Hintergrund
Best of «Loki», Episode 4: Der Nexus-Vorfall
von Luca Fontana
Die Time Keeper diktierten Geschichte. Jetzt sind sie selbst Geschichte geworden. Und während die fünfte Episode ein Easter Egg nach dem anderen jagt, geht die Serie langsam auf ihr Ende zu – Alioth.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenanalyse. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die fünfte Episode von «Loki» an, bevor du weiterliest.
Agent Mobius? Tot. Die Time Keeper? Tot. Loki? Tot. Und Ravonna Renslayer? Offenbar eine Agentin des Bösen. Vielleicht. In bester «Game of Thrones»-Manier hat die vierte Episode nicht mit überraschenden Wendungen zurückgehalten.
Vor allem aber: Die Time Keeper, die drei mythischen, kosmischen Entitäten, unsere Schicksalsfäden schmiedend, sind – waren – bloss Marionetten für eine viel höhere Macht. Zumindest scheint es so. Ob tatsächlich wie in den Comics He Who Remains hinter all dem steckt?
Zunächst Loki. Der hat seine scheinbare Ausradierung aus dem Raumzeitkontinuum offenbar überlebt. Ein anderer, alter und albern kostümierter Loki eröffnet ihm gleich: «Wir sind in der Leere. Das ist Alioth. Und wir sein Futter, wenn wir nicht bald verschwinden.»
Oha.
In den Comics ist Loki schon ein paar mal gestorben. Noch nie aber hat er sich in der Leere wiedergefunden. Dafür jemand anderes: Renslayer. Aber der Reihe nach. Erinnerst du dich noch an meine Theorie, dass Kang the Conqueror hinter all dem stecken könnte?
In kurz: In den Comics wird Kang im 31. Jahrhundert als Nathaniel Richards geboren, womöglich ein Nachfahre des Fantastic-Four-Anführers Reed Richards. Genau wie seine Ahnen ist er klug und wird zum Gelehrten. Bis er eines Tages die Zeitreisetechnologie des Fantastic-Four-Bösewichts Victor von Doom entdeckt.
Nathaniel nutzt sie, um sich Macht und Wissen anzueignen. Vor allem aber, um quer durch Raum, Zeit und Multiversen zu reisen, wo er eine Welt nach der anderen erobert. Fortan nennt er sich Kang, the Conqueror.
Es gibt aber ein Wesen, das selbst der allmächtige Kang fürchtet: Alioth, die erste transtemporale Entität, die sich von den Zwängen der Zeit hat befreien können. Und genau wie in «Loki» erscheint Alioth als riesige Wolke, die alles zerstört, einsaugt und absorbiert, was sie berührt. Ganze Dimensionen bringt sie zum Einsturz. Ganze Realitäten verschlingt sie. Ganze Multiversen verleibt sie sich ein.
Und so wächst Alioths Reich. Bis es sich Milliarden von Jahren in die Vergangenheit erstreckt und dreimal grösser ist als Kangs Reich.
Tatsächlich ist Alioth der Grund, wieso Kang sein eigenes Reich nicht in Zeitlinien expandiert, die vor dem Jahr 2000 v. Chr. liegen. Denn um Alioths Expansion in die Gegenwart zu verhindern, musste Kang eine temporale Barriere erschaffen, die Alioth fernhält.
Irgendwas sagt mir, dass dieser Kang noch eine Rolle in dieser Geschichte zu spielen hat.
Denn Alioth ist nicht die einzige Verbindung zu Kang. Renslayer ist eine zweite. In einer von ihm kontrollierten Multiversen ist Ravonna Renslayer nämlich keine TVA-Richterin, sondern Prinzessin Ravonna, Tochter des König Carelius. Kang verliebt sich in sie. Aber Ravonna erwidert seine Liebe nicht.
Kang, unerschütterlich, erobert Ravonnas Welt dennoch. Als er sich aber weigert, sie zu töten, rebellieren Kangs Offiziere, angeführt von General Baltag. Kang, mit Hilfe der Avengers, die er dank seiner Zeitreisetechnologie dazu holt, besiegt Baltag und die restlichen Offiziere. Ravonna aber stellt sich einem tödlichen Schlag, der Kang galt, in den Weg, und stirbt – offenbar liebte sie Kang doch.
Was danach kommt, ist unheimlich kompliziert und wirr. Multiple Versionen von Kang. Multiple Versionen von reanimierten Renslayern oder Renslayer-Varianten. Mal bandeln sie an. Mal bekriegen sie sich. Irgendwo dazwischen zerstört eine Renslayer-Variante gar versehentlich die Barriere, die Alioth in Schach halten sollte. Dann wird sie wieder repariert – mit Hilfe der Avengers.
So oder so: Renslayer, Kang, Alioth – in den Comics hängen sie alle zusammen. Auch in «Loki»?
Aber dann denke ich mir: Vielleicht läuft ja doch alles auf He Who Remains hinaus. Denn was Renslayer, die TVA-Richterin, da als nächstes sagt, klingt ganz danach. Nämlich: Gestutzte Zeitlinien und Varianten werden nicht vernichtet. Materie komplett aufzulösen sei unmöglich. Stattdessen werden sie ans Ende der Zeit verpflanzt.
Ans Ende der Zeit.
In den Comics ist das der Ort, wo He Who Remains ist, der letzte Director der TVA, der das Ende des Universums und allen Seins miterlebt und auf den Beginn eines neuen, multiversalen Zyklus wartet. Um diesen besser als den vergangenen zu machen, erschafft He Who Remains die Time Twisters, drei Wesen aus drei Kokons, die das Ende überleben und mit dem Wissen um die Vergangenheit eine bessere Zukunft erschaffen sollen.
Der Plan schlägt fehl. Statt in die nächste Realität überzugehen, reisen die Time Twisters in die Vergangenheit des noch existierenden Multiversums. Rückwärts wandernd erscheinen sie alle 3000 Jahre und zerstören, was gerade so lebt. Aber kurz, bevor sie ins 20. Jahrhundert gelangen, stellt sich ihnen Thor entgegen.
Als Thor merkt, dass er nichts gegen die Time Twisters ausrichten kann, reist er selber ans Ende der Zeit. Dort trifft er auf He Who Remains – die Twisters stecken noch in ihren Kokons – und überzeugt ihn von der zerstörerischen Natur der Twisters. Der Übriggebliebene zerstört daraufhin die Twister, bevor sie schlüpfen, aber erzeugt damit zwei neue Zeitströme.
Einen Strom, in der die Twister existieren, und einen Strom, in dem sie nicht existieren.
Um die beiden Zeitströme zu schützen, erschafft He Who Remains neue, verbesserte Versionen der Twister: Time Keepers. Fortan befinden sich die Time Twister und die Time Keepers in einem ewigen Krieg.
Sicher scheint, dass die Serie das Ende des MCU-Universums etwas anders zeichnet. Nämlich in Form von Alioth, die alles verschlingende Wolke, die selbst Raum und Zeit absorbiert. Statt in der Vergangenheit, wie in den Comics, haust sie in der Zukunft.
Das passt. Sylvie hatte sich bislang immer in Apokalypsen versteckt, weil ihre vernichtende Natur jede Spur verwischt hatte. Gestutzte Zeitlinien und Varianten dorthin zu bringen, wo eh alles endet – nämlich in Alioths hungrigem Rachen – ergibt Sinn.
Aber wer vom Ende aus diktiert, wie genau die Wahre Zeitlinie zu verlaufen hat, weiss niemand. Nicht mal Renslayer. Behauptet sie. Noch bin ich mir nicht sicher, ob ihre Zweifel echt oder gespielt sind.
Wir wissen jetzt aber, dass das Ende wohl doch kein Utopia ist, an dem noch gewerkelt wird, wie es den TVA-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer gesagt wird.
Unser Loki trifft auf andere Lokis. Der Alligator ist klasse. Der alte Mann auch. Offenbar scheinen sie aber nichts mit ihren Comic-Pendants gemein zu haben. Wie gesagt: Loki stirbt auch in den Comics hin und wieder. Dort hat jedes Götter-Pantheon – die nordischen Götter, die ägyptischen Götter, und so weiter – einen Hüter verstorbener Seelen. Eine davon ist Hela, Herrin von Niflheim und der Festung Hel, wo sie über die Seelen verstorbener Frevler und Verlorenen herrscht.
Jep, jene Hela, die im MCU auch Thors Schwester ist. Ist sie in den Comics übrigens nicht.
Als Odin stirbt und Asgard nach Ragnarök untergeht, beurteilt Loki seine Lage neu, doch auch Tod und Wiedererweckung als Göttin – Lady Loki – im nun erdgebundenen Asgardia können seinen inneren Aufruhr und anarchischen Charakter nicht mildern.
Dann passiert in den Comics das Crossover Event «Dark Reign». Da schlägt sich Loki zunächst auf die Seite Norman Osborns, den du vermutlich aus den Spider-Man-Filmen als Green Goblin kennst. Der war zu der Zeit Chef des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D. Da aber gerade eine Invasion der formwandelnden Skrulls unter dem Titel «Secret Invasion» durch ist, hat Osborn den Rückenwind des Amerikanischen Volkes. Denn er war es, der die Alien-Königin erschossen hatte. Daher wird S.H.I.E.L.D. aufgelöst und durch H.A.M.M.E.R. ersetzt.
Was niemand ahnt: Im Hintergrund setzt sich Osborn mit den mächtigsten Schurken und Aussenseitern des Marvel-Universums zusammen.
Die bösen Machenschaften werden aufgedeckt, als Osborn später Asgardia den Krieg erklärt. Dabei stirbt Loki, mal wieder, bei der Verteidigung der Stadt gegen den Void, ein Superman-ähnliches Wesen mit bösen Kräften.
Als Wesen von enormer magischer Kraft wird Loki erneut wiedergeboren und will fortan einen anderen Weg gehen. In gewählter Kindgestalt – Kid Loki – wird er von der Totengöttin Hela verfolgt und gepeinigt. Ausserdem plagt ihn eine böse Zukunftsinkarnation seiner selbst, die in der Zeit zurückreist, um die Läuterungsversuche des wiedererweckten Jungen zu verhindern.
Erfolglos. Noch.
Spannend auch: Als Kid Loki wird er Mitglied der Young Avengers. Zu ihnen gehören unter anderem Wiccan und Speed, Wanda Maximoffs Kinder, die wir in «WandaVision» bereits gesehen haben. Die Young Avengers haben auch einen Iron Lad. Iron Lad und Kid Loki begegnen sich nie. Aber Iron Lad, so hat sich später rausgestellt, war am Ende kein geringerer als eine zeitreisende Teenie-Version Kangs.
Später, in jugendlicher Gestalt, versucht Loki in der Comic-Serie «Loki: Agent of Asgard» weiterhin Gutes zu tun. Nämlich als titelgebender Agent von Asgardia im Auftrag des Allmutter-Triumvirats – Gaea, Idunn und Freyja.
Loki aber scheitert unter dem Druck seiner Chaos stiftenden Art und des anstehenden Untergangs des Multiversums. Als die Realität erneuert wird, will Loki sein lästiges Schicksal, in dem er ständig verliert aber andere dadurch über sich selbst hinauswachsen, erneut betrügen. Letztendlich fehlt ihm die Kraft, sich wahrhaft zu ändern. Und so verfällt er wieder in Trickserei und Bosheit.
Bis heute.
Zurück zur Serie. Loki und die Lokis durchstreifen ein trostloses Ödland, das wohl einst New York war. Kid Loki ist der Anführer der kleinen Gruppe. Sein Nexus-Vorfall: Er habe Thor getötet. Wow. Das macht ihn definitiv zum Chef. Und dann laufen sie ganz unscheinbar am Thanos-Kopter vorbei.
Oh, den gab’s tatsächlich mal in den Comics.
Und auch Frosch-Thor. Den gab’s auch in den Comics.
Überhaupt. In dieser Folge alleine habe ich den aus «Ant-Man» bekannten Helm von Yellow Jacket entdeckt, einen S.H.I.E.L.D.-Helicarrier, Ronans Raumschiff und die Rakete, die Hank-Pym-Ant-Man einst zusammen mit seiner Wasp entschärft hat.
Habe ich was verpasst?
Lokis sind schon seltsame Wesen. Die weibliche Loki, Sylvie, findet raus, dass der oder die Drahtzieher hinter dem Ende, der Leere – hinter Alioth – liegen könnte. Wie sie dahin kommt? In dem sie durch Alioth selbst geht, dem Wachhund, der wohl das beschützt, was die TVA erschaffen hat. Nur, dass das, so Renslayer, nicht zu überleben ist. Egal. Sylvie will da durch – und stutzt sich selbst.
Loki gibt derweil nicht auf. Will Alioth, die Leere, töten gehen. Schliesslich brauche Sylvie ihn. Wenn das mal nicht romantisch ist. Dann tauchen ein paar neue Lokis auf, angeführt von einem, der mal Präsident sein wollte.
Auch das hatten wir in den Comics. Nämlich 2016, in der vierteiligen «Vote Loki»-Mini-Serie. Darin lügt Loki mit unverfrorener Offenheit die amerikanische Bevölkerung an, betrügt, spottet über Politik, übers Establishment und über jene, die nach Macht gieren. Tatsächlich seien die anderen Präsidentschaftskandidaten keinen Deut besser als er – aber er gebe wenigstens zu, dass er nichts, was er verspreche, tatsächlich halten werde, und den Menschen einfach nur bedeutungslose Floskeln vorsetzt, die sie hören möchten.
Und die Bevölkerung liebt ihn dafür.
Die Parallelen zu Donald Trumps Präsidentschaftskandidatur im gleichen Jahr sind unverkennbar. Genau deshalb ist Vote Loki so genial. Ein Spiegel, den sich die amerikanische Bevölkerung vors Gesicht halten und dann seine eigenen Schlüsse ziehen kann.
In «Loki» dauert’s tatsächlich nicht lange, bis sich alle Lokis im Raum hintergehen und an die Kehle wollen. «Das ist ein Albtraum», sagt dann unser Loki, und flüchtet mit den drei einzigen anderen vernünftigen Lokis: der Alte aus der Zukunft, das Kind, das Thor getötet hat, und der Alligator, der die Katze des falschen Nachbarns gefressen hat.
An einem anderen Ort der Leere kommt Sylvie an, wird von Alioth attackiert und entkommt – mit Agent Mobius Hilfe. Wie’s der Zufall will, sind Loki und die Lokis auch nicht weit. Zusammen fassen sie den Plan: Alioth soll nicht getötet, sondern verzaubert werden.
Bis sich der Schleier lüftet.
Der Rest der Episode ist schnell erzählt. Schöne Charakter-Momente. Grosser Endkampf. Tolle Effekte. Kid Loki übergibt Loki ein goldenes Schwert, das dem ähnelt, das Loki in «Loki: Agent of Asgard» trägt. Der alte Loki aus der Zukunft kriegt seinen heroischen Auftritt, der deshalb so herrlich ist, weil er ihn im absolut lächerlichsten aller Kostüme absolviert.
Loki und Sylvies Plan geht dann auf. Zusammen verzaubern sie Alioth, öffnen einen Riss auf die andere Seite des Endes, wo sie… nun, der Teil der Geschichte muss noch geschrieben werden.
Auf wen werden Loki und Sylvie wohl treffen? Kang? Oder doch He Who Remains? Ich tippe auf Kang. Allein schon wegen seiner Verbindung zu Alioth und Renslayer in den Comics. Aber wenn ich einen verrückten Tipp abgeben müsste, einen so richtig verrückten… nein, nicht Mephisto…
Was wäre, wenn hinter dem Ende der Zeit eine weitere Loki-Variante steckte?
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»