Männer leben kürzer als Frauen – aber das kann mann ändern
22-12-2022
Im Schnitt sterben Männer vier bis fünf Jahre früher als Frauen, sagt die Statistik. Doch das muss nicht sein, betonen Expertinnen und Experten. Wie du dir ein Plus von bis zu 1500 Lebenstagen holen kannst, verraten sie dir hier.
Vier Jahre leben Männer im Schnitt kürzer als Frauen. Das geht aus einer Studie der Schweizerischen Eidgenossenschaft hervor. Im Rest von Europa sind es laut Weltgesundheitsorganisation sogar fünf Jahre – ein «Gender Age Gap» von sieben Prozent.
Biologie oder Lebensstil?
Zugegeben, gegen die Biologie bist du machtlos. So hat eine Studie gezeigt: Y-Chromosomen verschwinden mit dem Alter aus den Zellen. Und dieser Verlust ist maßgeblich für deine geringere Lebenserwartung verantwortlich. «Dennoch ist eine frühere Männer-Sterblichkeit kein Gesetz», sagt der Wiener Bevölkerungswissenschaftlers Marc Luy. Er hat die Daten von Mönchen und Nonnen verglichen, deren Lebensumstände recht ähnlich sind. Ein Ergebnis der Klosterstudie: Beide Gruppen leben etwa gleich lang. Und so kommt Luy für die Restbevölkerung zu folgendem Schluss: Von den fünf Jahren Differenz geht bei der Lebenserwartung nur etwa ein Jahr aufs Konto des Geschlechts. Der Rest? Lifestyle.
Sind Gesundheitsprobleme hausgemacht?
Vielen Männer scheint jedoch mehr an ihrem Kontostand als an ihrem Körperzustand gelegen. Der «Erste Österreichische Männergesundheitsbericht» zeigt: Männer ernähren sich ungesünder als Frauen, rauchen und trinken häufiger, gehen im Verkehr oder in der Freizeit mehr Risiken ein, arbeiten öfter in gesundheitsgefährdenden Berufen und suchen vor allem seltener und später eine Ärztin oder einen Therapeuten auf als Frauen.
Jeder vierte Schweizer geht sogar nie zu Check-ups. Mit gravierenden Folgen: Männer bekommen häufiger Krebs und haben ein höheres Risiko für Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zudem sind mehr als 75 % der Suizidtoten männlich. Und Männer sind auch deutlich öfter suchtkrank und Unfallopfer.
Gesundheitsmuffel oder Angsthase?
Woran liegt es, dass Männer anscheinend Gesundheitsmuffel sind? Gründe kennt Dr. Manuela Birrer, leitende Fachärztin am Kantonsspital Baden, einige: Sie reichen von Zeitmangel in der Rushhour des Lebens über eine «Ersatzteilmentalität» – nach dem Motto: Streikt die Hüfte, wird sie ersetzt – bis hin zu einer blockierten Innenwahrnehmung, bei der Überlastungssignale nicht oder erst verspätet wahrgenommen werden.
Laut Prof. Curt Diehm, Ärztlicher Direktor der Max Grundig Klinik in Bühl, haben Männer zudem oft schlicht Angst. Weil Mann funktionieren muss und nicht krank sein darf, geht er gar nicht erst zur Untersuchung. Ein Teufelskreis, denn Ungewissheit steigert Angst.
Sind Männlichkeitsbilder ungesund?
«Erschwerend hinzu kommt oft ein überzogenes Rollenverständnis», sagt Dr. Birrer. «Als männlich gelten – im Sinne eines sozialen und symbolischen Ausdrucks von Stärke – vermehrter Alkoholgenuss, Rauchen, wenig Schlaf zu benötigen, risikoreiches Imponiergehabe im Verkehr und ein übermäßiger Six-Pack-Körperkult. Sich um die Gesundheit zu kümmern, gilt dagegen als unmännlich.»
Frank Luck, Professor an der KH Freiburg, arbeitet zu Themen wie «Männlichkeitsbilder und Gesundheit». Für ihn sind Männer keine homogene Gruppe. Ihre Biographien sind verschieden, ihre Zugänge zu Gesundheit auch. «Die einen sorgen bereits achtsamer für sich selbst, vor allem, um sich um andere kümmern zu können. Die anderen haben eher ein traditionelles, auch mal als toxisch bezeichnetes Männlichkeitsbild. Sie treiben z.B. Sport, weil sie fitter für den Job sein möchten.»
Doch insgesamt gilt: «Männer wollen zu oft sich selbst und dem Umfeld beweisen, dass sie – auch gesundheitliche – Probleme alleine lösen können. Erst, wenn es gravierend wird, gehen sie zum Arzt.»
Das liege zum einen an einer «Männer sind das starke Geschlecht»-Sozialisation. Zum anderen müsse sich auch das Gesundheitssystem wandeln. «Es setzt noch vielfach voraus, dass sich Patienten selbst und frühzeitig melden, Probleme schnell und aktiv ansprechen«, sagt Luck. «Das kann Männern schwerfallen. Sie fühlen sich verletzlich.»
Brauchen Männer eigene Gesundheitsangebote?
Gendersensibles Wissen, geschlechtsspezifische Behandlung und Prophylaxe werden immer wichtiger werden, um die Lebenserwartung der Geschlechter anzugleichen. Frank Luck hält es dabei für entscheidend, «Männern Räume zu eröffnen, die ihnen genügend Zeit – auch außerhalb klassischer Sprechstunden – geben, um ihre Anliegen zu besprechen, ohne Bewertung ihrer Männlichkeit.»
Wichtig sei auch, soziale, biografische und gesellschaftliche Aspekte miteinzubeziehen. «Es geht nicht nur darum, sich das individuelle (Gesundheits-)Verhalten anzusehen und daran zu arbeiten, sondern auch die Lebensverhältnisse und -situation der Patienten im Blick zu haben.» Denn was nützt Ausdauertraining, wenn das sportlich-fitte Herz gebrochen ist?
Einen Ansatz dazu liefert das Wiener Gesundheitszentrum für Männer, Väter und Burschen. Es bietet neben Gesundheitsberatung z.B. auch Unterstützung bei Problemen in Beziehung und Beruf. Im Netz finden sich ebenfalls gute Angebote, wie etwa das Männergesundheitsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Ab in die Männersprechstunde
Und in der Schweiz? In der interdisziplinären «Männersprechstunde» des Kantonsspitals Baden werden Patienten diskret, ganzheitlich und vor allem individuell untersucht, betreut und behandelt. Männersprechstunde klingt nach Erektionsstörungen? «Darüber wird oft gefrotzelt», sagt Mit-Initiatorin Manuela Birrer. Zu Unrecht. Männergesundheit beschränkt sich natürlich nicht nur darauf. «Zumal solche erektilen Dysfunktionen als Frühwarnsymptom für das Vorliegen einer generalisierten Gefäßverkalkung gilt und mit einem erhöhten Risiko für einen Herzinfarkt, Hirnschlag oder einer Durchblutungsstörung der Beine verbunden ist.»
Das Beispiel zeigt auch: Beschwerden lassen sich oft nicht auf ein einziges Problemfeld reduzieren. «Der Patient wird deshalb durch verschiedene Fachärzte wie Urologinnen, Endokrinologen, Angiologinnen und Psychologen untersucht. Wir klären auf, welche medizinischen Maßnahmen und Lebensstiländerungen sinnvoll sind. Unser Ziel ist, Männer dazu zu bringen, Verantwortung für sich, ihre Gesundheit und damit auch für ihre Familie zu übernehmen.»
Was bringt eine Lebensstiländerung?
Wieviel Lebenszeit du herausholen kannst, wenn du dein Gesundheitsverhalten änderst? Im Schnitt kommen Studien auf rund sieben Jahre, wenn du (auch wenn das zum Teil zugegebenerweise ziemlich vage Angaben sind):
- auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung achtest,
- weniger Alkohol und rotes Fleisch konsumierst,
- aufs Rauchen verzichtest,
- negativen Stress reduzierst,
- Sozialkontakte pflegst
- in einer glücklichen, stabilen Partnerschaft lebst
- dich regelmäßig bewegst
- Übergewicht abbaust und
- zu den empfohlenen Check-ups gehst.
«Damit beugt man jenen Krankheiten vor, die zu den größten Sterblichkeitsrisiken bei Männern zählen», sagt Dr. Manuela Birrer.
Wie gelingt die Lebensstiländerung?
Wir wissen: Gute (Neujahrs-)Vorsätze reichen nicht. Dr. Birrer empfiehlt, Prioritäten und realistische Ziele zu setzen. Am wichtigsten sind eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung. Beginnen könntest du etwa damit, die Treppe statt den Lift zu nehmen oder auf Fast Food zu verzichten. Dann gilt es zu schauen, was dir dauerhaft leicht fällt. Laufschuhe kaufen, wenn du Joggen hasst? Sinnlos. Einen Hund anschaffen, wenn du dich dann mehr bewegst? Womöglich sinnvoller. Positiver Nebeneffekt: Sport und Bewegung können helfen, «Tut mir gut»-Erfahrungen zu sammeln und Zugang zum Selbst zu finden.
Hilfreich beim Zugang-Finden kann auch Technik sein – vom Schrittzähler bis zur SmartWatch. «Über diese Tools lässt sich Selbstwirksamkeit erleben. Man sieht genau, was sich Positives tut.»
Hol dir aber nicht nur technische, sondern auch menschliche Unterstützung – «sei es von der Ernährungsberaterin oder dem Gemüse-Kisten-Lieferanten, dem Arbeitspsychologen, bei einem Rauchentwöhnungskurs, Personal Trainer, Verein, Stammtisch oder im nahen Umfeld», sagt Birrer. Die Männersprechstunde hilft dabei. Frank Luck rät, sich «bereits als gesunder Mensch vor Ort ein Netz an Medizinerinnen, Beratungsstellen und Vertrauenspersonen aufzubauen, auf das man im Fall der Fälle zurückgreifen kann.»
Wie kann das Umfeld Männer unterstützen?
Apropos Netzwerk: Hilfreich sei, sagt Manuela Birrer, wenn das Umfeld bei der Änderung des Lebensstils mitziehe: «Viele meiner Patienten gehen etwa gemeinsam mit der Partnerin zur Ernährungsberatung oder zum E-Bike-Kauf.» Bei der Kommunikation sei es gut, über die Vorteile der Prävention zu sprechen und den Mann zu bitten, wenn schon nicht um seinetwillen, dann doch für die Familie zur Vorsorge zu gehen.
Frank Luck empfiehlt für solche Gespräche Folgendes: «Falle nicht mit der Tür ins Haus. Das gilt für ungesunde Verhaltensweise und Verhältnisse, aber insbesondere dann, wenn es zu Einschnitten oder kritischen Ereignissen kommt, wie etwa der Geburt eines Kindes oder dem Verlust einer nahestehenden Person.» Wichtig sei, zuzuhören, nicht zu bewerten und sich für das Gespräch Zeit zu nehmen. «Wenn ein Mann sagt, es gehe ihm gut und er hätte keine Probleme, ist das nicht unbedingt das Ende der Kommunikation. Es kann der Anfang sein.»
Gender Gap wird kleiner
Die Lücke zwischen weiblicher und männlicher Lebenserwartung schließt sich in der westlichen Welt übrigens. Betrug sie in den 1980er-Jahren noch fast sieben Jahren, wird erwartet, dass sie für 2060 geborene Jungen nur noch drei Jahre betragen wird. Du musst dir dein Plus von 1500 Lebenstagen halt noch selbst holen. Dafür wie’s klappen kann, hast du jetzt einige Ansatzpunkte.
Daniela Schuster
Autorin von customize mediahouse
Gäbe es meinen Job nicht, würde ich ihn erfinden wollen. Schreiben ist die Möglichkeit, ein paar Leben parallel zu führen. Heute stehe ich mit einer Wissenschaftlerin im Labor, morgen gehe ich mit einem Forscher auf Südpolexpedition. Täglich entdecke ich die Welt, erfahre Neues und treffe spannende Menschen. Aber nur kein Neid: Das Gleiche gilt fürs Lesen!
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