
Hintergrund
Tradition vs. Moderne: Welche Heilkraft steckt in Arzneipflanzen?
von Annalina Jegg
Mit Wickeln oder Auflagen lassen sich viele Beschwerden lindern. Wie es richtig geht und was du dabei beachten musst, erläutert eine Expertin.
Gewickelt worden bist du das letzte Mal wahrscheinlich als Kleinkind: mit Stoff- oder Einmalwindeln. Doch schon damals hat das Wickeln dir mehr gegeben als nur eine saubere «Verpackung»: Beim Windeltausch intensivieren Eltern die emotionale Beziehung zu ihrem Kind, sprechen liebevoll mit ihm, regen es zur Kommunikation an, kuscheln mit ihm.
Bei Wickeln, die aus medizinischen Gründen angelegt werden (ob beim Kind oder Erwachsenen), verhält es sich ganz ähnlich: Noch heute schwören viele Menschen auf Kartoffelwickel, Wadenwickel und Co. nicht grundlos. Denn Wickel wirken nicht nur über Wärme und Wirkstoffe: «Ein Wickel ist eine Form der persönlichen Zuwendung, deshalb hat er eine ganzheitliche, systemische Wirkung», sagt Brigitte Waser-Bürgi, Pflegefachfrau, Phytotherapeutin und Autorin des Buches «Professionelle Wickel».
Wickel bestehen aus zwei bis drei Lagen von Tüchern, die rund um ein bestimmtes Körperteil gelegt bzw. gewickelt werden. Dazu werden Wirkstoffe aufgetragen, die die heilende Wirkung unterstützen sollen. Das können beispielsweise Essig oder Quark sein. Auch Leinsamen kann heilsam sein: In einer Studie verspürten Probandinnen und Probanden mit Handarthrose eine deutlich größere Schmerzlinderung als die Kontrollgruppe mit heißen Kompressen, wenn sie unterstützend zur pharmakologischen Behandlung ihre Hände mit Leinsamen-Wickeln bandagierten.
Auflagen werden auch Kompressen genannt und erfüllen denselben Zweck wie Wickel. Sie werden nicht um Körperteile herumgewickelt, sondern auf diese aufgelegt.
Wickel und Kompressen dienen dazu, die Selbstheilungskräfte anzuregen, Schmerzen zu lindern, die Durchblutung zu verbessern oder auch zu verringern – etwa, um eine starke Schwellung zu verhindern. «Sie können als zusätzliches Angebot zur schulmedizinischen Behandlung Beschwerden lindern und das Wohlbefinden unterstützen», sagt Waser-Bürgi.
Es gibt verschiedene Arten von Wickeln. Die Expertin unterscheidet in kalte, heiße, temperierte und hautreizende Wickel:
Bei heißen, kalten oder hautreizenden Wickeln empfiehlt die Expertin, sich vorher genauer über Kontraindikationen zu informieren bzw. Rücksprache mit Arzt oder Ärztin zu halten.
Hautreizende Wickel sind mit Vorsicht zu genießen. Sie enthalten Wirkstoffe, wie Senfmehl, Ingwer oder Meerrettich. Sie werden nur einmal am Tag für wenige Minuten aufgelegt, um zum Beispiel Bronchitis, Asthma oder eine Stirnhöhlenentzündung zu lindern. Für Kleinkinder und Säuglinge sind sie nicht geeignet. Auch bei geschwächten Menschen bzw. Menschen mit empfindlicher Haut ist besondere Vorsicht angebracht. Am besten die Hautreaktion erst einmal mit ganz wenig Wirkstoff in der Armbeuge testen und vorher mit Arzt oder Ärztin absprechen, ob ein Wickel infrage kommt.
Unterscheiden lassen sich Wickel zudem in feuchte und trockene Wickel. Feuchte Wickel werden zum Beispiel mit Tee zubereitet. Ein klassischer trocken-heißer Wickel ist dagegen der Kartoffelwickel, der besonders lange Wärme spendet.
Wann welcher Wickel verwendet wird, hängt stark von Patientin oder Patient und Krankheitsbild ab. Die meisten Menschen bevorzugen heiße oder warme Wickel, manche empfinden Kälte als angenehmer. Ein wesentlicher Punkt beim Wickeln ist: Der Wickel soll sich angenehm anfühlen und Patient bzw. Patientin sich während der Behandlung möglichst wohlfühlen.
Zum einen eignen sich für Wickel pflanzliche Wirkstoffe, wie beispielsweise in Ingwer, Kohl, Thymian, Zitrone, Zwiebel oder Lavendel. Auch Auszüge dieser Inhaltsstoffe, wie in ätherischen Ölen oder Tinkturen, kann man verwenden. Essig, Quark und Salz sind typische Lebensmittel, die ebenfalls aufgrund ihrer Wirkstoffe für Wickel und Auflagen verwendet werden und die heilsame Wirkung von Wickeln unterstützen können.
Wickel-Expertin Waser-Bürgi beschreibt in ihrem Buch mehr als 100 Beschwerden, für die sich Wickel eignen. Ihr Tipp: «Es bewährt sich vieles. Das Wichtigste ist, dass man es macht.» Also bei Interesse einfach starten, mit den Mitteln, die du ohnehin zuhause hast. Für kalte Wickel eignen sich beispielsweise Salz oder Essig, für temperierte Wickel Zwiebeln, für heiße Wickel Leinsamen. Wenn du tiefer in die Materie einsteigen willst, kannst du Heilpflanzenselber sammeln und dann für die Wickel verwenden.
Wie erwähnt sollten Wickel und Auflagen sofort abgenommen werden, wenn Patient oder Patienten sie als unangenehm empfinden. Außerdem gilt: auf allergieauslösende Substanzen verzichten. Also keinen Zitronenwickel anwenden, wenn die zu behandelnde Person allergisch auf Inhaltsstoffe in Zitrusfrüchte reagiert.
Die Dauer der Wickelung unterscheidet sich je nach Wickel: «Eine kalte Quarkauflage auf ein hoch entzündetes Gelenk bleibt nur ein paar Minuten. Wenn sie warm geworden ist, muss sie gleich wieder entfernt bzw. getauscht werden. Eine Kohlauflage bei chronischen Gelenkschmerzen bleibt dagegen die ganze Nacht drauf.»
Generell gilt: Hautreizende Wickel bleiben so lange, bis man ein Kribbeln auf der Haut spürt, aber maximal 15 Minuten, auf der Haut, heiße Wickel rund 20 Minuten, temperierte Wickel über mehrere Stunden.
Bei kalten Wickeln gilt: den Wickel wechseln, sobald er warm wird. Ein kalter Wadenwickel zum Fiebersenken sollte übrigens nicht eiskalt sein, sondern etwa 10 Grad Celsius unter der Körpertemperatur. Für Fieberkranke fühlen sich 30 Grad Celsius oft schon richtig kalt an.Auflagen und fertige Wickelsets bekommst du in der Apotheke. Du hast aber bestimmt kostenloses Wickelmaterial bei dir zuhause: Es eignet sich alles, was aus Naturfasern besteht, also aus Leinen, Baumwolle, Seide oder Wolle. Alte Handtücher, Betttücher oder Wollschals sind prima geeignet. «Synthetische Stoffe eignen sich weniger, sie lassen Luft und Feuchtigkeit schlecht durch, es besteht die Gefahr eines Wärme- oder Feuchtigkeitsstaus.»
Für einen Wickel bzw. eine Auflage nimmst du in der Regel drei Tücher: ein Innentuch, ein Zwischentuch und ein Außentuch. Das Innentuch (beispielsweise ein altes Geschirrtuch) wird mit dem Wirkstoff bestrichen (zum Beispiel mit Quark), es umwickelt ihn (wie bei Kartoffeln) oder wird darin getränkt (in Tee etwa). Anschließend wird es auf die Haut aufgelegt und das Zwischentuch (z. B. ein altes Baumwollhandtuch) darüber gewickelt. Das Zwischentuch dient dazu, Feuchtigkeit und Temperatur des Wickels zu halten.
Ein Wollschal als Außentuch fixiert den Wickel. Du kannst das Außentuch zusätzlich mit Klammern, Pflastern oder Mullbinden festmachen, damit auch wirklich nix verrutscht. Um die Wärme im heißen Wickel zu halten, kann zusätzlich eine Wärmflasche oder ein angewärmtes Kirschkernkissen auf das Außentuch gelegt werden.
Für die Auflage ein doppelt gelegtes Baumwolltuch (Leinenplätzli) messerrückendick mit Salbe bestreichen, dabei 3 cm Rand freilassen. Die bestrichene Fläche direkt auf die Haut legen. 1 bis 2 Waschlappen oder Wickeltücher darüber legen, da die Salbe durchschlagen kann. Das Salbentuch kann mehrmals wiederverwendet und über Nacht belassen werden. Die Salbenauflage eignet sich bei Prellungen, Zerrungen, Verstauchungen, Hämatomen, Muskel- und Nervenschmerzen, Arthrose, Sehnenscheiden- oder Gelenkentzündung sowie zur Nachbehandlung von Knochenbrüchen.
Titelfoto: Engin Akyurt via unsplashMich buchstabiert man so: Aufgeschlossen, Nachdenklich, Neugierig, Agnostisch, Liebt das Alleinsein, Ironisch und Natürlich Atemberaubend.
Schreiben ist meine Berufung: Mit 8 habe ich Märchen geschrieben, mit 15 «supercoole» Songtexte (die nie jemand zu lesen bekam), mit Mitte 20 einen Reiseblog, jetzt Gedichte und die besten Beiträge aller Zeiten!