Produkttest
Wie ich meinen Freund an die Tatami-Matte verlor
von Carolin Teufelberger
Ich schlafe seit einigen Wochen auf dem Boden. Oder eher zwei Handbreit darüber. Nach ein paar gewöhnungsbedürftigen Nächten kann ich unterdessen sagen: Ich habe die Tatami-Matte lieber als mein altes Bett.
Recap: Die Tatami-Matte fand als Schlafunterlage für Gäste den Weg in meine Wohnung. Durch akute homeoffice-bedingte Rückenschmerzen zog es meinen Freund bald auf den Boden. Die Härte tat ihm gut, seine Schmerzen wurden gelindert. Auf die dicke Matratze im 160 Zentimeter breiten Holzbett legte er sich nur noch ungern. Fortan schliefen wir immer öfter auf unterschiedlichen Niveaus. Seine Idee zur Nivellierung? Bett weg, Tatami her.
Nach ein bisschen Herumstänkern habe ich mich auf die Idee eingelassen, auch weil viele von euch sehr zufrieden mit eurer Tatami-Schlafsituation zu sein scheinen. So sagt zum Beispiel Aurifere unter dem ersten Beitrag: «Ich leide seit ich klein bin an Rückenproblemen und finde wenn es bei dir keine Schmerzen verursacht, solltet ihr euch das Tatami-Bett für Zwei zulegen.»
Ich habe also eine zweite japanische Tatami made in China bestellt. Eine günstige Reisstrohmatte ging für mich in Ordnung, weil ich meine Ansprüche auf den Futon konzentrierte. Der, auf dem mein Freund bislang schlief, war mir viel zu dünn. Wenn ich mich zur Seite rollte, spürte ich starken Druck auf Schulter und Hüfte. Ich wachte mehrmals pro Nacht auf, weil ich unbequem lag. Der neue Futon sollte also dicker sein – und 180 Zentimeter breit. Ich wollte keine zwei einzelnen, weil ich am Ende dauernd im Spalt liegen würde.
So habe ich mich bei einem Spezialisten für japanisches Wohnen durch die Ausstellungsstücke gelegen: mit Kamelhaar oder vegan, ganz dünn oder matratzenbreit. Am Ende habe ich mich für einen Futon aus einer Mischung aus Schurwolle, Baumwolle und Rosshaar entschieden. Hüfte und Schultern wurden komfortabel eingebettet, während sich dennoch ein festes Liegegefühl einstellte. Zumindest in den 62 Sekunden, die ich im Laden darauf verbrachte.
Vier Wochen später war der Futon abholbereit und durfte zu Fuss nach Hause geschleppt werden. Ich schlief damals bereits seit zwei Wochen am Boden, das Bett wurde in den Keller verbannt. Auf der 5,5 Zentimeter dicken Tatami-Matte lag eine 22 Zentimeter dicke Matratze, was das echte japanische Schlafgefühl etwas verfälschte, mir aber den Übergang erleichterte. Der Futon ist 12 Zentimeter dick und fühlte sich beim ersten Hinlegen noch immer so gut an wie im Laden.
Dann folgte die erste Nacht. Ich bin fünf Mal aufgewacht. Normalerweise schlafe ich ein, bevor mein Kopf das Kissen berührt und öffne die Augen erst wieder beim grauenhaften Geräusch meines Handyweckers. Ich kam mit der Härte nicht klar, ich spürte Hüfte und Schultern. Oh nein, hätte ich doch das Komfort-Modell nehmen sollen, das einige Zentimeter dicker war? Den Gedanken schob ich gleich wieder beiseite. Alles gut, der Futon ist perfekt für mich, ich nur noch nicht für den Futon. Ich bin stur. Und verteidige einmal gefällte Entscheidungen bis aufs Blut, auch wenn ich mich dafür selber belüge.
Einige Nächte ging es so weiter. Und plötzlich … war alles gut. Ich muss mir meinen Kauf gar nicht schönreden. Mein Körper und der Futon haben sich aneinander gewöhnt. Ich schlafe wieder ohne Unterbrechung und ich stehe weniger verknorzt auf, als das mit der alten Ikea-Matratze der Fall war.
Das Aufstehen will aber gelernt sein. Meine Beine berühren den Boden nicht mehr im rechten Winkel, wenn ich mich auf die Bettkante setze, sondern in einem Winkel von höchstens 45 Grad, was das Hochkommen etwas uneleganter macht. Oft rolle ich mich aus dem Bett und stehe von allen Vieren auf zwei Beine auf. Spätestens ab 70 Jahren ist die Tatami-Matte aus diesem Grund wohl kaum mehr zu empfehlen. Zumindest bei durchschnittlich sportlichen Menschen, die nicht schon ihr ganzes Leben auf ihr verbracht haben.
Bis dahin darf die Tatami-Matte bleiben. Mir gefällt nicht nur das Körpergefühl am Morgen, sondern auch die Ästhetik des Plätzchens am Boden. Es wirkt weniger raumeinnehmend als ein bulliges Bett. Die Naturmaterialien und -farben wirken ausserdem beruhigend auf Auge und Gemüt. Da der Futon nicht gewaschen werden kann, liegen auf ihm ein Molton und ein spezielles Leintuch aus Leinen und Bio-Baumwolle. Alle zwei Wochen muss die Kombi gegen die Wand gelehnt werden, damit sich in den zwei Matten keine Feuchtigkeit sammelt.
Was mir noch fehlt, ist ein passendes Nachttischchen. Momentan dient eine alte Kiste, in der Bettwäsche und Handtücher gelagert sind, als Buch- und Handyablage. Sie ist eindeutig auf der falschen Höhe. Das ist aber nicht so wichtig. Immerhin sind mein Freund und ich wieder auf demselben Niveau – zumindest im Schlaf.
Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.