Lauf lassen, sondern Bedürfnisse ruhig kommunizieren.
Aber: Lernen sollten Kinder das Streiten sehr wohl, sagt die Expertin. Was aber häufig unterbunden werde in Familien, denn: «Wir nehmen Kindern viel zu schnell die Verantwortung für den Streit ab und liefern ihnen direkt die Lösung, wie sie den Streit untereinander möglichst rasch schlichten können.»
Dabei ist Streit gut fürs Kind: Es stärkt das kindliche Selbstbewusstsein und sein Empfinden von Selbstwirksamkeit – nämlich das Gefühl, einen Konflikt aus eigener Kraft lösen zu können. «Niemand freut sich, wenn Kinder streiten. Doch hier sollten Eltern und Erziehende umdenken: Wenn Kinder streiten, lernen sie fürs Leben.»
Fair streiten: So gelingt der Konflikt auf Augenhöhe
Wenn du dich jetzt fragst, wie man «richtig» streitet, vorab noch ein Gedanke von Fachfrau Zweifel: «Ein Konflikt ist ein Prozess, der Zeit braucht. Am Ende ist entweder eine Lösung da – oder das Verständnis, warum keine Lösung möglich ist.» Ein fairer Streit führt also nicht immer schnell zum Ziel. Fünf Tipps für den fairen Streit plus ein paar No-Gos.
1. Der innere Schiedsrichter
Wer im Streit fair bleiben will, sollte sich selbst beobachten. Irena Zweifel nennt das den inneren Schiedsrichter: «Im Streit immer wieder auf die innere Stimme hören. Auch, um die eigenen Grenzen zu schützen.» Stelle dir Fragen wie: Muss ich mich kurz zurückziehen? Brauche ich eine Pause? Ist meine Art zu streiten gerade okay oder überschreite ich die Grenze meines Gegenübers? «Für den fairen Streit braucht es die Selbstreflexion», sagt Zweifel. Sich kurz zurückzuziehen und über das eigene Verhalten im Streitgespräch nachdenken, könne dabei helfen, zu einem gemeinsamen Ziel zu kommen.
2. Der passende Rahmen für einen Streit
Klar, ein Streit lässt sich nicht immer vorbereiten. Oftmals überrollt er zwei Menschen sogar regelrecht. Für den fairen Streit ist es dennoch ratsam, sich ein wenig darauf einzustellen und zumindest ein passendes Setting zu finden. «Nicht in stressigen Momenten streiten», rät Zweifel. «Es ist besser, einen gemeinsamen Termin zu finden und lieber etwas länger darauf zu warten. Das gibt Zeit, um nachzudenken, abzukühlen und sich Gedanken über die Perspektive des anderen zu machen.»
Hat man mal einen gemeinsamen Termin gefunden, ist der Ort entscheidend. Eine ruhige Atmosphäre ohne Publikum eigne sich ideal, um sich einem Konflikt zu widmen: «Ich finde es immer toll, wenn Paare gemeinsam in den Wald spazierengehen] und dabei schwierige Themen besprechen», sagt die Konflikttrainerin. Für den fairen Streit sollte klar sein: In diesem Rahmen kann ich alles sagen und muss mich nicht zurückhalten, weil ich mich zum Beispiel gerade in der Öffentlichkeit befinde.
3. Konflikte lösen: Die richtige Strategie wählen
Im Streit verhält sich jeder anders. Und auch abhängig vom Streitthema und deiner Tagesverfassung wirst du zu unterschiedlichen Konfliktstilen greifen. Doch eines ist immer sinnvoll: Kläre vor dem Streitgespräch für dich, wie wichtig dir das Thema ist – und wie weit du von deiner Position abweichen kannst.
Expertin Zweifel nennt dazu die fünf Konfliktstile nach Thomas Kilmann. Für ihre Arbeit in Schulen hat sie diese Stile als Tiere veranschaulicht: «Ich habe im Streit immer mehr als nur eine Möglichkeit zu reagieren. Im besten Fall habe ich eine Strategie, die ich immer wieder reflektieren kann.»
Haifisch-Strategie (Durchsetzen): Das ist die passende Strategie für unverhandelbare Anliegen. Wenn dir ein Thema so wichtig ist, dass du kaum von deiner Position abrücken willst. Hier kämpfst du und setzt dich für deine Position ein – das braucht viel Energie.
Faultier-Strategie (Nachgeben): Das Gegenteil ist hier der Fall. Bei der Faultier-Strategie gibst du schnell nach, passt dich an und gehst mit vielen Kompromissen deinerseits aus dem Streit. Sie eignet sich für Anliegen, die dir weniger wichtig sind oder wenn dir die Energie zum Streiten fehlt.
Schildkröten-Strategie (Vermeiden): Hier weichst du oft aus, vermeidest den Konflikt oder benötigst öfter eine Pause. Zu dieser Strategie greift man, wenn man emotional sehr aufgeladen ist und gewissen Themen und Situationen lieber aus dem Weg geht.
Fuchs-Strategie (Verhandeln): Diese Strategie hat den Kompromiss zum Ziel. Es wird verhandelt und diskutiert, bis eine gemeinsame Lösung da ist. Zu ihr greifst du, wenn die Beziehung wichtig ist – sie braucht aber auch Zeit, Geduld und viel Kraft.
Eulen-Strategie (Zusammenarbeiten): Hier holst du dir Rat und Unterstützung von außen.
- Time-Out: Pausen einlegen für eine bessere Streitkultur
Auch beim Streiten lebst du in einer Leistungsgesellschaft: Schnellschüsse, explosionsartige Verläufe und der Anspruch, schnell zu einer Lösung zu kommen, um den Streit wieder ad acta zu legen, bestimmen die Streitkultur. Nur leider funktioniert das selten.
«Es ist ein großer Fehler, sich keine Zeit zu nehmen und schnelllebige Konflikte unter Erfolgsdruck zu führen», sagt Zweifel. Greife in Konfliktsituationen lieber häufiger zur Pause: Den Streit im richtigen Moment unterbrechen, reflektieren, runterkommen und vielleicht noch einmal die eigene Strategie überdenken. «Es gibt Momente, da ist man nur noch im Tunnel und kommt nicht mehr weiter. Ein Streit muss in vielen Gesprächen verlaufen. Jedes Mal kommt man dann gemeinsam einen Schritt weiter.»
5. Das eigene Frustrations-Management kennen
Streiten belastet und frustriert. Umso wichtiger ist es, Strategien zur Hand zu haben, mit der eigenen Frustration umzugehen und Anspannungsgefühle des Streitgesprächs abzuleiten. Das hilft dabei zu reflektieren und den Streit – vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt – fair fortzuführen. Entscheidend ist der eigene Umgang mit emotionaler Frustration: Was hilft dir dabei, wenn du nur noch wütend und frustriert bist, nur noch nachgibst und sich negative Gefühle anstauen? «Manche trinken einen Schluck Wasser, andere gehen an die frische Luft», sagt die Expertin und meint, entscheidend sei es, seinen Fokus abzulenken von den Emotionen. Das könne eben auch mit ganz kleinen Aktivitäten gelingen. Ein gutes Frustrations-Management ist gut für dich – und für deine Beziehung.
No-Gos im Streit
All diese Tipps helfen dabei, eine faire Streitkultur zu lernen und sich im Konflikt wieder näherzukommen. Beim Streiten werden häufig Grenzen überschritten und Gefühle verletzt – das lässt sich oft nicht vermeiden. Dennoch gibt es ein paar No-Gos:
- Das Gegenüber in seinem Kern verändern wollen.
- Sich zu wenig Zeit für den Konflikt nehmen.
- Nicht bereit für einen Perspektivenwechsel sein.
Und wenn es um den partnerschaftlichen Streit geht, solltest du die Erkenntnisse des US-amerikanischen Psychologen-Paares John Gottman und Julie Schwartz Gottman von der Universität Washington, kennen. Basierend auf Langzeitstudien, haben sie für Partnerschafts-Konflikte vier «apokalyptische Reiter» definiert:
- Kritik an der Person (die Persönlichkeit des Partners kritisieren statt eines konkreten Vorfalls)
- Verachtung (zynische Bemerkungen, Augenrollen oder respektloser Humor)
- Rechtfertigung (Anliegen werden dem Gegenüber unreflektiert zurückgespielt)
- die Mauer (Rückzug aus dem Konflikt).
Befinden sich zwei Menschen in dieser Konfliktspirale, gibt es den Gottmans zufolge kaum Möglichkeiten, sich einander wieder zuzuwenden. Also: Fair bleiben – und obige Tipps beherzigen.
Titelbild: shutterstock
Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse
Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.