Tinnitus: Nichts als Surren im Kopf. Was hilft, wenn es nicht mehr still wird?
Hintergrund

Tinnitus: Nichts als Surren im Kopf. Was hilft, wenn es nicht mehr still wird?

Tinnitus ist ein weit verbreitetes Leiden, dessen Ursprung noch immer nicht ganz geklärt ist. Wie es wieder stiller in deinem Kopf werden kann, erfährst du hier.

Kraftvoll dröhnt der Bass aus den Lautsprechern, schrill ist das Geschrei der Gesang der Rock-Band, und wäre da nicht die mitreißende Energie der Menschen um einen herum, wäre man fast geneigt zu sagen: zu laut! Aber doch nicht bei Konzert, Club-Besuch oder Bar-Abend.

Wo tagsüber die laute Baustelle nervt und von der Arbeit ablenkt, nimmt man abends Lautstärke in Kauf – ja, man zahlt sogar dafür. Spätestens im Bett dann die Erkenntnis: Es summt und surrt noch immer in den Ohren und tut fast weh. Ist das schon ein Tinnitus?

Tinnitus: Geräusche kommen von innen und bleiben

Schlägt man ganz altmodisch im Wörterbuch nach, so erklärt das Cambridge Dictionary Tinnitus etwa so: «Eine Erkrankung des Ohrs, bei der die betroffene Person Geräusche wie etwa Klingeln hört«. So weit, so falsch. Denn eigentlich ist das Ohr nicht krank. Aber was ist es dann?

Anders als nach einem Konzertbesuch, bei dem die Geräusche von außen kommen und lang nachhallen können, bevor sie wieder verschwinden, kommen bei einem Tinnitus die Geräusche von innen. Und sie bleiben. Mal nur für wenige Wochen, dann spricht man von einem akuten Tinnitus. Chronisch wird es hingegen dann, wenn der Tinnitus länger als drei Monate anhält. Und das ist gar nicht so selten: Laut einem Bericht des National Institute of Deafness and other Communication Disorders vom Mai 2023 leiden rund 10 bis 25 Prozent aller Erwachsenen unter einem solchen Symptom. Problematisch wird es vor allem dann, wenn die Geräusche so stark sind, dass sich die Betroffenen auf nichts anderes mehr konzentrieren können.

Was genau passiert beim Tinnitus?

Aus rein auditiver Wahrnehmungssicht lässt sich die Funktionswiese des Ohrs bzw. dessen Störung beim Tinnitus so beschreiben: Treffen Schallwellen auf die Ohrmuschel, so wandern sie von dieser durch den Gehörgang bis zum Mittel- und Innenohr und versetzen das Trommelfell in Schwingungen. Von dort geht es über die Gehörknöchelchenkette weiter in die Gehörschnecke, in der sich feine Haarzellen befinden. Sie bewegen sich und wandeln die Schallwellen in elektrische Signale – also Musik, Sprache, Geräusche – um, die schlussendlich über die Hörrinde zum Hörnerv des Gehirns geleitet und dort interpretiert werden. Klar soweit?

Bei einem Tinnitus haben laute Geräusche oder auch gehörschädigende Medikamente (dazu später mehr), eben diese feinen Haarzellen in der Gehörschnecke beschädigt. Das Resultat: Die Schaltkreise im Gehirn empfangen die Signale nicht mehr so, wie erwartet. Die Neuronen stehen sprichwörtlich Kopf und verarbeiten die fehlerhaften Informationen zu einer Geräuschillusion oder eben den Geräuschen, die bei einem Tinnitus auftreten: Klicken, Surren, Summen, Pfeifen usw. Bei einem Tinnitus ist also nicht nur das Ohr betroffen, sondern die gesamte Hörbahn, einschließlich des Gehirns.

Ursache nicht ganz klar: Das sagt die Forschung zu Laustärke und Tinnitus

Laut WHO ist eine durchgängige Lärmbelastung von über 65 dB am Tag und 55 dB in der Nacht schädlich für Menschen. Die Auswirkungen können dabei ziemlich drastisch sein: von Schlafstörungen über Herz-Kreislauf-Beschwerden bis hin zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko von bis zu 20 Prozent.

In der Schweiz hat das Bundesamt für Umwelt BAFU deshalb auch Planungswerte von 50 dB (Tag) und 40 dB (Nacht) für die Empfindlichkeitsstufe «Erholung» festgelegt. Die Alarmwerte liegen in etwa in gleicher Höhe wie die der WHO.

Übermäßig laute Umgebungsgeräusche durch Flugzeuge, Züge, Autos, Baustellen oder Industrieanlagen sind also gelinde gesagt ein Riesenproblem für unsere Gesundheit. Daten aus dem Jahr 2017 belegen: Innerhalb Europas haben allein durch den Autoverkehr rund 14 Millionen Menschen unter einer dauerhaften Lärmbelastung gelitten. Daraus resultierten rund 3,7 Millionen Menschen mit Schlafproblemen und 33’600 mit nachweisbaren Herz-Kreislauf-Störungen.

So viel zur Lärmbelastung, die ein Grund für Tinnitus sein kann. Darüber hinaus gibt es weitere Ursachen für die störenden Geräusche im Ohr. Ein Hörverlust oder das eingeschränkte Hörvermögen im Alter, bedingt durch chronische Erkrankungen, Rauchen sowie das normale Nachlassen sensorischer Fähigkeiten können Schuld sein.

Dann können beispielsweise körpereigene Geräusche in den Vordergrund treten, die sogenannten «somatischen Geräusche». Du kennst sie vielleicht, wenn du deine Ohren mit Ohrstöpseln verschließt und plötzlich alles dumpf klingt und du plötzlich auch deinen Herzschlag hörst.

Falsche Medizin oder zu hohe Dosis kann zu Tinnitus führen

Interessant wird es in Hinblick auf Medikamente: So stellen die gefühlte «Wunderwaffe» Aspirin oder auch Ibuprofen mitunter ein Risiko hinsichtlich der Entwicklung eines Tinnitus‘ dar. Gleiches gilt für diverse Antibiotika, Tabletten gegen Krebs und Antidepressiva. Dazu die Erkenntnisse aus Harvard: Bei Absetzen oder verringerter Dosis kann der Tinnitus wieder verschwinden.

In selteneren Fällen können aber auch ein Tumor, niedriger Blutdruck oder chronische Krankheiten wie Diabetes, Migräne oder Autoimmunerkrankungen zu Tinnitus führen. Halten die Geräusche im Ohr also an und werden auch über einen längeren Zeitraum nicht besser, solltest du auf jeden Fall einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen. CT-Untersuchungen oder ein MRT können Aufschluss darüber geben, ob etwa ein Tumor oder Blutgefäßprobleme vorliegen.

Wirksame und nicht wirksame Heilungsmethoden, um Symptome zu lindern

Das Wichtige vorweg: Ein Tinnitus ist für Betroffene eine mitunter sehr große Belastung. Doch auch wenn dir die Geräusche den Schlaf und die Nerven rauben können, sind sie nicht tatsächlich schädlich für das Ohr. Und obwohl eine chronische Erkrankung bisher unheilbar ist, gibt es Methoden und Ansätze, die dir helfen, besser damit umgehen zu können:

  • Beratung und kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gegen Tinnitus

    Bei vielen Betroffenen wird zunächst versucht, den chronischen Tinnitus positiver zu sehen. In Form einer psychotherapeutischen Betreuung und Beratung üben sie, mit der Erkrankung gezielt umzugehen. Etwa mittels Tagebuch, in dem sie die täglichen Symptome listen und anschließend gemeinsam besprechen. Darüber hinaus zielt die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie darauf ab, die Lebensqualität zu erhöhen, indem man die Patientinnen und Patienten mental stärkt und zu verändertem Verhalten anleitet.

  • Soundtherapie und Hörgeräte

    Eine einfache Therapie mit Kopfhörern und anderen Geräten (zum Beispiel Apps für das Smartphone) klingt vielversprechend. Doch Vorsicht: Studien legen derzeit nahe, dass Musik- und Soundtherapien bei Tinnitus nur wenig erreichen. Klar ist hingegen die Wirksamkeit von Hörgeräten, speziell bei Menschen mit altersbedingten Tinnitus-Erscheinungen: So hilft Betroffenen mit Hörverlust das Tragen eines Hörgerätes, um den Tinnitus zu übertönen bzw. auch gedanklich auszublenden, da sie grundsätzlich das Hören verbessern.

  • Mechanische Therapie

    Mittlerweile gibt es auch Hersteller, die mit speziellen Geräten versuchen, das Rauschen und Pfeifen bei Tinnitus zu beseitigen. Der ForgTin-Ohrbügel der österreichischen Firma Pansatori ist so ein Gerät. Als CE-zertifiziertes Medizinprodukt soll er mittels Drucksimulation um das Ohr herum die störenden Geräusche abschwächen. Getragen wird es tagsüber und es ist auch mit Brillen und Hörgeräten kompatibel. Über die dazugehörige App kannst du ein Tinnitus-Tagebuch führen und deine Fortschritte etc. dokumentieren. Bisher liegen allerdings nur begrenzte Studiendaten vor, die zwar eine positive Wirksamkeit zeigen, jedoch von Person zu Person stark variieren können. Auch der Preis eines solchen Geräts mit rund 450 Euro pro Stück ist nicht ganz unerheblich.

Was du selbst tun kannst bei akutem Tinnitus

Stress abbauen: Ob Yoga, Entspannungs- oder Atemübungen oder ein grundlegend ruhigerer Lebensstil. Dazu gehört auch, falls notwendig, das Arbeitspensum herunterzufahren.

Aktivierung: Nimmt das Summen und Surren im Kopf kein Ende, ist eine Sache – die zunächst naheliegt – kontraproduktiv: Stille. Wichtig deshalb: Bei einem akuten Tinnitus unbedingt hinausgehen, dich mit Freunden treffen, Spaziergänge machen, dem Wald und der Natur lauschen usw.

Konzentration: Lerne zu überhören. Alles, was du dafür tun musst, ist täglich etwa zehn Minuten klassische Musik zu hören. Regle die Lautstärke auf ein Minimum herunter und fokussiere dich nur auf ein einziges Instrument. Damit schärfst du deine Fähigkeit, andere Geräusche auszublenden.

Titelbild: shutterstock

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Moritz Weinstock
Autor von customize mediahouse

Notizbuch, Kamera, Laptop oder Smartphone. Leben heißt für mich festhalten – analog oder digital. Immer mit dabei: mein iPod Shuffle. Die Mischung macht’s eben. Das spiegelt sich auch in den Themen wider, über die ich schreibe.


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