Kritik
Filmkritik: «Bad Boys For Life» – es hätte schlimmer kommen können
von Luca Fontana
In «Ms. Marvel» entdeckt die junge Kamala Khan ihre Superkräfte. Pünktlich zum Start der Serie hat mich Marvel zum Roundtable eingeladen – mit Autorin Bisha K. Ali und den Regisseuren Adil El Arbi und Bilall Fallah.
Wenn sich jemand als Autorin und Headwriter für Marvels neue TV-Serie «Ms. Marvel» eignet, dann Bisha K. Ali (33). Schliesslich wuchs die einstige Stand-up-Comedian und heutige Drehbuchautorin als Tochter pakistanischer Immigranten in Grossbritannien auf – ähnlich wie das junge Mädchen Kamala Khan, Hauptcharakter der Serie. Bishas Schreibtalent zeigte sich früh: 2012 nahm sie am Young Writers Program des Royal Court Theatre teil. 2019 schrieb sie Netflix’ «Sex Education» mit. Und 2021 verdiente sie sich als Co-Autorin in Marvels «Loki» ihre Sporen. In «Ms. Marvel» darf sie nun zum ersten Mal als Headwriter und Produzentin ran.
Regie führt ein belgisches Duo mit marokkanischen Wurzeln: Adil El Arbi (33) und Bilall Fallah (36), besser bekannt als Adil & Bilall. Zum ersten Mal auf sich aufmerksam gemacht haben sie 2015 mit «Black», einem von Kritikern gelobten Romeo-und-Julia-Verschnitt im modernen Brüssel. Ihren bisher grössten Coup landeten sie aber 2020 mit «Bad Boys For Life», dem weltweit finanziell erfolgreichsten Hollywood-Film desselben Jahres.
Noch vor der Serienpremiere am 8. Juni luden Disney und Marvel Studios zum virtuellen Roundtable mit dem Trio ein. Im Mittelpunkt des Gesprächs: Was Inklusivität für Marvel bedeutet, wie mit schwierigen Themen umgegangen wird, welches der denkwürdigste Tag am Set war und ob «Bad Boys» oder «Ms. Marvel» das grössere Projekt ist.
Was fasziniert euch am meisten an Kamala?
Adil, Co-Regisseur: Für mich, dass sie ein muslimisches Mädchen mit pakistanischen Wurzeln ist, das aber in Amerika aufgewachsen ist. Damit können Bilall und ich uns sehr identifizieren! Als marokkanische Teenager in Belgien stellten wir uns selber oft die Frage, wo unser Platz in der Welt ist. Ob wir cool sind oder nicht.
Bilall, Co-Regisseur: Kamala geht’s genau gleich. Sie ist Aussenseiterin in der Schule. Gleichzeitig fühlt sie sich von ihren immigrierten Eltern unverstanden, die sehr an ihre Traditionen festhalten. Und dann bekommt sie plötzlich Superkräfte. Damit wird ihre Welt komplett auf den Kopf gestellt.
«Inklusivität ist ein grosses Wort. Aber heute bedeutet Marvel für viele Kinder, Teenager und Erwachsene die Welt – und Teil von ihr zu sein, zu existieren.» Das hat Regisseur Mohamed Diab erst kürzlich über seine ägyptischen Superhelden in «Moon Knight» gesagt. Ist es das, worum es bei Inklusivität geht?
Bisha K. Ali, Headwriter: Ich könnte es nicht besser formulieren (lacht). Marvel hat mittlerweile tatsächlich ein so grosses, globales Publikum, dass wir uns alle darin repräsentiert fühlen wollen. Das gilt auch für Kamala als junges, muslimisches Mädchen, das die Avengers bewundert und besonders Captain Marvel vergöttert.
Kamala sagt ja auch in der Serie, dass es nicht die «Braunen» sind, also südasiatische Menschen, von denen man erwartet, dass sie den Tag retten.
Bisha K. Ali: Richtig. Wir wollen uns aber nicht anmassen, für Milliarden von Moslems weltweit zu sprechen. Dafür ist der Islam schlicht zu facettenreich und vielfältig. Ich hoffe aber, dass wir zumindest die Tür zu noch mehr Charakteren mit ähnlichem Hintergrund aufstossen können. Wir Moslems sind ja auch Teil dieser Welt. Wenn uns das gelingt, dann bin ich unheimlich stolz auf unsere Arbeit.
Bilall: Absolut. Ich sehe ja, wie meine Neffin, meine Tante, meine Cousinen und all die anderen weiblichen Moslems in meiner Familie unheimlich inspiriert von der Serie sind, weil sie jetzt endlich auch «ihre» Superheldin haben.
Adil: Gleichzeitig wollten wir aber immer noch eine Geschichte erzählen, die universell genug ist, dass sie alle Menschen anspricht. Schliesslich sollen alle mit Kamala mitfiebern und mitfühlen können – unabhängig von ihrer Religion, Herkunft oder ihrem Geschlecht.
Wir lernen auch einiges über die Geschichte Indiens und dessen Spaltung. Das Thema ist sehr mutig für eine an Jugendliche gerichtete TV-Serie.
Bisha K. Ali: Das stimmt. Schon während des Schreibprozesses habe ich viel mit Adil, Bilall, den anderen Autorinnen und Autoren und den Schauspielerinnen und Schauspielern gesprochen. Über ihre Erfahrungen und Familiengeschichten. Nur schon daran zurückzudenken, lässt mich emotional werden.
Inwiefern?
Bisha K. Ali: Es ist ein schweres Vermächtnis, das wir tragen. Bürgerkriege. Flucht. Exil. Immigration. Wir haben viele tiefschürfende Gespräche gehabt, und alle Beteiligten waren unheimlich offen und vertrauten mir blind ihre Geschichten an. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar.
Tatsächlich zeigt «Ms. Marvel» erstaunlich viel über die muslimische Gemeinschaft und die Rolle der Frauen in ihr.
Bisha K. Ali: Genau. Ich wollte all diese Geschichten so kohärent und authentisch wie möglich verarbeiten. Welcher Marvel-Charakter kann denn schon von sich behaupten, eine muslimische Immigrantin aus zweiter Generation zu sein? Das wollte ich mir unbedingt bewahren. Und gleichzeitig wollte ich, dass Kamala in ihrem Kern so schrullig und lustig ist wie ihre Comic-Vorlage. Schliesslich ist es ja auch eine Marvel-Serie! Diesen Balance-Akt hinzukriegen, war eine grosse Herausforderung.
Adil, Billal, euer letzter Film war «Bad Boys For Life». Wie war es für euch, von einem actiongeladenen Blockbuster zu einer persönlichen, kleinen Geschichte über das Mädchen, das ihren Platz in der Welt sucht, zu wechseln?
Adil: Ehrlich gesagt ist «Ms. Marvel» das viel grössere Projekt als «Bad Boys For Life» (lacht).
Bilall: Absolut, wir reden hier schliesslich von Marvel (lacht).
Adil: Es stimmt schon, «Bad Boys For Life» war ein ziemlich grosses Projekt, aber wenn du mal bei Marvel bist …
Bilall: Gigantisch!
Adil: Multiverse of Madness, verstehst du?
Bilall: Wohl eher Multiverse of Fun!
Adil: Genau! Als es um die ganzen Drehs mit den Sets und den Special Effects ging, da waren wir es, die noch einiges zu lernen hatten.
Betrifft das auch die ganzen Animationen? Die Cartoons, die aus ihren Büchern fliegen? Die Graffitis? Kamala hat ja eine ziemlich blumige Fantasie.
Adil: Diese Animationen sind tatsächlich etwas, das so nicht im Script stand. Wir suchten nach einem Weg, wie wir Kamalas blühende Fantasie visuell darstellen und zum Leben erwecken konnten.
Bilall: Und dann kamen wir auf die Idee mit den Animationen. Wir gingen zu Kevin (Anm.: Kevin Feige, Marvel-Studios-Chef) und fragten ihn, ob wir das machen dürften. Zu unserer Überraschung sagte er «ja». Wir haben sehr viele Freiheiten am Set bekommen. Das war toll!
Was war denn der denkwürdigste Tag am Set?
Bisha K. Ali: Das war eindeutig der Tag, an dem ich zum ersten mal Iman Vellani (Anm.: Darstellerin von Kamala Khan) traf. Es dauerte keine drei Sekunden, da wusste ich sofort: Sie ist es. Sie ist Kamala. Ich liebe sie. Sie ist genauso, wie ich mir ihren Charakter beim Schreiben vorgestellt habe. Oh, und Iman zum ersten Mal in ihrem Superhelden-Anzug zu sehen, das war verrückt.
Die Aufzeichnung fand am 2. Juni statt. Ausschnitte davon sind in unserem hundertsten Podcast zu hören. «Ms. Marvel» läuft seit dem 8. Juni auf Disney+. Die Serie wird sechs Folgen umfassen. Jeden Mittwoch erscheint eine neue. Ich durfte die ersten beiden Episoden vorab sehen, und das Gesehene hat mich positiv überrascht. Meinen kompletten Ersteindruck findest du in meinen Streaming-Highlights für den Juni 2022.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»