Line 6 Pod Express: Sieben Gitarrenverstärker in einer 350-Gramm-Box
Line 6 hat im Frühjahr einen Amp Simulator im Taschenformat herausgebracht. Er ist leicht, günstig und bietet alles, was du zum Gitarrespielen normalerweise brauchst. Die Sounds überzeugen mich. Die Bedienung weniger.
Der Line 6 Pod Express ist ein Amp Simulator für E-Gitarre. Es gibt ein gleichnamiges Modell für E-Bass, aber hier geht es um die Gitarrenversion. Ein Amp Simulator bildet den Klang von klassischen Gitarrenverstärkern nach. Die Grundlagen zu Gitarrenverstärkern und ihren digitalen Imitationen kannst du in diesem Beitrag nachlesen.
Was kann der Pod Express?
Das Gerät bietet sieben verschiedene Verstärker mit den zugehörigen Lautsprecherboxen (Cabinets). Für jeden Verstärker kann auch ein anderes Cabinet verwendet oder die Cab-Simulation ganz ausgeschaltet werden.
Die Verzerrung der Amps lässt sich durch virtuelle Verzerrpedale weiter verstärken und formen. Weiter gibt es Hall, Echo und vier Effekte. Zum Funktionsumfang gehört ein Noise Gate mit regelbarer Empfindlichkeit. Du kannst es auch ausschalten. Schliesslich sind auch ein Stimmgerät und ein Looper ins Gerät integriert.
Der Pod Express kann den Ton ganz klassisch über einen oder zwei (Stereo) 6,3mm-Klinkenstecker ausgeben. Ein Kopfhöreranschluss mit separatem Lautstärkeregler ist auch dabei. Über USB-C lässt sich das Gerät mit dem Computer verbinden. Es ist dann zugleich Audio-Interface – sehr praktisch. Über den Kopfhöreranschluss des Pod Express hörst du auch den Sound des Computers.
Bedienung: ohne Display und ohne Software
Äusserlich wirkt der Pod Express extrem abgespeckt. Er wiegt ohne Batterien nur 345 Gramm und misst etwa 9 × 13 Zentimeter. Es fällt auf, dass der Pod Express keinen Bildschirm hat. Nur ein paar Leuchtdioden zeigen Informationen an.
Kein Bildschirm heisst, dass es auch keine Menüs gibt. Alles wird direkt angepasst. Das klingt erstmal super. Denn bei diesen Multieffektgeräten besteht immer die Gefahr, dass du dich in den unzähligen Einstellungsmöglichkeiten verlierst. Das passiert hier nicht.
Dennoch ist das Bedienkonzept nicht optimal. Mit den wenigen Tasten und Reglern geht es nicht ohne Doppelbelegungen. Will ich zum Beispiel die Lautstärke des Channels ändern, muss ich gleichzeitig die Alt-Taste drücken. Für den Wechsel des Cabinets muss ich sogar Alt und einen der Fussschalter gleichzeitig drücken, während ich einen Regler drehe. Das ist mühsam, weil der Schalter für den Fuss gedacht und damit für die Hand nicht ergonomisch ist.
Zudem sind diese Funktionen auf dem Gerät nicht angeschrieben: Ich muss auswendig wissen, wie man das einstellt. Line 6 liefert einen Spickzettel mit, aber dort stehen ausgerechnet diese versteckten Doppelbelegungen nicht drauf. Ich habe mir einen eigenen Spickzettel geschrieben.
Was mich am meisten stört: Ich sehe nicht, was eingestellt ist. Alle Drehknöpfe zeigen in eine bestimmte Richtung – aber wenn ich ein Preset anwähle, sind dort andere Werte gespeichert als die physischen Regler anzeigen. Somit kann ich nicht einen bestehenden Wert leicht anpassen, weil ich nicht weiss, wo der Ausgangspunkt ist. Laut diesem Video ab Minute 14:30 soll zwar der Ring grün aufleuchten, wenn ich die Voreinstellung anwähle. Bei mir funktioniert das aber nicht.
Dieses Problem lässt sich auch nicht über einen externen Editor für Mac oder PC umgehen, denn einen solchen gibt es nicht.
Zwei Modi, keiner befriedigt
Hast du deine Einstellungen vorgenommen und bist damit zufrieden, kannst du sie speichern. Es stehen 14 Speicherplätze zur Verfügung – und sieben Werkseinstellungen, die du ebenfalls überschreiben und bei Bedarf zurücksetzen kannst.
Drückst du beide Fussschalter gleichzeitig, aktivierst du den Preset-Modus. Dann wechselst du mit den Fussschaltern zum nächsten beziehungsweise zum vorherigen Preset. Durch erneutes Drücken beider Tasten gelangst du wieder in den Einstellungsmodus.
Das ist grundsätzlich einfach und logisch. Durch die farbliche Markierung des LED-Rings ist sofort klar, in welchem der beiden Modi du dich befindest. Dennoch ist auch hier die Bedienung nicht immer ideal.
Im Preset-Modus kann ich nichts ändern, nicht einmal Effekte zuschalten oder die Cab-Sim deaktivieren. Auch das Tap-Tempo lässt sich nicht ändern. Beim Drehen der Knöpfe passiert nichts.
Mir ist der Preset-Modus damit zu unflexibel. Ich verwende ihn selten. Aber auch der andere Modus hat seine Tücken. Wechsle ich zu einem anderen Amp, schaltet sich jedes Mal automatisch das zugehörige Cabinet ein. Wenn ich an einem physischen Lautsprecher spiele und keine Cab-Sim will, muss ich die jedes Mal wieder ausschalten. Auch Gain und EQ scheinen sich jedes Mal zu resetten. Ganz sicher bin ich nicht, weil ich es eben nicht sehe, aber dem Gehör nach ist es so.
Wenige, dafür gute Sounds
Die Grundidee des Geräts besteht in der Reduktion auf das Wesentliche. Es gibt nur sieben Verstärker, aber sie decken das Spektrum möglicher Stilrichtungen gut ab.
- Clean: Fender Princeton Reverb
- Special: Line 6 Litigator
- Chime: Matchless DC30 (channel 1, clean)
- Dynamic: Ben Adrian Cartographer
- Crunch: Friedman BE-100 (BE/HBE channel)
- Heavy: Line 6 Oblivion
- Lead: Peavey 5150
Auf den ersten Blick sieht es nicht wie ein vollwertiges Set aus. Was ist mit den Klassikern Vox AC30 oder dem Marshall Plexi? Der Crunch-Kanal mit dem Friedman ist ähnlich wie ein Marshall Plexi. Sehr gut für klassischen Rock. Der Matchless DC30 wiederum ist dem Vox ähnlich. Der Peavey 5150 ist ein Hi-Gain-Verstärker im Stil des Soldano SLO100 – und damit für Metal geeignet Der Peavey 5150 wurde für und mit Eddie Van Halen entwickelt.
Beim Anwählen wird immer gleich das passende Cabinet mit ausgewählt. Es kann wie gesagt geändert werden.
- 1x10" Fender Princeton Reverb
- Special: 1x12" Fender Deluxe Oxford
- Chime: 2x12" Matchless DC-30, G12H30
- Dynamic: 4x12" Bogner Überkab, V30
- Crunch 4x12" Marshall Basketweave, G12-M25
- Heavy: 4x12" Engl XXL, V30
- Lead: 4x12" Mesa/Boogie 4FB, V30
Bei den Verzerr-Pedalen stehen die folgenden vier zur Auswahl:
- Boost: Klon Centaur
- Overdrive: Ibanez TS808 Tube Screamer
- Distortion: Boss DS-1 (Keeley modded)
- Fuzz: Mono ‘73 Electro-Harmonix Ram’s Head Big Muff Pi
Im folgenden Video hörst du einige Amps mit dem Standard-Cabinet, ohne Effekte und mit etwas Hall. Den Clean-Verstärker auch mit Distortion-Pedal, ansonsten sind keine Pedale zugeschaltet.
Ich finde es schwierig, ein objektives Urteil über die Qualität der Simulationen zu fällen. Für mich sind alle sieben zumindest okay. Besonders gut gefällt mir der Chime Amp. Er hört sich authentisch und lebendig an. Letztlich hängt aber auch viel von der eigenen Spielweise und dem persönlichen Geschmack ab.
Die Effekte und ihre Bedienung
Jedenfalls benutze ich den Chime Amp auch für die Demonstration der verschiedenen Effekte. Zur Wahl stehen Chorus, Flanger, Phaser und Tremolo. Von diesen kann nur einer gleichzeitig verwendet werden. Die Stärke wird direkt am Drehregler eingestellt, die Geschwindigkeit über wiederholtes Treten des Tap-Fussschalters. Alle Effekte und Delays sind in Stereo, es kann aber auch sinnvoll sein, sie in Mono aufzunehmen.
Zur Aktivierung oder Deaktivierung der Effekte während dem Spielen kann der On-Fussschalter verwendet werden. Dieser schaltet standardmässig alles ein und aus – Amp Sim, Effekt, Hall, Delay. Du kannst das aber ändern und nur einen von diesen vieren aktivieren respektive deaktivieren. Falls dir das nicht reicht, kannst du zusätzlich einem externen Fussschalter bestimmte Funktionen zuweisen.
Stromversorgung: Batterien, aber kein USB-Power
Der Pod Express hat ein Batteriefach für drei AA-Batterien. Diese halten einige Stunden – wenn du also vor einem Auftritt oder einer Probe neue Batterien einlegst, halten die sicher bis zum Ende durch. Batterien werden mitgeliefert. Der Batteriestand ist durch langes Drücken der Alt-Taste ersichtlich.
Die Alternative ist Netzstrom. Allerdings wird kein Netzadapter mitgeliefert. Ein Tipp, der auch für andere Effektgeräte gilt: Ein gutes Netzteil lohnt sich. Ich habe eines von Boss, das ich empfehlen kann. Er brummt viel weniger als dieses Billigteil. Aber hör selbst. Am wenigsten Brummen hast du auf jeden Fall mit Batteriebetrieb.
Leider kann das Gerät nicht über USB-C mit Strom versorgt werden. Etwas verwirrend dabei ist, dass sich der Pod trotzdem einschaltet, wenn du ein USB-Kabel anschliesst. Im Batteriebetrieb ist das Gerät ansonsten nur eingeschaltet, wenn der Gitarreneingang belegt ist. Das kenne ich so auch von anderen Effektgeräten. Im Netzbetrieb läuft es immer.
Fazit
Komplette Ausrüstung im Taschenformat
Verstärkersimulation, Verzerrung, Effekte, Stimmgerät, Looper: Der Line 6 Pod Express bietet in einer erstaunlich kleinen, leichten und günstigen Box alle grundlegenden Funktionen, die du für eine Gitarrenaufnahme oder -probe brauchst.
Nur halbwegs gelungen ist der Versuch einer einfachen Bedienung. Zu oft muss ich mit der Hand einen Fussschalter sowie eine weitere Taste drücken und gleichzeitig an einem Regler drehen. Noch mehr stört mich, dass ich nicht sehe, welche Parameter voreingestellt sind.
Trotz der suboptimalen Bedienung empfehle ich das Gerät und habe es mir selbst gekauft. Es ist super für alle, die Amp Simulation nutzen wollen, ohne ganze Wochenenden mit der Suche nach dem richtigen Sound zu verbringen. Ich mag die Sounds und die Grundidee, eine kleine, aber sinnvolle Auswahl zu liefern. Des Weiteren schätze ich den Batteriebetrieb, der das Brummen minimiert. Das Gerät ist ausserdem ultraportabel und günstig.
Pro
- hochwertige Sounds
- alles Wichtige dabei
- einfacher als die meisten Amp-Simulatoren
- Aufnahme am Computer per USB-C
- Batteriebetrieb möglich
- sehr portabel
Contra
- knifflige Bedienung
- kein externer Editor
- kein Netzadapter im Lieferumfang
- keine Stromversorgung über USB
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.