Kritik
«Napoleon»: ein enttäuschendes Epos
von Luca Fontana
Ich hätte es auch lieber anders gehabt. Aber: Ridley Scotts «Gladiator 2» enttäuscht trotz optischer Brillanz. Die Handlung ist vorhersehbar, die Charaktere flach und die Spannung fehlt. Ein enttäuschender Nachfolger des Meisterwerks.
Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
«Geh», haucht Lucilla dem gefallenen Gladiator Maximus zu. «Geh zu ihnen.»
Maximus, einst Kommandeur der Truppen des Nordens, Tribun der spanischen Legionen, treuer Diener des wahren Imperators Marcus Aurelius, Vater eines ermordeten Sohnes und Ehemann einer ermordeten Frau, schliesst seine Augen zum letzten Mal. Sein Körper liegt im blutigen Sand des grössten Tempels Roms – des Kolosseum. Aber seine Seele hat den Weg zurück zu seiner Familie ins Jenseits gefunden. Im Hintergrund spielt Hans Zimmers «Now We Are Free».
Kinogeschichte.
Fast 25 Jahre später frage ich mich, ob ich tatsächlich so naiv war, zu denken, dass Regisseur Ridley Scott seinen Geniestreich wiederholen könnte. «Nein», sage ich mir selbst, «aber ich hab’s gehofft.» Wir erinnern uns zurück: Im Jahr 2000 galt der Historienfilm als totes Genre. Die goldenen Zeiten von «Ben Hur», «Spartacus» und «Lawrence of Arabia» aus den 1960ern waren längst vorbei. Wer damals auf Männer in Röcken und Sandalen setzte, galt als verrückt.
Ridley Scott war so ein Verrückter. Und er würde Recht behalten – sein «Gladiator» belebte das Genre neu. Gewann fünf Oscars. Auch als bester Film. Und inspirierte zahlreiche neue Sandalenfilme. «Troy» etwa. Oder «Alexander». Scott selbst versuchte sich ein paar Jahre später mit «Kingdom of Heaven» erneut ans Historiendrama. Tut es seitdem immer wieder. An den durchschlagenden, Genre-definierenden Erfolg von «Gladiator» konnte er aber nie so richtig anknüpfen.
Kann er auch mit «Gladiator 2» nicht.
Stärke und Ehre. Nach diesem Credo lebt Lucius (Paul Mescal), seit ihn seine Mutter Lucilla (Connie Nielsen) von Rom weggeschickt hat. Zu gefährlich die politischen Intrigen und Machenschaften jener, die den werdenden Kindkaiser nie und nimmer als Thronerben akzeptiert hätten. Aber zu denken, dass Lucius mit seiner Flucht Frieden finden würde, war närrisch.
Denn Rom, stets getrieben von seiner unstillbaren Expansion, bleibt sich auch nach über 20 Jahren treu. Bei der Eroberung einer numidischen Küstenstadt durch General Marcus Acacius (Pedro Pascal) wird Lucius' Frau im Kampf getötet – so weit hat ihn sein Schicksal verschlagen. Lucius, der daraufhin unerkannt in die Sklaverei gerät, wird fortan von einem einzigen Gedanken verzehrt: Rache an General Acacius.
Geben soll sie ihm der Gladiatoren-Ausbildner Macrinus (Denzel Washington). Doch Macrinus verfolgt eigene ambitionierte Pläne – nicht nur für sich und seine Gladiatoren, sondern auch für Rom. Die Ewige Stadt leidet unter der Herrschaft ihrer exzentrischen und ausbeuterischen Zwillingskaiser. Einzig General Acacius – ausgerechnet – scheint das Vertrauen des Volkes zu geniessen, um die Kaiser zu stürzen und den «Traum Roms» zu erfüllen. Es sei denn, Macrinus kommt ihm zuvor ... Aber zu welchem Preis?
Ja, ja, ja. Wir kennen sie alle. Die Floskeln, die bei Fortsetzungen im Vorfeld so gesagt werden.
«Die Geschichte im ersten Film war doch abgeschlossen!»
«Die haben aber auch wirklich keine neuen Ideen, die in Hollywood.»
«Wozu überhaupt eine Fortsetzung, wenn man nichts Neues zu erzählen hat?»
Ich habe sie gehört. Sie alle. Und versucht, sie beim Gucken so weit weg wie nur irgendwie möglich zu verdrängen. Ich will dir ja eine unvoreingenommene Meinung geben. Eine, die über solche Floskeln hinausgeht. Und dennoch: «Gladiator 2» ist die Film gewordene Erfüllung dieser Floskeln. Eine unnötige Fortsetzung, die nichts zum Meisterwerk beiträgt, verbessert oder wenigstens vertieft, weil – Achtung – die Geschichte im ersten Teil ja schon abgeschlossen war.
Schlimmer: Statt eine neue Geschichte zu erzählen, kopiert sich «Gladiator 2» lieber selbst. Schamlos sogar. Da ist wieder die Hauptfigur, eine einst loyale Seele Roms, der von selbigem Rom «alles genommen wird» und sich deshalb verraten und im Stich gelassen fühlt. Dafür soll’s Rache geben. Die gibt’s im Kolosseum, wenn der Protagonist dem Rat des Mentors gehorcht, der ihn aus der Kriegsgefangenschaft und in die Sklaverrei gekauft hat – als Gladiator.
Been there, done that.
Das Ziel, erneut ein ziemlich hohes Ross in Rom, kriegt man erst dann zum Gegner, wenn man sich zuvor durch ein paar irre blutige Spiele metzelt und so die Gunst des Publikums gewinnt. Weil das funktioniert nunmal so. Und natürlich sind die Kaiser wieder einmal masslos von ihrer eigenen Grossartigkeit überzeugt. Ihre selbstherrliche und tyrannische Herrschaft treibt den römischen Senat erneut zu politischen Intrigen, um die Macht an sich zu reissen – angeblich zum Wohle des Volkes und zur Erfüllung des Traums von Rom.
Wie gesagt: Die haben aber auch wirklich keine neuen Ideen, die in Hollywood.
Zugegeben: Gänzlich gleich läuft die Geschichte dann doch nicht ab. Vor allem Denzel Washington darf sich mit seinem Macrinus wenigstens ein bisschen interessant machen. Immer wieder wechselt er elegant zwischen lässiger Zurückhaltung und impulsiven Ausbrüchen. Jede Pose, jede Bewegung, jede Geste – alles an ihm wirkt bewusst, gesetzt und durchdacht. Wo seine Schauspielkolleginnen und -Kollegen nur Monologe herausbrüllen, ringt Washington mit jeder Zeile und kostet jedes Wort aus, als wolle er die verborgene Melodie und die Nuancen darin schmecken. Eine grandiose Performance.
Tatsächlich beschrieb Ridley Scott Macrinus im Vorfeld als gerissener Gangster. Einer, der sich seinen Weg von ganz unten nach ganz oben erstritt und nun unter den Wohlhabendsten Roms weilt. Also genauso wie Proximo aus «Gladiator». Der Unterschied zwischen Macrinus und Proximo liegt allerdings darin, wozu ihre Charaktere fähig sind, um ihre Ziele zu erreichen.
Denzel Washingtons «Training Day» lässt grüssen.
Also ja, es gibt sie doch noch, die eine oder andere Variation – so dreist ist wohl selbst Hollywood nicht. Oder zumindest nicht David Scarpa, der auch schon das Drehbuch zum ziemlich unbefriedigenden Ridley-Scott-Film «Napoleon» geschrieben hat.
Dass sich der sonst so geschätzte Regie-Altmeister Scott trotzdem mit einer derart plumpen, uninspirierten Kopie des ersten Teils zufrieden gab, ist schlichtweg enttäuschend und lässt mich – besonders nach «Napoleon» – an seinem künstlerischen Urteilsvermögen zweifeln. Selbst oberflächliche Abweichungen und die modernisierte Optik täuschen nicht darüber hinweg, dass hier Ideenlosigkeit und der Versuch, auf müde Nostalgie zu setzen, an erster Stelle stehen. Wozu überhaupt eine Fortsetzung, wenn man nichts Neues …
Dämliche Floskeln.
Immerhin bleibt sich Scott in einem treu: der Optik. Ja, auch «Gladiator 2» sieht fantastisch aus. Scotts opulente Handschrift bei Historienfilmen ist noch immer über alle Zweifel erhaben. Kein Wunder, schliesslich hat er uns bereits mit Filmen wie – eben – «Gladiator», «Kingdom of Heaven», «Exodus» und dem meiner Meinung nach zu Unrecht unterschätzten «The Last Duel» visuell verwöhnt.
«Gladiator 2» ist in diesem Punkt kein bisschen anders. Das Forum Romanum erstrahlt in nie gesehener Pracht – jeder Frame ist ein atemberaubendes Gemälde des antiken Roms. Und wenn gewaltige Armeen über Italiens Hügel ziehen oder Galeeren, angetrieben von donnernden Trommelschlägen, auf nordafrikanische Küsten zusteuern, wird das Kino zum Erlebnis. Besonders beeindruckend ist, wie echt Scotts Bilder wirken, fernab jeder künstlichen Computerästhetik. Und die Kostüme erst!
Jep, handwerklich bleibt er ein unübertroffener Meister seines Fachs. Das kann ihm keiner nehmen.
Dass Scott es mit der Action innerhalb des Kolosseums dann manchmal doch etwas gar gut meint, kann ich ihm verzeihen. Einmal reitet etwa ein Mann auf einem Nashorn, als ob’s ein Pferd wäre – mit Sattel und allem. Gab’s das wirklich? Sieht jedenfalls komisch aus. Oder dann wird das Kolosseum geflutet, um Gladiatoren und Soldaten in Galeeren aufeinandertreffen zu lassen, während im Wasser hungrige Haifische lauern. Das Fluten der Arena scheint historisch einigermassen akkurat. Aber so, wie’s im Film inszeniert wird, frage ich mich trotzdem, woher die Haifische auf einmal kommen.
Über solche Oberflächlichkeiten sehe ich gern hinweg, wenn dafür der Rest stimmt. Aber eben …
Wenn sich Charaktere von ihren anfangs fest etablierten inneren Motivationen plötzlich abwenden und ohne wirklichen Grund eine 180-Grad-Drehung vollziehen, bin ich raus. Wieso, Herr Scott? Weil’s der Plot gerade so braucht?! Dumme Erklärung. Und dann dieses ewige, abgedroschene Klischee: Der einsame Held, der ein Heer mit seiner Flüsterstimme in Wallung bringt. Selbst der letzte Legionär, dreihundert Meter entfernt, versteht jedes Wort, als hätte er ein eingebautes Richtmikrofon. Wieso in drei Teufels Namen fällt selbst der Altmeister noch darauf rein?
Am billigsten wirkt «Gladiator 2» aber dann, wenn Filmkomponist Harry-Gregson Williams seine beste Hans-Zimmer-Interpretation versucht. Versteh mich nicht falsch: Williams ist ein fantastischer Komponist. Seine Musik zu «Kingdom of Heaven» oder «Chronicles of Narnia» läuft noch heute regelmässig in meiner Playlist. Und dass Williams bei Hans Zimmer in die Lehre ging – er assistierte Zimmer bei Filmen wie «The Rock», «Crimson Tide» und «The Prince of Egypt» – ist in vielen seiner Werke deutlich zu hören.
In «Gladiator 2» hingegen sticht musikalisch so gar nichts heraus. Keine Note. Nada. Alles wirkt generisch und schon zigmal gehört. Ausser, Williams lässt gerade ein bekanntes Thema aus Hans Zimmers «Gladiator» tönen. Dann, und nur dann, breitet sich dieses wohlige, warme und nostalgische Gefühl in meiner Magengrube aus. Fast schon möchte ich eine Träne verdrücken, weil ich mich in meine Jugend zurückversetzt fühle – Gänsehaut. Und dann merke ich, dass das, was mich derart bewegt, eben nicht das ist, was auf der Leinwand zu sehen ist.
Es ist die flüchtige Erinnerung an etwas Grossartigem, das gut kopiert zwar immer noch wahnsinnig gut aussieht. Gut gespielt ist. Und klingt. Aber am Ende ist es doch nur das: eine Kopie.
Womit wir wieder beim Thema wären.
Nein, «Gladiator 2» ist kein kompletter Totalausfall, auch wenn der Film statt einer Fortsetzung mit neuer, frischer Geschichte eher eine blasse Kopie des Originals ist. Und wenn das Original schon so legendär gut war, dann wird wohl selbst ein eher müder Abklatsch seine soliden drei von fünf Sterne einheimsen, nicht wahr?
Enttäuscht bin ich trotzdem. Ausser Denzel Washingtons Macrinus bleiben alle Charaktere oberflächlich und unglaubwürdig. Selbst Pedro Pascals Acacius. Dabei liebe ich eigentlich alles, was der Mann auf die Leinwand zaubert. Die Handlung selbst bleibt vorhersehbar, weil schon gesehen, und die üblichen 0815-Klischees werden (leider) auch bedient.
Immerhin Ridley Scotts visuelle Brillanz bleibt uns erhalten: Die opulenten Bilder des antiken Roms sind beeindruckend, die Schlachten gewohnt stilsicher inszeniert und die Gladiatorenkämpfe im prachtvollen Kolosseum noch immer eine bildgewaltiges Spektakel. Könnte das alles doch nur über die inhaltlichen Schwächen hinwegtäuschen! Aber so bleibt «Gladiator 2» ein Schatten seines Vorgängers.
Ein Schatten des Giganten.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»