Keycap Kevin: Plastik ist nicht gleich Plastik, das gilt auch bei Switch-Gehäusen
Hintergrund

Keycap Kevin: Plastik ist nicht gleich Plastik, das gilt auch bei Switch-Gehäusen

Kevin Hofer
9-4-2023

Der Switch hat grossen Einfluss auf das Tippgefühl und den Klang einer mechanischen Tastatur. Dabei spielen das Gehäusematerial und der Stängel eine entscheidende Rolle. Ein Erklärungsversuch, wie sich die vier häufigsten Gehäusematerialien unterscheiden.

Der Schalter macht eine mechanische Tastatur mechanisch. Wie der Name impliziert, bewegen sich dabei Teile und verschiedene Kräfte wirken aufeinander. Welche Komponenten eine Rolle spielen, habe ich in folgendem Beitrag bereits erklärt.

  • Ratgeber

    Kleine Schalterkunde, Teil 2: So ist ein mechanischer Switch aufgebaut

    von Kevin Hofer

In diesem Artikel gehe ich auf die gebräuchlichsten Gehäusematerialien Polycarbonat, POM, Nylon sowie UHMWPE und ihren Einfluss auf Tippgefühl und Klang ein – oder versuche es zumindest. Denn wie sich zeigt, ist:

Kunststoff nicht gleich Kunststoff

Als ich mit der Recherche anfing, dachte ich mir, dass das eine leichte Sache wird. Nachdem ich mich vertieft mit den Eigenschaften der Materialien auseinandergesetzt habe, kann ich jedoch sagen: So einfach ist es nicht. Die Spannweite der Spezifikationen ist je nach Angabe sehr breit. Das liegt auch daran, dass die Kunststoffe meist nicht rein, sondern gemischt sind. Die Angaben, die ich zu den einzelnen Materialien mache, sind also mit Vorsicht zu geniessen. Es sind Richtwerte, aber keine harten Fakten. Alle Angaben der Materialspezifikationen habe ich von MatWeb und Omnexus.

Die vier häufigsten Switch-Gehäusematerialien (von links nach rechts): Polycarbonat, Nylon, POM und UHMWPE.
Die vier häufigsten Switch-Gehäusematerialien (von links nach rechts): Polycarbonat, Nylon, POM und UHMWPE.
Quelle: Kevin Hofer

Entscheidende Charakteristika bei den Gehäusematerialien sind Härte, Elastizitätsmodul, spezifische Steifigkeit und Reibungskoeffizient.

Die Härte in Shore D gibt an, wie tief ein Prüfstift in ein Material eindringt. Je höher der Wert, desto härter das Material. Der Elastizitätsmodul beschreibt das Verhältnis zwischen Spannung und der daraus resultierenden Dehnung eines Körpers. Er wird in Gigapascal (GPa) angegeben. Bei gleicher Grösse ist ein Material mit höherem Elastizitätsmodul steifer als eines mit geringerem. Die spezifische Steifigkeit berücksichtigt nebst dem Elastizitätzmodul auch die Dichte eines Materials. Sie berechnet sich aus dem Elastizitätsmodul durch die Dichte geteilt. Die Dichte wird in Gramm pro Kubikzentimeter (g/cm3) angegeben. Der Gleitreibungskoeffizient ist ein einheitsloser Wert. Er beschreibt, wie glatt ein Material im Vergleich zu einem Standard ist. Er wird auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben, wobei ein Wert von 0 einem «reibungsfreien» Material entspricht.

Alle Eigenschaften haben auf den Klang Auswirkungen. Je weicher und grösser der Elastizitätsmodul eines Materials, desto leiser klingt es. Und: je grösser der Elastizitätsmodul, desto tieffrequenter der Klang.

Auf der anderen Seite hat auch die Dichte Einfluss auf den Klang. Denn: Je dichter die Masse, desto tiefer ist dieser. Dichte und Elastizitätsmodul sind jedoch meist widersprüchliche Angaben. Um dem Rechnung zu tragen, existiert die spezifische Steifigkeit. Eine niedrige spezifische Steifigkeit bedeutet einen tieferen Klang.

Der Reibungskoeffizient und die Härte wirken sich auch auf das Tippgefühl aus. Bei der Reibung entsteht ein Kratz-Geräusch, das störend sein kann. Je geringer die Reibung, desto geschmeidiger und angenehmer das Tippen. Die Härte hat einen untergeordneten Einfluss auf das Gefühl, wenn du den Schalter durchdrückst. Ein weicheres Material fühlt sich weniger hart an, wenn der Stängel den Switch-Unterteil berührt.

Polycarbonat

Härte: Shore D93
Elastizitätsmodul: 2,35 GPa
Spezifische Steifigkeit: 1,96
Gleitreibungskoeffizient: 0,31

Gehäuse aus Polycarbonat sind meist transparent, müssen es aber nicht sein.
Gehäuse aus Polycarbonat sind meist transparent, müssen es aber nicht sein.
Quelle: Kevin Hofer

Polycarbonat ist wohl das Material für Switch-Gehäuse schlechthin. Die meisten transparenten Umhüllungen bestehen aus dem thermoplastischen Kunststoff. Auch viele Tastatur-Gehäuse sind aus Polycarbonat. Das hat einen guten Grund: Der Kunststoff ist relativ einfach bearbeitbar.

POM

Härte: Shore D88
Elastizitätsmodul: 2,5 GPa
Spezifische Steifigkeit: 1,77
Gleitreibungskoeffizient: 0,25

Ein Gehäuse aus POM. Hier sind Gehäuse und Stängel farblich aufeinander abgestimmt. Der Stängel ist auch aus POM.
Ein Gehäuse aus POM. Hier sind Gehäuse und Stängel farblich aufeinander abgestimmt. Der Stängel ist auch aus POM.
Quelle: Kevin Hofer

Polyoxymethylen (POM) gehört ebenfalls zu den häufigsten Switch-Materialien. Jedoch meist nicht für das Gehäuse, sondern für den Stängel. In den letzten Jahren sind jedoch auch immer mehr Taster mit Gehäusen aus POM herausgekommen. Der Kunststoff zählt zu den technischen Thermoplasten.

Nylon

Härte: Shore D70
Elastizitätsmodul: 2,3 GPa
Spezifische Steifigkeit: 2
Gleitreibungskoeffizient: 0,28

Wie bei allen anderen Gehäusematerialen ist die Farbe zufällig, respektive kann auf ein bestimmtes Thema abgestimmt sein.
Wie bei allen anderen Gehäusematerialen ist die Farbe zufällig, respektive kann auf ein bestimmtes Thema abgestimmt sein.
Quelle: Kevin Hofer

Nylon, eigentlich Polyamid, wird wie Polycarbonat häufig für Switch-Gehäuse verwendet. Das liegt daran, dass es ebenfalls relativ leicht bearbeitbar ist. Die meisten Ummantelungen der Taster von Cherry MX bestehen zum Teil aus der Kunstfaser aus Erdöl.

UHMWPE

Härte: Shore D65
Elastizitätsmodul: 5,3 GPa
Spezifische Steifigkeit: 5,6
Gleitreibungskoeffizient: 0,14

Ultra High Molecular Weight Polyethylene (UHMWPE) wird noch nicht lange als Switch-Material verwendet. Dies, obwohl der teilkristalline und unpolare Thermoplast eigentlich der am häufigsten verwendete Kunststoff ist. Er weist von allen Materialien in der Liste den geringsten Gleitreibungskoeffizienten und der höchste Elastizitätsmodul auf.

Ein Gehäuse aus UHMWPE erzeugt am wenigsten Reibung der vorgestellten Materialien.
Ein Gehäuse aus UHMWPE erzeugt am wenigsten Reibung der vorgestellten Materialien.
Quelle: Kevin Hofer

Was heisst das jetzt?

Eigentlich wollte ich dir in diesem Beitrag aufzeigen, wie sich das Gehäusematerial auf Klang und Tippgefühl auswirkt. Leider kann ich aufgrund der Eigenschaften nicht sagen, ob das immer so stimmt. Denn wie erwähnt, ist die Spannbreite der Charakteristika gross: Polycarbonat ist nicht gleich Polycarbonat, Nylon nicht gleich Nylon und so weiter.

Gemäss den Angaben müsste POM am tiefsten klingen. UHMWPE am höchsten, dafür am wenigsten kratiz und sehr leise sein. Die anderen liegen zwischen diesen zwei Extremen.

Im folgenden Video zeige ich dir einige Beispiele. Dazu habe ich mir MM Switches von Wuque Studios geholt. Die werden vom Hersteller JWK gefertigt. MM steht für Mix and Match. Ich kann mir die einzelnen Teile eines Switches selbst zusammenstellen. Für den oberen und unteren Gehäuseteil stehen UHMWPE, Modified Nylon und Modified POM zur Verfügung. Als Stängel wähle ich einen aus POM. Da Wuque Studios kein Gehäusematerial aus Polycarbonat anbietet, nehme ich Auqa Kings V3 von Everglide. Die bestehen komplett aus Polycarbonat. Den Stängel ersetze ich mit einem aus POM von Wuque Studios.

Bei den Aufnahmen habe ich immer dasselbe Mikrofon benutzt und es im gleichen Abstand und Winkel zur Tastatur platziert. Tatsächlich empfinde ich Polycarbonat am tiefsten klingend, gefolgt von POM. Dies, obwohl POM eigentlich tiefer sein sollte. UHMWPE klingt in meinen Ohren auch tiefer als Nylon, was nicht der Fall sein sollte. Bis auf UHMWPE stimmt immerhin die Richtung – immerhin entspricht die Reihenfolge meinem Empfinden nach bei der Lautstärke und der Kartzigkeit den Angaben.

Selbstverständlich haben noch andere Dinge als der Switch Einfluss auf den Klang. Tastatur, Deskmat und Raumakustik sind weitere Faktoren, die ihn beeinflussen. Dass es mir beim Hören schwerfällt, den Unterschied auszumachen, kann auch daran liegen, dass die Unterschiede relativ klein sind. Es handelt sich immer noch um Kunststoffe, mit relativ kleiner Differenz bei der spezifischen Steifigkeit. Bei der Deckplatte beispielsweise, worauf die Switches stecken, variiert die spezifische Steifigkeit von rund 2 bei Kunststoffen bis 96 bei Carbon. Das dürfte folglich einen viel grösseren Einfluss auf den Klang haben als das Switch-Gehäuse. Zu guter Letzt sind Tonaufnahmen immer mit Vorsicht zu geniessen – und: Jedes Gehör ist anders. Du nimmst das vielleicht anders wahr als ich.

Abschliessend kann ich sagen, dass ich nach meiner Recherche nicht wirklich schlauer bin. Ich habe zwar eine Ahnung, in welche Richtung es gehen könnte, kann aber leider nicht definitiv sagen, wie ein Switch aufgrund der Gehäuse-Materialien klingt.

18 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar