Hintergrund
Was ist ein MacGuffin – und wie kann es einen Film ruinieren?
von Luca Fontana
Alles schon mal gesehen. Irgendwo. «Jungle Cruise» erfindet nichts neu. Und trotzdem: Der Film macht jede Menge Spass – wenn du dich darauf einlässt.
Eines vorweg: In dem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.
Disney tut’s wieder: Ein Film auf einer Disneyland-Themenpark-Attraktion basierend. Das hat mit «Pirates of the Caribbean» bereits wunderprächtig funktioniert. So wunderprächtig, dass die Attraktion im Park mittlerweile den Filmen angepasst worden ist. Kein Wunder, versucht Disney die Themenpark-Verfilmungsstrategie seit dem immer wieder.
Bis jetzt erfolglos. «The Haunted Mansion» ist ein einziger Reinfall. «Tomorrowland» ist besser – viel besser – aber auch kein Knüller. «Jungle Cruise» soll’s richten. Tut der Film das? Nun, ein Sieg auf ganzer Linie ist anders. Aber:
Während zwei Stunden und zwölf Minuten bin ich erschreckend solide unterhalten worden.
Die Legende sagt, dass im Amazonas ein Baum wächst, dessen Blüten jede nur erdenkliche Krankheit oder jeden Fluch heilen können. Unsterblichkeit? Vielleicht. Im England des Jahres 1916 ist Botanikerin Lily Houghton (Emily Blunt) im Besitz eines Artefakts aus dem Amazonas: einer Speerspitze aus Stein. Sie könnte den Weg zum legendären, alles heilenden Baum weisen.
Glauben tut ihr aber keiner. Was wissen denn schon Frauen? Darum macht sie sich allein mit ihrem Bruder (Jack Whitehall) auf und heuert vor Ort den angeblich besten, aber berüchtigten Skipper Frank Wolff (Dwayne Johnson) an – schliesslich kenne keiner die Wirren und labyrinthartigen Zweige des Amazonas besser als er.
Das Abenteuer geht los. Dem Trio auf den Fersen: Ein deutscher, soziopathischer Prinz (Jesse Plemons), der mit Hilfe des Baums den Grossen Krieg gewinnen will, ein italienischer, zwielichtiger Bootsmogul (Paul Giamatti) und jede Menge Conquistadores-Zombies, die den Baum bereits vor 400 Jahren gesucht haben – aber stattdessen einen Fluch gefunden haben.
Abenteuer. Action. Spass. «Jungle Cruise» hat alles davon. Das ist gar nicht so selbstverständlich. Zumindest nicht für jene, die die Themenpark-Attraktion kennen, auf die «Jungle Cruise» lose basiert. Die geht nämlich so: Während die Gäste auf einem Boot durch ein aufwändig nachgebautes Amazonas schippern, begegnet ihnen allerlei, was kreucht und fleucht – unter anderem Piranhas, Krokodile und Nilpferde.
Wirklich aufregend ist die Attraktion nicht. Bewusst nicht. Sie soll ein gemütliches Ausspannen sein. Ein Beine Hochlagern, nachdem man womöglich bereits hunderte Meter vom vielen Rumlaufen und Anstehen hinter sich hat. Wie soll daraus ein Action-Adventure-Movie entstehen?
Indem reichlich anderswo geklaut wird.
Da sind etwa die Conquistadores-Zombies. 400 Jahre alte Soldaten, vom Fluch des Dschungels bereits zerfressen. Mittlerweile winden sich allerlei Schlangen, Würmer und sonstiges Vieh durch Haut und Knochen. Grusig. Und ganz offensichtlich von «Pirates of the Caribbean» abgeschaut. Jemand bei Disney hat wohl gesagt: «Hey, gruselige Zombies! Das zieht immer.»
Oder Stephen Sommers 1999er «The Mummy». Die Parallelen. In beiden Filmen haben wir ein Trio: Die Frau, die von allen belächelt wird, aber die weiss, was sie will. Der leicht trottelige Bruder, der nicht wirklich auf diese Reise mitgehört, aber der’s trotzdem tut – aus Gründen. Und dann noch der schurkige Held, dem du besser nicht traust, der aber den Weg kennt. I see what you did there, Disney.
Was noch? «Indiana Jones». Woher sonst soll die Inspiration des deutschen, bösen Prinzens kommen, der nach einem legendären, magischen MacGuffin sucht, um den Weltkrieg zu gewinnen – und nebenbei die Weltherrschaft an sich zu reissen? Für die Story gebraucht hätte es ihn nicht. Trotzdem ist er da. Wohl auch so ein Story-Element, das in Abenteuerfilmen zu funktionieren scheint.
So. Alles nur geklaut und kopiert. Furchtbar. Darf man sowas überhaupt gut finden? Und dann noch Disney. Das Haus der Maus. Das Unternehmen gewordene Abbild von Geldgier und Kapitalismus. Sowas gehört doch einfach boykottiert.
Nur: «Jungle Cruise» ist tatsächlich verdammt unterhaltsam.
So sehr ich mich ob der dreisten Klau-Kultur von «Jungle Cruise» empören möchte: Ich kann nicht behaupten, der Film sei langweilig. Im Gegenteil.
Zu gut und lustig ist die Chemie zwischen den sich ständig zankenden Wolff und Houghton. Zu schnörkellos die Regie von Jaume Collet-Serra, bei dessen Actionszenen ich stets genau weiss, welche Figur grad wo und mit wem kämpft. Und zu nostalgisch-altmodisch die locker flockig treibende Filmmusik von Maestro James Newton Howard, der sich nicht zu schade ist, auch mal bei John Williams’ «Indiana Jones» abzuhören.
Tatsächlich versucht «Jungle Cruise» nie, dir vorzumachen, mehr zu sein, als was er ist: Ein Samstagnachmittag-Abenteuer-Film. Das hat was entwaffnend ehrliches an sich, so inmitten des ganzen Geklauten. Oder sollte es eher inmitten der ganzen Hommagen heissen?
Hommagen. Oder: Huldigungen. Respektvolle Verbeugungen an das, was mal war, aber womöglich nicht mehr ist. Manchmal fühlt sich «Jungle Cruise» tatsächlich an, als ob er in den 1990er-Jahren hätte rauskommen sollen. Dann hat er aber den Kinostart um zehn, zwanzig Jahre verschlafen. Kommt er halt im Jahr 2021 raus.
Bei mir löst das Nostalgie aus.
Voilà: Schon hat er mich, der Film. Ich bin an Bord. Wortwörtlich. Wolffs uralter, beinahe im Schwimmen auseinander fallender Tucker, mit dem er den Amazonas bereist, ist in seiner Ausstattung mindestens genauso detailverliebt wie der Rest des Films. Seien es die Kulissen des malerischen Hafens, der Dschungel, die Gemäuer der uralten, längst versunkenen Tempel und die Kostüme.
Zu keiner Filmsekunde fällt es mir schwer, in «Jungle Cruise» abzutauchen und mich von den gefährlichen Strömungen des Amazonas treiben zu lassen. Ja, es kommt mir alles bekannt vor. Ja, nichts davon ist neu oder erfindet das Adventure-Rad neu. Aber weisst du was? Mir egal. Es ist genau das, was ich von dieser Sorte Film will. Dieses «nach Hause kommen»-Gefühl.
«Jungle Cruise» mag vieles sein, aber nicht innovativ. Stört auch nicht. Getragen wird er nämlich von einer dicken Portion Adventure-Nostalgie und seinen zwei unwiderstehlich charmanten Stars: Dwayne Johnson, immer wieder unfassbar sympathisch, und Emily Blunt, stoisch, mit Hosen und ohne Doktortitel – das ist ein Insider.
Tatsächlich schafft es «Jungle Cruise» gar, hie und da zu überraschen. Zum Beispiel damit, dass Regisseur Jaume Collet-Serra Themen wie Geschlechter-, Rassen- und Klassendiskriminierung harmonisch in die Story einflechtet, ohne dass sie wie aufgesetzte, unnötige Predigten wirken. Oder aber damit, dass – nein, moment. Das verrate ich nicht.
Was bleibt, ist ein Film, der verdammt viel Spass macht und in seiner Opulenz, in seiner Action und seinem Witz einem «Pirates of the Caribbean» oder «The Mummy» in nichts nachsteht – auch wenn er wohl nicht genauso lange in Erinnerung bleiben wird.
Zu sehen ist «Jungle Cruise» seit dem 28. Juli im Kino und seit dem 30. Juli auf Disney+ via kostenpflichtigen VIP-Zugang (29.– Franken). Ab dem 12. November ist «Jungle Cruise» für alle Disney+-Accounts zugänglich, auch ohne VIP-Zugang.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»