Tradition vs. Moderne: Welche Heilkraft steckt in Arzneipflanzen?
Hintergrund

Tradition vs. Moderne: Welche Heilkraft steckt in Arzneipflanzen?

Sind Heilpflanzen wirklich eine sanfte Alternative – oder ist das eh alles fast-homöopathischer Humbug? Zwei Experten klären auf.

Sie gelten als sanfte Alternative zu synthetischen Medikamenten: Heil- bzw. Arzneipflanzen. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen zu Präparaten mit Echinacea, Ingwershots oder Fencheltee greifen, um leichte Beschwerden wie eine Erkältung oder eine Magenverstimmung selbst zu behandeln.

Ich studiere im Fernlehrgang Phytotherapie, also Pflanzenheilkunde, weil mich die Geschichte und die Anwendung von Heilpflanzen bei alltäglichen Beschwerden fasziniert. Für diesen Artikel habe ich zudem zwei Arzneipflanzenspezialisten mit jahrelanger Erfahrung in der Phytotherapie zu Rate gezogen.

Die Geschichte der Phytotherapie: Woher stammt das Wissen um Arzneipflanzen?

Der älteste Nachweis, dass Menschen Heilpflanzen verwendet haben, fand sich im Grab eines Neandertalers im Irak, der vor etwa 60 000 Jahren gelebt haben soll. In seinem Grab fanden die Forscher große Mengen Blütenpollen. Der Mensch und die Pflanze haben also schon eine verdammt lange Beziehung miteinander. Sie haben nicht erst mit dem Schweizer Arzt und Naturphilosophen Paracelsus, Klostermedizinerin Hildegard von Bingen oder Pfarrer Sebastian Kneipp zusammengefunden. Auch wenn diese drei bekannten Namen natürlich einen bedeutenden Teil zur Geschichte dieser Beziehung beigetragen haben.

Aus meinem Studium weiß ich: Die ersten Schriftstücke der Phytotherapie stammen aus der Antike. Damals beschrieb der Militärarzt Pedanios Dioskurides in seinem Werk «Materia Medica» über 1000 Arzneimittel aus der Pflanzen- und Tierwelt sowie aus Mineralien. In der Antike wurden Kräuter in Wein, Wasser, Essig oder Honig verabreicht. Dioskurides Werk galt an vielen europäischen Universitäten bis ins 16. Jahrhundert als Standardlehrbuch der Arzneimittellehre.

Bei den Kelten und Germanen wendeten Druiden und Druidinnen und Schamanen das alte Heilwissen an. Später entwickelte sich die Klostermedizin, die auch Hildegard von Bingen praktizierte. Spannend: Einige der Anwendungen, die von Bingen beschrieb, konnten inzwischen durch moderne Forschung belegt werden: «Hildegard von Bingen hat zwar als Mystikerin einige Pflanzenindikationen beschrieben, die nie funktioniert haben. Aber tatsächlich haben wir auch eine hohe Trefferquote mit statistischen Methoden festgestellt. So hoch, dass Zufall ausgeschlossen ist», sagt Dr. Rainer Stange, Arzt für Innere Medizin und ehemals leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin.

Paracelsus vereinte im Spätmittelalter in seinen Werken das Kräuterheilwissen der Antike, der Volksmedizin, der Kräuterhexen und sein eigenes. Sicherlich war nicht alles was er zusammenbraute heilsam, vermuten Wissenschaftler wie Rainer Stange heute. Dennoch gilt der Mystiker, Forscher und Wissenschaftler Paracelsus als ein bedeutender Pflanzenkundiger seiner Zeit. Sein bekanntestes Zitat «Alle Ding’ sind Gift und nichts ist ohn’ Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist» kennen wir alle verkürzt als «Die Dosis macht das Gift.»

Einige Jahrhunderte nach Paracelsus, im 19. Jahrhundert, begründete der katholische Priester und Naturheilkundler Sebastian Kneipp die Hydrotherapie und ist bis heute bekannt für seine 5-Säulen-Philosophie. Diese vereint die fünf Säulen Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung und Balance. «Durch bekannte Vertreter wie Sebastian Kneipp wurde die moderne Phytotherapie auf gut verträgliche Heilpflanzen eingegrenzt, die jedoch mit den groben Forschungsmethoden des 19. Jahrhunderts nicht sachgerecht erfasst wurden», sagt Prof. Dr. Bernhard Uehleke, Mediziner und Medizinhistoriker mit den Schwerpunkten Naturheilkunde und Phytotherapie.

Die moderne Phytotherapie: Welche Ansprüche stellen wir heute an Arzneimittelpflanzen?

Von esoterischen und mystischen Ansätzen hat sich die moderne Phytotherapie verabschiedet, sagt Medizinhistoriker Uehleke: «Bei der Homöopathie sind die Dosierungen aus naturwissenschaftlicher Sicht so gering, dass außer Placeboeffekten keine Wirkung erwartet werden kann.» Dasselbe gelte für manch andere Zubereitungen, wie aus der von Philosoph und Naturwissenschaftler Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie. «Diese enthalten nach Veraschung überhaupt keine wirksamen Moleküle mehr und die gebrachten Erklärungen über Schwingungen, Abdrücke und Quanten müssen aus Sicht der Naturwissenschaft als esoterisch abgelehnt werden.»

Bei der Phytotherapie ist das anders. Denn da besteht heutzutage der Anspruch, dass die Wirkung sämtlicher pflanzlicher Mittel in klinischen Studien geprüft wird. «Das geschieht etwa seit den 1960er Jahren», sagt Stange. Allerdings sehr schleppend. Uehleke ahnt, woran das liegt: «Das vorhandene große Interesse an Phytotherapie steht in deutlicher Diskrepanz zur Forschungslage. Denn europäische Staaten fördern die klinische Forschung über Heilkräuter an den Hochschulen, Kliniken und Universitäten nicht.» Was außerdem wichtig zu erwähnen ist: Pflanzen beinhalten nicht einen Wirkstoff, sondern eine ganze Reihe verschiedener Stoffe. Für viele dieser Pflanzeninhaltsstoffe gibt es bisher keine belegte Wirkung.

Aber: Studien, die bereits durchgeführt wurden, kommen teils zu erstaunlichen Ergebnissen: «Am besten erforscht ist bisher das Johanniskraut, das nachweislich bei leichter und mittelschwerer Depression erfolgreich eingesetzt wird», sagt Stange. Und ergänzt: «Aus mindestens einem Fallbericht wurde außerdem bekannt, dass Johanniskraut Wechselwirkungen mit chemischen Medikamenten auslösen kann. Als das festgestellt wurde haben viele Ärzte, vor allem Pharmakologen, gestaunt, weil sie das einem pflanzlichen Mittel nicht zugetraut hätten.»

Phytopharmaka: Nicht immer eine sanfte Alternative

Genauer gesagt geschah Folgendes: Nach einer Nierentransplantation wurden einer Patientin Ciclosporin-Tabletten verabreicht, ein synthetisches Immunsuppressivum, das häufig nach Organtransplantationen verschrieben wird. Nach wenigen Wochen stieß ihr Körper die Niere ab. Dann kam heraus, dass sie zusätzlich eigenverantwortlich Tabletten mit Johanniskraut eingenommen hatte. Wissenschaftler vermuteten, dass ein Zusammenhang bestehen könne. Sie forschten nach und fanden heraus: Das Johanniskraut war schuld daran, dass das Ciclosporin im Körper schneller abgebaut wurde. Phytopharmaka, so nennt man Arzneimittel pflanzlichen Ursprungs, eine sanfte Alternative zu chemischen Medikamenten? Das Beispiel Johanniskraut zeigt: Das stimmt so nicht.

Zwar wirken pflanzliche Alternativen oft schonender, nebenwirkungsärmer und nachhaltiger als chemische Präparate. Doch falsch eingesetzt, können sie ebenso viel Schaden anrichten. Umso wichtiger wäre darum, dass weitere Studien folgen, in denen Wirkungen und Nebenwirkungen von Heilpflanzen genauer erforscht werden.

Bauchweh, Erkältung, Harnwegsinfekt? Dagegen ist ein Kraut gewachsen

Bei schweren Krankheitsbildern, nach Operationen, in der Schwangerschaft und wenn du dir generell unsicher bist, halte also immer Rücksprache mit Ärztin oder Arzt und nimm auf keinen Fall eigenmächtig pflanzliche Mittel ein. Es spricht aber nichts dagegen, kleine Wehwehchen selbst zu behandeln. Dabei denken vermutlich viele zuerst an Tee. Tatsächlich ist es nicht verkehrt, zum Tee zu greifen, wenn der Magen zwickt oder der Hals kratzt. Pflanzliche Arzneimittel gibt es aber auch in Form von standardisierten Fertigpräparaten in der Apotheke. Das können Tabletten, Kapseln oder Pflanzenpresssäfte sein. Inhalieren oder ein Erkältungsbad sind weitere gängige Anwendungsformen, genau wie Umschläge oder Auflagen. Auch die Aromatherapie wird oft der Phytotherapie zugeordnet.

Aber nun mal Tacheles: Was nehme ich denn nun bei welchen Beschwerden? Stange rät: «Wenn es im Bauch grummelt, kannst du Kamillentee, Fenchel- oder Pfefferminztee trinken, das hilft tatsächlich oft bei Magen-Darm-Beschwerden.» Bei Harnwegsinfekten, unter denen vor allem Frauen aufgrund einer kürzeren Harnröhre leiden, rät Stange zu Senfölen. Die sagen den Bakterien in der Harnröhre den Kampf an und kommen zum Beispiel in Kapuzinerkresse und Meerrettich vor. Auch bei Erkältung kannst du etwas tun: «Bei Atemwegsinfekten, also zum Beispiel einer Erkältung, helfen oft Gemische aus ätherischen Ölen, wie Efeu, aber auch Echinacea.»

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Titelbild: shutterstock

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Annalina Jegg
Autorin von customize mediahouse

Mich buchstabiert man so: Aufgeschlossen, Nachdenklich, Neugierig, Agnostisch, Liebt das Alleinsein, Ironisch und Natürlich Atemberaubend.
Schreiben ist meine Berufung: Mit 8 habe ich Märchen geschrieben, mit 15 «supercoole» Songtexte (die nie jemand
zu lesen bekam), mit Mitte 20 einen Reiseblog, jetzt Gedichte und die besten Beiträge aller Zeiten! 


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