Ratgeber
Zu Besuch bei einer Sexologin
von Natalie Hemengül
Keine Zeit, keine Gelegenheit, keine Lust. Sobald ein Kind da ist, kommt der Sex abhanden. Warum das passiert und wie Sex-Dates helfen, sagt die Expertin.
«Wir hatten gestern Eltern-Sex», schrieb die australische Bloggerin Constance Hall vor einigen Jahren in einem Beitrag. «Das sind die dreieinhalb Minuten, die euch zwischen dem Windeln wechseln und der Essenszubereitung bleiben. Wenn ihr merkt, dass eure Kinder einigermassen abgelenkt sind, und euch auffällt, dass ihr seit knapp einem Monat keinen Sex mehr hattet und ihr euch langsam fühlt, als wärt ihr bloss Mitbewohner.» Sie schien mit ihrer Schonungslosigkeit zahlreichen Paaren aus dem Herzen zu sprechen, ihr Post ging damals viral.
Diese wenig prickelnde Realität ist auch okay, findet Sexologin und Psychotherapeutin Dania Schiftan. Sex müsse schliesslich nicht immer ein Feuerwerk sein. Im Interview spricht sie über Unlust nach der Geburt, über Sex als Ressource zum Abschalten und über die Fähigkeit, Gelegenheiten beim Schopf zu packen.
Dania Schiftan, in wie vielen Elternbetten läuft nichts mehr?
Dania Schiftan: In ganz vielen. Und in wiederum vielen läuft einiges. Es gibt durchaus Paare, die die Sexualität miteinander hochhalten und extrem davon profitieren, wenn sie neben dem Familienalltag regelmässig miteinander schlafen. Weil der Sex für sie eine Ressource zum Abschalten und Auftanken ist. Andere tanken dagegen eher in ihren Hobbys oder Jobs auf. Oder sie schalten lieber in der Badewanne ab.
Abgesehen von der Quantität: Können Eltern trotz kleiner Kinder guten Sex haben?
Dieselbe Frage ist: Können Eltern trotz kleiner Kinder schöne Wellness-Ferien zu zweit machen? Oder ein Nachtessen ohne Kinder geniessen? Da ist die Antwort klar: Natürlich können sie das. Warum sollten sie also nicht auch guten Sex haben? Viele Elternpaare können jedoch nicht umstellen, weil sie sich vorher in ihrem Sexleben nicht einschränken mussten. Sie sind sich gewohnt, dann Sex zu haben, wenn beide Lust darauf und Zeit füreinander haben. Mit Kindern funktioniert das nicht mehr.
Was müssen sie umstellen?
Das Sexleben erfordert nun andere Fähigkeiten. Die Fähigkeit, Gelegenheiten zu nutzen, wenn sie da sind. Die Fähigkeit, den Hunger beim Essen kommen zu lassen. Erregung zu empfinden, wenn der Körper berührt wird. Auch wenn es emotional gerade nicht voll und ganz stimmt. Viele haben gelernt, dass das Geschlecht nur dann ein Echo gibt, wenn die Emotionen stimmen oder man frisch verliebt ist. Das funktioniert als Eltern nicht mehr. Weil du vielleicht genervt oder total erschöpft bist. Oder von den Kleinkindern, die den ganzen Tag an dir kleben, schon genug Liebe bekommen hast. Dann ist die Lust erstmal nicht da. Sie kann aber kommen, wenn du dich darauf einlässt.
Oftmals sind es die Mütter, die keine Lust mehr haben – ein Klischee?
Nicht unbedingt. Es sind eben oft die Frauen, die gelernt haben, dass Sex an positive Emotionen gekoppelt ist. Zweitens empfinden viele Frauen Geschlechtsverkehr mit dem Partner eher als Anstrengung denn als Gewinn. Zum Beispiel, weil sie keinen oder nur sehr schwer einen Orgasmus erleben. Dann bevorzugen sie eher Selbstbefriedigung statt gemeinsamen Sex.
Spielt das Körperbild eine grosse Rolle? Viele Frauen hadern nach einer Schwangerschaft mit ihrem veränderten Körper.
Auf jeden Fall. Frauen wachsen oft schon mit einem falschen Körpergefühl auf. Für sie ist ihr Körper nur okay, wenn er ihrem Ideal entspricht. Verändert er sich nach einer Schwangerschaft, fühlen sie sich nicht mehr begehrenswert. Die Folge ist, dass sie sich beim Sex nicht mehr auf ihr Gefühl konzentrieren. Der sich selbst verurteilende Geist schwebt über ihnen und sagt permanent, wo es Röllchen hat. Dass diese ihr Gegenüber aber überhaupt nicht interessieren, darauf kommen sie gar nicht. Je mehr sie sich fallen lassen und sich ihren Sinnen hingeben, desto irrelevanter wird die Silhouette.
Wie sieht es umgekehrt aus: Warum haben Väter keine Lust auf Sex?
Das kommt nicht selten vor und kann verschiedene Gründe haben. Die einen sind durch ihre neue Vaterrolle gefordert. Andere haben Bilder von der Geburt im Kopf, die sie nicht ablegen können. Viele sehen Sex zudem als eine Art Leistungssport, bei dem sie performen sollen. Manchmal leidet auch tatsächlich die Erektion, weil sie nach der Geburt in der Vagina ihrer Partnerin weniger spüren. Oder weil sie sich an das Bild der Frau gewöhnt haben, das plötzlich anders ist. Zum Beispiel die grösseren Brüste während der Stillzeit.
Was ist, wenn das Sexleben lange stockt? Wann wird es zum Problem?
Es gibt Paare, die schon zwei Wochen nach der Geburt wieder loslegen. Und es gibt solche, die erst nach einem Jahr oder nach zwei Jahren wieder Sex haben. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Zum Problem wird es, wenn sich das Paar nicht einig ist. Wenn der eine Teil unzufrieden ist und die Situation früher ändern will als der andere. Dann wird es für beide schwierig: Die eine Seite, die keinen Sex haben möchte, fühlt sich bedrängt und schlecht. Und die andere Seite, die mehr möchte, fühlt sich schlecht, weil sie etwas gegen den Willen des anderen möchte. Das passive Einfordern bringt nichts, das passive Verweigern genauso wenig.
Was bringt denn etwas?
Die Kunst ist, das wirkliche Gespräch zu führen. Dass man sich zusammen hinsetzt, überlegt, plant und sich ernsthaft den Gefühlen stellt. Und zwar den Gefühlen von beiden Seiten. Auch der, der mehr Sex möchte, muss ernst genommen werden. Ewiges Verständnis für die fehlende Lust des anderen ist auch keine Lösung.
Kann man Sex als Elternpaar wieder lernen?
Ja, unbedingt. Und die Sexualität kann am Ende sogar noch besser werden, als sie jemals war.
Wie schaffen Paare das?
Es gibt viele Möglichkeiten. In meinem Buch «Keep it coming» gehe ich detailliert auf sie ein. Wichtig ist, wieder neugierig aufeinander zu sein. Wir glauben, unsere Körper auswendig zu kennen, dabei wissen wir so viel von uns selbst und voneinander nicht. Ich empfehle auch Zärtlichkeiten ohne Sex. Wenn Berührungen nicht immer als Einleitung zum Sex verstanden werden, nimmt das eine grosse Erwartungslast weg. Überhaupt Sex zu haben ist aber genauso wichtig: Die Gelegenheit nutzen, wenn sie da ist, und nicht darauf warten, bis beide Lust aufeinander haben. Eine gute Möglichkeit sind Sex-Dates.
Terminierter Sex klingt unentspannt. Kann das tatsächlich funktionieren?
Ja. Wie gesagt, Sex und Lust müssen nicht spontan passieren. Schon gar nicht, wenn man Kinder hat. Den Restaurantbesuch oder die Wellness-Ferien planen wir ja auch im Voraus und freuen uns dann darauf. Das gilt auch für die Sexualität. Gleichzeitig können wir lernen, dass getimter Sex nicht immer der Wahnsinn sein muss. Es muss nicht immer ein französisches Zwölfgängemenü sein. Manchmal ist es auch einfach Fast Food.
Ob Fast Food oder Zwölfgängemenü: Wie viel ist gut?
Es gibt kein Mass und keine Menge. Jedes Paar soll die Form seiner Sexualität geniessen können. Als verbindender Faktor, aber auch als Ressource für sich selbst. Ob das einmal in der Woche, einmal im Monat oder weniger ist, ist egal. Dinge, die physisch und psychisch gut tun, nehmen wir grundsätzlich häufiger in Anspruch, als Dinge, die als anstrengend empfunden werden. So soll’s auch beim Sex sein: Er soll gut tun.
Dania Schiftan arbeitet seit 14 Jahren als Sexologin und Psychotherapeutin in eigener Praxis in Zürich. Zudem ist sie als Psychologin bei Parship tätig. Mehr über sie und ihren Job erfährst du im Interview mit ihr:
Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.