Endlich erster Schultag – aber Mami ist noch nicht schulreif
Vorfreude, Unsicherheit, viele Fragen. Das sind meine Gefühle zum Schulstart meines Kindes. Und was meiner Schulanfängerin durch den Kopf geht – oder eben nicht. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter.
In einer Woche kommt meine Erstgeborene in die Schule. «Ok cool, wow», denkst du dir jetzt. Und du hast im Prinzip völlig recht. Das ist nun mal das Schicksal jedes Schweizer Kindes im Alter von plus/minus sechs Jahren.
Hier könnte die Story also schon zu Ende sein. Neuer Lebensabschnitt, neue Familien-Challenge, alles gut. The End.
Fast. Was ein klitzekleiner Schritt für die Menschheit bedeutet, ist für uns als Familie dann halt doch ein gewaltiger Sprung. Zumindest für mich als Mutter, wie ich feststelle. Damit du dir meine aktuelle Gefühlslage etwas besser vorstellen kannst: Für mein Baby, das ich gerade noch gestillt, gewickelt und im Tragetuch herumgetragen habe, beginnt in diesen Tagen der Ernst des Lebens! Ein kleines bisschen mehr Mitgefühl an dieser Stelle, okay? Und kann bitte sofort jemand die Zeit anhalten?
Je näher, desto nervöser
Mein Mann lacht über meine Sentimentalität. Ist okay, ich muss selbst auch ein wenig über mich schmunzeln. Meine sechsjährige Tochter findet’s gleichermassen lustig wie peinlich. Ihr kann’s jetzt sowieso gar nicht schnell genug gehen. Die letzten Kindergartentage waren bloss noch «laaangweilig». Und ihren violetten Thek, der im Moment noch überdimensional an ihr wirkt, hat sie schon vor den Sommerferien gepackt. Während sie Tag X seit Wochen entgegenfiebert, werde ich immer nervöser, je näher der Stichtag heranrückt.
Ich: Nur noch eine Woche, dann geht die Schule los. Bist du aufgeregt?
Sie: Nein.
Ich: Wirklich nicht? Ich schon. Aber du freust dich?
Sie: Ja, schon.
Ich: Worauf am meisten?
Sie: (Zuckt mit den Schultern.) Ich weiss nicht.
Ich: Komm schon, worauf freust du dich? Auf ein bestimmtes Fach? Die Lehrerinnen? Die Mitschülerinnen und Mitschüler? Oder einfach die Pausen?
Sie: Keine Ahnung, wirklich. Mami, ich weiss ja gar nicht, wie es in der Schule ist.
Wie recht sie hat. Wie soll sie Vorfreude haben auf etwas, das ihr noch völlig unbekannt ist? Das sie nur vom Hörensagen kennt? Ich hingegen male mir schon in den buntesten Farben aus, was sie erwartet.
Immer wieder ertappe ich mich dieser Tage dabei, wie ich in Erinnerungen an meine eigene Schulzeit schwelge. Und erstaunt stelle ich fest, dass vom grossen Tag selbst, dem ersten Schultag, so gar keine Erinnerungsfetzen hängengeblieben sind. Ich habe zwar Fotos, auf denen ich stolz mit meinem roten Lederthek vor meinem Elternhaus posiere. Mehr aber nicht. Das gute alte Stück holte ich kürzlich vom Dachboden meiner Eltern, um ihn meiner Tochter zu zeigen. «Das war dein Thek?», fragte sie ungläubig. Tja, vom ergonomisch-optimierten Easy Grow System und austauschbaren superfancy Glitzer-Pads wussten wir damals noch nichts.
Tausend Fragen, aber nicht für mein Kind
Ich habe schöne Erinnerungen an die Schule, ich ging meistens gerne hin. Vor allem wegen der Freunde und wohl auch, weil mir alles relativ leicht fiel. Jetzt, dreissig Jahre später, plagen mich jedoch plötzlich Sorgen: Wie wird meine Tochter in der neuen Klasse zurechtkommen? Wird sie auch so gute Freundinnen haben wie ich damals? Was, wenn sie gemobbt wird? Wird sie mit ihren Lehrerinnen auskommen? Und wir mit ihnen? Ob sie im Unterricht wird mithalten können? Was, wenn sie regelmässig schlechte Noten schreibt? Alles Fragen, die meine Tochter gerade nicht im Geringsten beschäftigen.
Ich: Bald wirst du jeden Tag Hausaufgaben machen müssen.
Sie: Ja, ich weiss. Und?
Ich: Ich hatte nicht immer Lust darauf. Vor allem, wenn ich ein Fach nicht mochte. Aber es musste halt trotzdem sein.
Sie: Du hattest gerne Schreiben und Turnen, gäll?
Ich: Ja, genau. Am Anfang mochte ich auch Mathe, mit der Zeit aber nicht mehr so.
Sie: Was ist Mathe?
Ich: Rechnen.
Sie: Ich glaube, ich werde gerne rechnen.
Ich: Ein bisschen kannst du’s ja sogar schon. Welche Fächer wirst du wohl sonst noch mögen?
Sie: Turnen! Und Basteln.
Ich: Wir haben damals «Handsgi» gesagt. Das hab ich aber weniger gerne gemacht, ich ging lieber ins Werken.
Sie: Haben wir eigentlich auch Bastel-Ufzgi?
Ich: Mhm, ich glaube nicht.
Vor den Hausaufgaben habe ich als Mutter den grössten Respekt. Mit all unseren Hobbys und Jobs haben wir jetzt schon einen vollen Tag – wann wir die Ufzgi da noch mitreinpacken sollen, ist mir im Moment noch ein Rätsel. Ich tröste mich damit, dass es den meisten genauso geht. Ausserdem, das weiss ich inzwischen aus Erfahrung, gewöhnen wir uns als Familie sowieso rasch an Veränderungen, auch wenn sie im ersten Moment immer angsteinflössend sind. Das beruhigt mich etwas.
Die ewige Leier mit den Ufzgi
Trotzdem hoffe ich insgeheim auf die Eigendisziplin der Tochter. Dass sie nach Hause kommt und erstmal aus eigenem Antrieb ihre Ufzgi erledigt, um dann guten Gewissens draussen mit Freunden zu spielen. Hahahahaha, beim Schreiben dieses Satzes lache ich innerlich über mich selbst. Dass ich nach sechseinhalb Jahren Zusammenleben mit unserem Kind immer noch solche naiven Hoffnungen hege.
In der Realität werde ich sie jeweils für die Hausaufgaben pushen müssen, weil ihr alles andere gerade wichtiger erscheint. Und ich höre mich schon jetzt tagtäglich schimpfen: «Bevor du die Ufzgi nicht gemacht hast, gehst du nicht raus! Punkt.» Was wiederum einen Tobsuchtsanfall bei ihr auslösen wird, weil sie die Nachbarskinder schon auf dem Spielplatz vor der Tür spielen hört. Die Diskussionen sind (vor)programmiert, ich versuche sie aber noch weit von mir wegzuschieben. Und übe mich derweil in positivem Mindset.
Ich: Schon cool, dass du mit so vielen Nachbarskindern in die Schule laufen kannst. Ich fand den Schulweg immer toll.
Sie: Hä, warum?
Ich: Wir sind ihn bei Regen, Sturm, Schnee – egal, bei welchem Wetter – gemeinsam gegangen. Später dann mit dem Velo in die Oberstufe. Da erlebt man viel zusammen.
Sie: Du hattest aber halt auch einen viel längeren Schulweg als ich, oder?
Ich: Ja, stimmt. Du wirst es trotzdem lässig auf deinem haben. Apropos: Lass uns in den nächsten Tagen mal noch den Schulweg zusammen ablaufen, okay?
Sie: Ich kenne ihn schon, Mami.
Ich: Trotzdem.
Sie: Nein, ich weiss, wo es lang geht.
Ich: Also gut. Aber den Weg vom Schulhaus in den Hort werden wir noch gehen.
Sie: Wenn’s sein muss.
Sie werden so schnell selbstständig, denke ich mir. Und höre den Satz synchron meine eigene Mutter sagen. Als Kind rollte ich mit den Augen, heute fühle ich ihr nach. Für uns Eltern bedeutet Kinderhaben vor allem auch immer wieder: loslassen, vertrauen. Das erste Mal in der Kita, die erste Nacht bei den Grosseltern, das erste Mal im Hort, im Kindergarten – es ist eine nie endende Serie des Ziehenlassens. Oder hört sie mit Übergabe des Berufslehrdiploms endgültig auf?
Nun also der erste Schultag. Mein Redaktionskollege Martin, der Kinder im Alter von sieben und neun Jahren hat, schildert mir, wie er damals bei seinem Erstgeborenen am Rande des Schulzimmers Rotz und Wasser heulte. «Taschentücher einpacken», schreibe ich auf meine imaginäre To-do-Liste. Und wische mir mit der Hand unauffällig schon das erste Tränchen aus dem Augenwinkel. In einer Woche bin ich dann auch schulreif, versprochen.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.