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«Captain America: Brave New World»: Ernüchterung mit Ansage
Er sollte unbequem sein. Er sollte mutig sein. Doch «Captain America: Brave New World» ist am Ende nur eines: ein weiteres Kapitel im MCU, das lieber gefallen will, statt Haltung zu zeigen.
Eines vorweg: Die folgende Filmkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist.
Es fühlt sich nicht mehr ganz so magisch an wie früher. Zu Zeiten von «Avengers: Endgame» oder «Iron Man», als jeder neue Marvel-Film ein popkulturelles Ereignis war. Und trotzdem: Sobald das rot-weisse Logo über die Leinwand flimmert, erwische ich mich immer noch dabei, wie ich mich mit kindlich übertriebener Vorfreude im Kinosessel zurücklehne und den Slogan leise mitpfeife.
Marvel bleibt eben Marvel.
Nach einer Flut von Filmen hatte der Comic-Gigant zuletzt einen Gang runtergeschaltet und eine Denkpause eingelegt. Der letzte Streich? Schon eine Weile her: «Deadpool and Wolverine». Der war letzten Sommer ein Erfolg, keine Frage, aber auch mehr eine anarchische Abrechnung aufs Marvel Cinematic Universe (MCU) als ein echtes Kapitel im Multiversums-Epos. Davor? «The Marvels», im November 2023, das … nun ja, auch nicht gerade die Welt erschütterte.
Jetzt soll «Captain America: Brave New World» den roten Faden wieder aufnehmen. Endlich. Aber kann ein Film über patriotische Ideale und gebrochene Helden das Marvel-Universum wirklich neu ausrichten?
Darum geht’s in «Captain America: Brave New World»
Er trägt den Schild. Den von Steve Rogers. Dem Captain America. Doch Sam Wilson (Anthony Mackie) ist nicht Steve Rogers. Er hat kein Superserum in den Adern, keine mythische Heldengeschichte im Rücken. Er ist nur ein Mann – mit Flügeln, einem unerschütterlichen Willen und der Erkenntnis, dass der Kampf nicht endet, nur weil man einen Titel trägt.
Aber nach den Ereignissen von «Falcon and the Winter Soldier» hat ihm die Welt keine Wahl gelassen. Und in «Captain America: Brave New World» steht Sam sogar einer Welt gegenüber, die immer noch im Chaos des Blips taumelt und sich dort einem Gefahrenherd stellen muss, wo seit «Eternals» die Überreste eines Celestials aus dem Meer ragen.
Genau darum versucht Präsident Thaddeus «Thunderbolt» Ross (Harrison Ford), das bröckelnde Fundament mit harter Hand zu stabilisieren. Doch Ordnung hat ihren Preis. Neue Bedrohungen wachsen im Schatten der Macht, und Sam muss herausfinden, ob ein Schild reicht, um sie aufzuhalten – oder ob der wahre Kampf nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in den Köpfen der Menschen ausgetragen wird. Denn ein Symbol kann jeder tragen. Die Frage ist: Wer gibt ihm Bedeutung?
Wenn Mut nur ein Marketingversprechen ist
Gleich vorweg: Nein, «Captain America: Brave New World» hat meine Erwartungen nicht erfüllt. Nicht mal annähernd. Bevor jetzt jemand meint, ich sei selbst schuld, weil ich sie zu hoch geschraubt hätte: Marvel in Ehren – ich habe ja nicht den nächsten «Citizen Kane» erwartet. Aber zumindest ein Film, der etwas in mir auslöst. Begeisterung. Überraschung. Irgendwas.
Stattdessen liess mich «Brave New World» mit exakt einer Emotion zurück: Ernüchterung. Nicht, weil der Film katastrophal schlecht ist – das wäre wenigstens unterhaltsam gewesen (ja, «Madame Web», ich meine dich). Sondern, weil er so … mutlos ist. Durchschnitt. Nicht mehr. Ironisch, wenn man bedenkt, dass der Titel genau das Gegenteil suggeriert.

Quelle: Disney / Marvel Studios
Dabei versprach Regisseur Julius Onah im Vorfeld noch einen «realistischen, paranoiden und politischen Thriller». Das klingt nach «Captain America: The Winter Soldier», einem der besten MCU-Filme überhaupt. Am Ende bekommen wir aber einen Film, der sich kaum traut, auch nur ähnlich unbequem zu sein. «The Winter Soldier» hinterfragte zum Beispiel Sicherheit zum Preis totaler Überwachung – und nahm eine klare Stellung ein. Das war schon damals, 2014, aktuell. Ist es heute immer noch.
«Brave New World» hingegen wirkt wie ein sorgfältig zusammengeschraubtes Puzzle, das Checkboxen abarbeitet – nur dass die Teile nicht wirklich zusammenpassen. Ein bisschen «The Incredible Hulk» hier, ein Hauch «Eternals» da, und natürlich noch ein paar Versatzstücke aus «Falcon and the Winter Soldier». Alles zusammen ergibt einen Film, der weniger erzählt, als dass er verwaltet.
Vielleicht liegt genau darin das Problem: «Brave New World» will irgendwas über Identität und Werte sagen, aber weiss selbst nicht so genau, was. Übrig bleibt eine Story, die letzten Endes recht viel hanebüchener ist als mir der Trailer weismachen wollte. Wie gesagt: ernüchternd.
Von der schönen neuen Welt …
Bestes Beispiel? Der Titel: «Brave New World». Das kann kein Zufall sein. Für mich ist er eine Anspielung auf Aldous Huxleys gleichnamigen dystopischen Roman aus dem Jahr 1932.
Die Geschichte dort spielt in einer fernen Zukunft, in der die Menschheit in einer scheinbar perfekten Welt lebt. Es gibt keine Kriege, keine Armut, kein Leid. Die Gesellschaft ist strikt hierarchisch organisiert und genetisch manipuliert. Emotionen, Individualität und kritisches Denken werden unterdrückt – stattdessen wird das Glück der Bevölkerung durch Konsum, oberflächliche Unterhaltung und die Droge Soma sichergestellt.
Im Buch opfert die Gesellschaft also Individualität und Freiheit für Stabilität und Glück. Im Film hätte Präsident Thaddeus Ross genau diesen Konflikt verkörpern können. Der Trailer suggeriert ja sogar, dass er versucht, nach dem Chaos des Blips eine perfekte Ordnung zu schaffen – eine «schöne neue Welt». Koste es, was es wolle.
Ohne zu spoilern: Davon sind wir weit entfernt.

Quelle: Disney / Marvel Studios
… zur flachen neuen Story
Schade. Gerade Sam Wilson als neuer Captain America wäre perfekt gewesen, um als Ross’ Gegenspieler unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Ein schwarzer Mann, der das Symbol der amerikanischen Ideale verkörpert? Der könnte Themen wie strukturellen Rassismus, Nationalismus oder koloniale Machtstrukturen direkt adressieren.
Die Vorarbeit dazu hatte «Falcon and the Winter Soldier» sogar geleistet. Dort waren es die Flag Smashers, die nationale Grenzen und Machtstrukturen hinterfragten. Ross als Präsident, der ein autoritäres Amerika verkörpern würde, hätte weiter in dieselbe Kerbe schlagen können. Als Red Hulk sogar buchstäblich.

Quelle: Disney / Marvel Studios
Dazu hätte die Rückkehr von Isaiah Bradley (Carl Lumbly), ein vergessener Super-Soldat, der von der US-Regierung misshandelt und weggesperrt wurde, noch mehr Konflikte in Sam aufkeimen lassen können: Wie kann ein Land von ihm erwarten, das neue Symbol für Heldenmut zu sein, wenn es in seiner Geschichte jahrzehntelang Menschen wie Sam und Isaiah ausgeschlossen hatte?
Tatsächlich hatte Marvel mit Regisseur Julius Onah, selbst ein nigerianischer Immigrant, gar keinen schlechten Kandidaten für die Umsetzung solch einer Story gefunden. Gerade wenn man bedenkt, dass Onah mit seinem 2019 erschienenen Film «Luce» die Zerbrechlichkeit von Identität und den Druck gesellschaftlicher Erwartungen thematisiert hat. Meiner Meinung nach hätte er genau den richtigen Blickwinkel gehabt, um diese Themen erneut aufzugreifen – nur diesmal auf einer grösseren, noch politischeren Bühne.
Aber nein. Nada. Nichts da. Am Ende ist der Film in etwa so gehaltvoll wie der Wetterbericht. Oder ein Kindergeburtstag – viel Lärm, bunte Bilder, und niemand kann’s so richtig ernst nehmen.

Quelle: Disney / Marvel Studios
Ja klar, ich seh’s schon ein: Marvel muss ein globales Publikum bedienen – von den USA über Europa bis nach China. Jeder politische Akzent könnte irgendwo anecken. Gerade, wenn’s um heikle Themen wie Rassismus, Machtmissbrauch und Überwachung geht. Also schwenkt man lieber auf Konsens statt Konsequenz. Das Ergebnis? Ein Film, der alles richtig machen will, aber nichts wirklich wagt – und das reicht mir nicht.
Fazit
Brave New World – oder: Wenn sich ein Film vor seiner eigenen Courage fürchtet
«Captain America: Brave New World» verspricht Paranoia, politische Brisanz und moralische Grauzonen – liefert am Ende aber nur einen Film, der niemandem zu sehr wehtun soll. Klar, es gibt ein paar stark inszenierte Actionsequenzen, besonders wenn Harrison Fords Red Hulk endlich loslegt. Aber bis dahin zieht sich der Film. Und wenn’s endlich spannend wird, ist er auch schon fast wieder vorbei.
Das grösste Problem? Marvels Angst vor Kontroversen. «Brave New World» tut nur so, als würde er über Macht, Identität und nationale Werte sprechen. In Wahrheit kratzt der Film nur an der Oberfläche. Bestenfalls.
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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»