Chiropraktor über Schmerzen beim Schlafen: «Für die Wirbelsäule ist es am besten, auf dem Rücken zu schlafen»
Sein Job gleicht manchmal einem Puzzle. Chiropraktor Patric Beereuter erzählt im Interview, wie er Patientinnen und Patienten behandelt, die über Schmerzen klagen, die sie sogar bis in den Schlaf verfolgen.
Für viele Menschen ist der Gang zur Chiropraktik-Praxis die letzte Hoffnung. Wer schlecht schläft, mit Verspannungen aufwacht oder sogar vor Schmerzen nicht durchschläft, sucht Rat bei Fachleuten, die sich mit dem Bewegungsapparat des Menschen auskennen. In seiner Praxis in Obfelden habe ich mich mit Patric Beereuter unterhalten. Nicht als Patient, sondern als neugieriger Fragesteller.
Patric, wenn Menschen mit Schmerzen zu dir kommen – warum willst du wissen, in welcher Position sie schlafen?
Patric Beereuter: Ich frage fast alle Patienten nach ihrem Schlaf. Vor allem dann, wenn sie erzählen, sie hätten am Morgen nach dem Aufwachen Schmerzen. Und erst recht, wenn sie in der Nacht wegen Schmerzen aufwachen. Mich interessiert ihre Schlafposition. Vor allem Menschen, die auf dem Bauch schlafen, haben häufig Nackenschmerzen, weil sie ja den Kopf seitlich wegdrehen müssen. Dazu kommen dann oft noch Beschwerden im Becken- und Hüftbereich, vor allem wenn sie noch ein Bein anziehen im Schlaf.
Viele haben Probleme, obwohl sie Hunderte Franken für Matratzen und Lattenroste ausgeben. In Japan schlafen Menschen auf dünnen Tatami-Matten. Wie geht das denn?
Der grosse Unterschied ist wohl, dass man darauf viel auf dem Rücken liegt. Auf härteren Matratzen ist die Rückenlage für die Wirbelsäule oft am besten, weil sie nicht so stark einknicken kann wie in der Seitenlage. Auf einer Tatami-Matte ist die Versuchung recht gering, in die Seitenlage zu wechseln. Das tut dann schnell weh.
Wenn ich auf dem Rücken liege, brauche ich deutlich länger, um einzuschlafen. Ist das eine Frage der Übung?
Viele bevorzugen die «Child’s Pose», also das Liegen auf der Seite. Dafür darf die Matratze aber nicht zu hart sein, damit die Schulter und das Becken einsinken können und es nicht zu viele Druckstellen gibt. Wer auf dem Rücken schläft, ist häufig mit einer etwas härteren Matratze gut unterwegs.
Meine Redaktionskollegin Pia Seidel hat ein bei uns im Shop ein sehr populäres Kniekissen ausprobiert. Ist das aus Deiner Chiropraktor-Perspektive eine gute Idee?
Das kann absolut sinnvoll sein. Da verdreht sich das Becken deutlich weniger, da die Beine aufeinander liegen bleiben.
Kopfkissen sind eine noch grössere Wissenschaft. Wer auf dem Rücken schläft, braucht ein flacheres, als derjenige, der auf der Seite schläft. Und welches nehme ich, wenn ich mal so und mal so liege?
Das ist eines der grossen Probleme. Es bräuchte eines, das die Höhe je nach Schlafposition verändert. Weil es das aber nicht gibt, empfehle ich ein Kissen, dessen Höhe sich für die hauptsächliche Schlafposition eignet. Wer zum Beispiel auf der Seite einschläft, dann aber eher auf dem Rücken liegt, sollte ein etwas flacheres Kissen wählen als ein reiner Seitenschläfer. Es gibt auch Kissen, die sich «Allround» nennen, aber die eierlegende Wollmilchsau im Kissenbereich habe ich zumindest noch nicht gesehen. Ich habe viele Patientinnen und Patienten, die schon zehn Kissen daheim haben, weil sie viele ausprobiert haben und mit keinem wirklich glücklich wurden.
Welche Rolle spielt die Matratze eigentlich?
Sie ist ein Puzzleteil, wenn Patientinnen und Patienten zu mir in die Praxis kommen. Sicher nicht Thema Nummer eins. Mein Hauptziel ist es, Beschwerden des Bewegungsapparates zu diagnostizieren und zu behandeln. Zum Beispiel Verspannungen und Blockaden lösen, Fehlhaltung feststellen und verbessern. Aber bei wiederkehrenden Problemen thematisieren wir Schlafposition und Ergonomie am Arbeitsplatz. Dann höre ich oft, dass jemand vielleicht eine zehn Jahre alte und entsprechend durchgelegene Matratze hätte, die dann doch einmal ersetzt werden sollte. Wichtig ist mir, dass man sich von Fachhändlern gut beraten lässt und nicht nur auf den besten Rabatt schaut.
Sind wir heute wehleidiger als unsere Vorfahren? Ich habe von meinen Grosseltern nie Klagen gehört, dass sie nach dem Schlafen verspannt oder gar mit Schmerzen aufgewacht wären.
Vielleicht mache ich jetzt eine etwas heikle Aussage: Ja, es ist schon ein wenig ein Luxusproblem. Vermutlich hatten früher viel mehr Leute Probleme. Es ist viel häufiger körperlich gearbeitet, aber eben nicht gejammert worden. Zum Arzt gingen viele nur, wenn gar nichts mehr ging, zum Beispiel sogar vor lauter Schmerzen irgendwann das Atmen schwerfiel oder man kaum mehr gehen konnte. Viele haben sich die Zeit nicht genommen, zum Arzt zu gehen. Man musste eine Firma aufbauen, die Familie versorgen, auf dem Hof arbeiten. Man durfte sowieso nicht jammern und hat halt auf die Zähne gebissen.
Heute sind wir weiter?
Ja, man merkt einfach, dass es einem besser geht, wenn man ein Problem früh genug angeht. Deshalb nutzt man das medizinische Angebot, das heute natürlich auch grösser und besser ist.
Also ist es nicht nur Wehleidigkeit?
Nicht nur, wir leben heute zum Glück auch gesundheitlich bewusster. Und es sind neue Probleme aufgetaucht durch mehr Arbeit am Computer. Während der Corona-Pandemie hatten wir deutlich mehr Patienten mit Kopf- und Nackenschmerzen. Einfach, weil die Menschen von einem gut eingerichteten Arbeitsplatz mit Stehpult und ordentlichen Bürostühlen zum Laptop daheim an den Esstisch gewechselt sind.
Würden uns ein paar mehr Muskeln guttun, wie sie unsere Eltern und Grosseltern wohl noch hatten?
Sicher waren die Leute im Schnitt früher muskulär besser dran, weil sie körperlich aktiver waren. Heute wollen viele nicht einmal mehr die kürzesten Strecken laufen und fahren jeden Meter mit dem Elektro-Trotti. Die natürliche Bewegung kommt heute sicher oft zu kurz. Man sieht jedoch auch, dass immer mehr Leute das realisieren und Trainingsmöglichkeiten im Fitnesscenter und an anderen Orten gerne nutzen.
Welche Empfehlung gibst du so einem Bürogummi, der mit Nackenschmerzen zu Dir kommt?
Das Wichtigste ist, was er oder sie nach den acht Stunden auf dem Bürostuhl macht. Es braucht einen Ausgleich. Es hilft schon, während der Arbeit hin und wieder aufzustehen. Am Abend etwas Sport ist auch sehr wichtig – egal ob man ins Fitnessstudio geht oder Pilates macht. Wobei … hier geht es auch um das richtige Mass. Wer exzessiv und ohne Ruhepausen trainiert, kreiert auch Probleme.
Gibt es allgemeingültige Tipps, welche Sportarten wann sinnvoll sind?
Welche Sportart die richtige ist, ist schwierig zu sagen. Joggen kann bei Spannungskopfschmerzen helfen, wer aber bis als 60-Jähriger nie rannte, dem werde ich nicht empfehlen, nun damit anzufangen. Da gibt es gelenkschonende Alternativen.
Die werden in der Regel ja zum Schwimmen geschickt.
Schwimmen oder Aquafit sind gute Optionen. Beides belastet die Gelenke kaum. Wer vielleicht früher schon gern geschwommen ist, nimmt den Tipp sicher auch gern an. Aber jemanden neu dazu zu bringen – das gelingt selten. Turnverein, Pilates oder Velofahren sind gute Alternativen. Gerade mit dem E-Bike geht das noch sehr lange, sehr gut. Aber es gibt nicht den einen Sport, der immer ein guter Rat wäre.
Für manche ist es sogar schon sportlich anstrengend, aufrecht zu sitzen. Ich spreche natürlich nicht von mir.
Natürlich nicht (lacht). Aber im Ernst: Eines zieht sich durch: das Problem der Protraktion von Kopf, Nacken und Schultern. Oder nicht medizinisch formuliert: Wir lassen Kopf und Schulter zu weit nach vorne hängen, weil wir am Computer sitzen und uns automatisch immer in eine leicht gebeugte Haltung begeben. Bei Patientinnen und Patienten arbeite ich deshalb mit Tapes. Sie geben ein Gefühl dafür, wie die Haltung optimiert werden kann. Die Haltungsmuskulatur muss dann aber zwingend wieder aufgebaut werden.
Was hältst du von Gadgets wie Rückentrainern?
Da habe ich gemischte Gefühle. Teils haben die Bänder zu viel Zug oder ziehen in die falsche Richtung. Ausprobieren schadet jedoch nie. Bei einem Preis von 30 bis 50 Franken ist auch nicht viel verloren, falls man damit nicht zurechtkommt. Wer aber nur noch gerade stehen kann, wenn er so einen Rückentrainer trägt, hat ein grundsätzliches Problem.
Und wie wichtig ist die Ergonomie am Arbeitsplatz?
Natürlich ist die Sitzposition wichtig, ein guter Stuhl hilft, ein höhenverstellbarer Schreibtisch ist auch gut. In der Praxis aber wird so ein Tisch viel weniger oft hoch und runtergefahren, als man sich das vorstellt. Bewegung in den Alltag einzubauen, ist oft einfacher und auch effektiver. Man muss es nur anfangen.
Patric, ich danke Dir für das Gespräch.
Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.