Plato im Escape Room: «Talos Principle 2»  im Test
Kritik

Plato im Escape Room: «Talos Principle 2» im Test

Puzzles, Philosophie und gutes Schuhwerk: «Talos Principle 2» will eine Open World, eine tiefgründige Story und jede Menge Rätsel in einem Spiel unterbringen. Das gelingt nicht immer und macht dennoch viel Spass.

Ein Blinzeln, die Türe öffnet sich. Ich werde von ein paar Dutzend Androiden willkommen geheissen in Neu-Jerusalem. Schliesslich bin ich der Letzte ihrer Art, der vom Stapel läuft. Die Menschheit ist schon längst ausgestorben, die Welt wird von Robotern beherrscht. Die «Menschen», wie die humanoiden Roboter sich selbst nennen, haben ihre Anzahl auf 1000 Stück beschränkt. Ich bin der tausendste. Mein Name? 1K.

Frisch aus dem Kreissaal. Begrüssung nach der Geburt.
Frisch aus dem Kreissaal. Begrüssung nach der Geburt.
Quelle: Simon Balissat

Es dauert nicht lange, bis «Talos Principle 2» unmissverständlich klar macht, dass es hier um die existenziellen Fragen geht: Wer bin ich? Warum bin ich hier? Was ist mein Zweck in dieser Welt? Erschaffen wir oder zerstören wir? Oder gar beides? Philosophische Fragen, die den Unterbau bilden für «Talos Principle 2».

Kurz nach meiner Geburt erscheint ein übergrosser Prometheus und belehrt die verdutzte Roboterschaft. Im Minutentakt folgen Anspielungen auf griechische Mythologie, Religion, die grossen Denker und Science Fiction. Ein Beispiel: Noch in der Hauptstadt wird mir ein faustischer Pakt mit dem Teufel angeboten. Die Produktionsnummer des zwielichtigen Androiden? 666.

Kaum da, schon bietet mir dieser Herr einen Deal an. Ob das nur gut geht?
Kaum da, schon bietet mir dieser Herr einen Deal an. Ob das nur gut geht?
Quelle: Simon Balissat

Amor fati: Liebe dein Schicksal

Als frisch geborener Messias erkunde ich die Hauptstadt Neu-Jerusalem nur kurz, da werde ich auch schon auf eine Mission zu einer mysteriösen Insel geschickt, wo etwas mit der Energie nicht stimmt. Nicht nur das ist mysteriös, die Insel bietet auf wenigen Quadratkilometern jedes erdenkliche Biom zwischen Wüste, Dschungel und Arktis, abgetrennt durch praktische Zugverbindungen. Was für ein geografischer Zufall! Oder ist es nur ein Kniff der Game-Designer, um etwas Abwechslung ins repetitive Rätselspiel zu bringen und die teuer eingekauften Assets zu amortisieren?

Geschichtsunterricht und Philosophiestunde in einem.
Geschichtsunterricht und Philosophiestunde in einem.
Quelle: Simon Balissat

Schnell kommen wir dem Mysterium auf die Schliche: Eine riesige Pyramide gewährt nur jenen Zugriff, die zuvor genügend Rätsel lösen und sich von virtuellen griechischen Gottheiten ins philosophische Kreuzverhör nehmen lassen. Wir geben Antworten auf rhetorische Fragen, werden zurechtgewiesen und weiter hinterfragt. Was mich zu Beginn des Spiels überfordert hatte, war mir am Schluss des Spiels eine Freude. Falsche Antworten auf die moralisch aufgeladenen Fragen gibt es keine. Auf den Spielverlauf haben diese Zwischensequenzen nur am Rande Einfluss, auch die Puzzles ändern sich nicht.

Panta rhei: Alles fliesst

Deshalb frage ich mich, warum der Entwickler Croteam den Puzzle-Kern in so viel Open-World-Watte verpacken musste. Star des Games sind nämlich die Rätsel im Stil von «Portal», gespickt mit etwas «Tetris» oder «The Witness». Es sind kleine Häppchen in abgeschlossenen Gebieten, ähnlich kleinen Escape Rooms. In den zwölf Gebieten sammeln sich jeweils acht solcher Rätsel, die ich nicht zwingend in der angezeigten Reihenfolge absolvieren muss. Das mache ich in der Egoperspektive. Es gibt auch eine Third-Person-Kamera. Weil die Bewegungen meines Protagonisten steifer sind als Rocco Siffredi in «Cafe der Lust», verzichte ich gerne auf den Perspektivenwechsel.

Ein typisches Puzzle, bei dem Lichtstrahlen umgeleitet werden.
Ein typisches Puzzle, bei dem Lichtstrahlen umgeleitet werden.
Quelle: Simon Balissat

Nun aber zum Fleisch, das den philosophischen Knochen umgibt: Die Puzzles sind am Anfang einfach und bestehen aus wenigen Komponenten. Ich lenke farbige Laserstrahlen in Empfänger um, damit sich Türen öffnen, setze Kisten auf Bodenschalter oder aktiviere Ventilatoren, die mich in die Höhe hieven. Die Rätsel werden zunehmend komplizierter und es kommen immer neue Gerätschaften hinzu, die meine Möglichkeiten erweitern. Habe ich ein Gebiet abgeschlossen oder komme ich nicht weiter, kann ich zum nächsten Rätsel gehen und schalte immer weitere Gebiete frei. Neben diesen Haupträtseln gibt es optionale Nebenrätsel, die schwieriger zu lösen sind. Komme ich gar nicht weiter, kann ich im jeweiligen Gebiet rumlaufen und nach glänzenden Items suchen, die mich Rätsel überspringen lassen. Sonst sollen Audiologs und menschliche Artefakte Anreiz bieten, die Welt zu erkunden. Auch diesen Open-World-Teil habe ich grösstenteils ausgelassen, weil die Puzzles die grosse Stärke von «Talos Principle 2» sind.

Tempus fugit: Die Zeit vergeht

Sind die ersten paar Puzzles noch vom Typ «runder Klotz ins runde Loch», nimmt «Talos Principle 2» in der zweiten Hälfte Fahrt auf. Ein paar Mal habe ich die Zeit vergessen und bis tief in die Nacht gepuzzelt und bin frustriert ins Bett gegangen, weil ich die Lösung nicht hatte. Nur um nach einer halben Stunde den PC doch noch einmal hochzufahren, weil die Erleuchtung beim Einschlafen kam. Das ist für mich die Mindestanforderung an ein gutes Puzzle-Spiel, das mich fordert. Stift und Papier musste ich derweil nie hervorholen, um die Rätsel zu lösen. Damit verpasst «Talos Principle 2» meinen Goldstandard für kniffliges Knobeln.

Die Zeit zieht sich auch dahin, weil ich in den weitläufigen Levels zwischen den Rätseln einen Halbmarathon laufe und mich mein Expeditionstrupp immer wieder mit neuen Entdeckungen unterbricht und herzitiert. Die Dialoge sind zwischen ganz OK und richtig mies eingesprochen. Übel nehme ich das dem Spiel nicht, es sind schliesslich Roboter und die müssen die Menschensprache lernen. Da dürfen sie auch mal tönen wie der ambitionierte Onkel, den man einmal im Jahr beim Laientheater in einer Nebenrolle über sich ergehen lassen muss. Witzig ist, dass in der englischen Sprachausgabe alle sehr unterschiedliche Dialekte sprechen. Bei der Schöpfung hätten schliesslich alle eine andere Sprachbibliothek erhalten, erklärt mir eine gar flegelhaft sprechende Roboter-Kameradin nicht gerade zimperlich. Bei solchen Szenen konnte ich mir das Schmunzeln nicht verkneifen.

Alea iacta est: Die Würfel sind gefallen

«Talos Principle 2» fliegt wie Ikarus der Sonne entgegen: Es versucht den Spagat zwischen einem narrativen Erlebnis und in-sich-abgeschlossenem Puzzlespiel zu schaffen, alles verpackt in einem philosophischen Universum. Eine Herkulesaufgabe: Themen des Existenzialismus, der Moral und des Bewusstseins künstlicher Intelligenzen thematisiert «Nier: Automata» präziser. «Portal» verknüpft Narration und Rätsel meisterhafter. Und die Rätsel von «The Witness» sind kniffliger. Trotzdem stürzt «Talos Principle 2» nicht ab.

Das Gesamtpaket von guten Rätseln, einer packenden Story und grossen Levels, die ich erkunden kann, aber nicht muss, macht «Talos Principle 2» zum Pflichtstoff für Fans von Puzzle-Games. Der angenehme Schwierigkeitsgrad dürfte auch für Leute passen, die Puzzle-Spielen bisher fremd blieben.

«Talos Principle 2» gibt es zum Download für X-Box, Playstation, PC, Mac und Linux und kostet um die 30 Franken.

Titelbild: Croteam / Devolver Digital

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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