«Unsere Beauty-Produkte werden plastikfrei mit Korken und Wachs versiegelt»
«Kindred Black» verkauft Pflegeprodukte in handgefertigten Glasviolen. Ganz frei von Plastik. Ohne Aufdruck. Mit entsprechendem Preisschild. Ein Gespräch über die Besonderheiten und Herausforderungen der Slow-Beauty-Nische.
Wie viel bist du bereit, für eine getönte Lippenpflege zu bezahlen? 10, 15, vielleicht 20 Franken? «Kindred Black» verkauft seine für 85 US-Dollar. Damit gehört das Produkt noch zu den günstigeren Beauty-Produkten ihres Sortiments. Auf den ersten Blick ganz schön viel. Auf den zweiten nachvollziehbar.
Jedes Glasgefäss, das du bei Kindred Black erwirbst, ist handgefertigt. Versiegelt wird mit Wachs und Kork. Ihre Inhaltsstoffe sind laut eigenen Angaben natürlich und stammen oft von kleinen, organischen, familiengeführten Quellen. Etwa 75 Prozent der Linie sind nachfüllbar. Mit ihrem Konzept sei die US-amerikanische Slow-Beauty-Marke weltweit die einzige komplett plastikfreie Linie, erzählen mir die Gründerinnen Alice Kindred Wells (38) und Jennifer Black Francis (48). Auf ihrer Webseite erfährst du auch etwas über die Geschichte und Herkunft der einzelnen Glasflaschen und Wirkstoffe. Mit knapp 74 000 Instagram-Followern scheint das Konzept – zumindest visuell – bei den Menschen anzukommen. Aber funktioniert es auch monetär? Ich habe nachgehakt.
Eure Produkte sind von der «Slow Beauty»-Philosophie inspiriert. Wie würdet ihr eure Linie jemandem erklären, dem das Konzept fremd ist?
Jennifer Black Francis: Slow Beauty ist eine umweltorientierte Linie von handgefertigten, in kleinen Chargen hergestellten Hautpflegeprodukten, Kosmetika und botanischen Parfüms. Der Begriff «slow», also langsam, steht für das Gegenteil von fast allem, was heute produziert wird – Fast Food, Fast Fashion, Beauty Hauls. Heutzutage dreht sich alles um Veränderung, Umsatz und darum, sich etwas Neues zuzulegen, damit der Einkaufsdopamin-Kick einsetzt. Wir möchten die Leute wieder in eine Zeit zurückversetzen, in der die Menschen noch einen Schminktisch hatten, mit vier oder fünf Schönheitsprodukten, die sie immer wieder benutzten und denen sie treu blieben. Eine Zeit, in der die Routine ritualisiert war und Zeit in Anspruch nahm.
Alice Kindred Wells: Damit uns das gelingt, berücksichtigen wir jeden Aspekt eines Produkts. Wir suchen nach Zutaten, die lokal oder von kleinen, familiengeführten Bauernhöfen stammen. Unsere Flaschen werden von Glasbläsern handgefertigt, die jede Flasche einzeln herstellen, als wären es Kunstwerke. Unsere Verpackungen bestehen aus Papier und unsere Flaschen werden plastikfrei mit Korken und Wachs versiegelt. Die Slow-Bewegung soll nicht nur ein Lippenbekenntnis sein – wir würden gerne eine bedeutungsvolle Veränderung in der Beauty-Industrie sehen.
Sogenannte «Fast-moving Consumer Goods» (FMCGs), wie wir sie aus der schnelllebigen Beauty-Industrie kennen, können viel Geld einbringen. Kann Slow Beauty daneben überhaupt profitabel sein?
Jennifer: Wir probieren es! Seit dem ersten Tag haben wir versucht, unsere Ausgaben so niedrig wie möglich zu halten. Wir verzichten auf ein schickes Büro oder einen auffälligen Showroom. Auch das Marketingbudget halten wir straff. Wir verlassen uns darauf, dass Menschen ihren Freunden von uns erzählen, weil sie lieben, was wir tun. Wir müssen nicht das nächste Milliarden-Dollar-Beauty-Unternehmen sein. Wenn wir uns im Geschäft halten können, ein anständiges Gehalt verdienen und uns um die Menschen kümmern können, die für uns arbeiten, dann reicht uns das.
Welche Herausforderungen sind mit der Produktion, Verpackung und Formulierung von Slow-Beauty-Produkten verbunden? Ich nehme an, es ist nicht einfach, nachhaltige Hautpflegeprodukte herzustellen.
Alice: Für uns stellen Skalierbarkeit und Einheitlichkeit die grössten Herausforderungen dar. Wir müssen ein Gespür für die Übernutzung von Inhaltsstoffen haben und können unsere Glasbläser nicht in willenlose Maschinen verwandeln. Ausserdem gibt es bei einem vollständig von Hand gefertigten Produkt kleine Unterschiede in Sachen Flaschengrösse oder Produktfarbe. Wir sehen das als Stärke, aber es erfordert unserer Kundschaft gegenüber Aufklärung.
Slow Beauty und Ästhetik haben offensichtlich ihren Preis. Das kann sich nicht jeder leisten.
Jennifer: Das beschäftigt uns sehr. Nachhaltigkeit und ethische Beschaffung gehen oft mit einem Preis einher, der nicht für jeden zugänglich ist. Wir wünschten, wir hätten eine Lösung dafür. Was wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich unsere Produkte leisten, versprechen können: Wir zahlen unseren Bauern, Lieferanten und Handwerkern einen fairen Lohn und haben nie gefeilscht. Sie setzen einen fairen Preis für ihre Arbeit oder ihr Produkt fest. Wir hoffen, dass es irgendwann in der Zukunft, wenn grössere Unternehmen ethisch mitziehen, mehr nachhaltige Optionen in jeder Preisklasse geben wird.
Euer Packaging ist das schönste, das ich je in der Kosmetikbranche gesehen habe. Wer steckt hinter den Designs?
Alice: Vielen Dank! Das bedeutet uns viel. Wir sind beide am Design jedes Produkts beteiligt. Wir beginnen immer mit einer Idee, geben den Glasbläsern aber auch den Freiraum, innerhalb ihrer Fähigkeiten und ihres Stils zu arbeiten. Wir haben ein Netzwerk von Manufakturen in den USA, in Kanada und ein wirklich cooles Glasstudio in Oaxaca, Mexiko, das Glas aus ihrer örtlichen Gemeinde recycelt. Das ist es, was die Flaschen so besonders macht.
Jennifer: Jede Flasche ist einzigartig, da sie individuell von Hand geblasen wird. Wir wählen oft dieselbe Glasfarbe für gewisse Inhaltsstoffe, die wir lieben und immer wieder verwenden. Rosenöl füllen wir oft in rosa Glas, Gurkensamenöl in grünes Glas und Ocotillo in kobaltblaues Glas.
Und die Flaschen bleiben unbeschriftet?
Alice: Wir lassen sie absichtlich ohne Markenzeichen, um dieses Gefühl zu bewahren, dass sie Kunstwerke sind. Etwas, das geschätzt, aufbewahrt und als Teil eines wichtigen Rituals verwendet wird.
Geht das so ganz ohne Probleme?
Alice: Es gibt in verschiedenen Ländern unterschiedliche Vorschriften, was Verpackung und Beschriftung angeht. Da unsere Linie sehr klein und massgeschneidert ist, können wir diesen nicht immer für jedes Land gerecht werden. Wir möchten die Natur der Linie nicht ändern, nur um den Verpackungsvorschriften zu entsprechen. Dieses Jahr möchten wir aber sehen, ob wir diesen Bestimmungen gerecht werden können, ohne die Integrität unserer Idee zu verraten.
Ich habe gelesen, dass mehr als das Doppelte eurer Produktionskosten in die Verpackung fliesst.
Jennifer: Das kann manchmal ganz schön weh tun. Dennoch denken wir, dass sich das lohnt. Auf dem Beauty-Markt gibt es so viele massenproduzierte Flaschen und Produkte. Wir glauben: Je spezieller etwas ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass du es jeden Tag benutzt – bis es aufgebraucht ist. Das ist unser Ziel. Wir möchten, dass die Menschen darüber nachdenken, was sie konsumieren. Wir möchten, dass sie etwas kaufen, das sie benutzen und das ihr Zuhause schmückt. Es klingt kitschig, aber das ist echter bewusster Konsum. Und das erreichen wir nur, wenn wir an unserer Vision festhalten, egal wie viel sie kostet.
Ihr verwendet Kork und Wachs, um eure Flaschen zu versiegeln. Weshalb?
Jennifer: Wir haben diese Idee von den alten Griechen und Römern, die ähnliche Methoden zur Versiegelung und zum Transport ihrer Weine und Öle verwendet haben. Es war eine grossartige Möglichkeit, die Linie plastikfrei zu halten. Der Nachteil: Du kannst dir die Violen nicht einfach mal in die Handtasche packen. In diesem Punkt haben sich unsere reisefreundlichen Aluminium-Nachfüllflaschen bewährt. Die lassen sich beliebig oft recyceln.
Schränkt euch das Verpackungskonzept in Sachen Formulierung und Haltbarkeit ein?
Alice: Weil Wachs und Kork keinen luftdichten Verschluss ermöglichen, können unsere Produkte kein Wasser enthalten. Das ist der grösste Unterschied zu herkömmlichen Verpackungen.
Jennifer: Wasserhaltige Kosmetikformulierungen können schnell schimmeln, wenn sie der Luft ausgesetzt sind. Das bedeutet, dass wir im Moment keine Cremes und Toner herstellen können. Aber wir suchen nach Lösungen. Wir verwenden keine chemischen Konservierungsstoffe. Stattdessen nutzen wir natürliche Konservierungsstoffe wie Jojobaöl und Vitamin E, die dazu beitragen, die Haltbarkeit anderer, weniger stabiler Inhaltsstoffe zu verlängern. Wenn du das Produkt richtig lagerst – also an einem kühlen, trockenen Ort fern von direktem Sonnenlicht – hat Kork keinen Einfluss auf das Innere. Wir empfehlen, unsere Produkte standardmässig innerhalb eines Jahres zu verwenden, oft halten sie jedoch bei korrekter Lagerung weit länger.
Wo stellt ihr eure Produkte her?
Alice: Wir haben Studios in New York und New Jersey, wo 90 Prozent unserer Produkte entwickelt und hergestellt werden. Wir arbeiten auch mit Kräuterkundigen und Bauernhöfen im ganzen Land zusammen, um einige unserer Hautpflegeprodukte und Parfüms herzustellen, und versenden sie dann anschliessend zur Abfüllung in unsere Anlage.
Worauf seid ihr besonders stolz?
Jennifer: Darauf, dass wir in den letzten neun Jahren unserer ursprünglichen Mission, unseren Planeten besser zu behandeln, treu geblieben sind und nie gewankt haben, auch wenn es uns mehr Geld in die Taschen gespült hätte.
Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.