Was ist dran an den Mythen der Beauty-Industrie? Zwei Chemikerinnen klären auf
Sie halten sich hartnäckiger als manche Hautprobleme: Beauty-Mythen. Die beiden Chemikerinnen Gloria Lu und Victoria Fu haben ein klares Ziel: Sie wollen irreführende Versprechen der Kosmetikindustrie aufdecken. Wir haben sie im Interview zu den größten Beauty-Mythen befragt.
Bei ihnen scheint gleißend die Sonne Kaliforniens, bei uns ist es früher Abend, als sich Gloria Lu und Victoria Fu zum Zoom-Gespräch dazuschalten. Die beiden Frauen sind vieles: Buchautorinnen, Influencerinnen, Unternehmerinnen. Vor Jahren waren sie Chemikerinnen für den Kosmetik-Weltmarktführer «L’Oreal» am Standort San Francisco. Ihren Weg aus dem Mainstream kannst du hier nachlesen. Auf ihrer Plattform «Chemist Confessions» und in ihrem Buch «Skincare Decoded», schaffen sie Klarheit für Konsumentinnen und Konsumenten zwischen Werbeversprechen und Wissenschaft.
Sie klären über falsche Versprechen der Schönheitsindustrie auf, aber auch über Produkte und wie wir sie am besten anwenden. Im Interview haben sie ihr Wissen über die größten Beauty-Mythen mit uns geteilt.
Heute soll es um Beauty-Mythen gehen. Darum gleich zu einem der hartnäckigsten überhaupt: Sind Silikone wirklich schlecht für unsere Haut?
Gloria: Großer Mythos! Silikone sind eine riesige Gruppe an Inhaltsstoffen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Man kann diese Kategorie nicht über einen Kamm scheren. Silikone werden deshalb so gerne in der Kosmetik angewendet, weil sie sich toll auf der Haut anfühlen. Mengt man einem Produkt nur ein Prozent davon bei, verbessern sich Textur und Hautgefühl. Silikone sind außerdem chemisch rein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie deine Haut irritieren, ist sehr klein.
Kommen wir gleich zum nächsten Mythos. Ölige Haut braucht keine Feuchtigkeitspflege. Stimmt das?
Victoria: Auch das ist ein großer Irrtum! Feuchtigkeit tut auch öliger Haut gut. Eine gute Feuchtigkeitspflege hat nicht nur eine Wasserbasis, sondern auch eine Ölbasis. Sie hilft dabei, die Feuchtigkeit in der Haut einzuschließen. Ja, für Viele ist es unangenehm, Öl auf eine ohnehin schon fettige Haut aufzutragen. Aber Öle helfen zum Beispiel, den Heilungsprozess von Akne zu unterstützen.
Viele befürchten zudem, dass eine Gesichtspflege auf Öl-Basis die Poren verstopft. Ist das auch ein Irrglaube?
Gloria: Ja und nein. Das kommt darauf an, welche Öle man verwendet. Verstopfte Poren sind keine eigene Wissenschaft, wir sprechen dabei eher von Wahrscheinlichkeiten. Ein Produkt, das sehr dazu neigt die Poren zu verstopfen, ist pures Kokosöl. Bei anderen Ölen wie Squalan ist die Chance auf verstopfte Poren sehr gering. Das Öl ist geruchsneutral, wird aus Oliven gewonnen, ist aber deutlich weniger fettig.
In eurem Buch betont ihr die positive Wirkung chemischer, also säurehaltiger Peelings. In vielen Badezimmern stehen aber die klassischen Scrubs – Peelings mit Schleifpartikeln, die mechanisch wirken und die Hautschüppchen quasi wegschmirgeln. Was ist besser: chemisches Peeling oder mechanisches?
Gloria: Die klassischen Scrubs sollten maximal ein Mal pro Woche verwendet werden, weil das mechanische Peeling die Haut stark irritiert. Ein leichtes chemisches Peeling dagegen kannst du jeden Tag anwenden. Das Abschuppen alter Haut ist sehr wichtig für die Hautgesundheit und reduziert zudem Alterserscheinungen der Haut. Darum war es uns so wichtig, dem Thema «Peelings» in unserem Buch ein ganzes Kapitel zu widmen. Sowohl für Scrubs als auch chemische Peelings gilt: Verwende es mit Maß und Ziel. Nach der Behandlung solltest du nicht wund und rot im Gesicht sein.
Auch zum Thema Sonnenschutz gibt es viel Halbwissen. Ein Gerücht besagt: Sonnenschutz unter SPF 50 ist nutzlos. Wie viel Wahrheit steckt darin?
Gloria: Wenn es um Sonnenschutz geht, haben wir zwei Regeln: «Mehr ist mehr» und «Textur gewinnt». Das Produkt, das du freiwillig öfter am Tag aufträgst, ist der passende Sonnenschutz für dich. Der Zielwert sollte SPF 30 und aufwärts sein. Ein SPF 30, der sich angenehm anfühlt und den du gerne verwendest, bringt dir mehr als SPF 50, der sich nicht gut auftragen lässt und in deinem Badezimmerschrank verstaubt. Es ist außerdem ein Irrglaube, dass die SPF-Skala linear verläuft. SPF 50 ist nicht doppelt so effektiv wie SPF 25. Ein 50er-Schutz wehrt 98 Prozent der UV-Strahlen ab.
Quelle: Grafik aus «Skincare decoded»
Sonnenschutz ist auch eine wichtige Anti-Aging-Vorsorge. Hand aufs Herz: Ist Sonnencreme wirklich ein Wundermittel und verhindert womöglich Falten?
Victoria: Wenn es das gäbe, wäre irgendjemand da draußen Milliardär. Haut altert, das ist der Lauf der Dinge. Hautgesundheit funktioniert nicht nur von außen nach innen, sondern auch von innen nach außen. Unser Lebensstil, Umwelteinflüsse, unsere Gene – all das spielt eine Rolle dabei, wie schnell unsere Haut altert.
Gloria: In den Hautpflegewissenschaften unterscheiden wir Haltalterung durch den Lauf der Zeit und Photoalterung. Letztere kommt von äußeren Faktoren wie eben der Sonne. Wir können nur versuchen, Effekte der Photoalterung zu reduzieren, indem wir unseren Sonnenschutz auftragen, der Haut genug Feuchtigkeit geben oder mit dem Rauchen aufhören. Zusätzlich gibt es «Anti-Agers» wie Retinol, die Photoalterung zusätzlich reduzieren können. Aber wir alle werden älter – kein Produkt kann die Zeit aufhalten.
Jeder ist froh, wenn er endlich die passende Creme gefunden hat. Aber stimmt es eigentlich, dass uns ein- und dieselbe Creme durchs ganze Jahr bringt?
Gloria: Das wünschen wir uns alle. Es kommt aber ganz darauf an, wie stark sich deine Umwelt mit den Jahreszeiten verändert. Wenn du eine Feuchtigkeitspflege gefunden hast, die gut funktioniert, ist das schon eine gute Basis. Dann geht es nur noch darum, deine Routine hier und da an die Jahreszeiten anzupassen. Manchmal braucht deine Haut okklusive Substanzen, also Inhaltsstoffe, die Feuchtigkeit in der Haut einschließen und dort länger halten. Dann kannst du deine Routine zum Beispiel durch einen fetthaltigen Balsam ergänzen.
Mythos oder nicht: Ist der pH-Wert wirklich so wichtig für Hautgesundheit, wie es Produktverpackungen behaupten?
Gloria: Du musst nicht zu viel darüber nachdenken. PH-hautneutral bedeutet einfach nur, der pH-Wert des Produktes entspricht dem deiner Haut, was ungefähr 5 ist. Die meisten Pflegeprodukte richten sich aber ohnehin nach dem pH-Wert deiner Haut.
Victoria: Bei beanspruchter Haut kann es hilfreich sein, sich mit dem pH-Wert deiner Pflegeprodukte zu beschäftigen. Bei gesunder Haut ist das nicht notwendig. Vergiss nicht: Deine Haut besitzt die Fähigkeit, ihren pH-Wert selbst zu regulieren.
Ihr wart nicht schon immer Expertinnen für Hautpflege: Auf welche großen Beauty-Mythen seid ihr selbst in der Vergangenheit reingefallen?
Gloria: Auf einige! Ich habe sehr trockene Haut, weshalb ich während meines Studiums viel Geld in Feuchtigkeitspflege gesteckt habe. Produkte, die schnelle Effekte versprochen haben, habe ich direkt gekauft. Ganz nach dem Motto: Je teurer das Produkt, desto wirksamer. Die meisten dieser Produkte waren aber nur auf Wasserbasis. Das heißt, sie hatten keine Komponenten um die Feuchtigkeit auch in der Haut zu halten. Das Ergebnis war natürlich immer trockenere Haut.
Victoria: «Teuer heisst gut» war auch für mich ein großer Irrglaube. Um meine ölige Haut in den Griff zu bekommen, habe ich viel Geld für viele unterschiedliche Produkte ausgegeben. Dabei habe ich meiner Haut sehr viel zugemutet. Ich habe meine Akne solange falsch behandelt, bis sich mir die Haut im Gesicht abgelöst hat. Heute weiß ich: Für eine gesunde Haut ist weniger oft mehr!
Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.