Es ist soweit: Jetzt trägt auch mein Bub eine Brille
Hintergrund

Es ist soweit: Jetzt trägt auch mein Bub eine Brille

Martin Rupf
30-10-2023

Zwar leidet unser Sohn nicht an der bereits unter Kindern weit verbreiteten Kurzsichtigkeit, trägt nun aber seit Kurzem ebenfalls eine Brille. Wieso ist er damit in bester Gesellschaft in seiner Alterskategorie? Augenoptiker Thomas Frei klärt auf.

Unser zehnjähriger Sohn liest relativ gern – noch lieber aber schaut er Filme auf dem Laptop oder spielt Games auf dem Tablet. Uns fiel bei all diesen Tätigkeiten schon seit Längerem auf, dass er das Buch, den Laptop oder eben das Tablet immer relativ nahe vor sein Gesicht hielt. Als er dann noch begann, sich hin und wieder über Kopfschmerzen zu beklagen, war für uns der Moment gekommen, einen Augenoptiker aufzusuchen.

Wie sich bei der Untersuchung herausstellte, leidet unser Sohn an einer für Kinder eher atypischen Fernsicht. Atypisch deshalb, weil die meisten Menschen mit einer Fehlsichtigkeit, Kinder inklusive, an Kurzsichtigkeit leiden. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO gehen davon aus, dass bis 2050 voraussichtlich fünf Milliarden Menschen von Kurzsichtigkeit betroffen sein werden – was dannzumal rund der Hälfte der Weltbevölkerung entspräche.

Brauchen alle Kinder mit Brillengestell auf dem Kopf wirklich eine Brille?

Kurz- oder Weitsichtigkeit: Ich habe den Eindruck, dass immer mehr Kinder heutzutage eine Brille tragen. Dabei habe ich mich auch schon beim Gedanken ertappt, dass ich mich frage, ob das – analog den Zahnspangen – wirklich bedeutet, dass die Augen der heutigen Kinder schlechter sind, oder ob einfach schneller und häufiger behandelt wird.

Um dies herauszufinden, unterhalte ich mich mit Thomas Frei (44). Der studierte Optometrist ist seit Anfang 2021 Inhaber der Augenoptik Kuhn AG in Baden. Dort absolvierte er vor über 25 Jahren bereits seine Augenoptiker-Lehre.

Sorgt für möglichst gute Aussichten: Thomas Frei.
Sorgt für möglichst gute Aussichten: Thomas Frei.
Quelle: Martin Rupf

Täuscht der Eindruck, oder tragen heute immer mehr Kinder und Jugendliche Brillen?
Thomas Frei: Nein, dieser Eindruck täuscht nicht. Ich würde schätzen, dass in der Schweiz rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen fehlsichtig sind.

Das ist ein überraschend hoher Wert.
Es kommt immer darauf an, mit was man vergleicht. In Asien sind heute schon über 80 Prozent aller Kinder und Jugendlichen fehlsichtig.

Fehlsichtig meint wohl in erster Linie Kurzsichtigkeit, wenn man den Prognosen der WHO glaubt, wonach in weniger als 30 Jahren rund die Hälfte der Weltbevölkerung an Kurzsichtigkeit leiden wird.
Richtig. Kurzsichtigkeit ist die dominierende Fehlsichtigkeit weltweit. Die Prognose der WHO zeigt, dass dereinst Milliarden Menschen davon betroffen sein werden.

Was sind denn die Gründe für diese stark zunehmende Kurzsichtigkeit?
Ein Teil der Kinder erbt die Kurzsichtigkeit quasi von den Eltern. Sind beide Elternteile kurzsichtig, liegt die Chance, dass es auch deren Kinder einmal werden, bei weit über 50 Prozent.

Das alleine dürfte die Zunahme aber noch nicht erklären?
Genau: Weitere Ursachen können der Mangel an Tageslicht und vor allem eine vermehrte Sehtätigkeit im Nahbereich sein, etwa beim Lesen oder Nutzen von digitalen Geräten. Leider lässt sich diese Entwicklung aufgrund der Digitalisierung sowie der gesteigerten Leistungsanforderungen in der Schule aber auch im Elternhaus und damit verbundener intensiver Naharbeit in Innenräumen kaum mehr aufhalten. Hier spricht man dann von erworbener Kurzsichtigkeit.

Mit anderen Worten: Aus Sicht eines Optometristen beurteilst du die Digitalisierung an den Schulen kritisch?
Ja. Wenn es die Kapazitäten erlaubten, würde ich gerne an Schulen gehen und sie im Umgang mit digitalen Lehrmitteln beraten. Unter anderem ist auch entscheidend, wie lange und in welcher Distanz zum Objekt man arbeitet. Gerade asiatische Länder beginnen nun, das Problem ernst zu nehmen und anzugehen. So werden immer mehr Schulhäuser aus Glas gebaut, damit mehr Tageslicht in die Schulräume dringt. Zum Beispiel in Taiwan haben Schulen deutlich längere Unterrichtspausen eingefügt, damit sich die Kinder länger draussen am Tageslicht aufhalten können.

Als Augenoptiker und Optometristen müsstest du dir eigentlich die Hände reiben, wenn immer mehr Menschen unter Kurzsichtigkeit leiden. Das ist doch gut fürs Geschäft?
Nein, das ist falsch oder zumindest zu kurz gedacht. Uns geht es in erster Linie darum, Menschen mit Fehlsichtigkeit zu unterstützen, beziehungsweise gerade bei Kindern und Jugendlichen dazu beizutragen, dass sich die Kurzsichtigkeit nicht weiter verstärkt. Denn eines darf man nicht vergessen: Eine Einschränkung des Sehvermögens kann auch mit Entwicklungsstörungen einhergehen oder im Alltag negative Folgen mit sich bringen. Wenn wir als Augenoptiker einen Beitrag zu einem leistungsfähigeren, respektive weniger anstrengenden Leben und einem entspannten Sehen beitragen können, dann ist das eine grosse Genugtuung. Und noch etwas ganz anderes ist entscheidend …

… nämlich?
Bei Menschen ab einer Stärke von minus 5 Dioptrien besteht eine grössere Anfälligkeit, im Alter an Augenkrankheiten wie zum Beispiel Grüner oder Grauer Star oder Netzhautablösung zu erkranken oder zu erblinden. Da ab 2050 viele Milliarden Menschen von Kurzsichtigkeit betroffen sein werden, weiss man heute bereits, dass diese Leute zu begleiten eine der grössten medizinischen Herausforderungen dieses Jahrhunderts werden wird. Es wird dann wahrscheinlich schlicht zu wenig Augenärztinnen und Augenkliniken geben, um all diese Menschen fachgerecht zu behandeln.

Gibt es eine Möglichkeit, die Entwicklung des Auges positiv zu beeinflussen?
Ja, indem man bei Kindern dafür sorgt, dass sie genügend Zeit draussen verbringen, nicht zu früh und zu lange an elektronischen Geräten sind und allgemein nicht zu viel Zeit mit Naharbeit verbringen. Ich habe selber drei Kinder, die genau aus diesem Grund erst ab zwölf Jahren ein Handy erhalten werden, um dieser Entwicklung vorzubeugen.

Zu viel Bildschirmzeit ist nicht gut für die Augen. Gerade bei Kindern fördert sie Kurzsichtigkeit.
Zu viel Bildschirmzeit ist nicht gut für die Augen. Gerade bei Kindern fördert sie Kurzsichtigkeit.
Quelle: Shutterstock

Welche Symptome oder Verhaltensweisen können bei Kindern auf Probleme mit den Augen hinweisen?
Da gibt es verschiedene. Wenn Bücher oder Tablets konstant sehr nahe gehalten werden. Auch ständiges Reiben der Augen, Lichtempfindlichkeit, häufige Kopfschmerzen oder Schwierigkeiten, sich beim Lesen zu konzentrieren, können ein Hinweis sein.

Als ich das Geschäft betreten habe, ist mir die Werbung für eine spezielle Kinderbrille aufgefallen. Was hat es mit dieser auf sich?
Das sind Brillen mit der relativ neuartigen, patentierten «Miyosmart»-Technologie. Diese ermöglicht es erstmals, mit einem Brillenglas die Entwicklung von Kurzsichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen positiv zu beeinflussen oder gar aufzuhalten. Wir waren eines der ersten Optikergeschäfte in der Schweiz, das solche Brillengläser angeboten hat.

Wie funktioniert diese Technologie?
Durch die Anordnung von 396 praktisch unsichtbaren, wabenförmig in der Peripherie des Brillenglases angeordneten Mikrolinsen entsteht im Auge eine optimierte Abbildung, und das bei perfekter Fernsicht. Dies kann das Längenwachstum des Auges, das die Hauptursache für Kurzsichtigkeit ist, nachhaltig beeinflussen und aufhalten.

Gibt es dazu konkrete und vor allem fundierte Zahlen?
Ja, die Zunahme der Kurzsichtigkeit in der Entwicklung des kindlichen Auges kann mit einer solchen Brille um durchschnittlich 60 Prozent reduziert werden. Das zeigen detaillierte Studien und unsere tägliche Arbeit mit Kindern.

Das wird aber auch seinen Preis haben. Wie viel kostet eine solche Brille im Durchschnitt mehr als eine herkömmliche Einstärkenbrille?
Bei den Miyosmart-Gläsern handelt es sich um individualisierte Gläser, die spezifisch für jedes Kind oder Jugendlichen angefertigt werden. Sie sind rund zwei- bis dreimal teurer als Standardgläser.

Nun gibt es Kinder, die partout keine Brille tragen wollen. Da bist du wohl auch als Kinderpsychologe gefragt?
Absolut. Entscheidend ist zudem, wie die Eltern sich verhalten. Wenn sie einer Brille gegenüber abweisend sind und die Brille als etwas Negatives darstellen, dann wird auch das Kind wenig Gefallen daran finden. Wenn es uns aber gelingt, dem Kind zu zeigen, dass Brillen und das Tragen davon etwas Cooles ist, dann wird es Freude an der Brille haben.

Kommt wohl hinzu, dass die Kinderbrillen von heute nicht mehr mit den Drahtgestellen aus den 80er- und 90er-Jahren zu vergleichen sind.
Das ist so. In Sachen Optik und Design haben gerade Kinderbrillen eine riesige Entwicklung hingelegt in den letzten Jahrzehnten. Wir zum Beispiel verkaufen schöne Modelle, made in Switzerland, die aus dem 3D-Drucker kommen und in allen möglichen Farben erhältlich sind.

Vorbei die Zeiten, als Kinder mit unmodischen Drahtgestellen auf dem Gesicht herumlaufen mussten.
Vorbei die Zeiten, als Kinder mit unmodischen Drahtgestellen auf dem Gesicht herumlaufen mussten.
Quelle: Martin Rupf

Wenn ein Kind partout keine Brille tragen will, könnte auch eine Kontaktlinse eine Möglichkeit sein?
Ja. Doch wegen der hohen Anforderungen an die Hygiene empfehlen wir Linsen in der Regel erst ab einem Alter von 16 Jahren. Wenn ein Kind aber gut begleitet und betreut wird, kann es auch schon früher Linsen tragen.

Wie sieht es mit einer Laseroperation bei Kindern aus?
Von Laseroperation bei Kindern raten wir ab, weil das Auge dann noch im Wachstum ist. Es macht wenig Sinn, ein Auge zu lasern, das danach weiterwächst und die volle Korrektur noch nicht erreicht hat. Weil ein Auge zwischen dem 30. und 40. Altersjahr am ruhigsten ist, empfiehlt sich eine Laseroperation mit Vorbehalt am ehesten dann.

War ja klar: Unser Sohn entscheidet sich für das teuerste Modell

Zurück zu meinem Sohn: Nachdem klar war, dass unserem Sohn eine Brille helfen könnte, ging es darum, ein passendes Modell zu finden. Genau: helfen könnte. Denn seine Korrektur ist noch nicht so gross, dass er zwingend eine Brille braucht. Gleichwohl entschieden wir uns, ihm eine Brille zu geben, die ihn beim Lesen unterstützt.

Nachdem wir ein paar Geschäfte abgeklappert hatten, entschied er sich – oh Wunder – für das teuerste Modell. Zähneknirschend und im Wissen, dass die Krankenkasse etwas an die Gläser (leider nicht an das Gestell) zahlt, kauften wir schliesslich sein bevorzugtes Modell – was macht man nicht alles für seine Kinder. Zu unserer grossen Freude trägt er die Brille aber oft und gerne und ist sogar ein bisschen stolz darauf. Also doch alles richtig gemacht.

Titelfoto: Martin Rupf

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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