Interview: Wie funktionieren unsere inneren Uhren?
Hintergrund

Interview: Wie funktionieren unsere inneren Uhren?

Anna Sandner
6-3-2023

In einer Welt voll von künstlichem Licht ticken unsere inneren Uhren manchmal nicht ganz richtig. Im Gespräch erklärt mir Chronobiologe Prof. Dr. Henrik Oster, wie wir unserem Schlaf-Wach-Zyklus etwas Gutes tun können.

Warum Jugendliche unter einem «Sozialen Jetlag» leiden, hellweiße LEDs ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen und man eigentlich ganz viele innere Uhren hat – über all das habe ich mich mit Prof. Dr. Henrik Oster, dem Leiter des Instituts für Neurobiologie an der Universität Lübeck unterhalten. Prof. Oster ist Chronobiologe und erforscht die Schlaf-Wach-Rhythmen (zirkadianen Rhythmen) in uns Menschen. Im Interview erklärt er unter anderem, dass es bei der Steuerung unserer inneren Uhr auf das richtige Timing ankommt und rät uns zu akzeptieren, dass unser Schlaf-Wach-Rhythmus auch genetisch bestimmt wird.

Ticken unsere inneren Uhren alle gleich oder gibt es individuelle Unterschiede?
Prof. Dr. Henrik Oster, Leiter des Instituts für Neurobiologie an der Universität Lübeck: Da gibt es Unterschiede, denn es ist zu einem gewissen Grad genetisch festgelegt, wie unsere innere Uhr tickt. Bei dem einen tickt sie ein bisschen langsamer, ist also ein bisschen später getaktet, bei dem anderen ist sie früher getaktet. Das kann man auch nur in gewissen Grenzen beeinflussen. Ist jemand ein ausgesprochener Spät-Typ, gibt es heutzutage noch keine Mittel, ihn in einen Früh-Typen umzuwandeln. Man muss sich bewusst sein, dass es da biologische Grenzen gibt, die man vielleicht auch respektieren sollte.

Dass ich also eine Eule und keine Lerche bin, ist genetisch festgelegt?
Genau, wir sagen dazu Chronotyp und es gibt eben frühe und späte Chronotypen, also die Lerchen und die Eulen umgangssprachlich. Das kann man auch mit verschiedenen Methoden messen. Der Goldstandard ist, im Schlaflabor den Beginn der Melatoninausschüttung am Abend zu messen. Dieser Zeitpunkt ist ganz charakteristisch für den Chronotypen. Eine einfachere Methode ist, Fragebögen auszuwerten mit dem Schlafverhalten an hypothetischen freien Tagen, an denen man so schlafen kann, wie man will.

**Habe ich denn noch die Chance, eine Lerche zu werden? Also, verändern sich diese Chronotypen im Laufe des Lebens? **
Grundsätzlich gilt: Je älter wir werden, desto weniger schlafen wir und desto fragmentierter wird der Schlaf auch. Senioren 70+ schlafen in der Regel nachts nicht durch. Das ist ganz normal und liegt unter anderem an der Melatoninausschüttung, die im Alter geringer wird. Das führt dazu, dass die Netto-Schlafzeit mit steigendem Alter immer kürzer wird. Dazu kommt dann noch eine typische Verschiebung des Chronotyps selbst. Nicht unbedingt der Schlafdauer, sondern der Schlaflage, wenn man so will.

Man konnte feststellen, dass sich während der Pubertät der Chronotyp nach hinten verschiebt – hinzu Eule. Das ist statistisch sehr gut belegt. Der Schlafrhythmus kann sich dann um bis zu sechs Stunden nach hinten verschieben.

Hängt damit auch das Bild des immer-müden Teenagers zusammen?
Ja, viele Jugendliche leben gegen ihre innere Uhr, weil sie früh aufstehen müssen, um rechtzeitig in der Schule zu sein. So akkumulieren sie über die Woche eine Art Schlafdefizit, das sie am Wochenende nachholen, indem sie bis mittags im Bett bleiben. Man nennt das «Sozialen Jetlag», weil man quasi immer am Wochenende in eine andere Zeitzone fliegt und dann wieder zurückkommt. Es gibt Studien zu Schulnoten, die zeigen, dass besonders späte Chronotypen im Schnitt – zumindest in den Naturwissenschaften – etwas schlechter abschneiden.

Außerdem hat man festgestellt, dass Menschen, die dieses Hin und Her der Schlafzeit sehr häufig und sehr ausgeprägt durchführen, zum Beispiel auch anfälliger für Suchterkrankungen sind.

Wie wird unsere innere Uhr gesteuert?
Wir haben eine zentrale innere Uhr, die durch Licht «gestellt» wird. Über direkte Nervenverbindungen vom Auge wird die Information über Helligkeit oder Dunkelheit ans Gehirn weitergegeben. Das geschieht über den sogenannten suprachiasmatischen Nucleus (SCN), einer Ansammlung von Nervenzellen im Gehirn. Es gibt aber noch viele weitere innere Uhren, die von dieser zentralen SCN-Uhr reguliert werden.

Läuft unsere innere Zeit immer gleich schnell?
Normalerweise ist man immer in Synchronisation mit der Umgebungszeit. Es gibt eine kleine Anpassung jeden Tag, die man eigentlich nicht merkt. Nur wenn sich die Zeitzone verschiebt oder auf die Sommerzeit umgestellt wird, merkt man, dass innere und äußere Zeit nicht ganz übereinstimmen.

Über verschiedene Signale (z.B. Hormone, aber auch autonome, neuronale Prozesse) des peripheren Nervensystems kann die SCN-Uhr alle anderen Uhren im Körper erreichen und dafür sorgen, dass auch sie mit der äußeren Zeit synchron sind.

Und was außer Licht beeinflusst unsere innere Uhr noch?
Stress zum Beispiel, Bewegung oder zu welcher Zeit wir etwas essen. Solche Faktoren können ebenfalls auf die inneren Uhren wirken. Aber nicht immer auf die zentrale Uhr, wie etwa beim Essen.

Was passiert, wenn nicht die zentrale innere Uhr betroffen ist?
Wenn wir zu sehr ungewöhnlichen Zeiten (z.B. nur noch nachts) essen würden, führte das dazu, dass sich unsere Leber-Uhr und unsere Magen-Uhr daran anpassen. Aber die SCN-Uhr nicht. So entsteht innerhalb des Körpers eine Art Zeitdifferenz, die ungesund für uns ist. Bei Nachtschichtarbeit beispielsweise wirken immer solche Störsignale auf die inneren Uhren ein. Der Körper weiß dann nicht mehr, welche die richtige, äußere Zeit ist, an die er sich anpassen sollte.

Reagiert diese zentrale SCN-Uhr auf jede Form von Licht?
Die Photorezeptoren, also die Sensoren im Auge, die für die innere Uhr zuständig sind, sind besonders empfindlich für blaues Licht. Ihr Empfindlichkeitsmaximum liegt bei ungefähr 480 Nanometern, also blaues Licht mit einem Stich grün. Mit rotem Licht beispielsweise lassen sich die photorezeptiven Ganglienzellen in der Netzhaut gar nicht stimulieren. Die Zentrale ist quasi blind für rotes Licht, wenn man so will.

Und die anderen inneren Uhren reagieren gar nicht auf Licht?
Das ist eine interessante Debatte: Ob die Uhren außerhalb des SCN auch direkt auf Licht reagieren können oder ob sie immer das Lichtsignal über den SCN bekommen, ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt tatsächlich eine Reihe von Arbeiten, die darauf hindeuten, dass es auch extra-retinale (also außerhalb des Auges gelegene) Lichtrezeption gibt. Die Haut zum Beispiel kann auch auf Licht reagieren. Ob das aber die molekulargenetischen Uhren in der Haut adaptiert, ist noch umstritten.

Morgens verschiebt blaues Licht die Uhr nach vorne, das kann bei saisonaler Depression helfen.
Morgens verschiebt blaues Licht die Uhr nach vorne, das kann bei saisonaler Depression helfen.
Quelle: Shutterstock

Wer abends noch vor dem Bildschirm sitzt, hemmt also aufgrund des blauen Lichts die Melatoninproduktion und verhindert dadurch, dass der Körper müde wird. Gilt das auch andersrum: Habe ich morgens vor dem Computerbildschirm die gleiche, oder eine ähnliche Wirkung wie mit einer Lichttherapie-Lampe?
Die Idee ist grundsätzlich gut. Ich würde aber nicht sagen, dieselbe Wirkung, aber es wirkt in dieselbe Richtung. Das Timing ist wichtig, um die Wirkung des blauen Lichts auf die innere Uhr zu erklären. Wenn wir abends blaues Licht sehen, verlangsamt das die innere Uhr, die innere Uhrzeit verschiebt sich so nach hinten. Wenn wir dann morgens wieder Licht sehen, ist der Effekt genau umgekehrt: Unsere interne Uhr wird beschleunigt.

Wenn wir aber die innere Zeit abends durch blaues Licht in der Beleuchtung, am Handy, Computer oder Fernsehen nach hinten verschieben, verzögert das natürlich auch die Einschlafzeit. Wenn man sowieso schon Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen hat, ist das sehr kontraproduktiv. Dazu kommen noch psychologische Aspekte, wenn die konsumierten Inhalte wie etwa Nachrichtenseiten oder Diskussionen in sozialen Medien innerlich aufregen und nicht einschlaffördernd sind.

Aber morgens kann das Bildschirm-Licht dann beim Wachwerden helfen?
Ja, morgens verschiebt das blaue Licht die Uhr nach vorne. Das kann zum Beispiel bei saisonalen Depressionen helfen. Deshalb empfiehlt man Betroffenen, sich morgens vor eine Lichtdusche zu setzen. Handy oder Computerbildschirm haben zwar auch diesen Effekt, aber mit geringerer Lichtintensität. Tageslichtlampen sind in der Regel deutlich heller. Insofern ist auch die Wirkung stärker.

Kann ich meiner inneren Uhr auch am Nachmittag noch mit einer Lichtdusche auf die Sprünge helfen?
Es bringt nicht sonderlich viel, wenn man eine Lichtdusche noch am frühen Nachmittag einsetzt. Zumindest auf die innere Uhr hat das sehr wenig Auswirkungen, da sie mittags insensitiv für Licht ist. Sie kann sich nur an den Randphasen der Nacht adaptieren. Das Timing ist also wichtig.

Hilft es also meiner inneren Uhr gar nicht, wenn ich mittags spazieren gehe, um auch im Winter ausreichend Licht zu bekommen?
Genau, da ist die Komponente eher eine rein psychologische. Besser wäre es, das gleich morgens zu machen.

Im Zusammenhang mit der Schlaf-Wach-Regulierung wird immer von Melatonin gesprochen, gibt es noch andere Botenstoffe, die dabei von Bedeutung sind?
Dass es häufig um Melatonin geht, hat teils pragmatische Gründe: Melatonin lässt sich beim Menschen sehr gut messen. Und es ist ein wichtiges Zeitsignal, allerdings nicht essentiell. Es spielt vor allem eine Rolle in der saisonalen Adaptation, also bei der Anpassung an Sommer und Winter und an unterschiedliche Tag-Nacht-Längen.

Aber es gibt durchaus andere Hormone, die auch wichtig sind. Zum Beispiel Cortisol, das auch sehr stark tagesrhythmisch ist. Die Cortisolkonzentration hat morgens das Maximum und abends das Minimum. Es sei denn, wir sind stark gestresst, dann produzieren wir auch abends mehr Cortisol.

Gibt es noch weitere Hormone, die eine Rolle spielen?
Insulin ist auch relevant. Es wird ausgeschüttet, wenn wir Kohlenhydrate zu uns nehmen und kann zum Beispiel Uhren in der Leber und in anderen Verdauungsorganen beeinflussen. Die SCN-Uhr wiederum kann über den Schlaf-Wach-Zyklus unsere Essenszeiten regulieren und so indirekt auf das Insulin-Signal wirken. Wenn wir schlafen, können wir natürlich nicht essen, das Insulin-Signal wird zeitlich etwas beschränkt. Das wiederum kann dann Uhren in der Peripherie beeinflussen.

Woran forschen Sie gerade?
Wir arbeiten auch am Cortisol. Uns interessiert insbesondere die Interaktion der inneren Uhren mit dem Stresssystem. Wir untersuchen zum Beispiel, wie Stress zu verschiedenen Tageszeiten physiologische Prozesse im Körper beeinflusst und ob es Tageszeiten gibt, zu denen wir anfälliger für Stress sind als zu anderen. Cortisol vermittelt aber nicht nur in akuten Stresssituationen Signale, es kann auch das Immunsystem unterdrücken. Deshalb untersuchen wir auch die langfristigen Auswirkungen.

Übernimmt Cortisol auch andere Funktionen in unserem Körper?
Cortisol hat auch wichtige Stoffwechselfunktionen. Wenn man dauerhaft zu viel Cortisol produziert, kommt es zur Umlagerung von Fettreserven und Veränderungen in den Energiespeicherprozessen in der Leber. Zu guter Letzt hat Cortisol auch wichtige Auswirkungen aufs Gehirn, zumindest wenn man unter chronischem Stress leidet. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man eine Depression entwickelt. Uns interessiert, ob man eine gewisse Resilienz gegen solche Erkrankungen erzeugen kann, indem man die Cortisol-Rhythmik stärkt.

Ein kleiner Abstecher in die Tier- und Pflanzenwelt: Helle LEDs kommen immer häufiger in der Straßenbeleuchtung zum Einsatz. Das bringt die zirkadianen Rhythmen vieler Lebewesen durcheinander. Ist es möglich, LEDs zu verwenden und Energie zu sparen, ohne die inneren Uhren ganzer Ökosysteme aus dem Gleichgewicht zu bringen?
Ja, es ist technisch kein Problem, das Spektrum der LEDs in den längerwelligen Bereich zu verschieben und damit ein bisschen aus dieser sensitiven Zone für das zirkadiane System rauszukommen. Dann geht das Licht statt hellem blau-weiß eher in Richtung gelb-orange. Aus stadtplanerischer Sicht gibt es bei geringerer Helligkeit Sicherheitsbedenken, weil an gut ausgeleuchteten Orten weniger Verbrechen geschehen und Menschen sich entsprechend sicherer fühlen. Zudem scheinen die kaltweißen LEDs der Standard zu sein und damit auch günstiger für die Kommunen. Aber es wäre durchaus möglich, die LEDs zu ändern und erste Ansätze dafür gibt es schon. Man hat die Auswirkungen auf die Natur lange ignoriert, aber ein Umdenken findet jetzt statt.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp, wie wir unseren inneren Uhren etwas Gutes tun können?
Das Wichtigste ist, dass man sich seiner inneren Uhr bewusst wird und mal in sich horcht: Welcher Chronotyp bin ich eigentlich, früh oder spät? Und wie viel Schlaf brauche ich überhaupt? Bin ich eher Lang- oder Kurzschläfer? Wenn man akzeptiert, dass das zu einem gehört und es dabei eine genetische Komponente gibt, die man nicht einfach mit einem Wecker steuern kann, dann ist schon viel geholfen.

Der Chronobiologe Prof. Dr. Henrik Oster rät uns zu akzeptieren, dass unser Schlaf-Wach-Rhythmus auch genetisch bestimmt wird.
Der Chronobiologe Prof. Dr. Henrik Oster rät uns zu akzeptieren, dass unser Schlaf-Wach-Rhythmus auch genetisch bestimmt wird.
Quelle: Henrik Oster
Titelbild: Shutterstock

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Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.


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