Hintergrund
Themenwoche: Wir rollen den roten Teppich aus für – die Farbe Rot
von Oliver Fischer
Arthrose ist in der Schweiz Volkskrankheit. Über 200 verschiedene Erkrankungen des Bewegungsapparates fallen in die Kategorie der rheumatischen Erkrankungen, Arthrose ist eine davon. Der Orthopäde Dr. med. Marcel Gloyer setzt bei deren Behandlung unter anderem auf die Eigenbluttherapie.
Bisher war mir die Bezeichnung «Eigenbluttherapie» eher im Zusammenhang mit Doping, vor allem im Radsport, ein Begriff. Das Blutdoping ist eine Methode zur Erhöhung der Hämoglobinkonzentration im Blut eines Sportlers oder einer Sportlerin durch Transfusion von Blutkonserven. Dabei wird einige Wochen vor einem Wettkampf eine gewisse Menge Blut abgenommen, meist nach einem Höhentrainingslager. Dann besitzt das Blut mehr rote Blutkörperchen und ist damit leistungsfähiger, weil mehr Sauerstoff transportiert werden kann. Kurz vor dem Wettkampf wird dieses Blut dann wieder injiziert. Seit 1985 ist diese Methode der Leistungssteigerung verboten.
Die Therapie mit dem eigenen Blut besitzt aber nicht nur eine leistungsfördernde Wirkung, sie kann auch bei Erkrankungen des Bewegungsapparates Linderung verschaffen.
Unter dem Begriff Eigenbluttherapie oder Eigenblutbehandlung sind verschiedene Verfahren gemeint, denen gemeinsam ist, dass den Patientinnen und Patienten zunächst eine bestimmte Menge Blut entnommen wird, um es anschliessend wieder zu injizieren. Die ersten Versuche mit dieser Therapieform reichen zurück bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Heute kommt die Eigenbluttherapie zum Beispiel bei Arthrose zum Einsatz.
Etwa zwei Millionen Menschen in der Schweiz leiden an rheumatischen Beschwerden. Rheumatismus (Rheuma) ist eine Sammelbezeichnung für über 200 verschiedene Erkrankungen des Bewegungsapparates. Zu den am meisten verbreiteten Formen zählt laut der Rheumaliga Schweiz neben Arthritis (Gelenksentzündung)
und Osteoporose (erhöhte Knochenbrüchigkeit) auch die Arthrose (Gelenkabnützung).
Die Ursachen für eine Gelenkarthrose sind vielfältig: Die Genetik spielt eine Rolle, Über- respektive Fehlbelastung oder entzündliche Grunderkrankungen können zur Arthrose führen. Eine der Hauptursachen ist aber auch eine unfallbedingte Gelenkschädigung. Die Symptome reichen von Gelenkschmerzen über Steifheit des betroffenen Gelenks bis zur Einschränkung der Beweglichkeit. Arthrose gilt grundsätzlich als unheilbar. Die Symptome werden in der Regel mit einem Therapiemix behandelt: gezielte Bewegung des betroffenen Gelenks, medikamentöse Behandlung oder operative Behandlung bis hin zum Gelenkersatz.
Und dann ist da die Eigenbluttherapie. Vereinfacht gesagt, entnimmt die Ärztin oder der Arzt den Betroffenen ihr Blut und injiziert bestimmte Anteile davon anschliessend in das erkrankte Gelenk. In der Zürcher Alphaclinic behandelt der Orthopäde Dr. med. Marcel Gloyer Patientinnen und Patienten mit dieser Therapie.
Was muss sich der Laie unter dem Begriff Eigenbluttherapie vorstellen?
Dr. med. Marcel Gloyer: Wie es der Name sagt, handelt es sich dabei um eine Therapieform mit dem eigenen Blut. Das gibt es schon recht lange. Die Ursprünge liegen über 100 Jahre zurück. Anfänglich versuchte man, das Blut unverändert zurück zu injizieren. Unterdessen wissen wir jedoch, dass dies entzündliche Reaktionen und vermehrt Schmerzen hervorruft. Deshalb spritzen wir heute nur Teile des eigenen Blutes.
Was heisst das?
Blut besteht aus verschiedenen Bestandteilen. In der Zentrifuge trennen wir diese Bestandteile während rund fünf Minuten auf und erhalten so drei Teile: Plasma, Thrombozyten sowie rote und weisse Blutkörper. Wir nutzen anschliessend in der Therapie meist das Plasma und die Thrombozyten. Das Ziel der Therapie mit dem körpereigenen Blut besteht darin, dass die darin enthaltenen Wachstumsfaktoren Stammzellen «anlocken». Das sind Zellen, die in der Lage sind, sich zu Knorpelzellen zu entwickeln. Ausserdem wirkt das Eigenblut-Plasma entzündungshemmend und schadet dem Gewebe im Gegensatz zu Cortison nicht weiter.
Man liest im Zusammenhang mit Eigenbluttherapie oft von plättchenreichem Plasma, kurz PRP. Was bedeutet das?
Je nach Aufbereitung des Blutes in der Zentrifuge entsteht mehr oder weniger plättchenreiches Plasma. Je höher die Konzentration, umso wirksamer ist das Plasma im Gelenk. Wir reden hier von einer zwei bis achtmal höheren Konzentration nach der Aufbereitung. Mit einer höheren Konzentration ist aber auch ein höherer Herstellungsaufwand verbunden und damit höhere Kosten.
Aus der Theorie wird unvermittelt handfeste Praxis, als Marcel Gloyer von seinem Schreibtisch aufsteht und meint: «Komm, ich zeige dir am besten einfach, wie das geht.» Gesagt, getan. Er lässt sich Blut abnehmen, das im Anschluss während fünf Minuten in der Zentrifuge aufbereitet wird. Im Anschluss hat er ein bisschen Plasma, das er sich nun zum Beispiel ins Kniegelenk injizieren könnte.
Im Anschluss sitzen wir wieder in Marcel Gloyers Sprechzimmer und reden über das liebe Geld.
Die Krankenkassen beteiligen sich nicht an der Kosten der Eigenbluttherapie. Warum nicht?
Eine Arztpraxis muss zuerst in die Infrastruktur investieren: Du brauchst die Zentrifuge und musst die Spritzen kaufen. Das lassen sich die Hersteller sehr teuer bezahlen. Jede Firma hat da ihr eigenes System, und diese sind untereinander nicht kompatibel – ähnlich wie Kaffeekapseln oder Handyzubehör. So kommen Preise zustande, die ein Mehrfaches des Cortisons ausmachen, das heute bei der Behandlung von Arthrose oft eingesetzt wird. Eine Ampulle Cortison kostet etwa 20 Franken. Das übernimmt die Versicherung, ebenso wie alle Leistungen, die mit der Injektion ins Gelenk verbunden sind. Sei es der Aufwand der Praxisassistenz, das Material (Handschuhe, Abdeckung und Desinfektionsmittel, Spritze und Nadel, und und und) und letztlich die Tätigkeit des Arztes, der Ärztin für die entsprechende Injektion.
Und was kostet eine Spritze mit dem Eigenblut?
Rund 250 Franken – abhängig von der Aufbereitung. Diese Kosten beinhalten sämtliche Leistungen, die bei der Cortisonspritze von der Versicherung übernommen werden plus das Material für das Eigenblut. Es handelt sich gesetzlich um ein reines Privatvergnügen und der Versicherung darf für die Eigenbluttherapie keine Rechnung gestellt werden. Das heisst, sämtliche Kosten muss der Patient oder die Patienten aktuell selber tragen.
Ich hatte 2019 einen Knorpelschaden im linken Knie. Bei der anschliessenden OP wurde auch eine leichte bis mittelschwere Arthrose diagnostiziert. Wäre die Eigenbluttherapie also eine Möglichkeit für mich, die Beschwerden zu lindern?
Absolut. In der Regel verabreichen wir beim Knie drei Spritzen mit deinem eigenen Blut. Das würde dich also 750 Franken kosten. Behandelt wird aber nur bei Beschwerden, eine vorsorgliche Therapie ist nicht zu empfehlen.
Wir reden jetzt vom Knie. Wie sieht es bei anderen Gelenken aus?
Im Prinzip gleich. Mit unserer Zentrifuge können wir das Blut soweit aufbereiten, dass wir nur einige Milliliter bekommen. Dies jedoch in ein kleines Gelenk, ich denke da an den Zeh, zu injizieren ist praktisch unmöglich. Also simpel gesagt: Je grösser das Gelenk umso besser.
Und wie sind die Prognosen auf Linderung der Beschwerden, denn Heilung gibt es ja eben nicht.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Eigenbluttherapie wirkt, liegt zwischen 80 und 95 Prozent. Hier arbeitet die Forschung daran herauszufinden, wer welche Aufbereitungsart des Blutes braucht. In der Regel lindert eine Behandlung mit drei Spritzen die Beschwerden während drei bis zwölf Monaten. Grundsätzlich gilt: Je weniger weit fortgeschritten die Arthrose ist, umso grösser sind die Erfolgschancen der Eigenbluttherapie.
Eigenbluttherapie kommt aber nicht nur in der Medizin zur Anwendung.
Sie wird in der Schönheitsbranche als Wundermittel vermarktet. Sichtwort: Anti-Aging. Ich denke, hier ist die Studienlage dünn. Wohlwollend formuliert. Und ich gehe davon aus, dass die Anbieter hier auch mehr als 250 Franken pro Spritze verlangen, obwohl die Aufbereitung des Blutes exakt gleich ist, wie in der medizinischen Anwendung. Ich würde meine Glatze auf jeden Fall nicht mit Eigenblut behandeln lassen.
Lass uns zum Schluss noch kurz das leidige Dopingthema ansprechen. Du bist unter anderem auch Teamarzt beim Schweizer Rennstall Q36.5 Pro Cycling Team. Ist das Blutdoping wirklich kein Thema mehr?
Es ist so: Im Radsport gilt die sogenannte «No Needle Policy». Wenn ich einem Radsportler, einer Radsportlerin irgendetwas (auch im Notfall) in die Vene injiziere, muss ich dies bei Antidoping Schweiz melden. Würde ich das nicht tun, muss der Fahrer oder die Fahrerin mit Konsequenzen rechnen. Letztlich sind immer der Athlet oder die Athletin verantwortlich für das, was in ihre Körper kommt.
Blutdoping lässt sich heute in den Labors relativ leicht nachweisen?
Genau so ist es.
Dennoch fährt, spätestens seit dem Festina-Skandal an der Tour-de-France 1998, im Radsport irgendwie ein Generalverdacht mit.
Die Fahrer stehen unter einem enormen Druck. Der Radsport ist ihre Lebensgrundlage, gerade auch materiell. Stimmt die Leistung nicht und man hat einen entsprechenden Charakter, ist die Versuchung halt gross, zu unerlaubten Mitteln zu greifen. Das ist keine Entschuldigung, aber vielleicht eine Erklärung. Und um das an dieser Stelle zu betonen: Du findest vermutlich keinen Sport, der dermassen oft und engmaschig kontrolliert wird, wie der Radsport. Darüber hinaus musst du jederzeit höllisch aufpassen, was du zu dir nimmst.
Hast du ein Beispiel?
Es werden beispielsweise sämtliche Nahrungsergänzungsmittel und alle Medikamente, die eine Radsportlerin oder ein Radsportler einnimmt, überprüft. Es gibt entsprechende Listen von der UCI, dem Weltradverband und von der Wada, der Welt-Anti-Doping-Agentur, die jährlich publiziert werden. Bevor ich einer Athletin oder einem Athleten auch nur ein Vitamin-C Pulver verschreibe, muss ich sicherstellen, dass es erlaubt und sauber ist. Nur schon eine Verunreinigung, die in der Herstellung zustande gekommen sein könnte, kann im schlimmsten Fall einen positiven Dopingtest bedeuten und eine Karriere beenden.
Alles gut also im Radsport?
Das wäre dann wahrscheinlich doch ein wenig blauäugig. Wer betrügen will, findet Möglichkeiten dazu. Leider. Was sicher ist: Systematisches Doping wie in früheren Zeiten gibt es heute nicht mehr. Wir Teamärzte und -ärztinnen machen den Job aus Leidenschaft für den Sport. Jede und jeder von uns arbeitet selbständig in einer Praxis oder einer Klinik und hat auch eine Existenz zu verlieren.
Bis die Krankenkassen die Arthrose-Behandlung mit Eigenblut übernehmen, dauert es gemäss Marcel Gloyer noch Jahre. Es brauche hier weitere Forschungsarbeit und die entsprechenden Studien. Bis es soweit ist, bleibt den Betroffenen nichts anderes übrig, als die Kosten für die Therapie mit dem eigenen Blut aus der eigenen Tasche zu bezahlen.
Die Empfehlung des Orthopäden lautet: Wenn die Eigenbluttherapie weniger als drei Monate wirkt, sollte die Patientin oder der Patient eine andere Option in Erwägung ziehen. Gerade auch hinsichtlich der Kosten. Sind die Schmerzen gross, kann auch eine Cortisonspritze ins Gelenk Linderung bringen. Eine Operation ist für Marcel Gloyer in der Regel die letzte Option. Hier setzt er auf minimalinvasive Techniken und, wenn immer sinnvoll, den Gelenkerhalt.
Sollte dies nicht möglich sein, so kommen wenn möglich individuell hergestellte Implantate (wie zum Beispiel ein Massknie) zum Einsatz.
Dieser Beitrag ist im Rahmen unserer Sonderwoche zum Thema «Rot» entstanden. Sieben Tage, sieben Beiträge. Mehr Infos dazu und alle bisher erschienenen Artikel liest du hier nach:
Titelbild: Patrick BardelliVom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.