Wandern mit Kindern: Lust oder Frust?
Nur weil ich gerne z'Berg gehe, heisst das noch lange nicht, dass meine Kinder diese Passion mit mir teilen. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Zum ersten Mal habe ich mit meinen Kindern eine Hütten-Wanderung unternommen. Hier mein persönliches Tagebuch von 2700 Höhenmetern, 20 Wander-Kilometern, 8 Pack Chips und fast so vielen Packungen saure Öpfelringli.
Als Kind bin ich auch hin und wieder mit meinen Eltern wandern gegangen. Aber es wäre gelogen, zu behaupten, ich wäre ein geschädigtes Wanderkind, das von seinen Eltern regelmässig irgendwelche Hügel und Gipfel hinauf gescheucht worden wäre. Und doch hat mich schon als Bub das Wander-Virus befallen. Denn spätestens in der Pfadi führte kein Weg mehr am Schweizer Volkssport Nummer eins vorbei. In besonderer Erinnerung bleiben mir die zweitägigen Wanderungen während des Sommerlagers. Die sogenannten Hikes waren der Höhepunkt eines jeden Solas, wenn auch meistens erst in der Rückblende. Im Moment selber waren es nicht selten Grenzerfahrungen. Ohnehin schon müde nach einer Woche Sommerlager, gezeichnet von den Strapazen des Lagerlebens und geplagt von den ersten Anzeichen aufkommenden Heimwehs hiess es, den Rucksack für den zweitägigen Hike zu packen – und das ohne Unterstützung der Eltern. Dass dabei manch Rucksack nicht gerade ideal gepackt wurde, nämlich viel zu schwer, da vollgestopft mit Fressalien vom Fresspäckli, versteht sich von selbst. So manch Pfadfinder kam bei diesen Wandertouren an seine körperlichen und mentalen Grenzen. War die Wanderung aber erst einmal geschafft, war der Stolz über das Geleistete umso grösser
Mein Sohn wird nächsten Sommer sein erstes Pfadi-Sommerlager besuchen. Quasi als Training haben wir diese Herbstferien unsere erste SAC-Hüttentour unternommen. Und weil es sich bekanntlich in einer Gruppe – und das gilt insbesondere für Kinder, was alle Eltern bestätigen können – einfacher wandert, sind wir das «Experiment» mit zwei Familien angegangen. Genau genommen hat mich mein Freund Flo mit seinen drei Töchtern begleitet. Geplant war eine dreitägige Tour im Alpstein mit jeweils drei bis vier Stunden Wandern pro Tag. Nur nicht zu viel für den Anfang. So unsere Überlegung, um bei den Kindern die Lust am Wandern nicht schon zu vertreiben, ehe die Wanderschuhe überhaupt richtig geschnürt sind.
Soll ich meinem Sohn den Rucksack abnehmen oder soll ich nicht?
Insgesamt stehen uns knapp 3000 Höhenmeter und 20 Wanderkilometer bevor. Das entspricht rund einem Zehntel dessen, was Frau und Herr Schweizer jährlich im Durchschnitt wandern. Denn du musst wissen: Wandern ist der Schweizer Volkssport schlechthin: Laut der Website «Wandern in Zahlen» wandert die Schweizer Bevölkerung im Alter ab 15 Jahren hochgerechnet rund 200 Millionen Stunden pro Jahr. Bei einer geschätzten durchschnittlichen Wandergeschwindigkeit von vier Kilometern pro Stunde werden somit jährlich knapp 800 Millionen Kilometer zurückgelegt. Wieder runtergerechnet auf jede einzelne Wanderin ergibt das rund 200 Wander-Kilometer pro Jahr –im Durchschnitt.
Doch bevor die Wanderschuhe zum Einsatz kommen, geht es mit Zug und Postauto nach Wildhaus im sankt-gallischen Toggenburg. Wenig erstaunlich finden unsere Kinder an diesem Teil der «Wanderung» grossen Gefallen. Während draussen die wunderschöne Herbstlandschaft – der Altweibersommer zeigt sich in den nächsten drei Tagen von seiner besten Seite – vorbei gleitet, wird im Zugabteil bereits ein ansehnlicher Teil des Lunchs vernichtet.
Dann die erste wegweisende Entscheidung. Sollen wir ab Wildhaus die ersten 300 Höhenmeter zu Fuss bewältigen oder nehmen wir die Dienste der Gondel in Anspruch? Eine rhetorische Frage, vor allem wenn du deine Kinder bei einer solchen Entscheidungsfindung involvierst. Natürlich nehmen wir die Gondel, die bereits ein beachtliches Loch in unser Wander-Budget reisst. Oben angekommen, gibt’s eine letzte WC-Pause und dann geht's endlich los.
Die Väter, wissend, was der Tag noch bringt, laufen gemächlich los. Die Kinder, nicht wissend, dass noch 700 Höhenmeter vor ihnen liegen, rennen übermütig voraus, die mahnenden Worte unsererseits ignorierend. Flankiert von imposanten Felswänden geht’s erst einmal gemütlich vorwärts.
Am Fusse des ersten giftigen Anstiegs mit 19 Serpentinen werden erst einmal Mittagsrast und Feuer gemacht. Jetzt ist Energiezufuhr mittels Nahrungsaufnahme angesagt. Essen ist wichtig. Doch wie viel und vor allem was, wenn wenig später ein steiler Anstieg ansteht? Gut möglich, dass sich der anschliessende Aufstieg hinauf für unsere Kinder auch deshalb anstrengend gestaltet, weil sich das Gemisch aus Bratwurst, Schoggi-Guetzli, Mini-Pic und Chips als der nicht ganz ideale Energiespender entpuppt. Schon nach der zweiten Kehre höre ich die Tochter von Flo fragen: «Papi, ist es noch weit». Worauf dieser nett, aber doch bestimmt antwortet. «Für diese Frage ist es jetzt definitiv noch zu früh!»
Nachdem mein Sohn mehrmals dem Kollaps nahe war – hat er zumindest behauptet –, erreichen wir endlich die Zwischenhöhe. Weiter oben auf dem Pass, nochmals 200 Meter höher, sehen wir bereits die «Zwinglipasshütte». Doch was heisst hier bereits: «Waaaaaaaaaaaas, so weit müssen wir noch wandern», tönt es fast unisono. Es muss hier noch erwähnt werden: Alle Kinder tragen einen kleinen, relativ leichten Rucksack.
Und prompt befinde ich mich in einer Zwickmühle: Soll ich meinem Sohnemann den Rucksack abnehmen, weil er wirklich am Ende seiner Kräfte ist und ich ihm so einen Gefallen machen würde? Oder wäre es nicht vielmehr zu seinem Nachteil, weil er lernen sollte, auf die Zähne zu beissen? Es ist schliesslich nicht gut, wenn ich ihm als Vater jedes Hindernis aus dem Weg räume. Ich entscheide mich trotzdem für Ersteres. Und siehe da: Mit dem Ziel vor Augen rennen die Kinder förmlich dem Gipfel entgegen. Ich dagegen schleppe mich in der warmen Nachmittagssonne mit meinem ohnehin schweren Rucksack (das Familiengewicht lastet wortwörtlich auf mir) und dem meines Sohnes zur SAC-Hütte hinauf, wo mich fünf freudestrahlende Kinder empfangen.
Geheimtipp: Wandert als Gruppe, dann bekommt ihr ein Zimmer für euch
Nicht nur für die Kinder, auch für Flo und mich ist eine SAC-Hütte Neuland. Barbara und Bruno begrüssen uns freundlich. Wir sind die ersten Gäste von rund 28 Wandersleuten, die das Wirtepaar an diesem Abend erwartet.
Unkompliziert, aber doch bestimmt werden wir von Bruno in die Hüttenregeln eingeführt. Unser Glück: Weil wir zu siebt unterwegs sind, bekommen wir ein eigenes Zimmer. Das ist weiss Gott keine Selbstverständlichkeit, ist doch der Massenschlag die Regel einer jeder Übernachtung in einer SAC-Hütte.
Schnell sind die Betten bezogen und es bleibt bis zum Znacht genügend Zeit, auf der Terrasse die atemberaubende Aussicht – Churfirsten inklusive – zu geniessen. Punkt 18:30 Uhr heisst es dann Abendessen. Die Kinder sind begeistert. Nach einer würzigen Suppe werden mit Käse überbackene Hörnli serviert. Genau das Richtige nach einem solch kräftezehrenden Tag. Zum Nachtisch gibt’s Schokoladenmousse. Also ich glaube, es sollte ein Mousse sein. Seine Konsistenz erinnerte viel eher an eine Zementmasse. Aber hey: Wer will denn hier schon nörgeln? Auch wenn die moderne Zwinglipasshütte eher an ein Berghotel erinnert, sind wir immer noch in einer SAC-Hütte auf 2000 Metern Höhe.
Hüttenwart Bruno verrät uns, dass man der Umwelt zuliebe die Anzahl der Helikopter-Materialtransporte möglichst gering halten wolle. Deshalb findet Ende Juni jeweils die «Tragete» statt, an der dieses Jahr rund 150 Personen teilgenommen haben. Per Seilbahn wurde das Material in eine Alphütte transportiert, von wo aus die knapp zehn Tonnen in einem rund 20-minütigen Marsch zur Zwinglipasshütte hinaufgetragen wurden. Nachdem wir ein letztes Mal die Abendstimmung auf der Terrasse aufgesogen haben, legen wir uns total erschöpft – die Erwachsenen mit ein paar Gläsern Rotwein intus – bereits um 21 Uhr schlafen.
Leider kann von Schlafen vorerst keine Rede sein. Denn dummerweise befindet sich genau auf der anderen Seite der Wand die Toilette. Jedes Mal, wenn jemand Papier aus dem Spender zieht, rattert es, als würde mit einer Maschinenpistole Jagd auf Murmeli gemacht werden. Darauf angesprochen verspricht Hüttenwart Bruno, den Papierspender anderswo anzubringen.
Appenzeller Gastfreundschaft – oder wie mich die Gastwirtin zurechtwies
Geschlafen habe ich dann doch noch und, wie ich am Morgen erfahre, auch die Kinder sehr gut. Nach dem Frühstück machen wir uns etwa um 10 Uhr auf die zweite Etappe. Doch halt: Erst muss die Blase an der Ferse meiner Tochter aufgestochen und fachmännisch mit einem Pflaster abgedeckt werden.
Der zweite Wandertag verspricht vergleichsweise locker zu werden, geht's doch fast nur bergab zum Fählensee. Das Gute an der relativ kurzen Wanderung von drei Stunden: Es bleibt immer genug Zeit für Pausen. Und genau das ist es, was die Kinder lieben. Spielend die Gegend zu erkunden. Flo und ich ärgern uns derweil, dass wir keinen Feldstecher dabei haben. Denn weit oben auf einem Grat – wir haben gerade die Kantonsgrenze überschritten und sind jetzt im Appenzell – erblicken wir Kreaturen, können aber nicht einschätzen, um welche Art Getier es sich handelt.
Eine halbe Stunde später ist der Fall hingegen klar. Mein Adlerauge hat eine Herde Gämsen entdeckt. Staunend sitzen wir am Fusse einer riesigen Felswand und schauen den Tieren beim Weiden zu. Ein wohliges Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit überkommt mich, dass ich meinen Kindern diese Momente des Friedens in der Natur schenken darf.
Endlich: Wir haben den Fählensee erreicht, an dessen Ende wir in die Beiz einkehren. Eigentlich wollte ich noch ein Feuer machen, um unsere Würste zu bräteln und hatte auch bereits eine Stelle ausgemacht, wo schon mal grilliert wurde. Doch kaum ist das Feuer angezündet und der erste Rauch am aufsteigen, kommt die aufgebrachte Wirtin aus dem Gasthof geeilt. Mit deutlichen Worten weist sie mich darauf hin, das Feuermachen hier doch gefälligst zu unterlassen. Natürlich darf man hier kein Feuer machen, schiesst es mir durch den Kopf, man will ja auf keinen Fall riskieren, dass im Restaurant nicht konsumiert wird. Immerhin erspart sie mir die Schmach einzugestehen, dass ich mit dem wenigen Holz, das sich finden liess, ohnehin kein anständiges Feuer hingebracht hätte.
Fast vier Stunden verbringen wir schliesslich in der Bergbeiz, was daran liegt, dass sich unser Etappenziel, die Hundsteinhütte, nur gerade 100 Meter weiter oben in Sichtdistanz befindet. Während sich die Kinder auf dem Spielplatz vergnügen, gönnen sich die Väter erst ein paar Biere und bevor’s die letzten Meter zu bewältigen gilt, noch einen Kaffee Lutz. Ich nutze die Gelegenheit und blättere im Buch «Appenzeller Witze» herum und ertappe mich dabei, wie mich Witze wie etwa dieser hier ansprechen: «Du Grossvater, woromm sääd me üsere Schprooch enaad Mueterschrooch?», fröget de Seppli. «Wil de Vatter doch nöd zomm Wort chood, sääd de Grossvater.»
Hüttenwart Peter: Vom Burnout zum perfekten Gastgeber
Kurz nach 16 Uhr haben wir die Hundsteinhütte erreicht. Peter, der Hüttenwart, ist gerade am Kochen und kann sich nicht um uns Ankömmlinge kümmern. Macht nichts, dann gibt's halt noch ein Bier für die Väter, während die Kinder die Umgebung erkunden. Die Abendsonne taucht die Landschaft in ein warmes Licht, unter uns liegt spiegelblank der Fählensee. Das Urteil der Kinder zur zweiten Hütte steht bald fest: Obwohl sie nicht ganz so abgelegen ist und auch nicht mit der gleichen Aussicht auftrumpfen kann wie ihre Vorgängerin, punktet sie mit ehrlichem Hütten-Charme.
Und auch Hüttenwart Peter trägt seinen Anteil zum Ambiente bei. Vor acht Jahren erlitt der heute 67-jährige Unternehmer ein Burnout, das ihn zwang, die Weichen neu zu stellen. Und so übernahm er vor drei Jahren er als Pächter die Hundsteinhütte.
Und er tut dies mit sehr viel Leidenschaft. Seine Mischung aus Herzlichkeit und väterlicher Strenge kommt bei den Kindern gut an. Wieder haben wir Glück und erhalten als siebenköpfige Gruppe ein Zimmer für uns.
Wie schon am ersten Abend ist für die Kinder ein Höhepunkt, das Nachtlager bereit zu machen. Dazu gehört etwa, die Kissen mit den eigens mitgebrachten Kissenbezügen zu beziehen und die ebenfalls mitgeführten Inlett-Schlafsäcke auszubreiten.
Um halb sieben gibt's Nachtessen. Jetzt wird auch klar, weshalb Peter nicht gleich Zeit hatte, uns und die weiteren sechs Gäste zu begrüssen. Das Menu, das er auf den Tisch zaubert, ist einfach fantastisch. Zuerst gibt's eine würzige Lauch-Erbsen-Suppe, gefolgt von einem leckeren Salat und der Hauptspeise: Teigwaren an einer feinen Poulet-Champignons-Sauce. Zum Dessert gibt's ein Ananas-Vanille-Mousse, das seinen Namen dieses Mal auch verdient. Und weil’s grad so gemütlich und schön ist, gibt’s für die Papis noch eine Flasche Rotwein – schlafen sollte heute definitiv kein Problem sein.
Meine Argumente stechen nicht, da kommt mir der Hüttenwart unverhofft zur Hilfe
Tag 3: Geschlafen haben wir alle ziemlich gut und auch Muskelkater und Wehwehchen von den ersten zwei Tagen halten sich in Grenzen. Um acht Uhr gibt’s Frühstück. Und auch hier punktet Peter als Gastgeber mehrfach. Da wäre zum einen sein selbst gebackenes Brot und zum anderen das hausgemachte Birchermüesli.
Kein Wunder goutiert er es nicht, als er beim Zusammenstellen des gebrauchten Geschirrs noch einen Kanten Brot entdeckt, den meine Tochter übrig gelassen hat. «Ich habe meinen Kindern immer gesagt, es gibt kein hartes Brot. Hart ist nur, wenn man kein Brot hat.» Auch wenn freundlich vorgetragen: die Message sitzt. Ein Blick auf die Wanderkarte und die geplante Route nach Brülisau verspricht wenig Spannendes – zumindest für mich. Denn sie verläuft mehr oder weniger unspektakulär durch ein teils schattiges Tal. Sehnsüchtig blicke ich auf die uns gegenüberliegende Seite, wo ein Wanderweg hoch oben auf dem Grat zum Hohen Kasten führt. Von dort würde uns eine Seilbahn ebenfalls nach Brülisau bringen. Doch alles Zureden, Überzeugen und Argumentieren nützt nichts: Die Kinder – und zu meiner grossen Enttäuschung auch Flo – lassen sich nicht von der langweiligen Route abbringen. «Stick to the plan»: Mit dieser lausigen Manager-Floskel beendet Flo die Diskussionen – bis mir Peter unverhofft zur Hilfe eilt. Wohin uns denn heute die Wanderung führe, will er wissen. «Aha, nach Brülisau.» Als er aber erfährt, auf welcher Route wir an unser Ziel gelangen wollen, interveniert er aufs Heftigste: «Kinder, ich sage euch, wenn ihr die Gratwanderung wählt, werdet ihr mit einer fantastischen Aussicht belohnt. Und auf dem Hohen Kasten gibt's sogar ein Drehrestaurant.» Ich weiss nicht, wie es Peter geschafft hat – und ja, ich war ehrlich gesagt ein bisschen beleidigt –, aber innert Sekunden hatte er bei allen ein Umdenken bewirkt. Wir nehmen tatsächlich die zwar anspruchsvollere, dafür um so vieles schönere Route in Angriff.
Die Autobahn auf dem Grat hat es in sich
Auch wenn es die anderen nicht gerne zugeben: Die Routenänderung hat sich so was von gelohnt. Nachdem wir den Fählensee passiert haben, erreichen wir nach gut einer halben Stunde den Pass «Letzi Saxerlücke».
Nochmals eine Viertelstunde später stehen wir oben auf dem Grat. Wir werden mit einer fantastischen Aussicht hinunter ins Rheintal, das mehrheitlich noch unter einer Nebeldecke liegt, belohnt.
Von jetzt an geht es mehr oder weniger nur noch geradeaus zum Hohen Kasten – denken wir. Vielleicht auch deshalb, weil Peter von einer regelrechten Autobahn gesprochen hatte, als wir ihn fragten, ob der Wanderweg besonders exponiert sei. Ist er zwar tatsächlich nicht, doch von einer Autobahn zu sprechen ist dann doch auch etwas übertrieben. Vielmehr schlängelt sich der Wanderweg mal etwas runter, mal etwas rauf der Felswand entlang. Ich staune, wie unsere Kinder auch am dritten Tag nahezu keine Ermüdungserscheinungen zeigen.
Und genüsslich blicke ich immer wieder den Abhang hinunter, wo sich weit und teils im Schatten liegend unsere ursprüngliche Route befindet. Nach rund drei Stunden haben wir endlich den Hohen Kasten erreicht, wobei es der letzte Aufstieg hinauf zur Bergstation nochmals so richtig in sich hat. Doch auch diese letzte giftige Passage meistern unsere Kinder ohne Wehklagen.
Am Schluss hat es sich gar nicht mehr ums Drehrestaurant gedreht
Oben dann die grosse Überraschung: Plötzlich dreht sich nicht mehr alles um das Drehrestaurant, das ja eigentlich ausschlaggebend war für die Routenänderung. Stolz, aber eben auch müde wollen die Kinder nur noch eins: nach Hause. Zur Erleichterung der Väter fahren die Kinder – im Appenzell liebevoll «Gofen» genannt – gratis mit der grossen Gondel ins Tal. Denn auch eine Hüttenwanderung ist nicht ganz billig. Zwei Übernachtungen mit Halbpension haben mich 300 Franken gekostet – die 5 Kilogramm Wegzehrung bestehend aus Süssigkeiten, Mini-Pics und Chips noch nicht miteingerechnet.
Apropos Kilo: Das Einzige, was mich nach drei Tagen schmerzt, ist mein Rücken in der Lendenregion. Kein Wunder, war der Rucksack für diese nicht anspruchslose Tour nicht ganz leicht. Mit Bus und Bahn geht's nach Hause. Während die Kinder noch ein letztes «Arschlöchle» im Zugabteil spielen, gönnen sich die Papis ein letztes Bier. Die Abteile vor und hinter uns bleiben frei, was wohl daran liegt, dass wir alle nach drei Tagen wandern ohne Dusche nicht gerade nach frischen Maiglöckchen riechen. Am Endbahnhof wartet schon s’Mami. Das Mami übrigens, das zu meiner Freude offenbar auch dann nicht nervös wurde, nachdem wir während 24 Stunden infolge Funkloch nicht erreichbar waren. Ich geb’s zu: Ich bin ein bisschen stolz, bringe ich meiner Frau zwei zwar müde, aber ansonsten unversehrte Kinder nach Hause. In der folgenden Stunde sage ich nicht sehr viel, was nicht primär meiner Müdigkeit geschuldet ist. Nein, meine Kinder haben der Mutter so viel Spannendes zu erzählen, dass ich schlicht nicht dazu komme. Ein wohliges Gefühl durchströmt meinen müden und geschundenen Körper. Und ich bin ehrlich gesagt auch ein bisschen erstaunt, wie mühelos und offenbar mit grossem Spass die Kinder während dreier Tage gewandert sind. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich meinen Kindern die Faszination und Liebe für die Berge und die Natur ein Stück näher bringen konnte.
Ich bin mir fast sicher, dass es nicht unsere letzte Hüttenwanderung bleiben wird. Und für nächstes Mal weiss ich auch, was als Lockmittel für eine etwas anspruchsvollere Route ziehen könnte: ein Drehrestaurant.
Cartoon: Stephan LütolfZweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.