Power für deine Kraftwerke: Was ist dran an der «Mito-Medizin»?
Gut, dein Bio-Unterricht ist verdammt lang her. Doch was du dir merken kannst: Ohne Mitochondrien funktioniert nichts in deinem Körper. Zum Glück kannst du diese Kraftwerke deiner Zellen ganz einfach empowern. Vielleicht fühlst du dich dann auch seltener müde.
Die einen denken bei «ATP» an Herren-Tennis. Die anderen an Adenosin-Tri-Phosphat (ATP). (zugegeben, wohl nur Biochemie-Versierte.) Dieses Molekül hat in deinem Körper die Aufgabe, Energie zu speichern und bereitzustellen. Das geschieht in den 100 Billionen Zellen, aus denen du dich zusammensetzt – genauer gesagt: in den Mitochondrien.
Diese sogenannten Zellorganellen sind winzige, ovale Gebilde, von einer Doppelmembran umschlossen und haben 37 eigene Gene. Evolutionär betrachtet, waren Mitochondrien einst Bakterien (deshalb die eigene DNA) und sind vor mehr als 1,6 Milliarden Jahren mit den Vorläufern unserer Zellen verschmolzen.
«In einer durchschnittlichen menschlichen Zelle finden sich etwa 1000 Mitochondrien», schreiben der Biochemiker Martin Auerswald und der Sportwissenschaftler Martin Krowicki in ihrem Ratgeber «Zell Reset». «In den Zellen, die für Ihr Überleben (Eizelle, Herzmuskelzelle, Nervenzelle) am wichtigsten sind, sogar bis zu mehreren Hunderttausend Mitochondrien.»
Power für die Zellen: Wie Mitochondrien arbeiten
Jetzt wird’s kurz biochemisch: Die angelieferten Nährstoffe (Fette, Eiweiße, Kohlenhydrate) werden bei der Zellatmung umgewandelt. Aus Glucose und Sauerstoff entstehen Kohlendioxid und Wasser – plus: ATP, also die lebenswichtige Energie für deinen Organismus. Das tun die Mitochondrien mit enormer Power: Ein einziges Mitochondrium setzt pro Sekunde «zwischen 10 000- und 50 000-mal mehr Energie um als die Sonne», hat diese Studie berechnet. Ein Grund, warum man Mitochondrien auch «Kraftwerke der Zellen» nennt.
Nun arbeiten diese Kraftwerke nicht immer reibungslos – sind sie beschädigt oder einfach überaltert, kommt der zelluläre Stoffwechsel aus dem Tritt. Es werden vermehrt freie Radikale produziert, die für die Zelle giftig sind. Normalerweise bauen die Mitochondrien diese unerwünschten Stoffwechselprodukte ab. Sind sie aber geschwächt, kommen sie dem nicht mehr nach.
Die Folge: oxidativer Stress. Dieser kann u.a. den Alterungsprozess beschleunigen und das Risiko für zahlreiche Erkrankungen erhöhen. Darüber hinaus führen schwere Funktionsschäden an den Mitochondrien zu – wenn auch seltenen – Krankheiten. Diese Mitochondriopathien sind entweder angeboren oder erworben.
Doch selbst wer diese Erkrankungen nicht hat – also die Mehrheit der Menschen –, kann geschwächte Mitochondrien spüren: Müdigkeit bis hin zur chronischen Erschöpfung, nachlassende Belastbarkeit genauso wie «unerklärliche spürbare Gewichtszunahme oder eine Gelenkserkrankung», zählt Dermatologin Yael Adler in ihrem Ratgeber «Genial Vital» als mögliche Symptome auf. «Mediziner sind manchmal geneigt, Burn-Out-Symptome oder Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrome, (…) den Reizdarm oder die Fibromyalgie als psychosomatische, «eingebildete» oder «Modekrankheiten» zu belächeln. Nach neueren Erkenntnissen können sie sich aber auch melden, wenn die Arbeit der Mitochondrien aus dem Takt gerät.»
Ähnlich formulieren es auch die Experten in «Zell Reset»: «Die wichtigsten Erkennungszeichen für Mitochondrien-Schäden sind Energiemangel in irgendeiner Form. Auf der einen Seite fehlt Energie für den Körper, auf der anderen Seite reichern sich Glukose, Fettsäuren, Zwischen- und Abbauprodukte im gesamten Körper an und bereiten Probleme. Den Flaschenhals bilden die Mitochondrien. Übliche Symptome sind Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, Stimmungsschwankungen, Heißhungerattacken, Verdauungsprobleme und Gewichtszunahme.»
Medizin für die Mitochondrien: Genaue Zusammenhänge noch unklar
Nun sind das leider sehr viele, sehr diffuse Symptome – und in der Wissenschaft ist längst noch nicht klar, wie genau eine mitochondriale Medizin genau aussehen müsste, um gezielt zu wirken. Auch vermutet man einen Zusammenhang zwischen altersbedingten Krankheiten wie Alzheimer und einer Fehlfunktionen der Mitochondrien. Doch die Mechanismen dahinter sind ebenfalls noch unklar.
Plus: Es tummeln sich, schrieb schon 2017 der deutsche SPIEGEL, «in der Branche viele Quacksalber, die potentere Mitochondrien unter anderem mit dem Einwurf teurer Nahrungsergänzungsmittel versprechen.» So einfach ist es sicher nicht.
Auch mit teuren Bluttests den Zustand der Mitochondrien bestimmen zu lassen, ist nicht jedem zu empfehlen. Nur wenn du an diffusen Beschwerden leidest und mit Arzt oder Ärztin der Sache auf den Grund gehen willst, kann ein Test Mittel zum Zweck sein. Nur muss jemand diese Daten auch interpretieren können, um daraus konkrete Empfehlungen für z.B. Nahrungsergänzungsmittel abzuleiten.
Hinzu kommt: Jeder Mensch ist anders. «Familiäre Verhältnisse, Vorerkrankungen, Muskeln, Körperfett, Nährstoffversorgung, Ernährung, Stress, Gewohnheiten, berufliche Situation, Genetik, Giftstoffbelastung, Lebensverhältnisse ... viele Faktoren beeinflussen den Zustand unserer Mitochondrien», schreiben Auerswald und Krowicki in ihrem Buch.
Was die Mitochondrien auf jeden Fall stärkt
Doch das Gute ist: Was sich in puncto Mito-Medizin schon heute empfehlen lässt, ist ohnehin Konsens in der Fachwelt. Kurz gesagt: gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, genügend Bewegung. Sowieso kann man nicht oft genug betonen: «Gene haben nur bis zu 30 Prozent Einfluss auf unsere Lebenserwartung, der Rest ist Lebensstil», so Dermatologin Yael Adler.
Lebensstil also. Gesund sollte er sein – und wenn du deine zellulären Kraftwerken empowerst, wirst du im Idealfall auch mehr Energie verspüren und seltener schlapp und müde sein. Schaden kann es jedenfalls nichts, wenn du folgendes tust:
Gifte meiden Eigentlich ganz logisch: den Umgang mit Umweltgiften (Feinstaub, behandelte, neue Kleidung, Ausdünstungen von neuen Möbeln, Pestiziden, Mikroplastik usw.), Schwermetallen und anderen toxischen Stoffen (auch Zigaretten und Alkohol) sowie die unnötige Einnahme von Medikamenten solltest du meiden. Diese stören nicht nur die komplexen Abläufe der Zellatmung, sondern sind sowieso nicht gut für deine Gesundheit.
Schilddrüse stärken «Die Schilddrüse wird auch als «Gaspedal des Körpers» bezeichnet und regelt maßgeblich, wie viele Mitochondrien Sie haben und wie aktiv die Mitochondrien sind», so die Autoren in «Zell Reset». Fakt ist: Die Schilddrüsenhormone T4 und T3 wirken auf den zellulären Stoffwechsel. Die Hormone docken im Gewebe an die Mitochondrien an, die Zellen können dank T3 und T4 besser Glucose und Sauerstoff verstoffwechseln. Deshalb gilt es, die Schilddrüse gut zu behandeln – praktischerweise stärkt sie alles, was jetzt folgt, aber natürlich auch deinen gesamten Körper:
Reduziere Stress Die Zelle kennt «oxidativen Stress»: Dabei werden vermehrt freie Radikale gebildet und schädigen die Zelle auch dauerhaft, so Auerswald und Krowicki: «Mitochondrien-Schäden, chronische Entzündungen und oxidativer Stress begünstigen und verstärken sich gegenseitig.» Die Mitochondrien selbst können den oxidativen Stress nicht eigenständig regulieren, sondern melden ihn an den Rest der Zelle. Erst dann werden Reparaturprozesse angestoßen oder auch der Zelltod. Als einer (von vielen) Auslösern für oxidativen Stress gilt tatsächlich dein eigener Stress.
Vermeide daher nach Möglichkeit übermäßige Belastung, außerdem können Meditieren und andere Entspannungsübungen, häufigere Pausen, Sport, Spaziergänge und Digital Detox helfen, Stress zu reduzieren.
Lebensmittel mit hohem ORAC-Wert essen
Die Gegenspieler zum oxidativen Stress heißen: Antioxidantien, also Vitamine und Polyphenole. Die finden sich in allen Lebensmitteln, die natürlich gewachsen und intensiv in Aroma und Farbe sind. Laut «Zell Reset» kann man den «Gehalt und die Güte von Antioxidantien im Labor grob mit dem ORAC-Wert beziffern. ORAC steht für «Oxygen Radical Absorbance Capacity», also die Fähigkeit Sauerstoffradikale abzufangen.» Diese Lebensmittel haben einen hohen ORAC-Wert, in absteigender Reihenfolge gelistet:
- Vitalpilze Reishi und Chaga
- Zimt, Nelken, Kurkuma und Ingwer
- Grüner Tee
- Küchen- und Wildkräuter
- Dunkler Kakao
- Beeren
- Kaffee
- Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte
Gesund ernähren Apropos Ernährung: Auch den Mitochondrien tut es unbestritten gut, wenn du dich richtig ernährst. Kollegin Anna beschreibt in diesem Artikel, was die Wissenschaft heute darüber weiß.
Achte auf deinen Schlaf Schlafprobleme angehen. Denn, so Medizinerin Yael Adler in «Genial vital»: «Der wohl bedeutendste Stoff für surrende Mitochondrien ist das Melatonin.» Das Hormon stößt dabei nicht nur den Schlaf an, sondern ist auch wichtig für die Gene: «Als Antioxidans wirkt es antientzündlich, ein hoher Spiegel hemmt das Wachstum verschiedener Tumorarten, es schützt die Mitochondrien und hält sie am Laufen.» Tatsächlich können die Mitochondrien sogar selbst Melatonin herstellen. Doch mit zunehmendem Alter und bei Krankheiten und Entzündungen nehme dieses Potential ab und der Spiegel sinke drastisch. Die Folgen: schlechterer Schlaf und somit ein noch größerer Melatoninmangel.
Bewusst atmen Bei der Zellatmung braucht das Mitochondrium, genau, Sauerstoff. Also hilft es ihm, wenn du mehr davon in deinen Körper lässt. Kollegin Olivia hat beschrieben, wie du besser und tiefer atmen lernen kannst. Deine Zellen werden geradezu aufatmen.
Öfter dankbar sein
Auch die innere Einstellung hat Auswirkung auf deine Zellen. Forschende der Columbia University fanden in ihrer Studie heraus: «Die Menschen, die sich nach dem Aufwachen und beim Zubettgehen in einer positiveren Grundhaltung befanden, hatten bessere Werte hinsichtlich gemessener Enzyme in den Mitochondrien», heißt es in «Zell Reset». Wenn du deine Mitochondrien gesund erhalten willst, praktiziere also öfter Dankbarkeit – zum Beispiel mit einem speziellen Tagebuch, aber auch, indem du mit deinen Liebsten täglich darüber sprichst, wofür ihr dankbar seid.
Regelmäßig fasten Beim Fasten passiert auf biochemischer Ebene in den Zellen eine ganze Menge, was auch für einen mitochondrienfreundlichen Lifestyle sorgt. Dabei, so Experte Auerswald, «steigt der Körper von gespeichertem Glykogen in der Leber auf Fettsäuren um – die Stoffwechsellage wird ketogen.» Kurz gesagt, wirft das Reduzieren von Kalorien die Vermehrung der Mitochondrien an und reguliert auch die Produktion freier Radikale und somit von oxidativem Stress. Du musst übrigens nicht gleich tagelang fasten: Schon Intervallfasten zum Beispiel mit der 16-stündigen Essenspause in der Nacht hilft.
Sport ist eben nicht Mord Wie bei der Ernährung ist sich die Wissenschaft über noch einen Punkt einig: Es tut dem gesamten Organismus gut und nicht nur deinen Mitochondrien, wenn du dich mehr bewegst. Lieber moderat als exzessiv, lieber regelmäßig als nur hin und wieder.
Titelfoto: shutterstockI could've become a teacher, but I prefer learning to teaching. Now I learn something new with every article I write. Especially in the field of health and psychology.