«Palworld» angespielt: «Pokémon» mit Knarren und einer Prise Sadismus
In «Palworld» knüppelst du Pokémon-ähnliche Knuddeltierchen, bis sie deine Freunde werden. Anschliessend steckst du sie ins Arbeitslager und rüstest sie mit Sturmgewehren aus. Ein Fiebertraum, der erstaunlich viel Spass macht.
Zusammen mit meinem fuchsähnlichen Begleiter Foxparks wandere ich durch ein lauschiges Wäldchen. Nach einiger Zeit entdecke ich vor mir eine Gruppe Pengullet. Die pinguinartigen Wesen fehlen mir noch in meiner Sammlung. Leise pirsche ich mich heran. Kurz bevor sie mich entdecken, klemme ich mir Foxparks unter den Arm und benutze ihn als Flammenwerfer. Damit brate ich die blauen Viecher ordentlich durch. Sobald sie schwach genug sind, werfe ich ihnen einen Pokéball, ähm, ich meine eine Pal Sphere an den Kopf, um sie einzufangen.
«Palworld» sieht auf den ersten Blick wie ein dreister «Pokémon»-Klon aus. Spielt sich aber eher wie ein nicht jugendfreier Fan-Mod mit Survival-Elementen. Schon lange ist mir kein so sonderbares Spiel mehr untergekommen, das erst noch Spass macht. Dabei mag ich gar keine «Pokémon». Vielleicht ist genau das der Grund für meine Begeisterung. Der Kern des Early-Access-Titels ist zwar gleich: Fange alle Pals. «Palworld» führt «Pokémons» schizophrene Seite aber ad absurdum. Damit scheint das Spiel einen Nerv getroffen zu haben. «Palworld» hat sich in wenigen Tagen über fünf Millionen mal verkauft. Bei Steam darf es sich mit mehr als einer Million gleichzeitiger Spielerinnen zu einer besonders erlauchten Gruppe zählen.
Verhauen und antreiben
Im Spiel des japanischen Studios Pocketpair wird die Welt von knuffigen Fantasiekreaturen bewohnt. Ihre Namen bestehen aus schlechten Wortspielen, die direkt aus einem KI-Generator stammen könnten. Da hoppelt ein Eulenwesen namens Hoocrates vorbei. Daneben grast ein Wollkneuel, das sich Lamball nennt. Einige besitzen derart offensichtliche Parallelen zu Pokémon, dass es nur eine Frage der Zeit scheint, bis die Anwälte der Pokémon Company anklopfen. Das gilt auch für gewisse Soundeffekte, die eins zu eins klingen wie in «The Legend of Zelda: Breath of the Wild». Und wenn du dir Pocketpairs nächstes Spiel «Never Grave» anschaust, kommst du auch nicht drumherum, an «Hollow Knight» zu denken. Sich grosszügig inspirieren zu lassen, scheint bei Pocketpair zum Konzept zu gehören.
Der Fangprozess ist im Grunde gleich wie bei Pokémon, einfach etwas expliziter. Statt in rundenbasierten Duellen passiv dazustehen und zuzuschauen, wie Angriffe ausgeführt werden, packe ich in «Palworld» kurzerhand meinen Baseballschläger aus und stürze mich ins Gefecht. Später kommen schwerere Geschütze zum Einsatz, aber die muss ich erst freischalten. Bis auf Weiteres bin ich mit mittelalterlichen Mitteln unterwegs. Für die kleinen knuffigen Viecher zu Beginn reicht das allemal. Ich ziehe dem flüchtenden Lamball zwei, drei mit dem Schläger über den Kopf, bis es so schwach ist, dass es sich der Pal Sphere nicht widersetzen kann. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich die Plüschtierchen meiner Kinder verdreschen. Dabei ist es in «Pokémon» im Prinzip nicht anders, dort wird es nur schöner verpackt. Es ist wie beim Essen: Wer Fleisch isst, sollte auch mal beim Schlachten dabei sein – apropos. Im Spiel kann ich ein Schlachtmesser freischalten und ja, es ist genau dafür da, wonach es klingt.
Die Pals werden nicht nur gefangen, damit sie für mich kämpfen können, sondern auch, damit sie in meiner Basis arbeiten. Sie bewirtschaften beispielsweise meine Beeren- und Weizenfelder. Damit füttere ich meine wachsende Belegschaft. Wenn das nicht reicht, landet auch mal ein mürrisches Depresso im Kochtopf. Das lamentiert und faulenzt sowieso den ganzen Tag. Jeder Pal beherrscht bestimmte Aufgaben. Einige können Bäume fällen, andere Felder bewässern und wieder andere schleppen gerne Steine durch die Gegend. Abends dürfen sie sich auf Strohbetten ausruhen, die sie sich selber gezimmert haben. Bei Morgendämmerung wird weiter im Akkord gearbeitet. Trotz kindlicher Optik komme ich nicht um den Eindruck herum, ein Arbeitslager errichtet zu haben.
Die letzten Zweifel, dass ich mich langsam in einen zweiten Stalin verwandle, verschwinden, als ich eine Kanzel baue. Von dort kann ich meine Pals zu schnellerer Arbeit antreiben. Zur Auswahl stehen «hard working» und «super hard working». Die Beschreibungen dazu lauten: Verlange grausame, respektive brutale Arbeit von deinen Pals. Die Folgen sind dann, dass die Pals schneller Hunger bekommen und ihre geistige Gesundheit schneller abnimmt. Leicht verstörend ist das schon. Aber hey, für allfällige psychische oder körperliche Schäden kann ich ihnen entsprechende Medizin verabreichen. Langsam frage ich mich wirklich, ob «Palworld» insgeheim eine Gesellschaftskritik des kapitalistischen Systems ist.
Ethische Bedenken beiseite gestellt, ist das Konzept von «Palworld» erfrischend anders. Die Pals sind vielseitig einsetzbare und unermüdliche Arbeitskräfte. Gleichzeitig stehen sie mir beim Erkunden der offenen Spielwelt zur Seite. Damit ich schneller vorwärts komme, kann ich einen Gleiter konstruieren – «Zelda» lässt grüssen – oder ich entwickle Pal-spezifische Upgrades. Beim Eingangs erwähnten Foxparks ist das eine Halterung, damit ich ihn als Flammenwerfer tragen kann. Beim Eikthyrdeer, einem Hirschwesen ist das ein Sattel, um auf ihm zu reiten. Mittlerweile besteht mein Fuhrpark aus einer breiten Auswahl verschiedener Renn-, Schwimm- und Flugtierchen.
Inhaltlich noch verbesserungswürdig
«Palworld» lässt sich auf dedizierten Servern mit bis zu 32 Personen spielen. Während ich beim Ausbau meiner Basis gut alleine zurecht komme, ist bei Bosskämpfen Unterstützung willkommen. Das Pendant zu den Trainern aus «Pokémon» sind in «Palworld» Türme mit Syndikats-Bossen. Neben Pals bewohnen auch menschliche Fraktionen die weitläufige Landschaft. Der erste Boss ist Zoe und ihr mit Minigun bewaffneter Grizzbolt. Erst nachdem ich meine Party aus sechs Pals und mich selbst entsprechend aufgerüstet habe, trete ich siegreich aus dem Kampf hervor. Als Belohnung gibt es seltene Ressourcen für neue Bauprojekte. Diese Bosskämpfe lassen sich auch zu viert bestreiten.
Neben den Turmbossen gibt es besonders starke, frei herumlaufende Pals zu besiegen. Es gibt zudem Dungeons, die in der Regel ebenfalls mit einem Boss aufwarten. Und das wärs dann auch schon. Aktuell fehlt es noch an Inhalt. Das ist bei einem Early-Access-Titel nicht verwunderlich. Bis ich die insgesamt über 100 Pals gefangen habe, könnte ich durchaus noch mehr Zeit verbraten. Ich warte aber lieber, bis «Palworld» auch spielerisch mehr Abwechslung bietet.
Die bunte Spielwelt ist bereits in der Early-Access-Version einladend – aber doch noch etwas leer und generisch. Die Sammelwut, all die kuriosen Pals einzufangen, hat mich dennoch gepackt. Daneben gibt es unzählige Dinge für die Basis, die Pals und den eigenen Charakter freizuschalten.
Die leicht sadistische Ader des Spiels, vom Fangen der Pals über die Arbeitsplager-Mentalität könnte einige vor den Kopf stossen. Als grosser Fan von «The Cult of the Lamb» bin ich da bereits abgestumpft. Dort weiss ich allerdings bereits beim Titel, was mich erwartet. Die Basis ist jedenfalls gelegt, der Hypetrain in voller Fahrt. Ich bin gespannt, wo uns die Reise mit Pocketpair noch hinführen wird.
«Palworld» ist verfügbar im Early Access auf Steam und im Game Pass für PC und Xbox. Die Altersempfehlung liegt bei USK 12, respektive Pegi 7. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Pocketpair zur Verfügung gestellt.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.