Selbstgespräche: Alle tun es, keiner redet darüber
Traue niemandem, der behauptet: Ich rede nie mit mir selbst. Denn die Forschung weiß es besser – fast jeder führt Selbstgespräche. Und das ist gut so. Denn das Gerede mit sich selbst dient wichtigen Aufgaben.
Der verwahrlost wirkende Mensch, der auf dem Weg zum Altglas-Container selbstvergessen in seinen Bart murmelt: Nein, das bist nicht du. Aber vielleicht erkennst du dich in dieser Person wieder: Während sie auf dem Weg zu einem wichtigen Termin ist – ein Vorstellungsgespräch, ein entscheidendes Kundenmeeting –, sagt sie sich im Stillen alle wichtigen Argumente auf. Und sicher hast du dir am Abend vor einer Prüfung schon mal die schwierigsten Formeln leise aufgesagt, damit du sie dir auch wirklich merkst.
In der Literatur würde man das inneren Monolog nennen, in der Psychologie heißt dieser Vorgang Autokommunikation. Oder Selbstgespräche. Kinder im Vorschulalter führen diese noch ausnehmend laut. Ab sechs Jahren etwa verlagert sich das Gerede mit sich selbst – meist – in die Gedankenwelt.
In dieser Studie befragten Forschende Eltern zu den Selbstgesprächen ihrer Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren. 93,6 Prozent der Kinder, so gaben die Eltern zu Protokoll, redeten während Rollenspielen mit sich selbst und 72,3 Prozent setzten Selbstgespräche für Aufgaben ein, bei denen ein Problem zu lösen war. Der überwiegende Teil der befragten Eltern (91 Prozent) bewerteten das kindliche Selbstgespräch als hilfreich oder sogar sehr hilfreich für die kindliche Entwicklung. Und das stimmt auch: Selbstgespräche sind überhaupt nicht peinlich, sondern erfüllen wichtige Aufgaben. Dazu gleich mehr.
Dass dir Menschen, die mit sich selbst reden, womöglich suspekt vorkommen, mag daran liegen, dass man damit psychische Erkrankungen wie Schizophrenie verbindet. Schizophrene Menschen nehmen innere Stimmen wahr, als kämen sie von außen – sie reden also streng genommen nicht mit sich selbst, sondern mit imaginären Personen, die für sie aber ganz real sind.
Menschen, die sich einsam fühlen, reden vergleichsweise häufig mit sich selbst, wie diese Studie belegt. Doch erfüllt der innere Monolog durchaus eine Schutzfunktion, sagen die Forschenden: Das Selbstgespräch federe die negativen Auswirkungen der Einsamkeit auf die körperliche und geistige Gesundheit ab.
Menschen führen Selbstgespräche entweder im Stillen oder laut mit sich selbst
Fakt ist: Fast jeder von uns führt Selbstgespräche, 96 Prozent aller Menschen, sagt die Wissenschaft. Ob sie es hörbar für andere tun oder im Stillen für sich, hängt von der Persönlichkeit ab. Die meisten führen innere Gespräche, rund 25 Prozent der Erwachsenen hingegen auch private Gespräche – sie reden also laut mit sich selbst.
So wie Tommy Haas, deutscher Ex-Tennisspieler, der während der Australian Open 2007 im Viertelfinale auszuscheiden drohte. In der Pause vor einem Seitenwechsel kritisierte er sich in einer Pause lautstark selbst: «Du kannst nicht gewinnen, Haasi, das geht nicht. Zu schwach einfach. Zu viele Fehler!» Doch kurz bevor es zurück aufs Spielfeld ging, feuerte er sich selbst an: «Aber du gewinnst. Du gewinnst das Match, komm! Du kannst es gewinnen. Fighten, fighten. Kämpf!» Er hat das Spiel gegen den Russen Nikolai Dawydenko dann auch in fünf Sätzen gewonnen.
Gerade die Sportpsychologie hat sich viel mit Selbstgesprächen befasst. Diese gelten als Mittel für Sportlerinnen und Sportler, ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken, um die Aufmerksamkeit erst einmal auf das negative Denken zu lenken. Dann aber soll man bewusst davon wegkommen und sich als eine Form von Mentaltraining selber pushen und die Leistung verbessern – wie Tommy Haas .
Selbstgespräche: Diese vier Hauptfunktionen erfüllen sie
Doch nicht nur Profis nutzen Selbstgespräche. Jeder kann von ihnen profitieren. Denn Forschende sagen: Mit Selbstgesprächen regulieren Menschen sich selbst. Thomas Brinthaupt von der Middle Tennessee State University hat in seiner wegweisenden Studie, 2009 erschienen im «Journal of Personality Assessment», eine Self-Talk-Skala entwickelt. Laut dieser erfüllen Selbstgespräche in der Regel eine oder mehrere dieser Hauptfunktionen:
Selbstkritik üben: Also Sätze wie «Das ist jetzt wirklich daneben gewesen», «Diese Leistung war keine Glanzleistung», «Ich schäme mich dafür, was ich eben getan habe».
Soziale Situationen einschätzen: Das bedeutet, dass du dir vorstellst, wie dein Gegenüber auf das reagiert, was du sagen wirst bzw. was du dann darauf in Folge machst. Du antizipierst also soziale Situationen. Beispiel: «Was sage ich, wenn meine Chefin sagt, sie kann mir nicht mehr Gehalt zahlen?»
Selbstbestätigung: Du klopfst dir im Selbstgespräch auf die eigene Schulter, etwa so: «Auf das Gespräch eben kann ich stolz sein» oder Lob wie, «Gut gemacht, es lief alles, wie geplant».
Selbstmanagement: Also To-dos im Kopf sortieren wie, «Ich darf nicht vergessen, nachher noch zur Apotheke zu gehen» oder «Wo habe ich meinen Schlüssel hingelegt?». Aber auch hier kann es in Richtung Antizipation gehen, wenn du dir überlegst, was du tun oder sagen wirst.
Laut Experte Brinthaupt repräsentieren die ersten beiden Funktionen die eher negativen Aspekte des Selbstgesprächs. Hingegen sind Selbstbestätigung und Selbstmanagement eher die guten Seiten des Redens mit sich selbst – das solltest du also öfter tun. Wer jedoch beim Reden mit sich selbst immer hart mit sich ins Gericht geht, läuft Gefahr, seinem Selbstwertgefühl ein paar dicke Kratzer zuzufügen.
Analysieren, wann man mit sich selbst ins Gespräch kommt
Deshalb rät die Forschung: Werde dir als erstes über deine inneren Monologe bewusst. Denn sehr viele Menschen reden mit sich selbst, merken es aber gar nicht. Beobachte dich also in nächster Zeit einmal genau, wann und in welchen Situationen du mit dir selbst ins Plaudern kommst. Nach der Analyse kannst du deine Selbstgespräche in Zukunft besser für dich nutzen.
Denn sie erfüllen gute Zwecke: Du kannst mit inneren Monologen deine Gedanken besser sortieren und strukturieren und merkst dir Dinge besser. Wer Herausforderungen laut oder leise formuliert, lässt vor seinem inneren Auge Bilder entstehen bzw. die Gedanken werden greifbarer. Sprich: Du findest schneller Lösungswege und zu Entscheidungen. Auch können Selbstgespräche motivierend wirken und sogar beim Lernen neuer Dinge extrem hilfreich sein – etwa beim Einüben neuer Fertigkeiten, im Sport zum Beispiel.
Für ein Experiment der Psychologen Dietrich Dörner (Universität Bamberg) und Ralph Reimann (Universität Wien), deren Ergebnis 2004 in der Zeitschrift für Psychologie erschienen ist, ließen die Forscher Maschinenbau-Studierende beim Konstruieren mit sich selbst reden. Besonders gut konstruierten die Probandinnen und Probanden dann, wenn sie ihre Arbeit wortreich analysierten, sodass sie sich der Konsequenz ihres nächsten Schritts bewusst wurden. Auch erweiternde Fragen an sich selbst waren hilfreich, etwa: «Wo gehört diese Schraube jetzt hin?» oder «Hält diese Konstruktion, wenn ich diesen Schritt als nächstes mache?».
Erwartungsgemäß waren bei dem Experiment innere Monologe nicht sonderlich hilfreich, in denen sich die Studierenden negativ bewerteten und sich selbst oder ihre Lösungsansätze beschimpften.
Selbstgespräche: Worauf kommt es an?
Sprich mit dir in der dritten Person
Besonders wenn Selbstgespräche Stress reduzieren sollen, empfiehlt es sich, über sich selbst in der dritten Person zu reden, sagt diese Studie, 2017 erschienen in Scientific Reports. Murmle also Sätze wie, «Komm, sie wird diesen Test jetzt bestehen» oder «Wenn die Chefin ihn heute kritisiert, wird er folgende Argumente vorbringen». Alternativ kannst du anstelle von «er» bzw. «sie» auch deinen Namen einsetzen.
Schimpf nicht mit dir selbst
Selbstkritik solltest du idealerweise ganz einstellen. Sobald du dir über die Häufigkeit deiner Selbstgespräche bewusst wirst, kannst du negative Äußerungen über dich bewusst reduzieren oder ganz einstellen. Formuliere Aufforderungen an dich selbst immer positiv. Statt: «Mensch, lass dich nicht immer ablenken beim Aufräumen», sag Sätze wie, «Du (oder besser: Er/sie/Name) wirst dir jetzt zehn Minuten lang ein Zimmer vornehmen».
Schmeichel dir selbst
Apropos bewusst: Du kannst innere Monologe gezielt einsetzen, um dich besser zu fühlen. Lobe dich jeden Morgen vor dem Spiegel selbst oder denk abends im Bett darüber nach, was gut für dich gelaufen ist.
Setze Selbstgespräche gezielt ein
Nutze das Reden mit dir selbst, um Dinge im Kopf zu behalten, rät die Forschung in dieser Studie. Du suchst immer wieder etwas, zum Beispiel deinen Schlüssel? Dann kann es helfen, vor dich hin zu murmeln «Wo ist der Schlüssel, wo könnte er liegen?» – dann vergisst du auch nicht, ihn zu suchen, während du in der Wohnung herumläufst. Das funktioniert aber nicht nur mit konkreten Gegenständen, sondern auch beim Lernen, etwa von Formeln, Gedichten, Vokabeln usw.
Titelfoto: shutterstockIch hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.