Apnoetauchen: Tief einatmen und entspannt durch die Unterwasserwelt schweben
Mit einem tiefen Atemzug abtauchen in die blauen Weiten des Meeres – das ist ein Traum vieler Taucherinnen und Taucher. Doris Hovermann hat ihn verwirklicht. Als ehemaliges Mitglied des deutschen Apnoe-Nationalkaders hat sie Rekorde aufgestellt und dabei viel über sich und die Unterwasserwelt gelernt.
Wenn Doris Hovermann durch die Fotos auf ihrem Smartphone scrollt, ist das wie ein Ausflug in eine andere Welt. Auf der internationalen Wassersportmesse «Boot» in Düsseldorf schaue ich ihr über die Schulter. Mal taucht sie mit Haien auf den Azoren, mal in Höhlensystemen, den sogenannten Cenoten, in Mexiko. Dabei schwebt sie ohne Luftflaschen, Atemregler oder sonstiges Gerät unter Wasser.
Doris ist Freitaucherin und schafft es, mit einem Atemzug und ohne Hilfsmittel mehr als 50 Meter in einen See hinabzutauchen. Die zurückgelegte Strecke entspricht etwa der Höhe eines Gebäudes mit 14 Stockwerken.
Wenn du jetzt noch nicht beeindruckt bist: Freitauchen im See stellt eine eigene Disziplin dar, denn die Bedingungen im See sind ungleich härter als im Meer. Meist ist die Sicht aufgrund von Schlick schlecht. Es ist dunkel und kalt. Sich bei diesen Bedingungen ohne Atemgerät auf 50 Meter Tiefe zu wagen, erfordert jede Menge taucherisches Können, mentale Stärke und Mut.
Ein Spasswettkampf weckte die Leidenschaft
Begonnen hat die Reise in die Tiefe ohne Geräte und Luftflaschen für Doris fast zufällig vor 15 Jahren. Sie war schon seit Jahren als Gerätetauchlehrerin tätig, als sie bei der Eröffnung eines Tauchturms im deutschen Siegburg Freitaucher sah, die ganz entspannt auf 20 Meter Tiefe abtauchten und dort spasseshalber wie Ringe geformte Luftblasen ausstiessen. Langsam schwebten sie wieder an die Oberfläche zurück und tauchten mit einem Lächeln auf. «Herr der Ringe» nannten die Apnoetaucher ihren Spasswettkampf.
Im Gegensatz zu den unbeschwerten Freitauchenden kamen Doris die Gerätetauchenden, zu denen sie sich zählte, schwer bepackt und ziemlich angespannt vor. Also versuchte sie, nur mit einem Atemzug in den Lungen den Tauchturm zu erkunden.
Sobald sie ohne Pressluftflasche und Atemregler in die Tiefe sank, hatte sie die Leidenschaft gepackt. Sie wollte mehr über diesen Sport und das elegante Schweben unter Wasser erfahren. Noch am selben Tag kontaktierte sie einen Freitauch-Instruktor. Und lernte, dass es wie beim Gerätetauchen auch beim Apnoe-Tauchen eine strukturierte Ausbildung mit verschiedenen Levels und aufeinander aufbauenden Lerninhalten gibt. Nach einer ganzen Reihe von Kursen und reichlich Erfahrung wurde sie selbst Freitauch-Instruktorin und schliesslich professionelle Ausbilderin für Instruktorinnen und Instruktoren.
Ein Ausflug in den Wettkampfsport
Schnell war ihr der Tauchturm mit seinen 20 Metern nicht mehr tief genug und Doris wagte sich gemeinsam mit anderen Tauchbegeisterten in grössere vertikale Distanzen in Seen und in Meeren. «Es ist erstaunlich, wie schnell man sich mit guter Instruktion, Atemtechnik und ein bisschen Training steigern kann», sagt sie. So qualifizierte sie sich bald für die Nationalmannschaft. In verschiedenen Disziplinen vom Streckentauchen bis zum Tieftauchen mit Flossen (Constant Weight) nahm sie an insgesamt drei Weltmeisterschaften teil. Sie erzielte 2014 mit 47 Metern zum zweiten Mal den deutschen den Rekord für Tieftauchen mit Flossen im See, der bisher nur zweimal überboten wurde. Mit dem deutschen Team erreichte sie 2012 in Nizza den siebten Platz in einem Wettkampf, in dem die Gesamtleistung über alle Disziplinen zählt.
Was Doris an den Competitons besonders reizte, war die mentale Vorbereitung. Bei Wettkämpfen müssen die Teilnehmenden vorher angeben, in welche Tiefe sie tauchen möchten. Und beim Startsignal auf die Sekunde genau abtauchen. In der zuvor angegebenen Tiefe wird eine Bodenplatte angebracht. Tiefer abzusinken, ist wegen dieser Platte nicht möglich. Wer die Tiefe nicht erreicht, wird mit Punktabzug bestraft. Grössere Tiefen bringen eine höhere Punktzahl. «Du musst dich also sehr gut kennen und wissen, was du am Wettkampftag und unter Wettkampfbedingungen leisten kannst», sagt sie. «Einfach drauflos tauchen und schauen, wie weit du kommst, ist nicht möglich.» Das ist auch der Grund, warum die im Wettkampf erzielten Tiefen häufig unter denen liegen, die im Training erreicht werden.
Einen Eindruck, wie ein Freediving-Wettkampf abläuft, erhältst du in diesem Video:
Ihr erstes Gold bei einer Meisterschaft gewann Doris 2012 im Zürichsee. Inzwischen hat sie sich vom Wettkampftauchen verabschiedet und gibt Tauchkurse und organisiert Tauchreisen auf der ganzen Welt. Zudem unterstützt sie die European Space Agency (ESA) bei der Unterwasser-Ausbildung von Astronauten. Schliesslich haben die für Menschen lebensfeindlichen Umgebungen von Weltraum und Wassertiefen einiges gemeinsam.
Die Reise ins Ich
Mittlerweile hat sich das Freitauchen so weit professionalisiert, dass sehr viel Training nötig ist, um mit den Spitzenathleten mitzuhalten. Für Doris ist das nicht mehr interessant und auch neben ihrem Alltag als Tauchlehrerin und Markenbotschafterin für Mares nicht realistisch. Statt auf Rekorde konzentriert sie sich lieber auf das Erlebnis unter Wasser. Dazu gehört die Reise in die Tiefe, aber auch ins eigene Ich.
Denn es ist das Wechselspiel zwischen tiefer Entspannung und glasklarer Aufmerksamkeit, das es Menschen wie Doris ermöglicht, mehrere Minuten mit nur einem Atemzug unter Wasser zu bleiben. Für sicheres und entspanntes Tauchen ist es wichtig, die Herzfrequenz vor dem Tauchen zu senken und zur Ruhe zu kommen, sodass der Sauerstoffverbrauch so niedrig wie möglich ist. Das hat etwas Meditatives und macht für viele den Reiz des Freitauchens aus.
Dabei geht es überhaupt nicht um Tiefenrekorde, sondern darum, beispielsweise auf zehn Metern Tiefe relaxt einem Riff entlangzugleiten. Die Ruhe und Entspanntheit, mit der sich Apnoetauchende unter Wasser bewegen, hat noch andere Vorteile: Fische schwimmen nicht so schnell weg, sondern sind neugierig und kommen näher. «Ich hatte schon wunderschöne Begegnungen mit Meeressäugern», schwärmt Doris. «Vielleicht haben sie mich nicht als Fremdkörper wahrgenommen und deshalb mit mir interagiert.» Auf ihren Fotos zeigt sie mir auch faszinierende Begegnungen mit Haien im offenen Wasser.
Tipps für alle, die sich für den Sport interessieren
Während sich viele Menschen – nicht zuletzt durch den Luc Besson-Film «The Big Blue» und die Netflix-Produktion «The Deepest Breath» – zum Freitauchen hingezogen fühlen, werden andere von den Gefahren abgeschreckt. Tatsächlich birgt das Freitauchen Risiken und gilt als Extremsport. «Es ist sehr wichtig, dass du nicht alleine loslegst», rät Doris. «Mit einem guten Tauchlehrer oder einer guten Tauchlehrerin kannst du schon in einem zweitägigen Kurs viel über Physiologie und die richtige Atemtechnik lernen.» Ruhiges und entspanntes Atmen sei immens wichtig, denn Hyperventilation, also zu schnelles Atmen, ist gefährlich und kann zu einem Blackout unter Wasser führen.
Noch ein Aspekt ist für Doris wichtig: Niemals alleine tauchen. Denn selbst sehr erfahrene Taucherinnen und Taucher können unter Wasser ohne vorherige Anzeichen das Bewusstsein verlieren. Mit einer Tauchpartnerin oder einem Tauchpartner in der Nähe kann die bewusstlose Person an die Oberfläche gebracht werden und erlangt das Bewusstsein meist schnell wieder. Ohne Begleitperson droht Ertrinken. «Ich tauche fünf bis sechs Mal pro Woche und gehe nie alleine», sagt Doris. Schliesslich bestehe auch bei erfahrenen Tauchenden immer ein Restrisiko, selbst im Schwimmbad.
Um loszulegen brauchst du nicht wahnsinnig athletisch zu sein, aber eine gewisse Grundfitness sollte vorhanden sein. Bei der Ausrüstung benötigst du weniger als beim Gerätetauchen. Maske, Schnorchel, ein Neoprenanzug, ein Bleigürtel und spezielle Freitauch-Flossen reichen für den Start. Bei den meisten Kursen kannst du bestimmte Ausrüstungsteile wie Flossen auch erst einmal mieten. Wenn du schon weisst, was du brauchst, findest du eine grosse Auswahl an Tauchgegenständen von Neopren über Maske und Schnorchel bis hin zu Flossen in unserem Sortiment.
Wenn du dich über das Freitauchen informieren möchtest, geben diese Bücher gute Einblicke:
Wichtiger als die Ausrüstung ist am Anfang die Lust, sich entspannt auf ein Unterwasser-Abenteuer einzulassen. Am besten unter Anleitung und niemals alleine.
Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.