Hintergrund
Best of Hawkeye, Episode 2: «Versteckspiel»
von Luca Fontana
Drei Folgen haben wir auf erste, handfeste Pfeil-und-Bogen-Action warten müssen. Die hat’s aber in sich. Genauso wie ein ganz kurzer Cameo-Auftritt, der Fan-Herzen rasant höher schlagen lässt.
Eines vorweg: Das ist eine Folgenanalyse. Mit Spoilern! Schau dir also zuerst die dritte Episode von «Hawkeye» an, bevor du weiterliest.
Clint steckt in der Klemme. Die paar schönen Tage im weihnachtlichen New York, die er mit seinen Kindern verbringen wollte – futsch. Grund: Der Ronin ist aufgetaucht, sein alter, rachsüchtiger Ego aus «Avengers: Endgame». Doof nur, dass Clint nicht weiss, wer sich unter der Kapuze verbirgt.
Schnell stellt sich heraus: Es ist Kate Bishop.
Kate hat sich mit der Tracksuit-Mafia angelegt. Und weil Clint sich eingemischt hat, sind die nun auch hinter ihm her. Das waren sie wohl sowieso; Clint hatte als Ronin allerlei Unterwelt-Gesindel das Leben schwer gemacht, oder es gleich beendet. Auch der Tracksuit-Mafia, die offenbar von Echo angeführt wird. Es sei denn… wir sollen nur glauben, dass Echo die Anführerin ist.
Rückblende. Es ist 2007. Ein kleines Mädchen hockt im Klassenzimmer. Kinder lachen um sie herum. Erzählen sich Dinge, die das Mädchen nicht versteht. Die es nicht hört. Das Mädchen ist nämlich taub.
Echo.
Ihr Vater aber hält zu ihr. Eine wundervolle Szene. Er bestärkt sie, in dem er ihr klarmacht, dass ihre Einzigartigkeit keine Schwäche sei. Und doch: Um in der Welt klarzukommen, müsse sie lernen, «zwischen zwei Welten» zu gehen. Zu beobachten. Zu lernen. Das ist gut. Oft machen Eltern den Fehler, ihr Kind aus Liebe und Mitleid zu sehr behüten zu wollen. Sie bauen ihnen Luftschlösser, die früher oder später vom Himmel stürzen. Dem Kind stattdessen zu zeigen, wie es mit seiner Andersartigkeit selbstständig umgehen kann, hilft ihm auf lange Sicht viel weiter. Auch wenn es auf kurze Sicht bedeutet, dem Kind keine schönen Illusionen geben zu können.
Und Echo – sie beobachtet. Sie lernt. Im Karateunterricht zum Beispiel, wo ihr Vater sie regelmässig hinbringt. Dann tritt ein Mann ins Bild. Sein Gesicht sieht man nicht. Aber er scheint gross und korpulent. «Dein Onkel», sagt Echos Vater. Der Onkel kneift Echo in die Wange, und das «hmpf» seiner Stimme verrät mir sofort: Das ist Schauspieler Vincent D'Onofrio. Das kann nur eines bedeuten: der Kingpin.
Szenenwechsel. Es ist irgendwann zwischen 2018 und 2023. Aus dem kleinen Mädchen ist eine erwachsene Frau geworden, die sich bestens aufs Kämpfen im Ring versteht – mit Beinprothese. Trotzdem ist sie zu spät, als sie gerade noch mit eigenen Augen sehen muss, wie ihr Vater von Ronin brutal ermordet wird. Denn Ronin ist überzeugt: Wenn seine Familie den Snap anno 2018 nicht überlebt hat, dann haben die Kriminellen auch kein Recht mehr zu leben.
War Echos Vater kriminell?
Mit seinem letzten Atemzug bittet er Echo, zu gehen. Beschämt womöglich. Dann streicht er ihr mit blutiger Hand übers Gesicht und hinterlässt einen Abdruck. Eine Hommage an Comic-Echo, die das Symbol wiederum unserer Welt entliehen hat: Dort steht die blutige Hand für all die unbestraften Verbrechen, die gegenüber den Ureinwohnern Amerikas begangen worden sind.
Das passt gut zu den Comic-Ursprüngen Echos. Ihr bürgerlicher Name: Maya Lopez, taub, mit Wurzeln bei den Ureinwohnern der Cheyenne Nation. Ihre Fähigkeit: fotografische Reflexe. Das bedeutet, dass sie alles lernt und sofort imitieren kann, was sie sieht. Ganz ähnlich wie der Taskmaster aus «Black Widow». Wenn sie etwa Hawkeye dabei zusieht, wie er mit Pfeil und Bogen schiesst, kann sie’s auch.
In den Comics arbeitet Mayas Vater tatsächlich insgeheim für Wilson Fisk, den Kingpin. Allerdings nur, bis Fisk selbst eines Tages den Befehl gibt, Mayas Vater zu ermorden. Maya, noch ein Kind, weiss nichts davon. Fisk hingegen, beeindruckt von Mayas Fähigkeiten, adoptiert sie und schickt sie auf die besten Schulen des Landes. Maya wird nicht nur mental gefördert, sondern bekommt auch das beste Kampftraining, das es für Geld zu kaufen gibt.
Jahre später. Fisk will seinen Erzfeind Matt Murdock vernichten. Aber nicht irgendwie: Fisk will den blinden Anwalt, der nachts als Daredevil das Verbrechen in Hell’s Kitchen bekämpft, brechen. Dafür arrangiert er ein Treffen zwischen Matt und Maya. Dann lässt er Maya glauben, dass es Daredevil war, der ihren Vater einst ermordet hatte. Ausser sich vor Wut schaut sich Maya zahlreiche Videos von Kämpfen zwischen Daredevil und Bullseye an – bis sie sämtliche Techniken der beiden gelernt hat und imitieren kann.
Wie ein Echo.
Lassen wir den Comic vorerst. Ich will dir ja nicht jetzt schon spoilern, wie es in der Serie weitergehen könnte, wo Clint und Kate bekanntlich in der Klemme sitzen. Die Tracksuit-Mafia, scheinbar angeführt von Echo, hat sie gefangengenommen.
Wir lernen: Echo jagt den Ronin, weil er ihren Vater ermordet hat. Clint versichert ihr, dass der Ronin tot sei, getötet von Black Widow. Er war dabei. Und Kate trug den Anzug nur, um unerkannt von der Schwarzmarkt-Auktion zu entkommen. Schönes Detail: Echo gestikuliert Clint, dass er ohne Hörgerät besser dran wäre. Irgendwas sagt mir, dass das am Ende der Serie genauso kommen wird.
Aber Clint ist clever. Er hat Zeit geschindet, um sich unbemerkt seiner Fesseln zu entledigen. Die Verfolgungsjagd beginnt. Die Tracksuit-Mafia stellt sich einigermassen doof an. Nicht so Echo: Mit einem wuchtigen Tritt auf Clints Ohr zerstört sie dessen Hörgerät. Scheint, als müssen wir uns doch nicht bis zum Ende der Serie gedulden, um Clint ohne Hörtechnologie zu sehen.
In der anschliessenden Hölle, die ausbricht, sehen wir endlich ganz viel solide Pfeil-und-Bogen-Action.
Dann die Autoverfolgungsjagd. Sie ähnelt so stark jener aus Matt Fractions und David Ajas Hawkeye-Comics – auch als Fraction Run bekannt –, dass es die reinste Freude ist. Angefangen mit dem 1972er Dodge Challenger, den Clint und Kate im Comic in bester James-Bond-Manier schrotten. In der Serie aber wird der Challenger nur mit einem «ich zerstöre doch keinen 72er Challenger, ich bitte dich» von Clint quittiert. Spoiler: Geschrottet wird das Auto trotzdem.
Richtig gut wird’s, wenn Clint und Kate die ganzen Trickpfeile auspacken. Im Fraction Run ist das so eine Art Running Gag: Kate macht sich darüber lustig, dass Boomerang- oder Saugnapf-Pfeil total nutzlos sind, bis sich später herausstellt, dass sie eben doch ausserordentlich nützlich sind. In der richtigen Situation. Etwa auf dem Dach einer fahrenden U-Bahn, wo Saugnäpfe für besonders viel Halt sorgen.
Die Verfolgungsjagd im Auto ist grossartig inszeniert. Zuerst der lange Take mit sich ständig drehender Kamera. Dann aber auch der Einsatz der ganzen Trickpfeile. Zum Beispiel der USB-Pfeil, der keinen passenden Dongle-Pfeil hat. Muahaha. Genau mein Humor. Oder der Pym-Pfeil. Nice! Wo die ersten beiden Episoden bei mir noch nicht so recht haben zünden wollen, hat die dritte jetzt schon ganz viel wieder gutgemacht.
Nach der Action folgen die Charaktermomente. Kate wird klar, in was für eine Situation sie Clint gebracht hat, als sie ins Ronin-Kostüm schlüpfte. Und wie Clint verzweifelt versucht, mit seinem Sohn übers Telefon zu reden, obwohl er ihn kaum hört – «Du hast keine Ahnung, wie gut es tut, deine Stimme zu hören», lügt Clint herzzerreissend – geht unter die Haut.
Zum Glück wird sein Hörgerät wieder repariert. Jetzt geht’s darum, Kates Namen vom Ronin-Kostüm reinzuwaschen und rauszufinden, wer Armand Duquesne getötet hat. Als Hauptverdächtiger gilt immer noch Armands Neffe und Schwertmeister Jack «Swordsman» Duquesne. Ich finde das immer noch zu offensichtlich. Mein Tipp bleibt daher Kates eigene Mutter, Eleanor, die vermutlich auch hinter der Schwarzmarkt-Auktion steckt.
Auf einem Spaziergang fällt ein Name. Kazi. Der Dolmetscher-Typ. Der kommt im Fraction Run ebenfalls vor. Dort heisst er mit vollem Namen Kazimierz Kazimierczak. Als kleiner Junge wurde seine Zirkusfamilie während eines bewaffneten Konflikts ermordet. Das Trauma, das die Ermordung hinterliess, war schwer. Später begann er gar, Menschen ohne ersichtlichen Grund zu töten. Das brachte ihm einen Job als Söldner im Auftrag von Kingpin ein.
Sein Spitzname, wegen seiner Herkunft und seiner Schminke: der Clown.
In der Serie könnte Kazi was mit Echo haben. Clint bestätigt, was ich schon seit letzter Woche vermute. Nämlich, dass Echo nicht die eigentliche Anführerin der Tracksuit-Mafia ist. Jemand anderes steht über ihr. Jemand «grösseres». Der Onkel, wie er von Echo und Kazi genannt wird?
Der Onkel. Das muss Wilson Fisk sein. Der Kingpin. Da bin ich mir sicher. Auch wenn sein Name noch nicht gefallen ist. Aber so ein gutes Gefühl hatte ich seit der Mephisto-Sache nicht mehr.
Kate will also beweisen, dass Jack hinter den Mord an dessen Onkel Armand steckt. Was tut man, wenn man Beweise für ein Verbrechen sammeln will? Genau. Man begeht selbst eines und bricht ein. Zum Beispiel ins Apartment der eigenen Mutter. Gut, Kate nennt das Einbrechen, auch wenn sie vermutlich Schlüssel und Zugang zur Wohnung ihrer Mutter hat.
Während sie versucht, in die Firmendaten ihrer Mutter reinzukommen, wird Clint von Jack gestellt – mit dem Ronin-Schwert. Ende der Episode.
Mir persönlich hat sie extrem gut gefallen. Kann ja nicht sein, dass wir in einer Serie, die nach Hawkeye benannt ist, tatsächlich drei Episoden haben warten müssen, um erste echte Pfeil-und-Bogen-Action zu bekommen. Jetzt, da sie aber da ist, bin ich happy. Und die Aussicht, hoffentlich bald Vincent D’Onorfios Wilson Fisk zu Gesicht zu bekommen – da lege ich mich einfach mal fest, dass das passieren wird – uiuiui!
Wie hat euch die Folge gefallen? Schreibt es in die Kommentare. Die nächste Folgenanalyse folgt nächsten Mittwoch, 8. Dezember.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»