
Meinung
Diese sieben Games würde ich am liebsten vergessen und noch einmal spielen
von Domagoj Belancic
Nach den fünf «Indiana Jones»-Filmen habe ich kompetente und interessante Frauen im Franchise abgeschrieben. «Indiana Jones und der Grosse Kreis» hat mich deswegen positiv überrascht. Die neue Begleiterin Gina Lombardi ist richtig cool.
Im letzten Winter habe ich zum ersten Mal einen ganzen «Indiana Jones»-Film geschaut. Jahrelang konnte ich mich nur an die eine Stelle aus «Der Tempel des Todes» erinnern, in der Schlangeninnereien und Affenhirne verspeist werden. Mit dem Spiel «Indiana Jones und der Grosse Kreis», das seit dem 17. April auch auf der PS5 verfügbar ist, hat sich das geändert.
Das Review von Kollege Philipp hat meinen Abenteuer-Nerv getroffen. Für mich war klar: Ich wollte das Rätsel- und Action-Spektakel selbst erleben und würde mir dafür die überschaubare Anzahl von fünf Filmen als Vorbereitung zu Gemüte führen. Die exotischen Abenteuer mit den übertriebenen Actioneinlagen haben mich auch 40 Jahre nach der Geburt des Franchises begeistert. Das Frauenbild darin leider nicht.
Entsprechend tief waren in dieser Hinsicht meine Erwartungen an das neue Spiel der «Wolfenstein»-Entwickler Machine games. Der Auftritt der schlagfertigen Journalistin Gina Lombardi hat mich aber komplett begeistert. Um meine Freude über die gelungene Begleiterin zu erklären, muss ich zuerst über die Problematik der Frauen in «Indiana Jones» sprechen.
Die Frauen in den «Indiana Jones»-Filmen haben wenig bis keine Autonomie. Ihr Charakter wird oftmals über die Beziehung zu Indiana Jones definiert. Manchmal muss dafür nicht einmal eine Beziehung existieren – so werden die Studentinnen des erfolgreichen Archäologie-Professors nur beim Anschmachten gezeigt, um seine Attraktivität zu unterstreichen. Eine weitere Funktion haben sie nicht.
Die Frauen werden kaum als Individuen mit eigenen Fähigkeiten und Bedürfnissen gezeigt. Selbst kompetente Schurkinnen wie die sowjetische KGB-Agentin Irina Spalko aus «Das Königreich des Kristallschädels» sind keine ausgearbeiteten Charaktere. Irina handelt nicht in ihrem eigenen Interesse, sondern in dem ihrer Organisation. Wer die Frau mit dem Rapier wirklich ist, erfahre ich im Film nicht.
Nicht nur Statistinnen und Schurkinnen kommen in den «Indiana Jones»-Filmen schlecht weg, Indys Liebhaberinnen ergeht es nicht besser. So weist er zum Beispiel jegliche Verantwortung von sich, mit der minderjährigen Marion Ravenwood eine Affäre eingegangen zu sein und effektiv Grooming betrieben zu haben. Während Indiana Jones mit ihrem Vater arbeitet, verguckt er sich in die 16-Jährige. Als sich die beiden Verliebten trennen, zerstört das für mehrere Jahre Indys Verhältnis zu den Ravenwoods.
Als Marion ihn Jahre nach der Liebschaft in «Jäger des verlorenen Schatzes» damit konfrontiert, entgegnet er lediglich: «I did what I did. You don’t have to be happy about it», also «Ich habe getan, was ich getan habe. Du musst nicht glücklich darüber sein.» Was ist das bitte für eine Entschuldigung?
Indiana Jones schläft nicht nur mit Töchtern seiner Arbeitskollegen, sondern verwendet Frauen auch als menschlichen Schutzschild. In der Anfangsszene von «Der Tempel des Todes» hält er die Sängerin Willie, die später zu seiner Begleiterin und Liebschaft wird, schützend vor sich und bedroht sie mit einer Gabel im Rücken.
Anstatt ihn ernsthaft damit zu konfrontieren, regt sie sich darüber auf, Löcher in ihrem schönen Kleid zu haben. Das einzige Mitleid, das ich für Willie verspüre, gilt ihrem oberflächlichen Charakter. Diese Szene trägt zum sexistischen Frauenbild der Filme bei, indem sie eine Frau zeigt, der ihre Kleidung wichtiger ist als ihre Gesundheit. Zusätzlich ist Willie aus «Der Tempel des Todes» für ihr ständiges Gekreische bekannt. Auch das zeichnet ein unrealistisches Frauenbild.
Beim Nachholen der «Indiana Jones»-Filme fand ich die Szenen rund um die Begleiterinnen schwierig zum Anschauen und hätte gut darauf verzichten können. Obwohl sie durchaus starke Momente bekommen, sind sie nur Beiwerk zum männerdominierten Abenteuer und keine ausgearbeiteten Individuen. Das stört mich vor allem, weil die männlichen Begleiter von Indy wie Henry Jones Senior und Mutt Williams im Gegensatz dazu deutlich komplexere Charaktere sind.
Die «Indiana Jones»-Filme haben ihre sexistischen Szenen, sind aber keine sexistischen Werke per se. Die Philosophin Kate C.S. Schmidt von der Metropolitan State University of Denver erklärt das in ihrem Text «Feminism and Indiana Jones: A Field Guide» übersetzt wie folgt: «Filme und Literatur sind imperfekt und wir können immer noch Fans sein, ohne gegenüber sexistischen Problemen blind zu sein. Filme mit Mängeln können immer noch wertvoll sein, weil sie Freude bereiten oder andere moralische Werte repräsentieren.»
So ging es auch mir beim Schauen der Indy-Filme. Mein Hirn hat sich bei den «romantischen» Stellen ausgeschaltet, den Rest hat es mit Genuss konsumiert.
Ausserdem mögen die Frauen in «Indiana Jones» zwar zu kurz kommen, dafür sind die alten Filme in anderen Bereichen progressive Vorbilder in der Filmlandschaft der 1980er-Jahre. So zeichnet zum Beispiel «Der letzte Kreuzzug» ein Bild von Männlichkeit, das von toxischen Idealen befreit ist.
Die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Indy und seinem Vater steht im Mittelpunkt des Filmes und zeigt, wie wichtig Familienbanden sind. Zusätzlich zeigt sich Indiana Jones vom Betrug der Historikerin Elsa Schneider offen verletzt, als sie sich als Nazi herausstellt und ihn benutzt, um an den Heiligen Gral zu gelangen. Toxische Männlichkeit ist gegen das Zeigen von Gefühlen und Teil vieler Filmen mit emotionslosen Protagonisten.
Darum: Ich möchte niemandem seinen Lieblingsfilm absprechen oder ruinieren. Ich mache auf die Problematik aufmerksam, um zu erklären, wie sie in einem Werk aus demselben Franchise gelöst werden kann, um für ein besseres Ergebnis zu sorgen.
Gina Lombardi aus dem neuen Spiel «Indiana Jones und der Grosse Kreis» verhält sich anders als ihre Vorgängerinnen. Ich lerne sie im Vatikan als kokette und verschlagene Journalistin kennen. Während Indy sich über seine Feinde schlau macht, erwischt er Gina in Nonnen-Verkleidung dabei, wie sie dasselbe tut. Schnell bildet sich eine Zweckgemeinschaft, die von einer effektiven Zusammenarbeit, aber auch Verrat geprägt ist. Bis ich Gina wirklich kennenlerne, verstreicht einige Zeit.
Das ist für mich im Publikum endlich ein realistisches Kennenlernen. Sind wir ehrlich: Indiana Jones ist ein attraktiver, intelligenter und geschickter Mann. Das bedeutet aber nicht, dass ihm alle Frauen sofort zu Füssen liegen. Ginas anfängliche Zweifel sind eine willkommene Abwechslung und machen die spätere Entwicklung ihres Charakters sowie ihrer Beziehung zu Indiana Jones realistischer und belohnender.
Sobald Indy ihre harte Schale knackt, stellt sie sich als verlässliche Begleiterin heraus. Ihre Kontakte sind eine zusätzliche Form der Unterstützung. So hat Gina Interaktionen und Freundinnen abseits von Indy, wie mit ihrer Verbündeten Nawal in Gizeh. Tatsächlich besteht «Der Grosse Kreis» den sogenannten Bechdel-Test, der die Repräsentation von Frauen in Filmen untersucht. Dafür muss ein Film 1) mindestens zwei Frauenrollen haben, 2) die sich miteinander unterhalten und 3) das über etwas anderes als Männer.
Gina rutscht ausserdem nicht nur in die Handlung, um Indiana Jones zu helfen. Sie verfolgt ihre eigenen Ziele. Ginas oberste Priorität ist es, ihre Schwester aus den Fängen der Nazis zu befreien. Es gehört mehr dem Zufall an, dass sie dem kompetentesten Archäologen und Nazi-Verprügler der Welt begegnet.
Im Verlauf von «Der Grosse Kreis» kommt eines zum anderen und Indiana Jones und Gina Lombardi entwickeln ein gegenseitiges, romantisches Interesse. Es gefällt mir sehr, dass Indy nicht allein die Zügel in der Hand hält. Gina bestimmt das Tempo der Beziehung mit und hält Indys (und mein) Interesse an ihr aufrecht. Die beiden necken sich fleissig – wenn auch in deutlich gesünderem Masse als in den Filmen. Überhaupt verschwinden viele toxische Elemente dadurch, dass Gina einen ausgereiften Charakter hat und eigene Ziele verfolgt. Sowohl Indy als auch ich wissen, dass sie nicht jeden Mist mit sich machen lässt.
Das macht die romantischen Szenen belohnender. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich den beiden die Daumen gedrückt und mich auf jede Interaktion mit Gina gefreut habe.
«Indiana Jones und der Grosse Kreis» beweist, dass das Franchise starke und unabhängige Frauen verträgt. Das Videospiel fängt den Charme der alten Filme ein, ohne ihre Schwächen zu teilen. «Der Grosse Kreis» legt zusätzlich die Blaupause fest, wie eine gelungene und modernisierte Wiederbelebung von «Indiana Jones» aussieht. Das haben «Das Königreich des Kristallschädels» und «Das Rad des Schicksals» leider verfehlt – sowohl in ihrem Frauenbild als auch bei der Erzählung. Darum kommen die beiden modernen Filme deutlich schlechter weg als die Trilogie aus den 1980er-Jahren.
Gina Lombardi gefällt mir als Begleiterin in einem «Indiana Jones»-Werk, durch ihre Kompetenz und ihren ausgearbeiteten Charakter, aber auch als Videospiel-Protagonistin allgemein. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr durchsetzungsfähige Begleiter und Begleiterinnen, die ich nicht wie Ashley aus «Resident Evil 4» oder Maria aus «Silent Hill 2» wie meinen Augapfel hüten muss.
Auch dürfen sich Action-Heldinnen eine Scheibe für ihre zukünftigen Begleiter abschneiden – unabhängig davon, ob eine romantische Beziehung entsteht oder nicht. Die Kinoleinwände könnten ebenfalls mehr gesunde Romanzen vertragen. Das ist aber ein Fass für ein anderes Mal.
Meinen ersten Text über Videospiele habe ich mit acht Jahren geschrieben. Seitdem konnte ich nicht mehr damit aufhören. Die Zeit dazwischen verbringe ich mit meiner Liebe für 2D-Husbandos, Monster, meinen Krawallkatzen und Sport.