

Fünf Monate auf Reisen mit einem Billig-Objektiv – die Bilanz
Das günstige Canon RF 24-105mm F4.0-7.1 habe ich als Verlegenheitslösung auf eine lange Reise mitgenommen. Dort mauserte es sich überraschend zu meinem Nummer-Eins-Objektiv. Seine Mängel stören in der Landschaftsfotografie kaum.
Das Canon RF 24-105 F4.0-7.1 ist ein preisgünstiges Allzweck-Objektiv. Die gleiche Brennweite bietet Canon auch mit durchgängiger Lichtstärke von f/4 an. Dieses Objektiv ist teurer und schwerer, aber in den meisten Fällen die bessere Wahl. Ich habe mich trotzdem für das günstigere Modell entschieden, weil ich damit Nahaufnahmen machen kann. Die Naheinstellgrenze liegt bei nur 20 Zentimetern. Das hilft mir, wenn ich für einen Produkttest ein Detail zeigen will oder wenn ein Produkt sehr klein ist. Zum Vergleich: Beim Objektiv mit f/4 ist die kürzeste Distanz 45 Zentimeter.
Für meine mehrmonatige Reise durch Neuseeland hätte ich wohl das teurere Objektiv ausgewählt. Aber da ich das billige schon hatte, nahm ich es mit. Ich erwartete nicht, dass ich es allzu oft brauchen würde.
Ich lag falsch.
Das Objektiv der Wahl für drei Viertel aller Fotos
Von den 2925 Fotos meiner Reise habe ich 2136 mit dem 24-105mm geschossen. Das sind fast drei Viertel aller Fotos. Am zweithäufigsten benutzte ich das 100-400mm, hauptsächlich für Tieraufnahmen. Das Weitwinkel mit 14 bis 35 Millimetern verwendete ich gerade mal für 211 Fotos – sogar mit dem iPhone habe ich mehr Fotos gemacht. Dabei ist dieses ein hochwertiges L-Objektiv und ich hatte es extra für die Landschaftsaufnahmen meiner Reise gekauft.
Für den Fall, dass ich eine grosse Blende benötige, nahm ich noch das 50mm F1.8 mit. Damit schoss ich gerade Mal fünf Fotos, vier davon Katzenporträts.
Doch warum habe ich die Billiglinse so oft verwendet? Der erste Grund ist banal: Die Brennweite 24 bis 105 Millimeter ist von meinen Objektiven am vielseitigsten. Einen Weitwinkel von weniger als 24 Millimeter brauche ich bei Landschaftsaufnahmen eher selten. Selbst wenn die Szenerie sich dafür eignet, erfordert extremer Weitwinkel eine sorgfältige Ausrichtung und Bildkomposition. Für spontanes Herumknipsen ist der mittlere Brennweitenbereich viel besser geeignet.
Ich war zu faul für ständige Objektivwechsel
Der zweite Grund hängt mit dem ersten zusammen: Ich hätte das 14-35mm für einzelne Fotos an die Kamera schrauben müssen. Die Objektivwechsel waren unterwegs mühsamer, als ich das im Voraus wahrhaben wollte. Ich war oft draussen in der Natur am Wandern, das Objektiv befand sich im Rucksack. Ein Objektivwechsel bedeutete:
- Rucksack abziehen und öffnen
- Objektiv herausnehmen (ev. auch andere Dinge, wenn es nicht direkt zugänglich ist)
- einen Ort finden, an dem ich das Objektiv deponieren kann
- Schutzkappe einhändig lösen (in der anderen halte ich die Kamera)
- Objektiv von der Kamera lösen
- einen Ort finden, an dem ich dieses Objektiv deponieren kann
- neues Objektiv an Kamera anschrauben
- Schutzkappe an das entfernte Objektiv anschrauben
- entferntes Objektiv verstauen
- Rucksack schliessen und anziehen
Ein ziemliches Prozedere. Ich tat es nur, wenn es einen sehr guten Grund dafür gab. Ansonsten liess ich das vielseitigste Objektiv drauf, und das war eben das 24-105mm.
Das ging so weit, dass ich manchmal sogar für kleine Vögel das 24-105mm benutzte, statt auf das 100-400mm zu wechseln. Dabei kam mir der Umstand entgegen, dass die Vögel auf Neuseeland weniger scheu sind als in Europa.

Die Schwächen des Objektivs stören mich kaum
Der dritte Grund ist der erstaunlichste: Ich merkte schnell, dass ich mit der Bildqualität zufrieden war. Von den 2136 Bildern gibt es nur ganz wenige, von denen ich denke: Hätte ich doch ein hochwertiges L-Objektiv benutzt, dann wäre dieses Bild besser geworden!
Ich fotografiere mit einer Canon EOS R5 – diese Kamera hat 45 Megapixel und stellt damit ziemlich hohe Anforderungen an die Schärfe eines Objektivs. Beim 24-105mm-Billigobjektiv wird der grösste Teil des Bildes auch mit dieser hohen Auflösung scharf. Verglichen mit den Zeiten der Spiegelreflex-Ära ist das erstaunlich. Aber die Zeiten haben sich geändert. Durch das kürzere Auflagemass einer Systemkamera im Vergleich zu einer Spiegelreflex ist es heute einfacher, gute Abbildungsqualität herzustellen. Hinzu kommen Fortschritte in der Materialtechnik.

Für diesen Artikel habe ich natürlich noch einmal ganz genau hingeschaut – und ja, ich gebe zu, dass die Aufnahmen noch einen Ticken schärfer sein könnten. Das obsessive Hereinzoomen in Fotos, um allfällige Mängel zu entdecken, auch «Pixel Peeping» genannt, nimmt allerdings schnell Formen einer sinnlosen Zwangsneurose an – vor allem, wenn du deine Fotos am Ende nur auf dem Smartphone zeigst.
Nur in den Bildecken – und auch da nur im Weitwinkel – zeigt das Objektiv eine gut sichtbare Unschärfe. Diese Schwäche ist für mich allerdings rein theoretischer Natur. Denn die Bildecken zeigen praktisch nie etwas, was scharf sein müsste. Bei Landschaftsaufnahmen sind die Ecken oft strukturlos, oben ist zum Beispiel blauer Himmel zu sehen. In den unteren Ecken ist teilweise Struktur vorhanden, aber diese wäre auch bei einem hochwertigen Objektiv unscharf – weil sie nicht im Fokus liegt.

So richtig schlechte Objektive, die auch in der Bildmitte unscharf sind, gibt es heute wohl keine mehr. Zumindest nicht von den renommierten Herstellern. Ein Schlüsselerlebnis für mich war, als ich Ende 2019 das Nikkor Z 16-50mm ausprobierte. Ich konnte es kaum fassen, dass dieses billige, 135 Gramm leichte Plastikding schärfer war als mein geliebtes, ganz und gar nicht billiges Spiegelreflex-Objektiv.
Noch theoretischer sind weitere Schwächen wie Vignettierung oder Verzeichnung. Das wird alles automatisch korrigiert – schon im Sucher der Kamera, später auch in Adobe Lightroom. Auch im RAW-Format. Schalte ich diese Korrekturen in Lightroom manuell aus, sehe ich schon einen Unterschied. Aber warum sollte ich das tun?
Aber … die Lichtstärke!
Auf dem Datenblatt sieht die Lichtstärke von f/4 bis f/7,1 abschreckend aus. Aber auch hier zeigt mir die Erfahrung etwas anderes – zumindest bei Landschaftsaufnahmen. Es ist fast immer hell genug, und für ein Foto im dunklen Wald hat das Objektiv einen leistungsfähigen Bildstabilisator. Die schwache Lichtstärke wäre allenfalls bei Porträtaufnahmen ein Problem. Auf meiner Reise habe ich jedoch keine Porträts gemacht – und selbst wenn, hätte ich noch das 50mm-Objektiv zur Hand gehabt.
Fazit: Der Preis ist nicht entscheidend
Ob ein Objektiv für dich brauchbar ist, hängt nicht von seinem Preis ab. Sondern davon, ob es auf deinen Verwendungszweck zugeschnitten ist. In meinem Fall waren zum Beispiel die Lichtstärke und die Randschärfe nicht wichtig. Dies sind jedoch zwei Dinge, die den Preis eines Objektivs stark nach oben treiben.
Darum mein Tipp: Versteif dich nicht auf Pixel Peeping, sondern finde heraus, welche Punkte dir bei einem Objektiv wirklich wichtig sind – und welche nicht. Um deine Anforderungen genau zu kennen, musst du vor allem viel fotografieren. Und nie vergessen: Sind die Ergebnisse völlig unbefriedigend, liegt es höchst selten an der Ausrüstung.


Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.