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Eben Upton und der Raspberry Pi: Eine Geschichte der Chancengleichheit
Der Raspberry Pi wird zehn Jahre alt. Den Bastelrechner verdanken wir vor allem einem Mann: Eben Upton.
Chancengleichheit. Das Thema beschäftigt Raspberry-Pi-Miterfinder Eben Upton seit seiner Kindheit. Früh bemerkt der 1978 geborene Waliser, dass Chancengleichheit bereits mit der Bildung anfängt. Rückblickend lässt sich zehn Jahre nach der Markteinführung des Raspberry Pi sagen: Upton hat mit dem Bastelrechner mehr Chancengleichheit geschaffen.
Inspiration aus der Vergangenheit
Während seiner Schulzeit kommt Upton mit dem BBC Micro in Kontakt. Die von Acorn Computers produzierten Mikrocomputer sollen Schülerinnen und Schülern den Umgang mit Computern näher bringen. Mit 300 bis 400 Pfund sind die Rechner jedoch teuer. Das entspricht heute teuerungsbereinigt rund 2000 Franken oder Euro. Nicht jede Schule kann sich einen BBC Micro leisten. Es erstaunt deshalb nicht, dass sie vor allem Kindern aus wohlhabenden Familien zur Verfügung stehen. Ärmere Schichten bleiben aussen vor.

Quelle: Wikipedia
Daran stört sich Upton bereits während seiner Schulzeit. Dies, obwohl er als Angehöriger der oberen Schicht Zugang zu dem Gerät hat. Der BBC Micro hat deshalb einen grossen Einfluss auf ihn und seinen späteren Werdegang. Er lernt darauf nämlich Programmieren – sein Interesse an den Computerwissenschaften ist geweckt. Nach einem Bachelor in Physik und Ingenieurwesen studiert er an der Universität Cambridge auch noch Computerwissenschaften. 2001 schliesst er das Studium ab.
Anfang des Jahrtausends sind Computer weiterhin eher teuer. Zu jener Zeit ist Upton in der Computerforschung an der Universität Cambridge tätig. Er bemerkt, dass viele junge Studierende wenig Vorwissen in Bezug aufs Programmieren mitbringen.
Er sieht darin zwei Gründe: Erstens ist der Zugang zu Computern aufgrund der finanziellen Hürde schwierig. Es ist zwar immer mehr Menschen möglich zu studieren, aber aufgrund der ungleichen Verhältnisse bringen nicht alle dieselben Voraussetzungen mit. Zweitens müssen Computer zu jenem Zeitpunkt nicht mehr programmiert werden, damit sie überhaupt funktionieren. Ein BBC Micro musste noch aktiv mit Befehlen gefüttert werden. Was Upton in der Schule gelernt hat, wird zu dieser Zeit nicht mehr vermittelt.

Quelle: raspberrypi.com
2006 baut Upton einen eigenen Computer auf einer Lochrasterplatine. Seine Vision: Ein Computer, der allen zu kleinem Preis zugänglich ist. Das Gerät basiert auf einem Atmel-ATmega644-Mikrocontroller. Upton stellt fest, dass es möglich ist, einen günstigen Computer zum Programmieren zu bauen. Der Prototyp ist ihm jedoch noch nicht leistungsfähig genug.
Etwa zu jener Zeit wechselt Upton von der Universität zum Halbleiterunternehmen Broadcom. Hier stellt er fest: Mit den Halbleitern von Broadcom sollte sich ein günstiger Computer bauen lassen.
Der Fachkräftemangel zwingt zum Handeln
2008 gründet Eben Upton mit Kollegen die Raspberry Pi Foundation. Deren Ziel: Kinder und Jugendliche für das Programmieren zu begeistern. Zu jener Zeit herrscht nämlich akuter Fachkräftemangel in Grossbritannien. Irgendwann kommen die Mitglieder der Foundation auf Uptons Prototypen zu sprechen. Hier wollen sie ansetzen.

Quelle: Wikipedia
Ihre Annahme: Nur wenn sich Jugendliche einen Rechner zum Programmieren leisten können, fangen sie damit an. Gefragt ist also ein Computer, wie ihn Upton 2006 gebaut hat. Die Idee, einen Rechner zu bauen, der um die 35 Franken oder 30 Euro kostet, ist geboren.
Der Preis des Computers ist für Upton wesentlich. Er darf nicht so hoch sein, dass ihn sich nur wieder Kids reicher Eltern kaufen können. Der Computer soll die Chancengleichheit fördern.
Smartphones bringen die Sache ins Rollen
Nach der Gründung der Raspberry Pi Foundation passiert erstmal wenig. Upton ist hauptsächlich mit anderen Dingen beschäftigt und hat nur in seiner Freizeit Zeit für die Foundation.
Doch dann ändert sich die Situation grundlegend: Dank des Smartphone-Booms ab 2008 kommen leistungsfähige und günstige ARM-Prozessoren auf den Markt. So lässt sich ein kleiner, günstiger Computer bauen. Eben Upton kann seinen Traum vom Computer für alle endlich realisieren. Der Broadcom-Chip BCM2835 soll den ersten Raspberry Pi antreiben.
Ein virales Video als Kick-Off
2011 gehen die Verantwortlichen der Raspberry Pi Foundation mit einem Prototyp zur BBC. Das Ziel: Sie möchten ihn als BBC Micro auf den Markt bringen. Dies in Anlehnung an die BBC Micro Mikrocomputer der 1980er. Aus rechtlichen Gründen ist dies jedoch nicht möglich.
Der Journalist Rory Cellan-Jones von der BBC macht dennoch ein Video des Prototyps und dessen Funktionen. Das Video geht viral. Es zeigt, dass auch ausserhalb von Schulen ein enormer Bedarf nach genau so einem Rechner besteht.
Das ist der endgültige Schub, den die Foundation braucht, um das Produkt marktfähig zu machen. Jetzt geht alles schnell. Bis im Herbst 2011 entsteht der Raspberry Pi Model B. Ein Rechner für alle – in Kreditkartengrösse.
Upton ist zu jener Zeit nicht mehr direkt an der Entwicklung des Raspberry Pi beteiligt. Stattdessen wickelt er diverse Deals für die Komponenten ab. Er will den Raspberry Pi unbedingt in Grossbritannien produzieren lassen. Der Rechner soll dort gebaut werden, wo er entwickelt wurde. Das gelingt ihm jedoch nicht und er findet erstmal einen Partner in China. Mit viel Eigeninvestitionen bestellen die Mitglieder der Foundation 10 000 Stück.
Neues Business-Modell und Launch
Das Interesse am Produkt scheint riesig. Upton und Co. befürchten, die Nachfrage nicht stillen zu können. Deshalb entscheiden sie sich dazu, das Business-Modell zu wechseln. Aus dem Hardware-Unternehmen wird ein Lizenzunternehmen. Ähnlich wie Arm entwickelt die Raspberry Pi Foundation die Rechner, hergestellt und vertrieben werden sie aber von den Elektronik-Distributoren Element14 und RS Components.

Quelle: Wikipedia
Am 29. Februar 2012 ist es dann so weit: An der Embedded-World-Messe in Nürnberg wird der Raspberry Pi gelauncht. Am ersten Tag werden 100 000 Stück verkauft. Innerhalb des ersten Jahres gar eine Million. Ein Grossteil der Kunden sind Bastler. Nach diesem riesigen Erfolg gelingt es Upton noch 2012, einen Teil der Produktion nach Grossbritannien zu holen.
Eben Upton erklärt sich den Erfolg dadurch, dass der Raspberry Pi eine grosse Nachfrage stillt, die zu jenem Zeitpunkt niemand anderes befriedigen kann. Oder besser: Niemand weiss bis zum Release, dass überhaupt eine Nachfrage besteht. Bastler werden wohl als zu kleine Zielgruppe angenommen, die in Realität weitaus grösser ist.
Den Erfolg bei Bastlern führt Upton darauf zurück, dass wir uns durch spezialisierte Geräte wie Smartphones und Spielkonsolen von der Technologie entfremdet haben. Wir benutzen zwar Technologie, wissen aber nicht, wie sie funktioniert. Bastler setzen Technologie hingegen bewusst ein. Für sie kommt ein offenes und günstiges System wie der Raspberry Pi wie gerufen.
Zunächst Frust, dann Freude
Für Upton ist es zunächst frustrierend, dass sich vor allem Bastler für den Raspberry Pi interessieren. Schliesslich war es sein Ziel, und auch jenes der Foundation, Junge fürs Programmieren zu begeistern. Das tut der Raspberry Pi zwar auch. Aber erst in zweiter Instanz: Die Bastler begeistern mit ihren Projekten Jugendliche und animieren sie dazu, es ihnen nachzumachen.
Heute sind der Raspberry Pi und seine Nachfolger sowie Nachahmer nicht mehr nur bei Bastlern anzutreffen. Auch in der Ausbildung werden sie fleissig eingesetzt. Beispielsweise fliegen 2015 zwei sogenannte Astro Pi zur International Space Station (ISS). Mit denen haben bis 2022 über 50 000 Kinder und Jugendliche Experimente durchgeführt und Nachrichten in den Orbit geschickt.

Quelle: astro-pi.org
Upton und die Raspberry Pi Foundation haben ihr Ziel erreicht: Junge fürs Programmieren und die Technologie hinter den Geräten zu begeistern. Oder wie es Upton sagt:
Ich war in den 1980ern enorm privilegiert. Ich hatte Zugang zu Bildung und Computern. Anderen blieb dies verwehrt. Heute haben wir die Gelegenheit es besser zu machen als in den 80ern. Wir können dank günstigen Computern wie dem Raspberry Pi sicherstellen, dass auch jene ohne Privilegien, aber mit Talent und Können, Zugang zu Computern haben.
Dieser Text basiert auf den Interviews «Eben Upton - The Story of Raspberry Pi» und «Eben Upton - Life before Raspberry Pi» des Centre for Computing History.
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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.