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Apple startet seine KI-Offensive
von Samuel Buchmann
Mit einer personalisierten KI will sich Apple von Microsoft und Google abheben. Es ist ein Balanceakt zwischen Funktionalität, Datenschutz und Marktmacht.
Der Hype-Train der Künstlichen Intelligenz (KI) befindet sich in voller Fahrt. Als letzter Techgigant springt Apple auf. Zum Auftakt der jährlichen Entwicklerkonferenz WWDC präsentierte Software-Chef Craig Federighi unter dem Titel «Apple Intelligence», was das heisst.
Apple setzt andere Schwerpunkte als Microsoft und Google. Das Unternehmen spielt Stärken aus, die es sich über Jahre erarbeitet hat: die totale Kontrolle über sein Ökosystem und das grosse Vertrauen seiner Kundschaft. Die Ideen sind interessant, die Architektur scheint durchdacht. Doch der Erfolg steht und fällt mit dem Alltagsnutzen.
Das Futter für generative KI-Modelle sind Daten. Firmen wie OpenAI und Google behandeln ihre Modelle wie Mastschweine: je fetter, desto besser. ChatGPT und Gemini verschlingen das ganze Internet. Ob die Urheber der Inhalte das wollen, oder nicht. Dieses Konzept hat seine Vorteile. Die Masse an Informationen erweitert den inhaltlichen Horizont einer KI. Mit anderen Worten: Sie weiss viel.
Doch die Mästung bringt Probleme mit sich. ChatGPT und Gemini liegen regelmässig falsch. Unter anderem, weil auch die Quellen oft falsch liegen. Das Internet-Futter ist Segen und Fluch zugleich. Es braucht zudem viel Rechenleistung fürs Training und für die Verarbeitung von Anfragen.
Apple geht einen anderen Weg. Statt einem Mastschwein will CEO Tim Cook seiner Kundschaft ein Bio-Säuli verkaufen. «Apple Intelligence» scheint auf einem kleineren Fundament an Informationen zu stehen. Ihr wichtigstes Futter ist der individuelle Kontext einer Einzelperson. Das Resultat soll eine personalisierte KI-Assistenz sein. Sie weiss, welchen Flug deine Mutter vor zwei Monaten gebucht hat, weil diese es in einer Textnachricht erwähnt hat.
Cupertino ist sich bewusst, dass diese Grundlage in manchen Fällen nicht ausreicht. Doch ein eigenes Mega-Modell kommt aktuell nicht in Frage. Einerseits sind andere in diesem Bereich weit voraus. Andererseits ist es für Apple kaum keine Option, einen so vogelfreien Chatbot loszulassen. Es würde nicht zum Ethik-Marketing passen.
Hinzu kommt, dass der eigene Server mit eigenen Chips dafür wohl zu schwach wäre. Apple gibt keine Leistungsdaten bekannt, aber Nvidias Tensore Core GPUs dürften weit mehr Rechenleistung bieten. Doch nur mit eigener Hard- und Software hat Apple die Sicherheit komplett unter Kontrolle. Also wird das Skandalrisiko und die Schwerarbeit ausgelagert: Apple mietet für Funktionen, die viel Allgemeinwissen benötigen, das Mastschwein von OpenAI.
Mit seinem Fokus auf Datenschutz hat sich Apple ein Image erarbeitet, das die Firma schützen will. Gleichzeitig muss sie dir eine Siri schmackhaft machen, die Zugriff auf private und potenziell hochsensible Inhalte hat. Sie liest deine E-Mails. Sie kennt deine Kreditkarten. Sie weiss Bescheid über deine Gesundheitsdaten. Das wird vielen Leuten unheimlich sein.
Die KI-Offensive fordert von der Kundschaft das enorme Vertrauen ein, das Apple über Jahre aufgebaut hat. Die Geräte und Dienstleistungen sind alle mit Accounts verknüpft. Dieses vernetzte Ökosystem erlaubt eine Personalisierung der KI, von der die Konkurrenz nur träumen kann. Am nächsten dran ist Google. Doch der Suchgigant geniesst nicht das gleiche Vertrauen im Umgang mit persönlichen Informationen – und durchdringt meist weniger Systeme und Lebensbereiche als Apple.
Der zweite Heimvorteil ist die komplette Kontrolle über Hardware und native Apps. Das KI-Modell lässt sich auf Systemebene integrieren. Und zwar nicht bloss auf einem Gerät, sondern vernetzt zwischen iPhone, iPad und Mac. So hat Siri potenziell mehr Möglichkeiten als andere KI-Assistenten. Und über Schnittstellen sollen auch nicht-native Apps Zugriff auf Teile der KI erhalten.
Diese Möglichkeiten bergen Risiken. Vertrauen ist zerbrechlich. Apple wandert auf einem schmalen Grat zwischen einer zu eingeschränkten KI und einem potenziellen Imageskandal. Nicht auszudenken, wie gross der Aufschrei wäre, wenn persönliche Daten ohne Einverständnis bei Dritten landeten oder die KI-Integration von Hackern missbraucht würde. Apple erklärte bei der Präsentation deshalb ausführlich die Architektur hinter Apple Intelligence.
Das Versprechen: Anfragen und persönliche Daten bleiben entweder auf dem Gerät oder werden verschlüsselt an verifizierte Server gesendet. Dort verwendet Apple sie ausschliesslich für die Bearbeitung der aktuellen Anfrage und löscht sie dann wieder. So will sich das Unternehmen klar von der sammelwütigen Konkurrenz abgrenzen.
Das gilt selbst bei der Zusammenarbeit mit OpenAI. Sie wirkt wie ein Pakt, den Apple lieber nicht eingehen würde. OpenAI-CEO Sam Altman ist das Zentrum von Machtkämpfen. Whistleblower berichten von einer Kultur der Rücksichtslosigkeit. Künstlerinnen und Medienhäuser verklagen die Firma wegen Urheberrechtsverletzungen. Das passt nicht zu Apples Werten. Trotzdem will man der Kundschaft OpenAIs mächtiges Sprachmodell bieten.
Das Resultat dieses Spannungsfelds: Apple integriert ChatGPT in seine Systeme, distanziert den Chatbot jedoch klar von der eigenen KI. Du musst bei jeder Anfrage an ChatGPT die nötigen Daten explizit dafür freigeben. Sie werden gemäss Apple anonymisiert an OpenAI gesendet, ein separater Account ist nicht nötig. So kann der Anbieter keine Profile einzelner User erstellen.
Zumindest beim Datenschutz der eigenen User macht Apple damit vieles richtig. Die Kalifornier bleiben mit ihrer Künstlichen Intelligenz einem alten Grundsatz treu: Sie sind später dran als andere, dafür wirkt die Umsetzung durchdachter und umsichtiger. Dazu kommt eine überlegene Kommunikation. Apples Marketing vermittelt die Neuerungen plastischer als die Konkurrenz.
KI könnte für Apple hochprofitabel werden – auch wenn die Konkurrenz gewisse Dinge besser kann. Tim Cook fährt doppelgleisig. Einerseits lassen sich in Zukunft Premium-Funktionen der Apple Intelligence monetarisieren. Andererseits positioniert der iPhone-Hersteller seine Hardware auch als Plattform für KI-Modelle von Drittanbietern wie OpenAI. Unterstützung für weitere Modelle wurde bereits angekündigt.
Geht dieser Plan auf, bleibt Apple auch im KI-Zeitalter der Gatekeeper für eine riesige User-Basis. Zudem steigt der Anreiz für Geräte-Upgrades. Apple Intelligence braucht aktuelle Hardware. Die erste Version funktioniert zwar mit allen Macs mit M-Chips, aber nur auf dem iPhone 15 Pro. Hast du nicht das neueste und teuerste Smartphone, schaust du in die Röhre. Je stärker Apple die KI in sein System integriert, desto höher wird der Druck.
Die vorgestellten generativen Funktionen für Text und Bilder sind alle nicht neu. Apples Innovation ist die nahtlose Integration ins Ökosystem. Tiefe Hürden sind essenziell. Durchschnittsuser öffnen für den Zugriff auf einen Chatbot keine separate App, sondern möchten solche Funktionen an sinnvollen Orten auf einem Silbertablett. Und sie wollen sie in verschiedenen Apps und Systemen wiedererkennen.
Ihren Alltagsnutzen muss Apple Intelligence erst noch beweisen. Die beste Architektur ist hinfällig, falls Siri am Ende nicht das kann, was die Kundschaft erwartet. Genau so hat schon ihre alte Version viele enttäuscht. Auch die generativen Funktionen müssen gut genug und zuverlässig genug sein. Ob das der Fall ist, lässt sich erst einige Monate nach ihrer Einführung beurteilen.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.