Sneaker-Sandale von Keen: Der neue Ugly-Shoe-Favorit der Modewelt
Halb Sneaker, halb Sandale – und voll im Trend. Dieser Hybrid der US-amerikanischen Outdoor-Marke Keen ist vom Wanderweg abgekommen und zieht langsam aber sicher in die urbane Modewelt ein.
Funktionalität, Komfort und eine Prise Hässlichkeit sind heutzutage das Erfolgsrezept für It-Schuhe. Das Modell «Uneek» der nachhaltigen Outdoor-Marke Keen beweist dies einmal mehr. Der gewöhnungsbedürftige Hybrid aus Sneaker und Sandale, der gerade sein zehnjähriges Jubiläum feiert, begeistert mittlerweile Wander- und Streetwear-Fans gleichermassen.
Keen an der Paris Fashion Week
Zugegeben: Als ich vor zwei Jahren erstmals in unserem Sortiment über den Schuh gestolpert bin, hatte ich noch keine Ahnung von seinem modischen Potenzial. Ich fand ihn einfach nur hässlich. Und zwar nicht auf die charmant ironische, sondern auf die Schnell-Weiterscrollen-Art. Vergangenen Herbst begegnete mir die Marke Keen ein zweites Mal – jedoch in einem unerwarteten, völlig anderen Kontext: der Paris Fashion Week.
Ich sah mir auf Youtube die düster-romantische Modenschau des japanischen Brands Noir Kei Ninomiya an und bewunderte die aus geflochtenen Schnüren gefertigten Schuhe der Frühjahrskollektion 2024. Schuhe, die in Kollaboration mit Keen entstanden sind, wie ich später überrascht erfahre. Die Brands mögen auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Doch beide verbindet das Bestreben, konventionelle Konstruktionsweisen neu zu denken.
Auflehnung gegen Industriestandards
So hat es sich Designer Kei Ninomiya zur Aufgabe gemacht, das Nähen in seinen Entwürfen auf ein Minimum zu reduzieren. Sein Leitsatz: Um Neuartiges zu erschaffen, müssen auch neue Wege eingeschlagen werden. Statt mit Nadel und Faden verbindet er die einzelnen Komponenten mithilfe von Knoten, Ringen, Nieten und Ösen zu komplexen, skulpturalen Kleidungsstücken.
Auch Rory Fuerst Jr., Innovationsleiter bei Keen, setzte sich über die Industriestandards hinweg, als er «Uneek» designte. Sein Ziel: Einen Schuh zu kreieren, der sich individuell an jeden Fuss anpasst. «Wenn man ein flaches Material um eine dreidimensionale Form wickelt, liegt es nie perfekt. Es faltet sich und knittert», erklärt Fuerst in einem Video auf der Website des in Portland, Oregon, ansässigen Brands. Für die perfekte Passform müsse die Oberflächenspannung gebrochen werden.
Ein Geflecht, das den Fuss umschmiegt
Statt aus vernähten Einzelteilen, wie sonst üblich, besteht das Obermaterial der Trekkingsandale somit grösstenteils aus zwei ineinander verwobenen Schnüren aus recyceltem Kunststoff. Ohne Nähen, Schweissen oder Kleben entsteht so ein leicht dehnbares Geflecht, das sich dem Fuss anpasst und sowohl Halt als auch Flexibilität gewährleistet. Laut Keen konnten die Fabriken das innovative Design zunächst nicht umsetzen. In Zusammenarbeit mit Fuerst musste erst ein neues Herstellungsverfahren entwickelt werden.
Quelle: Instagram @jeyilly
Natürlich hat der Open-Air-Sneaker, wie Keen ihn nennt, eine Menge weiterer nützlicher Eigenschaften. So etwa ein anatomisch geformtes Fussbett, eine stossabsorbierende Zwischensohle sowie eine flexible Aussensohle mit Einschneidungen für optimalen Grip. Interessant ist zudem die geruchshemmende «Eco Odor Control»-Technologie, bei der probiotische Mikroben dauerhaft an Textilfasern gebunden werden. Kommen die Organismen in Kontakt mit Schweiss, werden sie aktiviert und bauen das geruchsbildende organische Material ab.
Outdoor-Marken und ihr Streetwear-Potenzial
Die Sneaker-Sandale ist ein ausgeklügeltes Produkt – darüber lässt sich kaum streiten. Über ihr Aussehen hingegen umso mehr. Doch persönlicher Geschmack hin oder her: Es ist Fakt, dass die «Uneek»-Modelle sich wunderbar in die aktuelle Modelandschaft integrieren. Schliesslich gehören unkonventionelle Schuhe und Gorpcore, also das Tragen von Funktionskleidung im Alltag, zu den wohl prominentesten Modephänomen dieser Dekade. Hardshell-Jacken von Arc'teryx oder Trekking-Sneaker von Salomon etwa triffst du längst nicht mehr nur auf Gebirgspfaden, sondern auch in Grosstädten an.
Diese Strömung animiert Outdoor-Marken, ihr Streetwear-Potenzial anzuzapfen und sich vermehrt auf modisch interessiertes Publikum auszurichten. So lancierte Keen in den letzten Monaten beispielsweise Kollaborationen mit respektierten Indie-Labels wie Hyke aus Japan oder Only NY aus den USA. Dass Schuhe von Keen insbesondere im ost- und südostasiatischen Raum ein beliebtes Streetwear-Item sind, zeigt, wie wirksam solch eine Positionierung sein kann.
Quelle: Keen
Auf den Kontext kommt es an
Im Gegensatz zum internationalen Instagram-Account von Keen zeigen die Ableger-Feeds aus Singapur, Japan oder Korea die Schuhe zunehmend im urbanen Kontext. Erst kürzlich erhielt die Marke den ultimativen Popularitäts-Boost: K-Pop-Sensation Lisa Manobal, bekannt als Mitglied der Girlband Blackpink, zeigte sich in ihrer Instagram-Story mit schwarzen «Uneeks» an den Füssen – und demonstrierte so ihren über 100 Millionen Followerinnen und Followern wie vielseitig die Sneaker-Sandale ist.
Wie so oft kommt es in der Mode auf den Kontext an. An den Füssen deines Onkels, der gerade den Murmelweg von Zermatt bewandert, hat der Treter vermutlich nicht dieselbe Wirkung wie bei einem Superstar auf Shoppingtour in Gangnam. Es braucht erst Trendsetterinnen und Trendsetter, die den Schuh gekonnt kombinieren, sowie etwas Zeit, bis sich neue Assoziationen im kollektiven Gedächtnis verankern. Doch früher oder später werden die Leute wohl ebenso selbstverständlich in Keens durch die Strassen spazieren wie in Crocs und Birkenstocks.
Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.