«Ich brauche keinen Pussyhat, ich lebe die Gleichstellung einfach»
Johanna Haller ist Senior Supply Chain Process Engineer bei Digitec Galaxus. Nicht nur ich hatte Mühe, mir ihre Jobbezeichnung zu merken, auch Johanna ist froh, dass sie sich nur selten mit ihrem Titel vorstellen muss. Worum es in ihrem Job geht und wie wichtig die Erziehung für die Jobwahl ist, erzählte sie mir beim Interview in unserem Logistikzentrum in Wohlen.
Deine Jobbezeichnung ist wahnsinnig kompliziert, ich kann sie mir nicht auswendig merken. Was steht hinter dieser Bezeichnung?
Das «Senior» steht für mein Alter, weil ich nicht mehr 30 bin (lacht)… Nein, nein, es steht dafür, dass ich viel Erfahrung habe und kein Newbie mehr bin.
Als Supply Chain Process Engineer bin ich in verschiedenen Projekten tätig, um Prozesse rund um die Logistik zu optimieren oder neue Prozesse aufzubauen.
Kannst du ein Beispiel machen?
Mein Bereich ist das «Picking», also dort wo die Waren gelagert und zum Verpacken bereitgestellt werden. Kürzlich haben wir einen Lagerteil, den Picktower, von artikelreinen Behältern zur vollchaotischen Lagerung umgebaut. Das tönt krasser als es ist. Du musst dir jetzt keinen Wühltisch im Ausverkauf vorstellen. Wir wollten das Picking effizienter gestalten und lagern deshalb neu bis zu fünf verschiedene Artikel in einem Behälter. Dabei geht es darum, herauszufinden, welche Produkte man wie zusammenstellt, damit die Mitarbeitenden vom Picktower so effizient wie möglich arbeiten können.
Was ist dein aktuell grösstes Projekt?
Zurzeit arbeite ich fast vollumfänglich für das sogenannte «Space Race». Dabei geht es um zwei neue Lager, die wir hier in Wohlen bauen. Ich bin für das Teilprojekt IT und Prozess zuständig und verantwortlich dafür, dass sämtliche Warenflüsse und Prozesse im Zusammenhang mit dieser Erweiterung stattfinden können. Wenn zum Beispiel jemand zwei Artikel bestellt, wovon der eine im Picktower, der andere im neuen Lager liegt, muss ich sicherstellen, dass ein Transportbehälter vom Picktower ins neue Lager und dann in die Verpackungs-Abteilung gelangt. Im August 2023 gehen wir dann live.
Meistens erreicht man dich online, wie oft bist du hier vor Ort in der Lagerhalle?
Mindestens alle zwei Wochen. Ich habe sehr viel mit Lieferant:innen aus verschiedenen Ländern zu tun, hinzu kommen die Kolleg:innen aus Zürich. Das läuft alles online ab. Klar könnte ich auch im Büro in Wohlen arbeiten, aber zu Hause habe ich mehr Ruhe. Die brauche ich, da mein Job oft sehr viel Konzentration erfordert. Ausserdem habe ich in Wohlen kein Büsi auf dem Schoss (lacht). Ich finde es toll, dass wir diese Homeofficemöglichkeit haben. Aber natürlich ist es gerade für meinen Job sehr wichtig, auch immer wieder vor Ort zu sein.
Du bist eine von drei Frauen in der Abteilung Process Engineering. Die Logistik ist immer noch stark in Männerhänden. Woran liegt es, dass nicht mehr Frauen in diesem Bereich arbeiten?
Ich bin überzeugt, dass es an der Erziehung liegt. Jedenfalls war das bei mir der Fall.
Dann hattest du aber coole Eltern, die dich offenbar anders erzogen haben!
Meine Mutter ist wahrscheinlich eine der emanzipiertesten Frauen. Nicht weil sie jemals gross über Chancengleichheit referiert hat, sondern weil sie mir und meinen Schwestern die Gleichberechtigung immer vorgelebt hat. Mein Vater übrigens auch! Es braucht dafür ja immer beide.
Meine Eltern hatten einen 24-Stunden-Betrieb. Sie führten ein Hotel mit Restaurant und eine Bäckerei. Es war vollkommen egal, wer was machte, sie waren absolut gleichberechtigt. Sowohl bei der Kinderbetreuung wie auch bei der Arbeit. Meine Eltern haben mir vorgelebt, dass alle alles machen können. Deshalb kam ich gar nie auf die Idee, warum ich als Frau nicht Maschinenbau studieren sollte.
Dieses Studium hat aber nichts mit dem Beruf deiner Eltern zu tun.
Das nicht, aber dass sich meine Eltern auf Augenhöhe begegnet sind und beide gearbeitet und die Kinder betreut haben, hat mich geprägt und das wiederum hat dazu geführt, dass ich für jede Art von Beruf offen war, egal ob männlich oder weiblich konnotiert. Ausserdem war ich in jungen Jahren sehr mathematikaffin und damit war klar, dass ich einen technischen Studiengang wähle.
Hattest du demnach schon immer mehr mit Männern als mit Frauen zu tun?
Ja, aber das spielte für mich nie eine Rolle. Ob ich jemanden mag oder gut mit ihm oder ihr zusammenarbeiten kann, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.
Eine tolle Einstellung! Dennoch gibt es immer noch sehr wenige Frauen in deinem Beruf. Wie könnte man mehr Frauen rekrutieren?
In meinen früheren Jobs war ich weit und breit die einzige Frau, hier bei Digitec Galaxus ist das schon viel besser. Quereinsteigerinnen sind bei uns absolut willkommen. Man muss organisieren und Prozesse verstehen können und das kann man auch, wenn man kein technisches Studium absolviert hat. Und ganz ehrlich: Je mehr Frauen in technischen Berufen arbeiten und auch sichtbar sind, desto eher kommt es Mädchen in den Sinn, einen solchen Beruf zu ergreifen. Hier sind wir wieder beim Vorleben. Auch ich habe keinen Pussyhat zu Hause (lacht), aber ich bin Maschineningenieurin und arbeite als Prozessingenieurin. Ich lebe vor, dass Frauen einen solchen Job genauso gut ausüben können wie Männer. Trotzdem müssen wir weiterhin für die Gleichstellung kämpfen und zwar so laut und so lange, bis es jede und jeder begriffen hat. Am Ziel sind wir leider noch lange nicht.
Hast du das Gefühl, weil du eine Frau bist, müsstest du doppelt so viel leisten, um in deinem Job ernst genommen zu werden?
Früher ja, heute nicht mehr. Natürlich spricht für mich, dass ich auf meinem Gebiet sehr versiert bin, ein enormes Wissen habe und auch älter als die meisten meiner Mitarbeitenden und sogar älter als mein Chef bin. Aber ob ich eine Frau oder ein Mann bin, spielt überhaupt keine Rolle. Ich als Person und meine geleistete Arbeit zählen.
Ist diese Haltung also Digitec-Galaxus-spezifisch?
Schwierig zu sagen. Ein Grund ist bestimmt das tiefe Durchschnittsalter von 32 Jahren. Meine 30-jährigen Kollegen, die Väter sind, arbeiten ganz selbstverständlich Teilzeit und führen eine gleichberechtigte Partnerschaft. Auch in Bezug auf die Familienbetreuung. Und das wiederum führt dazu, dass wir uns hier in der Firma auf Augenhöhe begegnen, egal welches Geschlecht und welche Funktion wir haben.
Was ist für dich neben der gleichberechtigten Wahrnehmung das Wichtigste im Job?
Lehren und Lernen ist etwas vom Grössten, was man im Leben machen kann. Und genau das wird mir hier ermöglicht. Meinen Erfahrungsschatz kann ich an jüngere Mitarbeitende weitergeben und gleichzeitig lerne ich von ihnen ganz viel Neues. Ich kann mich hier weiterentwickeln und fortbilden, meinen Horizont erweitern sowie meine Ideen einbringen und umsetzen. Wir haben unglaublich viel Raum, um kreativ zu sein und Neues auszuprobieren, das schätze ich enorm. Hinzu kommt, dass wir sehr viel lachen, ein ganz wichtiger Punkt für mich! (lacht).
Zurück zu den Frauen: Wünschst du dir mehr Frauen in eurem Team?
Nein! (lacht) Doch natürlich, aber am Ende des Tages wünsche ich mir einfach gute Menschen im Team.
Ich suche die besten Hintergrundstories aus dem Digitec Galaxus-Universum, denn Menschen und Geschichten faszinieren mich. In meinem zweiten Leben stehe ich als Moderatorin und Schauspielerin auf der Bühne - diese kann durchaus auch einmal ein Friedhof sein – als Sprecherin für Werbefilme synchronisierte ich schon einen Kürbis oder eine Kuh.