Deshalb bringen mich Jahrmärkte an meine Grenzen
Es war wieder Jahrmarkt bei uns in der Stadt. Und ich war dumm genug, dies meinen Kindern zu sagen. Nein, schlimmer noch: ich habe ihnen einen gemeinsamen Besuch vorgeschlagen. Für sie war es ein Genuss, für mich eher weniger.
Zweimal im Jahr findet bei uns in Baden ein Jahrmarkt statt. Grosse Plakate kündigen das freudige Ereignis schon Tage im Voraus an. Doch freudig ist relativ. Für die Kinder ja, für mich als Vater eher nein. Doch gerade weil ich um die Freude der Kinder weiss, wenn sie die Luft voller Duft nach Magenbrot und Marroni einatmen und durch die Stände stöbern, habe ich mir auch dieses Jahr wieder einen Ruck gegeben.
Und so begeben wir uns kurz nach 15 Uhr nach Baden, um uns in die Menge zu stürzen. Ja Menge. Denn das trockene, ziemlich milde Wetter ist zwar gut für die Marktbetreiber. Ich aber muss mich nun für die nächsten zwei Stunden durch all das Menschenvolk drängeln. Sagte ich schon, dass ich Jahrmärkte nicht mag?
Bevor ich dich auf den Rundgang mitnehme, musst du wissen, weshalb ich Jahrmärkte eigentlich meide, wie der Teufel das Weihwasser. Erstens würde ich mich als Rappenspalter bezeichnen. Nicht, dass ich nicht gerne (viel) Geld für coole Dinge ausgebe. Doch ich überlege mir immer ziemlich genau, ob sich die Investition lohnt oder nicht. Zweitens bin ich ein ungeduldiger Mensch, der alles in möglichst kurzer Zeit erledigen will. Du ahnst bereits, dass ein Jahrmarkt-Rundgang mit Kindern da eher wenig kompatibel ist. .
Wenn das Budget bereits am ersten Stand zu sprengen droht
Tochter und Sohn bekommen beide 20 Franken «Jahrmarkt-Batzen» – und hinein ins Getümmel. Natürlich entdecken meine Kinder schon am ersten Stand zwei lässige Wollmützen, an denen sich die Ohren mittels Luftpumpe anheben lassen. «Papi, die wollen wir kaufen!» Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, meine Kinder aus sicherer Distanz zu begleiten und ihnen grösstmögliche Autonomie, auch finanzieller Art, zu gewähren. Und schon ertappe ich mich dabei, wie ich eingreifen muss. «Kinder, ihr könnt Euch die Mütze schon kaufen, aber die kostet 20 Franken und dann ist Euer Budget schon aufgebracht.» Zum Glück sind die Kinder empfänglich für meine Argumente.
In die Karten spielt mir dabei der Umstand, dass wir den ganzen Jahrmarkt zweimal – also von einem Ende und wieder zurück – durchzustöbern gedenken. «Kinder, ihr müsst es nicht gleich kaufen, wir können dann immer noch auf dem Rückweg zuschlagen, wenn ihr nichts Besseres gefunden habt.»
Also setzen wir unseren Rundgang vorerst ohne Einkäufe fort. Bis mein Sohn aber schon beim zweiten Stand eine – aus meiner Sicht – überteuerte Pokemon-Karte für 2 Franken kauft. Ich denke noch, eventuell lasse sich mit dem Händler feilschen. Doch leider Fehlanzeige. Nicht mal die herzigen Augen meiner Kinder stimmen ihn milde. Apropos Überteuerung. Wenn du an einen Jahrmarkt gehst, nimm unbedingt ein dickes Portemonnaie mit. Ich habe immer das Gefühl, alles sei an einem Jahrmarkt besonders teuer – klassische Abzocke halt. Weil die Marktführer wissen, dass entweder die Eltern die Wünsche der Kinder nicht ausschlagen können oder aber die Kinder schlicht keine Ahnung davon haben, ob die Preise für dies oder jenes gerechtfertigt sind.
Preisabsprachen auf einem Jahrmarkt? Wo bleibt die Kartellbehörde!?
Zu einem Jahrmarkt gehört natürlich auch, sich zu verpflegen. Verpflegen, nicht im Sinne, dass man sich gesund ernähren würde. Nein, Verpflegung im Sinne von möglichst viel, nicht aufeinander abgestimmter Genuss, typischerweise in Form ungesunder Snacks. Hier noch schnell eine Packung Magenbrot, da eine Zuckerwatte, ein paar Marroni dürfen nicht fehlen, und zum Abschluss eine Packung Churros. Und schwupps sind 25 Franken weg – die natürlich der Papi bezahlt.
Meine Tochter hat derweil einen (schönen) Traumfänger für 15 Franken ins Auge gefasst. Ich bin erleichtert. Denn das wäre auch aus meiner Sicht eine sinnvolle Investition. Weil der Vater aber denkt, dass es den gleichen Traumfänger anderswo noch billiger geben müsste, warten wir mit dem Kauf noch zu. Doch ich muss schnell erkennen. Hier existiert offensichtlich ein Jahrmarkt-Kartell. Egal an welchem Stand, identische Dinge haben in der Regel denselben Preis.
Aber eben nicht immer. Mein Sohn will sich gerade eine Packung Knallfrösche für 3 Franken kaufen, als ein Teenager uns zuraunt: «Einen Stand weiter vorne gibt’s die Packung für 1,50 Franken.» Tatsächlich hat er recht, und wir freuen uns, ein regelrechtes Schnäppchen gemacht zu haben.
Von einem Schnäppchen kann eine halbe Stunde später leider nicht die Rede sein. Mein Sohn hat sich entschieden, einen Gummi-Pokemon-Anhänger für 8 (!) Franken zu kaufen. Ich gebe meinen Widerstand auf und rufe mir in Erinnerung, dass ich meine Kinder «machen lassen» wollte. Aber es kostet mich sehr viel Überwindung, mit anzusehen, wie die hart verdienten 8 Franken Sackgeld für diesen Anhänger drauf gehen.
Gleichzeitig fühle ich mich schlecht dabei, so zu denken und frage mich, ob ich damit wohl allein bin. Doch die folgende, knapp einstündige Feldstudie beruhigt mich. Immer wieder sehe ich andere Eltern mit leicht gequältem, ja gehetztem Gesichtsausdruck und höre die genau gleichen Sätze, die ich seit 15 Uhr mantramässig wiederholt habe: «Schatz, bist Du sicher, dass Du das gebrauchen kannst», «Kannst Du schon kaufen, dann ist das Sackgeld aber alle» oder «Jetzt hast Du so lange gespart und willst das wirklich dafür ausgeben».
Es gibt tatsächlich Kinder (nicht meine), die nichts kaufen wollen
Dann gibt es aber auch Eltern, die ganz entspannt durch die Stände flanieren. Die beiden Mädchen einer Bekannten begnügen sich offenbar damit, einfach ein bisschen zu «schneuggen», ohne aber wirklich etwas kaufen zu wollen. Davon kann ich nur träumen. Im Gegenteil: ich merke, dass meine Tochter, die nebst des nun gekauften Traumfängers auch noch ein Armbändchen ihr eigen nennt, noch «etwas» kaufen muss.
Bald ist auch klar, weshalb. Ihr Bruder hat drei Dinge gekauft, da will sie ihm natürlich in nichts nachstehen. Sie entscheidet sich schliesslich für ein durchaus herziges Knautsch-Plüschtierchen. Gut, die 20 Franken hätten für all ihre Einkäufe nicht gereicht. Doch zum Glück hatte sie noch ihr erspartes Sackgeld dabei.
Glücklich (die Kinder) und erschöpft (ich) treten wir den Heimweg an. Die Mutter hat von unserem Jahrmarkt-Besuch gleich doppelt profitiert. Sie kam in den Genuss eines halben freien Nachmittags und sie wird zudem von der Tochter mit einem «Mami»-Lebkuchen und von mir mit einem handgefertigten (hat der Verkäufer gesagt) beschenkt.
Ich selber bin nicht beschenkt, aber bedient. Zum Glück ist der nächste Jahrmarkt erst in einem halben Jahr. Und das Beste: meine Kinder wissen das gar (noch) nicht. Gut möglich, dass mir der nächste Jahrmarkt aus Versehen durch die Lappen geht.
Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.