News & Trends
Auf diesen Velohelm warte ich gerne
von Michael Restin
An den Lumos Ultra habe ich hohe Erwartungen. Es zeigt sich: Ein Blender ist der schicke Helm mit integriertem Licht und Blinkern nicht, auch wenn hier und da gespart wird. Mit noch etwas mehr Liebe zum Detail wäre er der perfekte Begleiter im Stadtverkehr.
Vor gut einem Jahr habe ich mich in den Lumos Ultra verguckt. Damals war er nur ein Versprechen, die Kickstarter-Kampagne zur Finanzierung lief. Da für mich der Test des ersten Modells der Marke ein Aha-Erlebnis war, hatte ich sie schon länger auf dem Radar. Die Sichtbarkeit und Funktionalität der Helme fand ich super, Optik und Preis dagegen verbesserungswürdig. Die Entwürfe des Herstellers waren mir etwas zu grell. Zu viel Las Vegas am Kopf. Das änderte sich mit dem Lumos Ultra. Er gefiel mir auf Anhieb. Ich schlug zu und wurde einer von 24 943 Unterstützern der Crowdfunding-Kampagne. Dann begann das Warten. Ein gutes Pandemiejahr später habe ich ihn endlich bekommen und ausführlich unter die Lupe genommen. Hat sich die Anschaffung gelohnt oder habe ich mich von einer gut gemachten Kampagne blenden lassen?
Kurzfazit für alle, die es eilig haben und direkt zum Helm springen wollen:
Wenn dich die Einzelheiten interessieren, geht es jetzt richtig los. Beginnend mit einem kurzen Blick auf Lumos' Geschichte, die ungewöhnlich ist und zu meiner hohen Erwartungshaltung an den Helm beiträgt.
Lumos baut Velohelme mit integriertem Licht. Das klingt nicht weiter spektakulär. Doch das in Boston entstandene Unternehmen mit dem erhellenden Namen geht von Anfang an weiter als die meisten anderen. Die Co-Gründer Eu-wen Ding und Jeff Chen studieren in Harvard, fahren Velo und denken radikaler darüber nach, was auf Kopfhöhe zur Sicherheit beitragen kann. Deshalb integrieren sie Blinker, Front-, Rück- und Bremslicht in ihre Helme. Anfangs halten die Macher ihre Idee für ein Nischenprodukt und werden vom eigenen Erfolg auf Crowdfunding-Plattformen überrascht. Sie haben offenbar einen Nerv getroffen. Der Lumos Kickstart landet unter «Oprah's Favorite Things» und auf der «TIME’s list of best inventions» 2018. Inzwischen sitzt das Unternehmen in Kuala Lumpur, hat mit Endeavor Malaysia ein starkes Netzwerk im Rücken und verkauft seine Helme sogar in Apple Stores. Es läuft also nicht schlecht. Der Ultra soll die Erfolgsgeschichte fortsetzen.
Neben dem Helm, der sicherheitstechnisch der europäischen Norm EN1078 entspricht, bekommst du ein USB-C Ladekabel und eine kleine runde Remote für den Blinker. Diese kannst du mit einem Gummiring am Lenker befestigen. Es gibt den Ultra mit oder ohne MIPS – ein inzwischen weit verbreitetes System, das durch eine beweglich aufgehängte Innenschale die bei einem Sturz auftretenden Rotationskräfte mindern soll. Das erhöht die Sicherheit und den Preis. Es ist sinnvoll, sagt zum Beispiel die BFU. Deshalb hat es meiner drin, der in Grösse M 409 Gramm (ohne MIPS wären es 370 Gramm) wiegt und im ersten Moment gut ausbalanciert wirkt. Der fix verbaute Akku (1100 mAh) soll bis zu zehn Stunden halten und fällt nicht negativ ins Gewicht.
Klar, dass der Punkt «Licht» bei Lumos besonders interessant ist. Wichtig: Das Licht am Helm ersetzt nicht die vorgeschriebene Beleuchtung am Bike, es ergänzt sie lediglich. Im Vergleich zu seinen Vorgängern nimmt sich der Ultra etwas zurück, was die beleuchtete Fläche angeht. Das tut meiner Meinung nach dem Look extrem gut. Die leicht nach unten geneigten Rückleuchten des Ultra fungieren gleichzeitig als Blinker, der dann gelb statt rot aufleuchtet.
Das weisse Frontlicht ist in der Mitte eingelassen und fällt ausgeschaltet kaum auf. Insgesamt wirkt der Helm wie aus einem Guss. Um die Lichter zeitgemäss zu verpacken, wurden die Halbleiter-LED-Chips direkt auf eine Platine geklebt und mit Mikrodrähten verschweisst. «Nacktchipmontage» nennt sich das Verfahren. Dadurch sind, zumindest beim Frontlicht, keine einzelnen Punkte mehr zu erkennen. Die 30 weissen LEDs erstrahlen gleichmässig.
Mit bis zu 284 Lumen gibt der Ultra deutlich weniger Licht ab als zum Beispiel die Modelle Kickstart (500 Lumen) oder Matrix (1000 Lumen). Er kann nur hinten blinken und das Frontlicht zieht sich nicht bis über die Schläfen, sondern konzentriert sich auf die Mitte. Trotzdem ist er meiner Meinung nach hell genug, um gesehen zu werden, ohne andere zu blenden. Der Akku hält – je nach Einstellung – vier bis zehn Stunden durch. Zum Aufladen gibt es keinen speziellen Magnetstecker mehr wie bei früheren Modellen, er ist dem USB-C Standard gewichen. Ein Kabel, das du zur Not überall auftreiben kannst.
Mit dem Helm bekommst du die «Remote Lite». Eine kleine runde Fernbedienung, die eine (mitgelieferte) CR2032-Batterie benötigt und funktioniert, sobald diese eingesetzt ist. Sie steuert den Blinker. Mir gefällt ihr Formfaktor, denn sie ist schmal genug, dass ich mit der Hand am Lenker per Daumen beide Knöpfe erreichen kann. Mit dem Lite-Modell muss ich allerdings auf ein Bremslicht am Helm verzichten. Dieses funktioniert nur mit der separat erhältlichen Lumos Remote, die über einen Beschleunigungssensor verfügt. Bremst du, lässt sie die Rücklichter warnend aufblinken. Das ist mir den Aufpreis nicht wert.
Dabei hätte es die Möglichkeit gegeben, die Funktion auf andere Weise verfügbar zu machen: Bei meinem ersten Lumos-Test war sie noch in der Beta-Phase und lief über die App. Die Möglichkeit, auf die Sensoren deines Smartphones zurückzugreifen, gibt es nicht mehr. Dafür lässt sich der Blinker übers Handy steuern. Ob das sinnvoll ist, sei dahingestellt.
Wenn du eine Apple Watch hast, kannst du ebenfalls auf die Remote Lite verzichten und das Richtungssignal am Helm per Handzeichen aktivieren. Das kann ich mangels Apple Watch nicht ausprobieren, aber diese Idee leuchtet zumindest ein. Handzeichen geben musst du sowieso. Und – Community-Power – es funktioniert anscheinend gut. Zumindest lobt User Severin.Meister die «geniale Apple Watch Integration».
Kurz und knapp: Sie ist aufs Wesentliche reduziert und das ist gut so. Hast du deinen Helm gekoppelt, demonstriert sie dir zunächst die drei voreingestellten Lichtmodi. Starkes Blinken, reduziertes Blinken, Dauerlicht. Anschliessend kannst du sie nach deinen Wünschen anpassen. Die Helligkeit reduzieren oder erhöhen, den Rhythmus verändern, den Signalton beim Blinken deaktivieren oder ändern. Nebenbei kannst du den Akkustand abfragen und dich warnen lassen, wenn die Energie zur Neige geht. Neben den Lichtsettings bietet die App auch noch eine Trackingfunktion und du kannst deine Daten direkt mit Strava, Google Fit oder Apple Health synchronisieren.
Da die Lichtmodi grossen Einfluss auf den Energieverbrauch haben, sind zehn Stunden Leuchtdauer nur ein grober Richtwert. Wenn du den «Boost Mode» freischaltest, der die Helligkeit in Extremsituationen aufs Maximum schraubt, sinkt sie aufs Minimum. Dafür – und nur dafür! – gibt's den Code auf der geheimnisvollen «One more thing...»-Karte. Der Lumos wäre eben schaurig gerne ein iPhone, aber der Wow-Effekt hält sich in diesem Punkt in Grenzen.
Vor lauter Licht und App soll nicht vergessen gehen, dass der Lumos Ultra in erster Linie immer noch ein Velohelm ist. Er erfüllt natürlich die europäische Norm EN1078 und hat am Hinterkopf das gängige Drehsystem, um ihn an den Kopfumfang anzupassen. In Kombination mit der per Klett befestigten Polsterung sitzt er bei mir bequem und sicher.
Die schöne Optik mit den drei getrennten Hartplastik-Elementen erkauft er sich durch relativ viel freiliegendes EPS. Also Expandiertes Polystyrol oder ganz einfach Styropor – der übliche Innenteil des Helms, der beim Aufprall für die Dämpfung zuständig ist, während die «harte Schale» die Energie verteilt und vor Durchschlägen schützt. Ins weichere EPS haust du schnell mal eine kleine Kerbe, wenn du den Helm nicht vorsichtig genug behandelst. Was du natürlich stets tun solltest.
Mit neun Lufteinlässen ist der Ultra gut belüftet. Vor eindringender Nässe ist die Elektronik nach IPX6 geschützt. Du wirst allerdings nass und eine Regen-Helmhaube wäre am Lumos nicht nur ein optisches Verbrechen, sie würde auch die Lichter verdecken.
Meinem Kickstarter-Exemplar liegt als Trost für die verzögerte Kampagne ein optionales Polster mit Insektenschutz bei. Standard ist das nicht, die Einflugschneise für Wespen und Bienen ist serienmässig offen. Auch das Kurzvisier über den Augen ist nicht kostenfrei dabei.
Manchmal habe ich das Gefühl, die Hersteller denken ihre Modelle nur bis zur Helmkante und schenken dem Kinnriemen zu wenig Beachtung. Ob er sich einfach einstellen und sicher fixieren lässt, scheint zweitrangig zu sein. Beim Lumos Ultra ist er unter den Ohren und am Kinn durch Verschieben zwar unkompliziert anzupassen. Aber er verstellt sich auch sehr schnell. Hänge ich ihn mir kurz in die Armbeuge oder an meine Tasche, muss ich schon wieder nachjustieren.
Der Ultra hat einen Standard-Verschluss, kein Kinnpolster und versucht erst gar nicht, die Riemen dauerhaft zu fixieren. Dafür sind sie, wie üblich, gefühlt einen halben Meter zu lang und schlicht schwarz. Wie wäre es mit einer reflektierenden Beschichtung? Das kostet nicht viel, erhöht die seitliche Sichtbarkeit und hat mir zum Beispiel beim Bell Annex Shield gefallen. Da der Lumos Ultra seitlich nicht so grosszügig beleuchtet ist wie seine Schwestermodelle, würde ihn so ein Detail gut ergänzen und zum Anspruch der Marke passen.
Ich habe lange gewartet und bereue nichts. Der Lumos Ultra ist meiner Meinung nach ein gelungener Helm, dessen Lichter und Blinker clever integriert sind. Er ist so schön, dass ich ihn gerne trage. Und so gut sichtbar, dass ich von seinem Mehrwert überzeugt bin. Die Bedienung ist unkompliziert und funktioniert ohne mühsames Koppeln oder Verbindungsprobleme. Mit der runden Remote bin ich ebenfalls zufrieden und der USB-C-Standard macht das Laden einfach.
Verbesserungspotenzial sehe ich vor allem in Details. Und vor dem Kauf lohnt sich in jedem Fall ein Vergleich: Andere Lumos-Modelle haben auf dem Papier mehr zu bieten. Sie sind heller, können beim Abbiegen vorne wie hinten blinken und für ein funktionierendes Bremslicht ist auch alles dabei. Aber dem Ultra gelingt das Kunststück, gleichzeitig dezent und präsent zu sein. Das macht ihn zu meinem Favoriten.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.