Weshalb «The Lord of the Rings» auch heute noch floriert
9-5-2024
Film-, Serien- und Gameprojekte aus Mittelerde zeigen: Auch 20 Jahre nach der Filmtrilogie brennt die Leidenschaft für «The Lord of the Rings» lichterloh. Doch dieses Phänomen in Worte zu fassen, ist gar nicht so einfach. Ich versuche es trotzdem.
2024 ist für Fans von Hobbits, Elben und Olifanten ein gutes Jahr: Die zweite Staffel der Serie «The Rings of Power» erscheint, die Extended Editions der Filmtrilogie kommen in den USA nochmals ins Kino, mit «The War of the Rohirrim» erscheint ein neuer Animationsfilm und im Game «Tales of the Shire» schlüpfst du in die Haut eines Hobbits. Und das alles noch in diesem Jahr!
Die Faszination Mittelerde lebt. Und das ist nicht selbstverständlich: Siebzig Jahre sind seit der Veröffentlichung des ersten Buchs vergangen. Über zwanzig Jahre seit den Filmen. Trotzdem erreicht uns noch regelmässig Kunde aus J.R.R. Tolkiens Welt in Form von kreativen Projekten. Diese Leidenschaft, mit der Millionen von Menschen für «The Lord of the Rings» brennen, sucht ihresgleichen.
Peter Jackson und ich
«The Lord of the Rings» steht für mich vor allem für die Filmtrilogie, die von 2001 bis 2003 erschienen ist. Die Verfilmungen von Peter Jackson waren es, die mich in den Nullerjahren in den Bann von Mittelerde zogen. Parallel dazu spielte ich die ersten Games: das legendäre Hack-&-Slash-Spiel «The Return of the King» für die Playstation 2 und das Strategiespiel «The Battle for Middle-earth» am PC. Danach habe ich die drei Bücher gelesen, nur um «The Silmarillion» habe ich einen grossen Bogen gemacht. Schande über mich!
Noch heute höre ich regelmässig die Soundtracks der Filme, schaue Behind-the-Scenes-Compilations, Videoessays und Game-Reviews auf Youtube, scrolle durch Memes und kann jedes Wort der Filmtrilogie auswendig wiedergeben. Doch am stärksten beeinflusst hat mich «The Lord of the Rings» in meiner Kindheit und Jugend. Bilbos Geburtstagsfest versetzt mich noch heute zurück aufs Sofa im elterlichen Wohnzimmer. Elronds Rat deckt mich mit einer Kuscheldecke zu und der Aufbruch der Gefährten drückt mir eine warme Schoggi in die Hand.
«The Lord of the Rings» zu schauen oder zu spielen, ist für mich auch eine Zeitreise. Zurück in eine Zeit, in der Schulnoten relevant waren und ich für die Klavierstunde üben musste. Der Mittwochnachmittag war frei und das einzige Wochenendprogramm war ein Fussballmatch am Samstag. Diese Unbesorgtheit der Jugend schwingt mit, jedes Mal, wenn Legolas seinen Bogen spannt oder Gimli seine Axt zückt. Ein grosser Teil meiner Liebe zu «The Lord of the Rings» besteht aus Nostalgie.
Gollum und Gimli
Diese Nostalgie existiert nicht nur in meinem Kopf, sondern manifestiert sich in der täglichen Wiederholung von kultigen Sprüchen aus der Filmtrilogie. Mehr als die Hälfte meiner Bekannten könnte den Satz: «Der zählt trotzdem nur als einer!» zuverlässig dem richtigen Charakter und der richtigen Szene zuordnen, dessen bin ich mir sicher. «The Lord of the Rings» ist gespickt mit Sätzen, die mir mit ihrer Prägnanz Hühnerhaut bescheren. Kostprobe gefällig?
- «Auf den Tisch kommt heut’ ein Fisch, so saftig süss»
- «Tooooooooood!»
- «Ich bin kein Mann.»
- «Meine Freunde, ihr verneigt euch vor niemandem.»
Mit seiner «Quotableness» liefert «The Lord of the Rings» die Steilvorlage für tausende Memes, die sich jeden Tag über das Internet ergiessen. Immer und immer wieder stimulieren Bilder der Gefährten mein Nervensystem. Durch die ständige Wiederholung identifiziere ich mich noch stärker mit der Geschichte um Mittelerde. Verliert jemand in einem Kommentar ein schlechtes Wort über «The Lord of the Rings», schreiten wir Nerds ein und verteidigen die Ehre unseres Heiligtums wie die Turmwachen Gondors. Oder je nach Tonfall wie eine Horde Orks.
Aragorn und Boromir
Wie wir Fans sind auch unsere Helden nicht über alle Zweifel erhaben. «The Lord of the Rings» räumt allen Hauptcharakteren (ausser vielleicht Legolas) die Zeit ein, sich zu entwickeln und einen Wandel zu durchlaufen. Frodo verlässt sein trautes Heim, wehrt sich bis zum Ende gegen den Einfluss des Rings und entdeckt in Sam den Wert der Freundschaft. Gimli freundet sich als einer der wenigen Zwerge mit den Elben an. Aragorn findet den Mut, den Thron Gondors zu besteigen. Arwen entscheidet sich gegen ein ewiges Leben und für die Liebe. Selbst Merry und Pippin überkommen ihre Naivität und beeinflussen die Geschehnisse des Kriegs massgebend.
Eine der spannendsten Figuren ist für mich Boromir. Obwohl er schwört, Frodo bei seiner Mission zu schützen, verfällt er der Macht des Rings und will ihn Frodo sogar abnehmen. Trotzdem kämpft er bis zu seinem heldenhaften Tod für das Gute. Boromir zeigt, wie der Ring Menschen korrumpiert, selbst einen standhaften Sohn Gondors. Seine Rolle lässt mich verstehen: Frodo trägt nicht nur ein Paar Gramm Gold um den Hals, sondern eine unvorstellbar schwere Last.
Die letzte halbe Stunde von «The Return of the King» befasst sich ausschliesslich damit, die Geschichten der einzelnen Charaktere zu Ende zu erzählen. Aragorn wird König, die Hobbits kehren zurück ins Auenland und Frodo betritt mit Gandalf das Elbenschiff nach Valinor. Der Schlussakt zieht sich dahin, vor allem wenn man schon gute acht Stunden geschaut hat. Und doch bin ich froh, dass Peter Jackson den Protagonisten genug Zeit einräumt, sich vom Publikum zu verabschieden. Der Schluss erzählt die Geschichten zu Ende, löst Knoten und klärt offene Fragen. Für Fans ist die Konklusion hochemotional und rührend. Noch nie sind meine Augen in dieser letzten halben Stunde trocken geblieben.
Howard Shore
Schuld an meinen Tränen der Rührung ist unter anderem der Komponist Howard Shore. Keine Filmmusik löst in mir so starke Emotionen aus, wie der Soundtrack von «The Lord of the Rings». Er begleitet nicht nur, sondern ist als kohärenter Strang eingeflochten in die Handlung. Die Melodien fangen die Stimmung jeder einzelnen Szene perfekt ein, während sie sich durch die Trilogie ziehen. Eine verspielte Violine hüpft mit mir durch das Auenland, kreischende Chöre warnen vor den Nazgûl, und mit triumphalen Bläsern im Rücken stürmen die Rohirrim vor Minas Tirith auf die Orks zu – um dann im Moment des Zusammenpralls zu verstummen. Für einige Sekunden setzt die Musik aus und als Zuschauer sauge ich die Grausamkeit des Kampfes in ihrer Ganzheit auf: Pferde wiehern, Speere fliegen, Rüstungen bersten und Krieger brüllen, als die Kavallerie über ihre Gegner fegt.
Nicht umsonst hat Howard Shore für seine musikalische Unterstreichung der Filmtrilogie zwei Golden Globes, drei Oscars und vier Grammys abgestaubt. Auch 20 Jahre später zeigen Konzerthallen regelmässig die Filme, während Orchester die Musik live einspielen.
Tom Bombadil und Celebrimbor
Wenn du weisst, wer Tom Bombadil ist, dann hat die Filmtrilogie in dir den Hunger geweckt, mehr über J.R.R. Tolkiens Welt herauszufinden. Denn das sonderbare Wesen kommt in den Filmen nicht vor, gehört aber zu den interessantesten Figuren in Mittelerde. Das macht ihn zu einem beliebten Charakter für Spiele oder Spin-Offs. Ähnlich steht es um Celebrimbor: Der elbische Schmied, der Sauron half, die Ringe der Macht zu erschaffen, wurde aus der Filmtrilogie geschnitten. Celebrimbor spielt dafür im Videospiel «Shadow of Mordor» und in der Serie «The Rings of Power» eine zentrale Rolle. Die zwei Charaktere zeigen: Die Welt des Rings ist ein Fass ohne Boden. Tolkien hat ein Universum geschaffen, mehrere Sprachen entwickelt, ein Pantheon ausgearbeitet und Karten gezeichnet. Alles zusammen liefert Material für Kinofilme, Bücher, Games, Radiosendungen, Serien, Parodien, Youtube-Videos und vollgepackte Fanfiction-Foren. Wer sich wirklich für «The Lord of the Rings» interessiert, kann sich ein Leben lang damit befassen und täglich auf neue Details stossen.
Einen «The Lord of the Rings»-Film zu schauen, ist für mich ein Erlebnis. Und zwar keines, das mich zwei Stunden mässig unterhält, sondern eines, das mich in einer fremden Welt versinken lässt, mich auf magische Weise einhüllt und auf allen Ebenen verwöhnt. Dass jemals ein Fantasy-Werk einen vergleichbaren Stellenwert für mich haben wird, bezweifle ich.
Ich könnte stundenlang weiterschwärmen. Von der perfekten Rollenbesetzung, den unglaublichen Miniatur-Filmsets, den ausgefuchsten Visual Effects, der atemberaubenden Landschaft und dem Einfluss, den «The Lord of the Rings» auf das Fantasy-Genre hatte. Doch dieser Text ist schon lange genug und ich will ja keine Trilogie schreiben. Stattdessen möchte ich nun von dir wissen, ob und wieso dir Frodo und seine Gefährten ans Herz gewachsen sind. Schreib es in die Kommentare. Ich freue mich darauf, von dir zu lesen.
Titelbild: New Line Cinema
Valentin Oberholzer
Freier Autor
Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.